Da ward es wieder heitrer Tag

Wie das Waldbächlein zum Tannenbaum zurückwollte, aber wieder verführt ward.


Da ward es wieder heitrer Tag.
Still floß dahin der Wellenschlag;
Es winkten am Strand viel Bilder hold, Umsponnen vom jungen Sonnengold.
Und immer noch in des Zweiges Geleit
Durchzog stromaufwärts in ringendem Streit
Das Bächlein die weite, sonnige Fluth.
Doch wollt' es nie in der Mitte bleiben;
Bald wollt' es rechts, bald linkshin treiben,
Wohin es lockte der launige Muth;
Und wo's ein Blümchen am Ufer gesehn,
Da wollt' es gleich auch stille stehn,
Ein bischen zu küssen, und tändeln und kosen.
Und einmal floß es über den Strand,
Und stürzt' in duftiges Gartenland,
Daß fast ertranken alle die Rosen,
Und meinte dabei: So will ich es haben.
Und dann war's wieder nicht weiter zu bringen:
Es woll' am Sonnenschein sich laben,
Und habe nicht Lust, noch weiter zu ringen.


Doch horch, da hör' ich leise Stimmen:
„Kann denn ein Bach stromaufwärts schwimmen?“
Ei, ei, wie klug, solch Netz zu schlagen!
Nehmt euch in Acht mit solcher List!
Ich laß euch durch ein Kindlein sagen,
Was meines für ein Bächlein ist,
Und wie es wohl kann aufwärts treiben.
Drum laßt getrost das Zweifeln bleiben,
Wie ich's euch sag', so laßt es sein!
Sonst sag' den Kindern ich's allein.
Der Tannenzweig schwamm ruhig nach,
Wohin das Bächlein immer trieb;
Von frommem Muth er stets ihm sprach,
Und wie eine Mutter in wachender Lieb'
Er's immer wieder zur Mitte führte.
Doch wie Das alles sein Herz nicht rührte,
Da sprach er zu ihm mit warnendem Wort:
„Lieb Bächlein, sieh', so kömmst du nicht fort!
Du mußt hübsch in der Mitte bleiben,
Mit gleicher Kraft stromaufwärts treiben,
Und nur dein Ziel in's Auge fassen:
Dann wirst du sicherlich vollenden!
Doch willst du dir den Willen lassen,
Und dich bald rechts, bald linkshin wenden,
Bald stürmisch toll, bald launisch träg,
So machst du doppelt deinen Weg;
Und, Bächlein, wer weiß! mir wird recht bang,
So wird am Ende der Weg zu lang.“
Doch recht wie ein ungezognes Kind
Fiel ihm das Bächlein in's Wort geschwind:
„Ist's nicht für mich schon hart genug,
Daß ich so jung mich quälen muß,
Und elend mühen gegen den Fluß?
Nun wehrest du mir noch den Fug,
Am Ufer zu rasten und Honig zu naschen!
Wie gestern ich stromabwärts trieb,
Da durft' ich all' die Freuden erhaschen,
Wohin mich lockte Lust und Lieb;
Von Allem, was das Leben verschönt,
Wollt' mir das Vöglein Nichts mißgönnen.
Nun bin einmal ich dran gewöhnt;
Und wenn du wirklich so lieb mich hast,
So wirst auch du's erlauben können:
Ich hab' durch dich genug der Last.“
Und kaum sprach's aus, da wollt' es mit Schmollen
Dem Zweig schon halb den Rücken kehren.
Doch der sprach still ohn' alles Grollen:
„Ich will die Freiheit dir nicht wehren;
Ich sag' nur Eins, und bleib' dabei:
Laß los von mir, dann bist du frei,
Und Alles sich an dir erfüllt,
Wie dir's der Tannenbaum enthüllt
Von deinem Leben, deinem Tod.
Doch willst du mit mir aufwärts ringen,
So mußt du halten mein Gebot!
Dann werd' ich dich zur Tanne bringen.
Du weißt, was sie dir Alles versprochen,
Sie hat noch nie ihr Wort gebrochen.
Dein Vöglein aber, wie hielt es den Schwur?
O Bächlein, ich bitt' dich, besinne dich nur,
Wie gestern im Sturm du verlassen gejammert,
An mich verzweifelnd dich angeklammert!
O Bächlein, Bächlein, denk' an's Ziel!
Das Vöglein spielt ein teuflisch Spiel.
Doch, wie du willst! Die Wahl ist frei.“
Wohl blieb das Bächlein still dabei,
Doch dacht' es verschmitzt und geheim für sich:
„Ja, gestern, wie die Sonne verblich,
Und mich erfaßte die Sturmeswuth,
Und mich umdrohte der Blitze Gluth,
Bin ich wohl gern stromaufwärts geschwommen,
Um aus den Händen der Winde zu kommen.
Doch heut' ist so heller Sonnenglanz:
Da möcht' ich doch lieber in spielendem Tanz
Hinunterfahren in's Zauberthal,
Möcht' sprudeln und schwärmen und nippen zumal,
So wie mir's gefiele, mit süßem Behagen,
Statt zu entbehren und mich zu plagen.“
Und wie es so für sich gedacht,
Da hatten sich viel lockre Genossen
Zum Bächlein schnell herbeigemacht;
Mit losen Reden sie's umfloßen,
Und drehten es hänselnd im Ringelkreise,
Und wiegten es hin, und wiegten es her,
Als ob es ein schläfriges Kindlein wär',
Und sangen als spöttische Ammen die Weise:
„Schön eia popei, im Himmel gehn
Viel Schäflein weiß wie frischer Schnee!
Das Kindlein wollt' auf die Beine stehn,
Da fiel es um, und that sich weh!
Muß liegen nun wieder in der Wiegen,
Und bleibt sein Lebenlang drin liegen.
Ihr frommen Schäflein, gebt fein Acht,
Daß Nichts das Kindlein erwachen macht!“
Drauf warfen sie höhnisch es weg und schwammen
Hinab in der Sonne, und sangen zusammen:
„Wir fahren hinunter so lustig und frei,
Und haben nicht Zweifel, nicht Sorgen dabei!
Wir nehmen die Freuden, so wie sie kommen,
Verlachen das Darben der Dummen und Frommen.
Und werden wir einst auch Nebel und Rauch,
So sind wir zu Ende, was kümmert es auch?
Wenn wir nur genossen, was uns gefiel!
Das ist des Lebens reizendes Ziel.“
Und ferne verhallt' es mit wildem Lachen.
Das Bächlein seufzte: „Was soll ich nun machen?
Nun ziehn sie spielend im Sonnenschein,
Und wird ihr Herz von Lust nicht leer.
Ich nur verhöhnt zieh' so allein,
Und hab' beim Wege solche Beschwer.
Und komm' zum Tannenbaum ich auch,
Wie weiß ich, ob sein Wort er hält!
Dann kann er thun, wie's ihm gefällt,
Und kann mich halten nach altem Brauch,
Ich weiß es schon, so wie ein Kind,
Das für das Licht des Tages blind,
Sich fromm geduldet im Waldesdunkel,
Mit Röslein spielt und Kieselgefunkel.
Und wenn ich werd' von ihm begehren,
Ich wollt' hinaus in die Lande weit:
Wird immer er sagen, noch sei's nicht Zeit.
Was frommt mich dann mein Mühn und Entbehren?
Muß ihm ja doch dann wieder entrinnen!
Will drum mich zuvor noch recht besinnen.“
Und wie's im Herzen so erwogen,
Da kam das Vöglein schnell geflogen,
Und jubelte heimlich: „Nun ist es Zeit!“
Und flatterte voll Geschäftigkeit,
Als sucht' es Wen in ängstlicher Hast;
Auf einmal aber ließ sich's nieder
Grad' mitten auf den Tannenast,
Und rief mit freudetrunknem Ton:
„Ja, Bächlein, find' ich dich endlich wieder!
Ich kann die Freude ja gar nicht fassen;
Such' ich doch Nacht und Tag dich schon,
Und hast dich nirgends finden lassen.
Was hatt' ich doch beim Sturm für Qual,
Daß ich nicht konnte bei dir sein!
Ich schrie nach dir viel tausend Mal,
Ich spähte nach dir im Wetterschein,
Und suchte dich irrend im brausenden Wind,
Wie eine Mutter sucht ihr Kind;
Und nirgends, nirgends fand ich dich.
Schon weint' ich um dich bitterlich,
Und schon verlor ich all mein Hoffen:
Da sagte mir drunten im Wellenzug,
Sie hätten dich aufwärts treibend getroffen.
Doch zankt' ich sie aus ob dem spöttischen Lug:
Mein Bächlein, was soll's stromaufwärts thun?
Mein Heldenbächlein, zur Freiheit geboren,
Das gab sie nimmer so schnell verloren!
Und ach! Nun find' ich dich, und nun
Muß weinen ich, da ich dich find',
Wie ich geweint, da ich dich verloren.
Ich sucht' einen Mann, und find' ein Kind,
Ich sucht' einen Weisen, und find' einen Thoren.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Märchen