Und von der Zinne mit zitternder Hand

Wie das Waldbächlein bei einer Ueberschwemmung helfen mußte.


Und von der Zinne mit zitternder Hand,
Da winkte der König über sein Land,
Und um den Pallast mit klingendem Schall
Entstieg alsbald ein eherner Wall,
Und stieß mit siegendem Eisenarm
Zur Treppe hinunter den Wogenschwarm.
Da holte der König den Athem so frei,
Und trocknete sich die Stirne so kalt.
Doch auf der Schlange werbenden Schrei,
Da schossen mit immer wildrer Gewalt
So endlos schäumend die Fluthen herbei.
Da wankte der Wall – da brach er zumal.
Und voller und voller ward es im Saal;
Schon rißen sie jauchzend den Sammt vom Throne,
Schon schaukelten sie so höhnisch die Krone,
Schon drohte geborsten die Marmorwand.
Wohl winkte noch immer des Königs Hand;
Doch wie entstieg auch Wall um Wall,
Er sank im Strudel mit dröhnendem Fall.
Und finstern Blickes mit flatternden Locken
Der König stand mit seinem Rath,
Und zürnte und weinte und drohte und bat:
Doch all' die Schranzen, sie schwiegen erschrocken.
Da sank im stummen bleichen Kreis
So still auf's Knie die Königin,
Und hob ihr Kind zum Himmel hin,
Und betete so tief und heiß. –


Und siehe! von der heil'gen Rose
Mit duftig leuchtendem Blätterdach
Ward wunderbar das Land umsponnen;
Und in der Fluthen wild Getose,
Da träufelten wohl siebenfach
Wie Regenbogen mild die Bronnen.
Und von der Rose Glanz umleuchtet,
Und von der Bronnen Thau befeuchtet,
Aus dem Pallast und von dem Markte
Mit Zischen weichend die Wasser schossen,
Als hätt' sie Feuer übergossen;
Und was geborsten war, erstarkte.
Und fern in öden Haidetiefen
Die Fluthen mählig sich verliefen.
Und aus der Rose, glanzumspielt,
Da sah der Fürsten Fürst zur Erde.
Als Scepterstab das Kreuz er hielt,
Und stumm mit mahnender Geberde
Winkt' dreimal er so schmerzlich nieder,
Und ihn verbarg die Rose wieder.

Und wie der König auf den Zinnen
Vor solchem Wunder, nie geschaut,
All' die Gewässer sah zerrinnen,
Und wie er sah des Herren Winken:
Da ward gar herb sein Aug' bethaut,
Und auf die Kniee mußt' er sinken,
Und schlug in Demuth an das Herz,
Und ihm enthüllt' ein tiefer Schmerz,
Was wohl der Wink ihm möge sagen.
Und fromm das Aug' zum Herrn geschlagen,
Laut betete als Unterthan
Der König seinen König an.
Und von den bleichen Räthen allen
War einer nach dem andern stumm
Durchschauert auf das Knie gefallen,
Wie mancher auch wollt' widerstreben.
Und drunten auf dem Markt herum,
Da knieten sie in stummem Beben,
Und dachten an des Wunders Deuten.
Kein Herz blieb starr, kein Auge trocken;
Und feierlich von allen Glocken
Stieg zu dem Herrn ein heilig Läuten.

Und ach! Mit den empörten Wogen
War auch das Bächlein überall
In blindem Laufe mitgezogen.
Da bracht' es auf den letzten Wegen
Ein friedlich Hüttlein noch zu Fall;
Drin sprach eine Mutter den Abendsegen,
Und drückte grad' in frommer Lust
Ihr Kindlein an die junge Brust.
Da stürzten die Mauern, und sargten sie ein.
Die Sonne sank in blut'ger Pracht.
Du arme Mutter, gute Nacht!
O Bächlein, Gott erbarm' sich dein!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Märchen