Wie das Waldbächlein in einen Sturm kam, und vom Tannenzweig daraus erlöst ward.

Nun war der Himmel ringsherum
Von schwarzem Bahrtuch überzogen,
Das letzte Lüftchen scheu und stumm
Vom Wasserspiegel fortgeirrt,
Und wetterbang ward's auf den Wogen.
Verlassen und von Angst verwirrt
Das Bächlein harrte, was nun gescheh',
Und feurig kam vom Himmelsbogen
Ein Pfeil ihm in das Herz geschwirrt,
Daß laut es ächzte vor brennendem Weh.
Und war sein Jammern kaum verklungen,
Da faßt' es schon der Winde Schaar
An Füßen und Händen und wallendem Haar;
Da ward es gezerrt, da ward es geschwungen,
Als wollten den Himmel sie mit ihm erklettern,
Daß wirbelnd es stieg zum schäumenden Thurm.
Dann rissen sie's nieder in jauchzendem Sturm,
Zum Grab sie's höhlten, und stürzten sich drein,
Als wollten sie selber sich drinnen zerschmettern;
Und aus den brausenden Finsternissen
Stach Blitz um Blitz auf's Bächlein ein,
Gleich einem brennend bösen Gewissen.
Und mit der letzten verzweifelten Kraft
Vom Arme der Winde losgerafft,
Rang sich's hinauf aus dem wirbelnden Schlund,
Das Herz von taufend Stichen wund,
Und rief in die Nacht mit klagendem Schrei:
„O Vöglein, Vöglein, ist das dein Geloben?
O rette mich, und komm herbei!“
Doch kam kein Vöglein fern und nah,
Es kreiste hoch in den Wolken droben,
Und zornig es auf das Bächlein sah:
„Ha brause nur Sturm! Verzweifle du nur!
So ist mir's recht, so will es mein Schwur.
Der Tannenbaum, der ist mein Feind;
Einst saß auch ich in seiner Kron',
Da sang ich ihm zu stolzen Ton,
Da schüttelt' er ab mein luftiges Haus.
Und drum zerreiß' ich, was mit ihm vereint,
Was ihn umfließt, das trockn' ich aus,
Was ihn umblüht, mach' ich verdorrt,
Und was er liebt, das lehr' ich hassen;
Verderb' ihm die Freuden fort und fort,
Und werd's in Ewigkeit nicht lassen.“
Und wilder hetzt' es der Winde Wuth
Auf die schon mählig verschäumende Fluth,
Sie sollten das Bächlein von Neuem erfassen.
Und wo sich's auch wollt' halten am Strand,
Da riß es zurück der Winde Hand,
Und schleudert' es höhnend in's Wogengebraus. Jetzt brach von Neuem sein Klagen aus:
„Ach, daß vom Tannenbaum ich ging,
Der mich so treu beschützt' vor den Wettern,
Und mich mit liebendem Arm umfing!
Nun muß ich so recht verlassen und arm
Mein junges Leben im Sturm zerschmettern,
Und leuchtet mir kein einz'ger Stern.
Ach, daß doch der Himmel sich meiner erbarm'!
Bin noch so jung, und leb' so gern.“
Da weint' es, daß es ein Jammer war,
Vor Schluchzen fast das Herz ihm brach.
Der Tannenzweig schwamm schneller nach,
Doch blieb er ihm noch unsichtbar.
Das Vöglein aber höhnte herab:
„So hab' ich's gern, so mir's gefällt.
Ich keine größre Lust doch hab',
Als wenn in dieser verpfuschten Welt
Eins seine Ruh durch mich verloren!
Solch Jammern, wie kitzelt mir's in den Ohren!
Ha, daß ich Tag und Nacht dürft' hören,
Wie Herzen brechen, und berstend fallen
Der Zeiten Baue und Tempelhallen!
Hab' ich doch Lust nur am Zerstören!“
Wie jetzt das Bächlein fern und nah, Verschmachtet fast, kein Vöglein sah,
Schrie's noch einmal in die Nacht hinaus:
„Ich will zurück in's Mutterhaus!
Ich will, ich muß, mich mordet die Reu.
O Tannenbaum, so gut und treu,
Ich weiß, du willst mein Elend nicht.
O hör' mein Schrei'n im Brausen der Nacht,
Gieb mir zur Rückkehr, gieb mir die Macht! Erbarm' dich mein! Zeig' mir ein Licht!“ Da fiel es zusammen sinnenlos.
Doch aus der Fluthen dunkelm Schoos
Stieg glanzumdämmert der Zweig hervor,
Und sah es an mit erbarmender Lieb',
Und lispelt' ihm so mild in's Ohr:
„Der Tannenbaum, der schickt mich her
Aus seines Herzens grünstem Trieb.
Erfasse mich mit aller Macht,
So fest du kannst, und zaudre nicht mehr!
Dann bürg' ich dir, du wirst gerettet.“
Da war das Bächlein schnell erwacht,
Und hatte sich an des Zweiges Arm
Wie eine eiserne Klammer gekettet;
Und gegen der Wogen sausenden Schwarm, Durch's Züngeln der Blitze und Windsgebraus, Entführte leuchtend mit ringender Macht
Der Zweig das Bächlein durch die Nacht
Der Tanne zu, in's Mutterhaus.

Das Vöglein aber schäumte vor Wuth,
Da's hoch den Tannenzweig erschaut:
„Ha, daß ich vergessen die lauernde Hut,
Und daß ich dem Bächlein zuviel getraut!
Doch fahr' nur zu! Ich hab' nicht Sorgen,
Daß ich nicht wieder dich fangen mag.
Ich warte nur ab den sonnigen Tag.
Was heute mißlänge, gelingt mir Morgen.“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Märchen