Abschnitt 2 - ...Drei Speere sausten zugleich: aber wie ein Panther duckte der Flinke unter ihnen weg und, ...

Da war er heran.

Drei Speere sausten zugleich: aber wie ein Panther duckte der Flinke unter ihnen weg und, plötzlich aufschnellend, sprang er in hohem Satz über die Lanzen der beiden übrigen. Atemlos kam er dicht vor mir zu Boden: er blutete von Steinen und Pfeilen und schon kam jetzt vom Forum julium heran das ganze Rudel. Verzweifelnd sah er um sich und wollte nach rechts in die Friedenstempel-Straße, die ihn gerade nach seines Herrn Hause zurückgeführt hätte. Da sah ich vor uns das Portal der kleinen Basilika von Sankt Laurentius offen stehen. „Dort hin,“ rief ich ihm zu.“


„In meiner Sprache! er kennt meine Sprache,“ rief Syphax.

„Er kennt, glaub' ich, alle Sprachen,“ meinte Marcus Licinius.

„Dorthin, wiederholte ich, dort ist Asyl. Wie der Blitz war er die Stufen hinan, schon auf der letzten, da traf ihn ein Stein, daß er stürzte und sein nächster Verfolger war oben und packte ihn. Aber glatt wie ein Aal rang er sich aus seinem Griff, stieß ihn die Stufen hinab und sprang in die Türe der Kirche.“

„Da hattest du gewonnen,“ sagte Kallistratos.

„Ich wohl, aber er nicht. Denn die Priester von St. Laurentius, so eifersüchtig sie ihre Asylrechte wahren, so wenig haben sie Mitleid mit einem Heiden. Einen Tag lang bargen sie ihn: als sie aber erfuhren, daß er um der Schlange willen seinen Herrn niedergeschlagen, da stellten sie ihm die Wahl, Christ zu werden und den Götzen aufzugeben, oder Calpurnius und die Muränen.

Syphax wählte den Tod. Ich erfuhr es und kaufte dem Zornigen seine Rache ab und das Leben dieses schlanken Burschen, des schönsten Sklaven in Rom.“

„Kein schlechtes Geschäft,“ meinte Marcus, „der Maure ist dir treu.“

„Ich glaube,“ sagte Cethegus, „tritt zurück, Syphax. Da bringt der Koch sein Meisterstück, so scheint's.“

Es war eine sechspfündige Steinbutte, seit Jahren im Meerwasserweiher des Kallistratos mit Gänselebern gemästet. Der vielgepriesene „Rhombus“ kam auf silberner Schüssel, ein goldenes Krönchen auf dem Kopf.

„Alle guten Götter und du, Prophete Jonas!“ lallte Balbus zurücksinkend in die Polster, „der Fisch ist mehr wert als ich selber.“ – „Still, Freund,“ warnte Piso, „daß uns nicht Cato höre, der gesagt: wehe der Stadt, wo ein Fisch mehr wert als ein Rind.“ Schallendes Gelächter und der laute Ruf: Euge belle! übertönte den Zornruf des Halbberauschten.

Der Fisch ward zerschnitten und köstlich erfunden.

„Jetzt, ihr Sklaven, fort mit dem matten Massiker. Der edle Fisch will schwimmen in edlem Naß. Auf, Syphax, jetzt paßt, was ich zu dem Gelage beigesteuert. Geh' und laß die Amphora hereinbringen, welche die Sklaven draußen in Schnee gestellt. Dazu die Phialen von gelbem Bernstein.“

„Was bringst du seltenes, aus welchem Land?“ fragte Kallistratos. „Frag, aus welchem Weltteil? bei diesem vielgereisten Odysseus,“ sagte Piso.

„Ihr müßt raten. Und wer es errät, wer diesen Wein schon gekostet hat, dem schenk' ich eine Amphora, so hoch wie diese.“

Zwei Sklaven, eppichbekränzt, schleppten den mächtigen, dunkeln Krug herein: von schwarzbraunem Porphyr und fremdartiger Gestalt, mit hieroglyphischen Zeichen geschmückt und wohlvergipst oben an der Mündung.

„Beim Styx! kömmt er aus dem Tartarus? das ist ein schwarzer Gesell,“ lachte Marcus.

„Aber er hat eine weiße Seele – zeige sie, Syphax.“ Der Nubier schlug mit dem Hammer von Ebenholz, den ihm Ganymedes reichte, sorgfältig den Gips herunter, hob mit silberner Zange den Verschluß von Palmenrinde heraus, schüttete die Schicht Öl hinweg, die oben schwamm, und füllte die Pokale. Ein starker berauschender Geruch entstieg der weißen, klebrigen Flüssigkeit. Alle tranken mit forschender Miene.

„Ein Göttertrank!“ rief Balbus absetzend. – „Aber stark wie flüssiges Feuer,“ sagte Kallistratos.

„Nein, den kenn' ich nicht!“ sprach Lucius Licinius.

„Ich auch nicht,“ beteuerte Marcus Licinius. – „Aber ich freue mich, ihn kennen zu lernen,“ rief Piso und hielt Syphax die leere Schale hin.

„Nun,“ fragte der Wirt, zu dem letzten, bisher fast ganz stummen Gast zu seiner Rechten gewendet, „nun, Furius, großer Seefahrer, Abenteurer, Indiensucher, Weltumsegler, wird deine Weisheit auch zu schanden?“

Der Gefragte erhob sich leicht von den Kissen, ein schöner athletischer Mann von einigen dreißig Jahren, von bronzener wettergebräunter Gesichtsfarbe, kohlschwarzen, tiefliegenden Augen, blendend weißen Zähnen und vollem Rundbart nach orientalischem Schnitt.

Aber ehe er noch sprechen konnte, fiel Kallistratos rasch ein: „Doch, beim Zeus Xenios, ich glaube, ihr kennt euch gar nicht?“ Cethegus maß die fesselnde Erscheinung mit scharfem Blick. „Ich kenne den Präfekten von Rom,“ sagte der Schweigsame. – „Nun, Cethegus, und dies ist mein vulkanischer Freund, Furius Ahalla, aus Korsika, der reichste Schiffsherr des Abendlandes, tief wie die Nacht und heiß wie das Feuer. er hat fünfzig Häuser, Villen und Paläste an allen Küsten von Europa, Asien und Afrika, zwanzig Galeeren, ein paar tausend Sklaven und Matrosen und –“

„Und einen sehr geschwätzigen Freund,“ schloß der Korse. „Präfekt, mir ist es leid um dich, aber die Amphora ist mein. Ich kenne den Wein.“ – Und er nahm ein Kibitzei und zerschlug es mit goldenem Löffel.

„Schwerlich,“ lächelte Cethegus spöttisch.

„Doch. Es ist Isiswein. Aus Ägypten. Aus Memphis.“ Und ruhig schlürfte er das goldrötliche Ei.

Erstaunt sah ihn Cethegus an. „Erraten,“ sagte er dann. „Wo hast du ihn gekostet?“ – „Notwendig da, wo du. Er fließt ja nur aus Einer Quelle,“ lächelte der Korse. – „Genug mit euren Geheimnissen! Keine Rätsel unter den Rosen!“ rief Piso. – „Wo habt ihr beiden Marder dasselbe Nest gefunden?“ fragte Kallistratos.

„Nun,“ rief Cethegus, „wisset es immerhin“. Im alten Ägypten, im heil'gen Memphis voraus, haben sich immer noch, dicht neben den christlichen Einsiedlern und Mönchen in der Wüste, glaubenszähe Männer und namentlich Frauen erhalten, die nicht lassen wollen von Apis und Osiris und besonders treu den süßen Dienst der Isis pflegen. Sie flüchten von der Oberfläche, wo die Kirche das Kreuz der Askese siegreich aufgepflanzt, in die Tiefen, in den geheimen Schoß der großen Mutter Erde mit ihrem heiligen teuren Wahn. In einem Labyrinth unter den Pyramiden des Cheops haben sie noch einige hundert Krüge geborgen des mächtigen Weines, welcher dereinst die Eingeweihten zu den Orgien der Freude, der Liebe berauschte. Die Kunde geht geheim gehalten von Geschlecht zu Geschlecht, immer nur Eine Priesterin kennt den Keller und bewahrt den Schlüssel.

Ich küßte die Priesterin und sie führte mich ein: – sie war eine wilde Katze, aber ihr Wein war gut: – und sie gab mir zum Abschied fünf Krüge mit aufs Schiff.

„Soweit hab' ich es mit Smerda nicht gebracht,“ sagte der Korse; „sie ließ mich trinken im Keller, aber als Andenken gab sie mir nur das mit“ – und er entblößte den braunen Hals. – „Einen Dolchstich der Eifersucht,“ lachte Cethegus. „Nun, mich freut, daß die Tochter nicht aus der Art schlägt. Zu meiner Zeit, das heißt, als mich die Mutter trinken ließ, lief die kleine Smerda noch im Kinderröckchen. Wohlan, es lebe der heil'ge Nil und die süße Isis.“ Und die beiden tranken sich zu.

Aber es verdroß sie, ein Geheimnis teilen zu sollen, das jeder allein zu besitzen geglaubt.

Doch die andern waren bezaubert von der Laune des eisigen Präfekten, der jugendlich wie ein Jüngling mit ihnen plauderte und jetzt, da das beliebteste Thema für junge Herren unter den Bechern angeregt war – Liebesabenteuer und Mädchengeschichten –, unerschöpflich übersprudelte von Streichen und Schwänken, die er meistens selbst erlebt. Alle hingen mit Fragen an seinen Lippen. Nur der Korse blieb stumm und kalt.

„Sage,“ rief der Wirt und winkte dem Schänken, als gerade das Gelächter über eine solche Geschichte verhallt war, „sag an, du Mann buntscheckiger Erfahrung: – ägyptische Isismädchen, gallische Druidinnen, nachtlockige Töchter Syriens und meine plastischen Schwestern von Hellas: – alle kennst du und weißt du zu schätzen, aber sprich, hast du je ein germanisch Weib geliebt?“

„Nein,“ sagte Cethegus, seinen Isiswein schlürfend, „sie waren mir immer zu langweilig.“

„Oho,“ meinte Kallistratos, „das ist zuviel gesagt. Ich sage euch, ich habe an den letzten Calenden einen Wahnsinn gehabt für ein germanisch Weib, die war nicht langweilig.“

„Wie, du, Kallistratos von Korinth, der Aspasia, der Helena Landsmann, erglühst für ein Barbarenweib? O arger Eros, Sinnenverwirrer, Männerbeschämer,“ schalt der Präfekt.

„Ja, wenn du willst, war's eine Sinnesverwirrung: ich habe nie dergleichen erfahren.“

„Erzähle, erzähle,“ drängten die andern.

„Immerhin,“ sagte der Hausherr, die Polster glättend, „obwohl ich keine glänzende Rolle dabei spiele.

Also an den vorigen Calenden etwa kam ich zur achten Stunde aus den Bädern des Abaskantos nach Hause.

Da steht auf der Straße niedergelassen eine Frauensänfte, vier Sklaven dabei, ich glaube, gefangne Gepiden. Unmittelbar aber vor der Türe meines Hauses stehen zwei verhüllte Frauen, die Calantica über den Kopf gezogen. Die eine trug sklavisch Gewand, aber die andre war sehr reich und geschmackvoll gekleidet und das Wenige, was von Wuchs und Gestalt zu sehen, war göttlich. Welch schwebender Schritt, welch feiner Knöchel, welch hochgewölbter Fuß! Als ich näher herankam, ließen sich beide rasch in die Sänfte heben, und fort waren sie. Ich aber – ihr wißt, es steckt des Bildhauers Blut in allen Hellenen – ich träumte des Nachts von dem feinen Knöchel und dem wogenden Schritt.

Mittags drauf, da ich die Türe öffne, aufs Forum zu gehn zu den Bibliographen, wie ich pflege, seh ich dieselbe Sänfte rasch von dannen eilen.

Ich gestehe, ohne sonst besonders eitel zu sein, diesmal hoffte ich eine Eroberung gemacht zu haben – ich wünschte es so sehr. Und ich zweifelte gar nicht mehr, als ich, um die achte Stunde nach Hause kommend, wieder meine Fremde, diesmal unbegleitet, an mir vorüberschlüpfen sah und nach ihrer Sänfte eilen. Folgen konnt' ich den raschen Sklaven nicht, so trat ich in mein Haus, froher Gedanken voll. Da sagte der Ostiarius: „Herr, eine verhüllte Sklavin wartet dein in der Bibliothek.“

Pochenden Herzens eile ich in das Gemach. Richtig! es war die Sklavin, die ich gestern gesehen. Sie schlug den faltigen Mantel zurück: eine hübsche, verschlagne Maurin oder Karthagerin – ich kenne den Schlag – sah mich mit schlauen Augen an.

„Ich bitte um Botenlohn,“ sagte sie, „Kallistratos, ich bringe dir gute Kunde.“

Ich faßte ihre Hand und wollte ihr die dunkle Wange streicheln – denn wer die Herrin begehrt, der küsse die Sklavin – aber sie lachte und sprach: „Nein, nicht Eros, Hermes sendet mich.“

„Meine Herrin“ – hoch horchte ich auf – „meine Herrin ist – eine leidenschaftliche Freundin der Kunst. Sie bietet dir dreitausend Solidi für die Aresbüste, die in der Nische neben der Türe deines Hauses steht.““

Laut lachten die jungen Leute, Cethegus mit ihnen.

„Ja, lacht nur,“ fuhr der Hausherr selbst einstimmend fort, „ich aber lachte damals nicht. Aus all meinen Träumen heruntergefallen, sprach ich verdrießlich: mir ist das Werk nicht feil. Die Sklavin bot fünftausend, bot zehntausend Solidi; ich wandte ihr den Rücken und griff nach der Tür.

Da sagte die Schlange: „Ich weiß, Kallistratos von Korinth ist unwillig, weil er ein Abenteuer gehofft und fand ein Geldgeschäft.

Er ist Hellene, er liebt die Schönheit, er brennt vor Neugier, meine Herrin zu sehn.“ Das war so richtig, daß ich nur lächeln konnte.

„Wohlan,“ sprach sie, „du sollst sie sehn. Und dann erneuere ich mein letzt Gebot. Schlägst du's dann dennoch aus, hast du immerhin den Vorteil, deine Neugier gestillt zu haben. Morgen um die achte Stunde kömmt die Sänfte wieder. Dann halte dich bereit mit deinem Ares.“

Und sie schlüpfte hinweg. Unruhig blieb ich zurück.

Ich konnte nicht leugnen, meine Neugier war sehr gespannt. Fest entschlossen, meinen Ares nicht herzulassen und die Kunstnärrin doch zu sehen, erwartete ich gierig die bestimmte Stunde. Die Stunde kam und die Sänfte kam. Ich stand lauschend an meiner offnen Tür. Die Sklavin stieg heraus.

„Komm,“ rief sie mir zu, „du sollst sie sehn.“

Bebend vor Aufregung trat ich heran, der Purpurvorhang der Sänfte fiel halb zurück und ich sah –“

„Nun,“ rief Markus, sich vorbeugend, den Becher in der Hand.

„Was ich nie wieder vergessen werde. Ein Gesicht, Freunde, von ungeahnter Schönheit. Kypris und Artemis in Einer Person. Ich war wie geblendet. Ich kann sie nicht schildern. Der Vorhang fiel zu. Ich aber sprang zurück, hob den Ares aus der Nische, reichte ihn der Punierin, wies ihr Gold zurück und taumelte in meine Tür, betäubt, als hätt' ich eine Waldnymphe gesehn.“

„Nun, das ist stark,“ lachte Massurius. „Bist doch sonst kein Neuling in den Werken des Eros.“

„Aber,“ fragte Cethegus, „woher weißt du, daß diese Zauberin eine Gotin war?“

„Sie hatte dunkelrotes Haar und milchweiße Haut und schwarze Augenbrauen.“

„Alle guten Götter!“ dachte Cethegus. Aber er schwieg und wartete.

Keiner der Anwesenden sprach den Namen aus.

„Sie kennen sie nicht,“ sagte Cethegus zu sich. – „Und wann war das?“ fragte den Wirt.

„An den vorigen Calenden.“

„Ganz richtig,“ rechnete Cethegus; „da kam sie von Tarentum durch Rom nach Ravenna. Sie ruhte hier drei Tage.“

„Und so hast du,“ lachte Piso, „deinen Ares eingebüßt für einen Blick. Schlechter Handel! diesmal waren Merkur und Venus im Bunde. Armer Kallistratos.“

„Ach,“ sagte dieser, „die Büste war gar nicht soviel wert. Es war moderne Arbeit. Jon in Neapolis hat sie vor drei Jahren gemacht. Aber ich sag' euch, einen Pheidias hätt' ich hingegeben um jenen Anblick.“

„Ein Idealkopf?“ fragte Cethegus, wie gleichgültig und hob den ehernen Mischkrug, der vor ihm stand, scheinbar bewundernd, auf.

„Nein, das Modell war ein Barbar – irgendein Gotengraf – Watichis oder Witichas – wer kann sich die hyperboräischen Namen merken!“ sagte Kallistratos seinen Bericht schließend und einem Pfirsich die Haut abziehend.

Nachdenklich schlürfte Cethegus aus seiner Schale von Bernstein.

„Ja, die Barbarinnen könnte man sich gefallen lassen,“ rief Markus Licinius, „aber der Orkus verschlinge ihre Brüder!“ Und er riß den welken Rosenkranz vom Haupt: – die Blumen ertrugen den Dunst des Gelages schlecht – und ersetzte ihn durch einen frischen. „Nicht nur die Freiheit haben sie uns genommen – sie schlagen uns bei den Töchtern Hesperiens in der Liebe sogar aus dem Felde. Erst neulich hat die schöne Lavinia meinem Bruder die Türe verschlossen und den fuchsroten Aligern eingelassen.“

„Barbarischer Geschmack!“ meinte der Verschmähte achselzuckend und wie zum Trost nach seinem Isiswein langend. „Du kennst sie ja auch, Furius – ist es nicht Geschmacksverirrung?“ – „Ich kenne deinen Nebenbuhler nicht,“ sagte der Korse. „Aber es gibt schon Burschen unter diesen Goten, die einem Weib gefährlich werden mögen.

Und da fällt mir ein Abenteuer ein, das ich jüngst entdeckt, das aber freilich noch ohne Spitze ist.“ – „Erzähle nur,“ mahnte Kallistratos, die Hände in das laue Waschwasser steckend, das jetzt in korinthischen Erzschüsseln herumgereicht wurde, vielleicht finden wir die Spitze dazu.

„Der Held meiner Geschichte,“ hob Furius an, „ist der schönste der Goten.“ – „Ah, Totila der junge,“ unterbrach Piso und ließ sich den kameengeschmückten Becher mit Eiswein füllen. „Derselbe. Ich kenne ihn seit Jahren und bin ihm sehr gut, wie alle müssen, die je sein sonnig Angesicht geschaut, abgesehen davon,“ – und hier überflog des Korsen Züge ein Schatten ernsten Erinnerns, und er stockte – „daß ich ihm sonst verbunden bin.“

„Du bist, scheint's, verliebt in den Blondkopf,“ spottete Massurius, dem Sklaven, den er mitgebracht, ein Tuch voll pizentinischen Zwiebacks zuwerfend, um es mit nach Hause zu nehmen. „Nein, aber er hat mir, wie allen, mit denen er zu tun hat, viel Freundliches erwiesen, und gar oft hatte er die Hafenwache in den italischen Seestädten, wo ich landete.“

„Ja, er hat große Verdienste um das Seewesen der Barbaren,“ sagte Lucius Licinius. – „Wie um ihre Reiterei,“ stimmte Markus bei, „der schlanke Bursche ist der beste Reiter seines Volks.“

„Nun, ich traf ihn zuletzt in Neapolis: wir freuten uns der Begegnung, aber vergebens drang ich in ihn, die fröhlichen Abendgelage auf meinem Schiffe zu teilen.“

„O, diese deine Schiffsabende sind berühmt und berüchtigt,“ meinte Balbus, „du hast stets die feurigsten Weine.“ – „Und die feurigsten Mädchen,“ fügte Massurius bei.

„Wie dem sei, Totila schützte jedesmal Geschäfte vor und war nicht zu gewinnen. Ich bitte euch! Geschäfte nach der achten Stunde in Neapolis! Wo die Fleißigsten faul sind! Es waren natürlich Ausflüchte. Ich beschloß ihm auf die Sprünge zu kommen und umschlich abends sein Haus in der Via lata. Richtig: gleich den ersten Abend kam er heraus, vorsichtig umblickend und, zu meinem Staunen, verkleidet; wie ein Gärtner war er angetan, einen Reisehut tief ins Gesicht gezogen, eine Abolla umgeschlagen. Ich schlich ihm nach. Er ging quer durch die Stadt nach der Porta Capuana zu. Dicht neben dem Tore steht ein dicker Turm, darinnen wohnt der Pförtner, ein alter patriarchenhafter Jude, dem König Theoderich ob seiner großen Treue die Hut des Tores anvertraut.

Vor dem Turme blieb mein Gote stehen und schlug leise in die Hand: da flog eine schmale Seitentür von Eisen, die ich gar nicht bemerkt, geräuschlos auf und hinein schlüpfte Totila geschmeidig wie ein Aal.“

„Ei, ei,“ fiel Piso der Dichter eifrig ein, „ich kenne den Juden und Miriam, sein herrlich prachtäugiges Kind! Die schönste Tochter Israels, die Perle des Morgenlands, ihre Lippen sind Granaten, ihr Aug' ist dunkelmeeresblau und ihre Wangen haben den roten Duft des Pfirsichs.“ – „Gut, Piso,“ lächelte Cethegus – „dein Gedicht ist schön.“ – „Nein,“ rief dieser. „Miriam selbst ist die lebendige Poesie.“ – „Stolz ist die Judendirne,“ brummte Massurius dazwischen, „sie hat mich und mein Gold verschmäht mit einem Blick, als habe man nie ein Weib um Geld gekauft.“ – „Siehe,“ sprach Lucius Licinius, „so hat sich der hochmüt'ge Gote, der einherschreitet, als trüg' er alle Sterne des Himmels auf seinem Lockenhaupt, zu einer Jüdin herabgelassen.“

„So dacht' auch ich und ich beschloß, den Jungen bei nächster Gelegenheit schwer zu verhöhnen mit seinem Moschusgeschmack. Aber nichts da. Ein paar Tage darauf mußte ich nach Capua. Ich breche vor Sonnenaufgang auf, die Hitze zu meiden. Ich fahre durch die Porta Capuana zur Stadt hinaus beim ersten Frührot: und als ich in meinem Reisewagen über die harten Steine an dem Judenturm vorüberrassele, denk' ich neidvoll an Totila und sage mir, der liegt jetzt in weichen Armen. Aber am zweiten Meilenstein vor dem Tor begegnet mir, nach der Stadt zuschreitend, leere Blumenkörbe über Brust und Rücken, in Gärtnertracht, wie damals – Totila. Er lag also nicht in Miriams Armen. Die Jüdin war nicht seine Geliebte, vielleicht seine Vertraute, und wer weiß, wo die Blume blüht, die dieser Gärtner pflegt. Der Glücksvogel! Bedenkt nur, auf der Via Capuana stehen all' die Villen und Lustschlösser der ersten Familien von Neapolis und in jenen Gärten prangen und blühen die herrlichsten Weiber.“

„Bei meinem Genius,“ rief Lucius Licinius, die bekränzte Schale hebend, „dort leben ja die schönsten Weiber Italiens – Fluch über den Goten!“ – „Nein,“ schrie Massurius, von Wein erglühend, „Fluch über Kallistratos und den Korsen, die uns mit fremden Liebesgeschichten bewirten, wie der Storch aus Kelchgläsern den Fuchs. Laß endlich, Hausherr, deine Mädchen kommen, wenn du deren bestellt hast: nicht höher brauchst du unsre Erwartung zu spannen.“ – „Jawohl, die Mädchen, die Tänzerinnen, die Psalterien!“ riefen die jungen Leute durcheinander.

„Halt,“ sprach der Wirt, „wo Aphrodite naht, muß sie auf Blumen wandeln. Dies Glas bring ich dir, Flora!“ Er sprang auf und schleuderte an die getäfelte Decke eine köstliche Kristallschale, daß sie klirrend zersprang.

Sowie das Glas an die Balken der Decke schlug, hob sich das ganze Getäfel wie eine Falltür empor und ein reicher Regen von Blumen aller Art flutete auf die Häupter der erstaunten Gäste nieder, Rosen von Pästum, Veilchen von Thurii, Myrten von Tarentum, Mandelblüten bedeckten wie ein dichtes Schneegestöber in duftigen Flocken den Mosaikboden, die Tische, die Polster und die Häupter der Gäste.

„Schöner,“ rief Cethegus, „zog Venus nie auf Paphos ein.“

Kallistratos schlug in die Hände. Da teilte sich beim Klang von Lyra und Flöte dem Triklinium gerade gegenüber die Mittelwand des Gemachs: vier hochgeschürzte Tänzerinnen, ausgesucht schöne Mädchen, in persische Tracht, d.h. in durchsichtigen Rosaflor gekleidet, sprangen zimbelnschlagend aus einem Gebüsch von blühendem Oleander.

Hinter ihnen kam ein großer Wagen in Gestalt einer Fächermuschel, dessen goldne Räder von acht jungen Sklavinnen geschoben wurden, vier Flötenbläserinnen in lydischem Gewand – Purpur und Weiß mit goldgestickten Mänteln – schritten vorauf: und auf dem Sitz des Wagens ruhte, von Rosen übergossen, in halb liegender Stellung Aphrodite selbst, in Gestalt eines blühenden Mädchens von lockender üppiger Schönheit, dessen fast einzige Verhüllung der Aphroditen nachgebildete Gürtel der Grazien war.

„Ha, beim heiligen Eros und Anteros!“ schrie Massurius und sprang unsichern Schrittes von der Kline herab unter die Gruppe.

„Verlosen wir die Mädchen!“ rief Piso, „ich habe ganz neue Würfel aus Gazellenknöcheln, weihen wir sie ein.“ „Laß sie den Festkönig verteilen,“ schlug Marcus Licinius vor. „Nein, Freiheit, Freiheit wenigstens in der Liebe,“ rief Massurius und faßte die Göttin heftig am Arme, „und Musik, heda, Musik – –“

„Musik,“ befahl Kallistratos.

Aber ehe noch die Zymbelschlägerinnen wieder an heben konnten, wurde die Eingangstüre hastig aufgerissen und die Sklaven, die ihn aufhalten wollten, zur Seite drängend, stürmte Scävola herein, er war leichenblaß.

„Hier also, hier wirklich find' ich dich, Cethegus? in diesem Augenblick!“

„Was gibt's?“ sagte der Präfekt und nahm ruhig den Rosenkranz vom Haupt.

„Was es gibt? das Vaterland schwankt zwischen Scylla und Charybdis. Die gotischen Herzoge Thulun, Ibba und Pitza –“

„Nun?“ fragte Lucius Licinius.

„Sie sind ermordet!“

„Triumph!“ rief der junge Römer und ließ die Tänzerin fahren, die er umfaßt hielt.

„Schöner Triumph!“ zürnte der Jurist. „Als die Nachricht nach Ravenna kam, beschuldigte alles Volk die Königin, sie stürmten den Palast: – doch Amalaswintha war entfloh'n.“

„Wohin?“ fragte Cethegus, rasch aufspringend.

„Wohin? auf einem Griechenschiff – nach Byzanz!“

Cethegus setzte schweigend den Becher auf den Tisch und furchte die Stirn.

„Aber das Ärgste ist – die Goten wollen sie absetzen und einen König wählen“. – „Einen König?“ sagte Cethegus. „Wohlan, ich rufe den Senat zusammen. Auch die Römer sollen wählen.“

„Wen, was sollen wir wählen?“ fragte Scävola.

Aber Cethegus brauchte nicht zu antworten. Lucius Licinius rief statt seiner: „Einen Diktator! fort, fort in den Senat.“

„In den Senat!“ wiederholte Cethegus majestätisch. „Syphax, meinen Mantel.“

„Hier, Herr, und dabei dein Schwert,“ flüsterte der Maure. „Ich führ' es immer mit, auf alle Fälle.“

Und Wirt und Gäste folgten halb taumelnd dem Präfekten, der, allein völlig nüchtern, ihnen voran aus dem Hause auf die Straße schritt.

In einem der schmalen Gemächer des Kaiserpalastes zu Byzanz stand kurze Zeit nach dem Fest der Floralien ein kleiner Mann von nicht ansehnlicher Gestalt in sorgenschweres Sinnen versunken.

Es war still und einsam rings um ihn.

Obwohl es draußen noch heller Tag, war doch das Rundbogenfenster, das nach dem Hofraum des weitläufigen Gebäudes führte, mit schweren golddurchwirkten Teppichen dicht verhangen: gleichköstliche Stoffe deckten den Mosaikboden des Zimmers, so daß kein Geräusch die Schritte des langsam auf und ab Wandelnden begleitete.

Gedämpftes, mattes Licht füllte den Raum.

Auf dem Goldrund der Wände prangte die lange Reihe der christlichen Imperatoren seit Constantius in kleinen weißen Büsten: gerade über dem Schreibdiwan hing ein großes mannshohes Kreuz von gediegenem Golde.

So oft der einsam auf und nieder Schreitende daran vorbeikam, neigte er das Haupt vor demselben: denn in der Mitte des Goldes war, von Glas umschlossen, ein Splitter des angeblich echten Kreuzes angebracht.

Endlich blieb er vor der Weltkarte stehen, die, den Orbis romanus darstellend, auf purpurgesäumtem Pergament eine der Wände bedeckte: nach langem, prüfendem Blick seufzte der Mann und bedeckte mit der Rechten Gesicht und Augen.

Es waren keine schönen Augen und kein edles Gesicht: aber vieles, Gutes und Böses, lag darin.

Wachsamkeit, Mißtrauen und List sprachen aus dem unruhigen Blick der tiefliegenden Augen: schwere Falten, der Sorge mehr als des Alters, furchten die vorspringende Stirn und die magern Wangen.

„Wer den Ausgang wüßte!“ seufzte er noch einmal, die knochigen Hände reibend. „Es treibt mich unablässig. Ein Geist ist in meine Brust gefahren und mahnt und mahnt.

Aber ist's ein Engel des Herrn oder ein Dämon? Wer mir meinen Traum deutete! Vergib dreieiniger Gott, vergib deinem eifrigsten Knecht. Du hast die Traumdeuter verflucht.

Aber doch träumte König Pharao und Joseph durfte ihm deuten: und Jakob sah im Traum den Himmel offen und ihre Träume kamen von dir. Soll ich? – darf ich es wagen?“

Und wieder schritt er unschlüssig auf und nieder, wer weiß, wie lange noch, wäre nicht der Purpurvorhang des Eingangs leise gehoben worden.

Ein goldschimmernder Velarius warf sich vor dem kleinen Mann zur Erde mit auf der Brust gekreuzten Armen. „Imperator, die Patrizier, die du beschieden.“

„Geduld“, sagte jener, sich auf die Kline mit dem Gestell von Gold und Elfenbein niederlassend, „rasch die Silberschuhe und die Chlamys.“

Der Palastdiener zog ihm die Sandalen mit den dicken Sohlen und den hohen Absätzen an, welche die Gestalt um ein paar Zoll erhöhten, und warf ihm den faltenreichen, mit Goldsternen übersäten Mantel um die Schulter, jedes Stück der Gewandung küssend, wie er es berührte: nach einer Wiederholung der fußfälligen Niederwerfung, die in dieser orientalischen Unterwürfigkeit erst neuerlich verschärft worden war, ging der Velarius.

Und Kaiser Justinianus stellte sich, den linken Arm auf eine gebrochne Porphyrsäule aus dem Tempel von Jerusalem gestützt, die zu diesem Behuf nach seiner Größe zurechtgesägt war, in seiner „Audienzattitüde“ dem Eingang gegenüber.

Der Vorhang ging zurück und drei Männer betraten das Gemach mit der gleichen Begrüßungsform wie jener Sklave und doch waren sie die ersten Männer dieses Kaiserreichs, wie, mehr noch als ihre reichgeschmückten Gewänder, ihre hochbedeutenden Köpfe, ihre geistvollen Züge bewiesen.

„Wir haben euch beschieden,“ hob der Kaiser an, ohne ihre demütige Begrüßung zu erwidern, „euren Rat zu hören – über Italien. Ich habe euch alle nötigen Kenntnisse über die Dinge daselbst verschafft: die Briefe der Regentin, die Dokumente der Patriotenpartei daselbst: drei Tage hattet ihr Zeit. Erst rede du, Magister Militum.“

Und er winkte dem Größten unter den dreien, einer stattlichen, ganz in eine reichvergoldete Rüstung gekleideten Heldengestalt. Die großen, offenen, hellbraunen Augen sprachen von Treue und Zuversicht, eine starke gerade Nase, volle Wangen gaben dem Gesicht den Ausdruck gesunder Kraft, die breite Brust, die gewaltigen Schenkel und Arme hatten etwas Herkulisches, der Mund aber zeigte trotz des grimmen Rundbartes Milde und Gutherzigkeit.

„Herr,“ sprach er mit voller, aus tiefer Brust quellender Stimme, „Belisars Rat ist immer: greifen wir die Barbaren an. Soeben hab' ich auf dein Geheiß das Reich der Vandalen in Afrika zertrümmert mit fünfzehntausend Mann. Gib mir dreißigtausend, und ich werde dir die Gotenkrone zu Füßen legen.“

„Gut,“ sprach der Kaiser erfreut, „dies Wort hat mir wohlgetan. Was sprichst du, Perle meiner Rechtsgelehrten Tribonianus?“

Der Angeredete war wenig kleiner als Belisar, aber nicht so breitschultrig und die Glieder nicht so sehr durch stete Übung entwickelt. Die hohe, ernste Stirn, das ruhige Auge, der festgeschnittene Mund zeugten von einem mächtigen Geist. „Imperator“, sagte er gemessen, „ich warne dich vor diesem Krieg. Er ist un gerecht.“

Unwillig fuhr Justinianus auf: „Ungerecht! wiederzunehmen, was zum römischen Reich gehört.“

„Gehört hat. Dein Vorfahr Zeno überließ durch Vertrag das Abendland an Theoderich und seine Goten, wenn sie den Anmaßer Odovakar gestürzt.“

„Theoderich sollte Statthalter des Kaisers sein, nicht König von Italien.“

„Zugegeben. Aber nachdem er es geworden – wie er es werden mußte, ein Theoderich konnte nicht der Diener eines Kleinern sein – hat ihn Kaiser Anastasius, dein Ohm Justinus, du selbst hast ihn anerkannt, ihn und sein Königreich.“

„Im Drang der Not. Jetzt, da sie in Not und ich der Stärkere, nehm' ich die Anerkennung zurück.“

„Das eben nenn' ich ungerecht.“

„Du bist unbequem und unbeholfen, Tribonian, und ein zäher Rechthaber. Du taugst trefflich, meine Pandekten zusammenzubauen. In Politik werd' ich dich nie wieder befragen. Was hat die Gerechtigkeit mit der Politik zu tun!“

„Gerechtigkeit, o Justinianus, ist die beste Politik.“

„Bah, Alexander und Cäsar dachten anders.“

„Sie haben erstens ihr Werk nicht vollendet und dann zweitens“ – er hielt inne.

„Nun, zweitens?“

„Zweitens bist du nicht Cäsar und nicht Alexander.“ –

Alle schwiegen. Nach einer Pause sagte der Kaiser ruhig: „Du bist sehr offen, Tribonianus.“

„Immer, Justinianus.“

Rasch wandte sich der Kaiser zu dem dritten. „Nun, was ist deine Meinung, Patricius?“

Der Angeredete verbannte rasch von seinen Lippen ein kaltes Lächeln, das ihm die Moralpolitik des Juristen erweckt und richtete sich auf.

Es war ein verkrüppeltes Männchen, noch bedeutend kleiner als Justinian, weshalb dieser im Gespräch mit ihm den Kopf noch viel mehr als nötig gewesen wäre, herabsenkte. Er war kahlköpfig, die Wangen von krankhaftem Wachsgelb, die rechte Schulter höher als die linke und er hinkte etwas auf dem linken Fuß, weshalb er sich auf einen schwarzen Krückstock mit goldnem Gabelgriff stützte. Aber das durchdringende Auge war so adlergewaltig, daß es von dieser unansehnlichen Gestalt den Eindruck des Widrigen fernhielt, dem fast häßlichen Gesicht die Weihe geistiger Größe verlieh: und der Zug schmerzlicher Entsagung und kühler Überlegenheit um den feinen Mund hatte sogar einen fesselnden Reiz. „Imperator,“ sagte er mit scharfer bestimmter Stimme, „ich widerrate diesen Krieg – für jetzt.“

Unwillig zuckte des Kaisers Auge: „Auch aus Gründen der Gerechtigkeit?“ fragte er, fast höhnisch. – „Ich sagte für jetzt.“ – „Und warum?“ – „Weil das Notwendige dem Angenehmen vorgeht. Wer sein Haus zu verteidigen hat, soll nicht in fremde Häuser einbrechen.“ – „Was soll das heißen?“ – „Das soll heißen: vom Westen, von den Goten droht diesem Reiche keine Gefahr. Der Feind, der dieses Reich verderben kann, vielleicht verderben wird, kömmt vom Osten.“

„Die Perser!“ rief Justinian verächtlich.

„Seit wann,“ sprach Belisar dazwischen, „seit wann fürchtet Narses, mein großer Nebenbuhler, die Perser?“

„Narses fürchtet niemand,“ sagte dieser, ohne seinen Gegner anzusehn, „weder die Perser, die er geschlagen hat, noch dich, den die Perser geschlagen haben. Aber er kennt den Orient. Sind es die Perser nicht, so sind es andre, die nach ihnen kommen. Das Gewitter, das Byzanz bedroht, steigt vom Tigris auf, nicht vom Tiber.“

„Nun, und was soll das bedeuten?“

„Das soll bedeuten, daß es schimpflich ist für dich, o Kaiser, für den Römernamen, den wir noch immer führen, Jahr für Jahr von Chosroes dem Perserchan, den Frieden um viele Zentner Goldes zu erkaufen.“

Flammende Röte überflog des Kaisers Antlitz: „Wie kannst du Geschenke, Hilfsgelder also deuten!“

„Geschenke! und wenn sie ausbleiben, eine Woche nur über den Zahltag, verbrennt Chosroes, des Cabades Sohn, deine Dörfer. Hilfsgelder! und er besoldet damit Hunnen und Sarazenen, deiner Grenze gefährlichste Feinde.“

Justinian machte einen raschen Gang durchs Zimmer. „Was also rätst du?“ fragte er, hart vor Narses stehenbleibend. „Nicht die Goten anzugreifen ohne Not, ohne Grund, wenn man sich der Perser kaum erwehrt. Alle Kräfte deines Reiches aufzubieten, um diese schimpflichen Tribute abzustellen, die schmählichen Verheerungen deiner Grenzen zu verhindern, die verbrannten Städte Antiochia, Dara, Edessa wieder aufzubauen, die Provinzen wieder zu gewinnen, die du im nahen Osten – trotz Belisars tapfrem Schwert – verloren, deine Grenzen durch einen siebenfachen Gürtel von Festungen vom Euphrat bis zum Araxes zu schirmen. Und hast du dies Notwendige alles vollbracht – und ich fürchte sehr, du kannst es nicht vollbringen! – dann magst du versuchen, wozu der Ruhm dich lockt.“

Justinianus schüttelte leicht das Haupt. „Du bist mir nicht erfreulich, Narses,“ sagte er bitter.

„Das weiß ich längst,“ sprach dieser ruhig.

„Und nicht unentbehrlich!“ rief Belisar stolz. „Kehre dich nicht, mein großer Kaiser, an diese kleinen Zweifler! Gib mir die dreißigtausend und ich wette meine rechte Hand, ich erobre dir Italien.“

„Und ich wette meinen Kopf,“ sagte Narses, „was mehr ist, daß Belisar Italien nicht erobern wird, nicht mit dreißig-, nicht mit sechzig-, nicht mit hunderttausend Mann.“

„Nun,“ fragte Justinian, „und wer soll's dann können und mit welcher Macht?“

„Ich,“ sagte Narses, „mit achtzigtausend.“

Belisar erglühte vor Zorn: er schwieg, weil er keine Worte fand.

„Du hast dich doch bei allem Selbstgefühl sonst nie so hoch über deinen Gegner gestellt“, sprach der Jurist.

„Und tu's auch jetzt nicht, Tribonian. Sieh, der Unterschied ist der: Belisarius ist ein großer Held, der bin ich nicht. Aber ich bin ein großer Feldherr – und siehe, das ist Belisarius nicht. Die Goten aber wird nur ein großer Feldherr überwinden.“

Belisarius richtete sich in seiner ganzen stolzen Höhe auf und preßte die Faust krampfhaft um seinen Schwertknauf. Es war als wollte er dem Krüppel neben ihm den Kopf zerdrücken. Der Kaiser sprach für ihn: „Belisar kein großer Feldherr! Der Neid verblendet dich, Narses.“

„Ich beneide Belisar um nichts, nicht einmal,“ seufzte er leise, „um seine Gesundheit. Er wäre ein großer Feldherr, wenn er nicht ein so großer Held wäre. Er hat noch jede Schlacht, die er verlor, aus zu viel Heldentum verloren.“

„Das kann man von dir nicht sagen, Narses“, warf Belisar bitter ein.

„Nein, Belisarius, denn ich habe noch nie eine Schlacht verloren.“

Eine ungeduldige Antwort Belisars ward abgeschnitten durch den Velarius, der, den Vorhang aufhebend, meldete:

„Alexandros, den du nach Ravenna gesendet, o Herr, ist seit einer Stunde gelandet und fragt –“

„Herein mit ihm, herein!“ rief der Kaiser, hastig von seiner Kline aufspringend. Ungeduldig winkte er dem Gesandten, von seiner Proskynesis sich zu erheben: „Nun, Alexandros, du kömmst allein zurück?“

Der Gesandte, ein schöner, noch junger Mann, wiederholte: „Allein.“

„Es verlautete doch – dein letzter Bericht – wie verließest du das Gotenreich?“

„In großer Verwirrung. Ich schrieb dir in meinem letzten Bericht, die Königin habe beschlossen, sich ihrer drei hochmütigsten Feinde zu entledigen. Sollte der Anschlag mißlingen, so war sie in Italien nicht mehr sicher und bat sich in diesem Fall aus, daß ich sie auf meinem Schiff nach Epidamnus, dann hierher nach Byzanz flüchten dürfe.“

„Was ich mit Freuden bewilligte. Nun, und der Anschlag?“

„Ist geglückt. Die drei Herzoge sind nicht mehr.

Aber nach Ravenna kam das Gerücht, der gefährlichste unter ihnen, Herzog Thulun, sei nur verwundet. Dies bewog die Regentin, da ohnehin die Goten in der Stadt sich drohend vor dem Palaste scharten, auf mein Schiff zu flüchten. Wir lichteten die Anker, aber bald nachdem wir den Hafen verlassen, schon auf der Höhe von Ariminum, holte uns Graf Witichis mit Übermacht ein, kam an Bord und forderte Amalaswinthen auf, zurückzukehren, indem er sich für ihre Sicherheit bis zu feierlicher Untersuchung vor der Volksversammlung verbürgte. Da sie von ihm erfuhr, daß jetzt auch Herzog Thulun seinen Wunden erlegen, und aus seinem Anerbieten sah, daß er und seine mächtigen Freunde noch nicht an ihre Schuld glaubten, da überdies Gewalt zu fürchten war, willigte sie darein, mit ihm umzukehren nach Ravenna. Zuvor aber schrieb sie noch an Bord der „Sophia“ diesen Brief an dich und sendet dir aus ihrem Schatze diese Geschenke.“

„Davon später, sprich weiter, wie stehn die Dinge jetzt in Italien?“

„Gut für dich, o großer Kaiser. Das vergrößerte Gerücht von dem Aufstand der Goten in Ravenna, von der Flucht der Regentin nach Byzanz durchflog das ganze Land. Vielfach kam es schon zum Zusammenstoß zwischen Römern und Barbaren. In Rom selbst wollten die Patrioten losschlagen, im Senat einen Diktator wählen, deine Hilfe anrufen. Aber alles wäre verfrüht gewesen, nachdem die Regentin in den Händen des Witichis: nur das geniale Haupt der Katakombenmänner hat es verhindert.“

„Der Präfekt von Rom?“ fragte Justinian.

„Cethegus. Er mißtraute dem Gerücht. Die Verschworenen wollten die Goten überfallen, dich zum Kaiser Italiens ausrufen, ihn einstweilen zum Diktator wählen. Aber er ließ sich in der Kurie buchstäblich die Dolche auf die Brust setzen und sagte: nein.“

„Ein mutiger Mann!“ rief Belisar.

„Ein gefährlicher Mann!“ sagte Narses.

„Eine Stunde darauf kam die Nachricht von der Rückkehr Amalaswinthens und alles blieb beim alten. Der schwarze Teja aber hatte geschworen, Rom zu einer Viehweide zu machen, wenn es einen Tropfen Gotenblut vergossen. All das hab' ich auf meiner absichtlich zögernden Küstenfahrt bis nach Brundusium erfahren. Aber noch Besseres hab' ich zu melden. Nicht nur unter den Römern, unter den Goten selbst hab' ich eifrige Freunde von Byzanz gefunden, ja unter den Gliedern des Königshauses.“

„Das wäre!“ rief Justinian. „Wen meinst du?“

„In Tuscien lebt, reichbegütert, Fürst Theodahad, Amalaswinthens Vetter.“

„Jawohl, der letzte Mann im Haus der Amalungen, nicht wahr?“

„Der letzte. Er und noch viel mehr Gothelindis, sein kluges, aber böses Gemahl, die stolze Baltentochter, hassen aufs gründlichste die Regentin: er, weil sie seiner maßlosen Habsucht, mit der er all' seiner Nachbarn Grundbesitz an sich zu reißen sucht, entgegentritt: sie, aus Gründen, die ich nicht entdecken konnte: ich glaube, sie reichen in die Mädchenzeit der beiden Fürstinnen zurück – genug, ihr Haß ist tödlich. Diese beiden nun haben mir zugesagt, dir in jeder Weise Italien zurückgewinnen helfen zu wollen: ihr genügt es, scheint's, die Todfeindin vom Thron zu stürzen: er freilich fordert reichen Lohn.“

„Der soll ihm werden.“

„Seine Hilfe ist deshalb wichtig, weil er schon halb Tuscien besitzt – das Adelsgeschlecht der Wölsungen hat den andern Teil – und spielend in unsre Hände bringen kann: dann aber, weil er, wenn Amalaswintha fällt, ihr auf den Thron zu folgen Aussicht hat. Hier sind Briefe von ihm und von Gothelindis. Aber lies vor allem das Schreiben der Regentin – ich glaube, es ist sehr wichtig.“

Der Kaiser zerschnitt die Purpurschnüre der Wachstafel und las: „An Justinian, den Imperator der Römer, Amalaswintha, der Goten und Italier Königin!“

„Der Italier Königin,“ lachte Justinian, „welch verrückter Titel!“

„Durch Alexandros, Deinen Gesandten, wirst Du erfahren, wie Eris und Ate in diesem Lande hausen. Ich gleiche der einsamen Palme, die von widerstreitenden Winden zerrissen wird. Die Barbaren werden mir täglich feindseliger, ich ihnen täglich fremder, die Römer aber, soviel ich mich ihnen nähere, werden mir nie vergessen, daß ich germanischen Stammes. Bis jetzt habe ich entschlossenen Geistes allen Gefahren getrotzt: jedoch ich kann es nicht länger, wenn nicht wenigstens mein Palast, meine fürstliche Person vor der Überraschung drängender Gewalt sicher ist. Ich kann mich aber auf keine der Parteien hier im Lande unbedingt verlassen.

So ruf ich Dich, als meinen Bruder in der königlichen Würde, zu Hilfe. Es ist die Majestät aller Könige, die Ruhe Italiens, die es zu beschirmen gilt.

Schicke mir, ich bitte Dich, eine verlässige Schar, eine Leibwache“ – der Kaiser warf einen bedeutsamen Blick auf Belisar – „eine Schar von einigen tausend Mann mit einem mir unbedingt ergebenen Anführer: sie sollen den Palast von Ravenna besetzen: er ist eine Festung für sich. Was Rom betrifft, so müssen jene Scharen mir vor allem den Präfekten Cethegus, der ebenso mächtig als zweideutig ist und mich in der Gefahr, in die er mich geführt, plötzlich verlassen hat, fernhalten, nötigenfalls vernichten. Habe ich meine Feinde niedergeworfen und mein Reich befestigt, wie ich zum Himmel und der eignen Kraft vertraue, so werd' ich Dir Truppen und Führer mit reichen Geschenken und reicherem Dank zurücksenden. Vale.“

Justinian drückte krampfhaft die Wachstafel in seiner Faust: leuchtenden Auges sah er vor sich hin, seine nicht schönen Züge veredelten sich im Ausdruck hoher geistiger Macht, und dieser Augenblick zeigte, daß in dem Manne neben vielen Schwächen und Kleinheiten Eine Stärke, Eine Größe lebte: die Größe eines diplomatischen Genies.

„In diesem Brief,“ rief er endlich strahlenden Blickes, „halt' ich Italien und das Gotenreich.“ Und in mächtiger Bewegung durchschritt er das Gemach mit großen Schritten, jetzt sogar die Verbeugung vor dem Kreuz vergessend.

„Eine Leibwache – sie soll sie haben! Aber nicht ein paar tausend Mann, viele Tausende, mehr als ihr lieb sein wird, und du, Belisarius, sollst sie führen.“

„Sieh auch die Geschenke“, mahnte Alexandros und wies auf einen köstlichen Schrein von Thuienholz mit Gold eingelegt, den der Velarius hinter ihm niedergestellt hatte. „Hier ist der Schlüssel.“ Er überreichte ein kleines Büchschen von Schildpatt, das mit der Regentin Siegel geschlossen war.

„Es ist ihr Bild dabei,“ sagte er, wie zufällig mit lauterer Stimme.

In dem Augenblick, da der Gesandte die Stimme kräftiger erhoben, steckte sich, leise und unbemerkt von allen außer ihm, der Kopf eines Weibes durch den Vorhang, und zwei funkelnde schwarze Augen sahen scharf auf den Kaiser. Dieser öffnete den Schrein, schob rasch alle Kostbarkeiten beiseite und griff hastig nach einem unscheinbaren Täfelchen von geglättetem Buchs mit einem schmalen Goldrahmen. Ein Ruf des Staunens entflog unwillkürlich seinen Lippen, sein Auge blitzte, er zeigte das Bild Belisar: „Ein herrliches Weib, welche Majestät der Stirn! ja, man sieht die geborene Herrscherin, die Königstochter!“ und bewundernd sah er auf die edeln Züge.

Da rauschte der Vorhang und die Lauscherin trat ein.

Es war Theodora, die Kaiserin: ein verführerisches Weib. Alle Künste weiblichen Erfindungsgeistes in einer Zeit des äußersten Luxus und alle Mittel eines Kaiserreichs wurden täglich stundenlang aufgeboten, diese an sich ausgezeichnete, aber durch ein zügelloses Sinnenleben früh angegriffene Schönheit frisch und blendend zu erhalten.

Goldstaub lieh ihrem dunkelblauschwarzen Haar metallischen Glanz: es war am Nacken mit aller Sorgfalt gegen den Wirbel hinaufgekämmt, den schönen Bau des Hinterkopfs, den feinen Ansatz des Halses zu zeigen.

Augenbrauen und Wimpern waren mit arabischem Stimmi glänzend schwarz gefärbt: und so künstlich war das Rot der Lippen aufgetragen, daß selbst Justinian, der diese Lippen küßte, nie an eine Unterstützung der Natur durch phönikischen Purpur dachte. Jedes Härchen an den alabasterweißen Armen war sorgfältig ausgetilgt und das zarte Rosa der Fingernägel beschäftigte täglich eine besondere Sklavin lange Zeit.

Und doch hätte Theodora, damals noch nicht vierzig Jahre alt, auch ohne all diese Künste für ein ganz auffallend schönes Weib gelten müssen.

Edel freilich war dieses Antlitz nicht: kein großer, ja kein stolzer Gedanke sprach aus diesen angestrengten, unheimlich glänzenden Augen: um die Lippen schwebte ein zur Gewohnheit gewordenes Lächeln, das die Stelle der ersten künftigen Falte ahnen ließ: und die Wangen zeigten in der Nähe der Augen Spuren müder Erschöpfung.

Aber wie sie jetzt mit ihrem süßesten Lächeln auf Justinian zuschwebte, das schwere Faltenkleid von dunkelgelber Seide zierlich mit der Linken aufhebend, übte die ganze Erscheinung einen betäubenden Zauber, ähnlich dem süßen einlullenden Geruch von indischem Balsam, der von ihr duftete.

„Was erfreut meinen kaiserlichen Herrn so sehr? darf ich seine Freude teilen?“ fragte sie mit süßer, einschmeichelnder Stimme. Die Anwesenden warfen sich vor der Kaiserin zur Erde, kaum minder ehrerbietig als vor Justinian.

Dieser aber schrak bei ihrem Anblick, wie auf einer Schuld ertappt, zusammen und wollte das Bild in der Busenfalte seiner Chlamys verbergen. Aber zu spät. Schon haftete der Kaiserin scharfer Blick darauf.

„Wir bewunderten,“ sagte er verlegen, „die – die schöne Goldarbeit des Rahmens.“ Und er reichte ihr errötend das Bild.

„Nun, an dem Rahmen“, lächelte Theodora, „ist beim besten Willen nicht viel zu bewundern. Aber das Bild ist nicht übel. Gewiß die Gotenfürstin?“ Der Gesandte nickte. „Nicht übel, wie gesagt. Aber barbarisch, streng, unweiblich. Wie alt mag sie sein, Alexandros?“

„Etwa fünfundvierzig.“

Justinian blickte fragend auf das Bild, dann auf den Gesandten. „Das Bild ist vor fünfzehn Jahren ge macht“, sagte Alexandros wie erklärend.

„Nein,“ sprach der Kaiser, „du irrst; hier steht die Jahrzahl nach Indiktion und Konsul und ihrem Regierungsantritt: es ist von diesem Jahr.“

Eine peinliche Pause entstand.

„Nun,“ stammelte der Gesandte, „dann schmeicheln die Maler wie –“ – „Wie die Höflinge,“ schloß der Kaiser. Aber Theodora kam ihm zu Hilfe.

„Was plaudern wir von Bildern und dem Alter fremder Weiber, wo es sich um das Reich handelt. Welche Nachrichten bringt Alexandros? Bist du entschlossen, Justinianus?“ – „Beinahe bin ich es. Nur deine Stimme wollte ich noch hören und du, das weiß ich, bist für den Krieg.“

Da sagte Narses ruhig: „Warum, Herr, hast du uns nicht gleich gesagt, daß die Kaiserin den Krieg will? Wir hätten unsre Worte sparen können.“ – „Wie? willst du damit sagen, daß ich der Sklave meines Weibes bin?“ – „Hüte besser deine Zunge,“ sagte Theodora zornig, „schon manchen, der sonst unverwundbar schien, hat die eigne spitze Zunge erstochen.“

„Du bist sehr unvorsichtig, Narses,“ warnte Justinian.

„Imperator,“ sagte dieser ruhig, „die Vorsicht hab' ich längst aufgegeben. Wir leben in einer Zeit, in einem Reich, an einem Hof, wo man um jedes mögliche Wort, das man gesprochen oder nicht gesprochen hat, in Ungnade fallen, zugrunde gehen kann. Da mir nun jedes Wort den Tod bringen kann, will ich wenigstens an solchen Worten sterben, die mir selbst gefallen.“

Der Kaiser lächelte: „Du mußt gestehn, Patricius, daß ich viel Freimut ertrage.“

Narses trat auf ihn zu: „Du bist groß von Natur, o Justinianus, und ein geborner Herrscher: sonst würde Narses dir nicht dienen. Aber Omphale hat selbst Herkules klein gemacht.“

Die Augen der Kaiserin sprühten tödlichen Haß. Justinian ward ängstlich.

„Geht,“ sagte er, „ich will mit der Kaiserin allein beraten. Morgen vernehmt ihr meinen Entschluß.“

Sowie sie draußen waren, schritt Justinian auf seine Gattin zu und drückte einen Kuß auf ihre weiße niedre Stirn. „Vergib ihm,“ sagte er, „er meint es gut.“

„Ich weiß es,“ sagte sie, seinen Kuß erwidernd. „Darum, und weil er unentbehrlich ist gegen Belisar, darum lebt er noch.“ – „Du hast recht, wie immer.“ Und er schlang den Arm um sie. „Was hat er Besondres vor?“ dachte Theodora. „Diese Zärtlichkeit deutet auf ein schlechtes Gewissen.“

„Du hast recht,“ wiederholte er, mit ihr im Gemach auf und nieder schreitend. „Gott hat mir den Geist versagt, der die Schlachten entscheidet, aber mir dafür diese beiden Männer des Sieges gegeben – und zum Glück ihrer zwei. Die Eifersucht dieser beiden sichert meine Herrschaft besser als ihre Treue: jeder dieser Feldherren allein wäre eine stete Reichsgefahrund an dem Tage, da sie Freunde würden, wankte mein Thron. Du schürst doch ihren Haß?“

„Er ist leicht zu schüren: es ist zwischen ihnen eine natürliche Feindschaft wie zwischen Feuer und Wasser. Und jede Bosheit des Verschnittenen erzähl' ich mit großer Entrüstung meiner Freundin Antonina, des Helden Belisar Weib und Gebieterin.“ – „Und jede Grobheit des Helden Belisar bericht' ich treulich dem reizbaren Krüppel. – Aber zu unsrer Beratung. Ich bin, nach dem Bericht des Alexandros, so gut wie entschlossen zu dem Zug nach Italien.“

„Wen willst du senden?“ – „Natürlich Belisar. Er verheißt mit dreißigtausend zu vollbringen, was Narses kaum mit achtzigtausend übernehmen will.“

„Glaubst du, daß jene kleine Macht genügen wird?“

„Nein. Aber Belisars Ehre ist verpfändet: er wird all seine Kraft aufbieten und es wird ihm doch nicht ganz gelingen.“ – „Und das wird ihm sehr heilsam sein. Denn seit dem Vandalensieg ist sein Stolz nicht mehr zu ertragen.“ – „Aber er wird drei Viertel der Arbeit tun. Dann rufe ich ihn ab, breche selbst mit sechzigtausend auf, nehme Narses mit, vollende im Spiel das letzte Viertel und bin dann auch ein Feldherr und ein Sieger.“

„Fein gedacht,“ sagte Theodora in aufrichtiger Bewunderung seiner Schlauheit: „dein Plan ist reif.“

„Freilich,“ sagte Justinian seufzend stehen bleibend. „Narses hat recht, im geheimen Grund des Herzens muß ich's zugestehen. Es wäre dem Reiche heilsamer, die Perser abwehren, als die Goten angreifen. Es wäre mehr sichere, weisere Politik. Denn vom Osten kömmt einst das Verderben.“

„Laß es kommen! Das kann noch Jahrhunderte anstehn, wann von Justinian nur noch der Ruhm auf Erden lebt, wie Afrika, so Italien zurückgewonnen zu haben. Hast du für die Ewigkeit zu bauen? Die nach dir kommen, mögen für ihre Gegenwart sorgen: sorge du für die deine.“ – „Wenn man aber dann sprechen wird: hätte Justinian verteidigt, statt zu erobern, so stünd' es besser? Wenn man sagen wird: Justinians Siege haben sein Reich zerstört?“ – „So wird niemand sprechen. Die Menschen blendet der Glanz des Ruhms. Und noch Eins“ – und hier verdrängte der Ernst der tiefsten Überzeugung den Ausdruck listiger Beschwatzung von ihren schmeichelnden Zügen.

„Ich ahn' es, doch vollende.“

„Du bist nicht nur Kaiser, du bist ein Mensch.

Höher als das Reich muß dir deiner Seele Seligkeit stehen. Auf deinem, auf unserm Pfad zur Herrschaft, zu dem Glanz dieser Herrschaft mußte mancher blut'ge Schritt geschehn: manches Harte mußte getan werden: Leben und Schätze so manchen gefährlichen Feindes mußten – genug.

Wohl bauen wir mit einem Teil dieser Schätze der heiligen, der christlichen Weisheit jenen Siegestempel, der allein schon unsern Namen unsterblich machen wird auf Erden. Aber für den Himmel – wer weiß, ob es genügt!

Laß uns“ – und ihr Auge erglühte von unheimlichem Feuer – „laß uns die Ungläubigen vertilgen und über die Leichen der Feinde Christi hin den Weg zur Gnade suchen.“ Justinian drückte ihre Hand. „Auch die Perser sind Feinde Christi, sind sogar Heiden.“ – „Hast du vergessen, was der Patriarch gelehrt? Ketzer sind siebenmal schlimmer als Heiden! Ihnen ward der rechte Glaube gebracht und sie haben ihn verschmäht. Das ist die Sünde wider den heiligen Geist, die nie vergeben wird – auf Erden und im Himmel. Du aber bist das Schwert, das diese gottverfluchten Arianer schlagen soll: sie sind Christi verhaßteste Feinde: sie kennen ihn und leugnen dennoch, daß er Gott. Schon hast du in Afrika die ketzerischen Vandalen niedergeworfen und den Irrwahn dort in Blut und Feuer erstickt: jetzt ruft dich Italien, Rom, die Stätte, wo der Apostelfürsten Blut geflossen, die heil'ge Stadt: nicht länger darf sie diesen Ketzern dienen. Justinian, gib sie dem wahren Glauben wieder.“

Sie hielt inne. Der Kaiser blickte schwer aufatmend zu dem Goldkreuz empor. „Du deckst die letzten Tiefen meines Herzens auf: das ist es ja, was, noch mächtiger als Ruhm und Siegesehre, mich zu diesen Kriegen treibt. Aber bin ich fähig, bin ich würdig, so Großes, so Heiliges zu Gottes Ehre zu vollenden? Will er durch meine sündge Hand so Großes vollführen? Ich zweifle, ich schwanke. Und der Traum, der mir in dieser Nacht geworden, war er von Gott gesendet? und was soll er bedeuten? treibt er zum Angriff oder mahnt er ab? Nun, hatte deine Mutter Komito, die Wahrsagerin von Kypros, große Weisheit, Ahnungen und Träume zu deuten.“ –

„Und du weißt, die Gabe ist erblich. Habe ich dir nicht auch den Ausgang des Vandalenkriegs aus deinem Traume gedeutet?“

„Du sollst mir auch diesen Traum erklären. Du weißt, ich werde irre an dem besten Plan, wenn ein Omen dawider spricht. Höre denn. Aber“ – und er warf einen ängstlichen Blick auf sein Weib – „aber bedenke, daß es ein Traum war und kein Mensch für seine Träume kann.“

„Natürlich, sie sendet Gott.“ – „Was werd ich vernehmen?“ sagte sie zu sich selbst.

„Ich war gestern nacht eingeschlafen, erwägend den letzten Bericht über Amala – über Italien. Da träumte mir, ich ging durch eine Landschaft mit sieben Hügeln. Dort ruhte unter einem Lorbeer das schönste Weib, das ich je gesehn. Ich stand vor ihr und betrachtete sie mit Wohlgefallen. Plötzlich brach aus dem Busch zur Rechten ein brüllender Bär, aus dem Gestein zur Linken eine zischende Schlange gegen die Schlummernde hervor. Aufwachend rief sie meinen Namen. Rasch ergriff ich sie, drückte sie an meine Brust und floh mit ihr: rückblickend sah ich, wie der Bär die Schlange zerriß und die Schlange den Bären zu Tode biß.“

„Nun, und das Weib?“

„Das Weib drückte einen flüchtigen Kuß auf meine Stirn und war plötzlich wieder verschwunden, und ich erwachte, vergebens die Arme nach ihr ausstreckend. Das Weib,“ fuhr er rasch fort, ehe Theodora nachsinnen sollte, „ist natürlich Italien.“

„Jawohl,“ sagte die Kaiserin ruhig. Aber ihr Busen wogte. „Der Traum ist der glücklichste. Bär und Schlange sind Barbaren und Italier, die um die Siebenhügelstadt ringen. Du entreißest sie beiden und läßt sie sich gegenseitig vernichten.“

„Aber sie entschwindet mir wieder – sie bleibt mir nicht.“

„Doch. Sie küßt dich und verschwindet in deinen Armen. So wird Italien aufgehn in deinem Reich.“

„Du hast recht,“ rief Justinian aufspringend. „Sei bedankt, mein kluges Weib. Du bist die Leuchte meiner Seele. Es sei gewagt: – Belisar soll ziehn.“

Und er wollte den Velarius rufen. Doch hielt er plötzlich an. „Aber noch eins.“ Und die Augen niederschlagend, faßte er ihre Hand.

„Ah,“ dachte Theodora, „jetzt kommt's.“

„Wenn wir nun das Gotenreich zerstört und in die Hofburg von Ravenna mit Hilfe der Königin selbst eingezogen sind – was was soll dann mit ihr, der Fürstin, werden?“

„Nun,“ sagte Theodora völlig unbefangen, „was mit ihr werden soll? Was mit dem entthronten Vandalenkönig geworden. Sie soll hierher, nach Byzanz.“

Justinian atmete hoch auf. „Mich freut es, daß du das Richtige fandest.“

Und in wirklicher Freude drückte er ihr die schmale, weiße, wunderzierliche Hand.

„Mehr als das,“ fuhr Theodora fort. „Sie wird um so leichter auf unsre Pläne eingehen, je sicherer sie einer ehrenvollen Aufnahme hier entgegensieht. So will ich selbst ihr ein schwesterliches Schreiben senden, sie einzuladen. Sie soll im Fall der Not stets ein Asyl an meinem Herzen finden.“

„Du weißt gar nicht,“ fiel Justinian eifrig ein, „wie sehr du dadurch unsern Sieg erleichterst. Die Tochter Theoderichs muß völlig von ihrem Volk hinweg zu uns gezogen werden. Sie selbst soll uns nach Ravenna führen.“

„Dann kannst du aber nicht gleich Belisar mit einem Heere senden. Das würde sie nur argwöhnisch machen und widerspenstig. Sie muß völlig in unsern Händen, das Barbarenreich von innen heraus gebrochen sein, ehe das Schwert Belisars aus der Scheide fährt.“

„Aber in der Nähe muß er von jetzt an stehen.“

„Wohl, etwa auf Sizilien. Die Unruhen in Afrika geben den besten Vorwand, eine Flotte in jene Gewässer zu senden. Und sowie das Netz gelegt, muß Belisars Arm es zuziehn.“

„Aber wer soll es legen?“

Theodora dachte eine Weile nach; dann sagte sie:

„Der geistgewaltigste Mann des Abendlandes: Cethegus Cäsarius, der Präfekt von Rom, mein Jugendfreund.“

„Recht. Aber nicht er allein. Er ist ein Römer, nicht mein Untertan, mir nicht völlig sicher. Wen soll ich senden? Noch einmal Alexandros?“

„Nein,“ rief Theodora rasch, „er ist zu jung für ein solches Geschäft, Nein.“ Und sie schwieg nachdenklich. „Justinian,“ sprach sie endlich, „auf daß du siehst, wie ich persönlichen Haß vergessen kann, wo es das Reich gilt und der rechte Mann gewählt werden muß, schlage ich dir selber meinen Feind vor: Petros, des Narses Vetter, des Präfekten Studiengenossen, den schlauen Rhetor – ihn sende.“

„Theodora“ – rief der Kaiser erfreut, sie umarmend, „du bist mir wirklich von Gott geschenkt. Cethegus – Petros – Belisar: Barbaren, ihr seid verloren!“

Am Morgen darauf erhob sich die schöne Kaiserin vergnügt von dem schwellenden Pfühl, dessen weiche Kissen, mit blaßgelber Seide überzogen, mit den zarten Halsfedern des pontischen Kranichs gefüllt waren.

Vor dem Bette stand ein Dreifuß mit einem silbernen Becken, den Okeanos darstellend, darin lag eine massiv goldne Kugel. Die weiche Hand der Kaiserin hob lässig die Kugel und ließ sie klingend in das Becken fallen: der helle Ton rief die syrische Sklavin in das Gemach, die im Vorzimmer schlief. Mit auf der Brust gekreuzten Armen trat sie an das Lager und schlug die schweren Vorhänge von violetter chinesischer Seide zurück. Dann ergriff sie den sanften iberischen Schwamm, der, in Eselmilch getränkt, in kristallner Schale ruhte und bestrich damit sorgfältig die Masse von öligem Teig, die Gesicht und Hals der Kaiserin während der Nacht bedeckte.

Dann kniete sie vor dem Bette nieder, das Haupt fast zur Erde gebeugt, und reichte die rechte Hand hinauf.

Theodora faßte diese Hand, setzte langsam den kleinen Fuß auf den Nacken der Knieenden und schwang sich dann elastisch zur Erde. Die Sklavin erhob sich und warf der Herrin, die jetzt, nur mit der Untertunika von feinstem Bast bekleidet, auf dem Palmenholzrand des Bettes saß, den feinen Ankleidemantel von Rosagewebe über die Schultern.

Dann verneigte sie sich, wandte sich zur Türe, rief „Agave!“ und verschwand. Agave, eine junge, schöne Thessalierin, trat ein; sie rollte dicht vor die Herrin den mit unzähligen Büchschen und Fläschchen besetzten Waschtisch von Citrusholz und begann, ihr Gesicht, Nacken und Hände mit weichen, in verschiedene Weine und Salben getauchten Tüchern zu reiben.

Darauf erhob sich diese vom Lager und glitt auf den bunten, mit Pardelfell überzogenen Stuhl, die Kathedra.

„Das große Bad erst gegen Mittag!“ sagte sie.

Da schob Agave eine ovale Wanne von Terebinthenholz heran, außen mit Schildpatt bekleidet, gefüllt mit köstlich duftendem Wasser und hob die zierlichen, glänzend weißen Füße der Herrin hinein. Hierauf löste sie das Netz von Goldfäden, das die Nacht über die blau glänzenden Haare der Kaiserin zusammenhielt, so daß jetzt die weichen schwarzen Wellen über Schultern und Brust wallen konnten. Sie schlang ihr noch das breite Busenband von Purpur um, verneigte sich und ging mit dem Rufe: „Galatea!“

Eine betagte Sklavin löste sie ab, die Amme und Wärterin und, leider müssen wir hinzufügen, die Kupplerin Theodoras in der Zeit, da sie nur erst des Akacius, des Löwenwärters im Zirkus flitterbehängtes Töchterlein und, fast noch ein Kind, der schon tief verdorbne Liebling des großen Zirkus war. Alle Demütigungen und Triumphe, alle Laster und Listen auf der Abenteurerin wechselndem Pfad bis zum Kaiserthron hatte Galatea getreulich geteilt.

„Wie hast du geschlafen, mein Täubchen?“ fragte sie, ihr in einer Bernsteinschale die aromatische Essenz reichend, welche die Stadt Adana in Cilicien für die Toilette der Kaiserin in großen Massen als jährlichen Tribut einzusenden hatte.

„Gut, ich träumte von ihm.“ – „Von Alexandros?“ – „Nein, du Närrin, von dem schönen Anicius.“ – „Aber der Bestellte wartet schon lange draußen in der geheimen Nische.“ – „Er ist ungeduldig,“ lächelte der kleine Mund, „nun, so laß ihn ein.“ Und sie legte sich auf dem langen Diwan zurück, eine Decke von Purpurseide über sich ziehend; aber die feinen Knöchel der schönen Füße blieben sichtbar.

Galatea schob den Riegel vor den Haupteingang, durch welchen sie eingetreten und ging dann quer durch das Gemach zu der Ecke gegenüber, die durch eine eherne Kolossalstatue Justinians ausgefüllt war.

Die scheinbar unbewegliche Last wich sofort zur Seite, sowie die Vertraute eine Feder berührte, und zeigte eine schmale Öffnung in der Wand, welche durch die Statue in ihrer gewöhnlichen Stellung vollständig verdeckt wurde: ein dunkler Vorhang war vor den Spalt gezogen. Galatea hob den Vorhang auf und herein eilte Alexandros, der schöne junge Gesandte.

Er warf sich vor der Kaiserin aufs Knie, ergriff ihre schmale Hand und bedeckte sie mit glühenden Küssen.

Theodora entzog sie ihm leise. – „Es ist sehr unvorsichtig, Alexandros,“ sagte sie, den schönen Kopf zurücklehnend, „den Geliebten zur Ankleidung zuzulassen.“ Wie sagt der Dichter? „Alles dienet der Schönheit. Doch ist kein erfreulicher Anblick, das Entstehen zu sehn, was nur entstanden gefällt.“

„Allein ich hab' es dir bei der Abreise nach Ravenna verheißen, dich einmal in meiner Morgenstunde vorzulassen. Und du hast deinen Lohn reichlich verdient. Du hast viel für mich gewagt. – – Fasse die Flechten fester!“ rief sie Galatea zu, die an die ihr allein zustehende Arbeit gegangen war, das prachtvolle Haar der Gebieterin zu ordnen.

– „Du hast das Leben für mich gewagt.“ – Und sie reichte ihm wieder zwei Finger der rechten Hand.

„O Theodora,“ rief der Jüngling, „für diesen Augenblick würd' ich zehnmal sterben.“

„Aber,“ fuhr sie fort, „warum hast du mir nicht auch von dem letzten Brief der Barbarin an Justinian Abschrift zukommen lassen?“ – „Es war nicht mehr möglich, es ging zu rasch. Ich konnte von meinem Schiff keinen Boten mehr senden: kaum gelang es gestern, nach der Landung, dir sagen zu lassen, daß ihr Bild bei den Geschenken sei. Du kamst im rechten Augenblick.“

„Ja, was würde aus mir, wenn ich die Türsteher Justinians nicht doppelt so hoch besoldete als er? Aber Unvorsichtigster aller Gesandten, wie täppisch war das mit der Jahrzahl!“

„O schönste Tochter von Kypros, ich hatte dich mondenlang nicht mehr gesehen. Ich konnte nichts denken als dich und deine berauschende Schönheit.“

„Nun, da muß ich wohl verzeihen. Das schwarze Stirnband, Galatea! Du bist ein besserer Liebhaber als Staatsmann. Deshalb hab' ich dich auch hierbehalten. Ja, du solltest wieder nach Ravenna. Aber ich denke, ich schicke einen ältern Gesandten und behalte den jungen für mich. Ist's recht so?“ lächelte sie, die Augen halb schließend.

Alexandros, kühner und glühender werdend, sprang auf und drückte einen Kuß auf ihre roten Lippen.

„Halt ein, Majestätsverbrecher,“ schalt sie und schlug mit dem Flamingofächer leicht seine Wange. „Jetzt ist's genug für heute. Morgen magst du wiederkommen und von jener Barbarenschönheit erzählen. Nein, du mußt jetzt gehn. Ich brauche diese Morgenstunde noch für einen andern.“

„Für einen andern!“ rief Alexandros zurücktretend. „So ist es wahr, was man leise zischelt in den Gynäceen, in den Bädern von Byzanz? Du ewig Ungetreue hast –“

„Eifersüchtig darf ein Freund Theodoras nicht sein!“ lachte die Kaiserin. Es war kein schönes Lachen. „Aber für diesmal sei unbesorgt – du sollst ihm selbst begegnen. Geh.“

Galatea ergriff ihn an der Schulter und drehte den Widerstrebenden ohne weiteres hinter die Statue und zur Türe hinaus.

Theodora setzte sich nun aufrecht, das faltige Untergewand mit dem Gürtel schließend.

Sogleich kam Galatea wieder zum Vorschein mit einem kleinen gebückten Mann, der viel älter aussah als seine vierzig Jahre. Kluge, aber allzu scharfe Züge, das stechende Auge, der bartlose, eingekniffne Mund – alles machte den Eindruck unangenehmer Pfiffigkeit.

Theodora nickte leicht auf seine kriechende Verbeugung; Galatea begann ihr die Augenbrauen zu malen.

„Kaiserin,“ hob der Alte ängstlich an, „ich staune über deine Kühnheit. Wenn man mich hier sähe! Die Klugheit von neun Jahren wäre durch einen Augenblick vereitelt.“

„Man wird dich aber nicht sehen, Petros,“ sagte Theodora ruhig. „Diese Stunde ist die einzige, da ich vor der zudringlichen Zärtlichkeit Justinians sicher bin. Es ist seine Betstunde. Ich muß sie ausbeuten, so gut ich kann. Gott erhalte ihm seine Frömmigkeit! Galatea, den Frühwein. Wie? Du fürchtest doch nicht, mich mit diesem gefährlichen Verführer allein zu lassen?“ Die Alte ging mit häßlichem Grinsen und kam gleich zurück, einen Henkelkrug süßen gewärmten Chierweins in der einen Hand, Becher mit Wasser und Honig in der andern.

„Ich konnte heute unsre Unterredung nicht, wie gewöhnlich, in der Kirche veranstalten, wo du in dem dunkeln Beichtstuhl einem Priester täuschend ähnlich siehst. Der Kaiser wird dich noch vor der Kirchenzeit zu sich bescheiden und du mußt zuvor genau unterrichtet sein.“

„Was ist zu tun?“

„Petros,“ sagte Theodora, sich behaglich zurücklehnend und langsam das süße Getränk schlürfend, das Galatea mischte, „heute kam der Tag, der unsere langjährige Mühe und Klugheit lohnen und dich zum großen Mann machen wird.“

„Zeit wär' es,“ meinte der Rhetor.

„Nur nicht ungeduldig, Freund. (Galatea, etwas mehr Honig.) Um dich für das heutige Geschäft in die rechte Stimmung zu versetzen, wird es gut sein, dich an das Vergangne, an die Entstehungsart unsrer – Freundschaft zu erinnern.“

„Was soll das? Wozu ist das nötig?“ sagte der Alte unbehaglich.

„Zu mancherlei. Also. Du warst der Vetter und Anhänger meines Todfeindes Narses. Folglich auch mein Feind. Jahrelang hast du im Dienste deines Vetters mir entgegengearbeitet, mir wenig geschadet, dir selbst aber noch weniger genützt. Denn Narses, dein tugendhafter Freund, setzt seine Ehre und seine Schlauheit darein, nie etwas für seine Verwandten zu tun, daß man ihn nie, wie die andern Höflinge dieses Reiches, des Nepotismus zeihen könne.

Aus lauter Vorsicht und eitel Tugend ließ er dich unbefördert. Du darbtest und bliebst einfacher Schreiber. Aber ein feiner Kopf wie du weiß sich zu helfen. Du fälschtest, du verdoppeltest die Steuerausschreiben des Kaisers. Die Provinzen zahlten neben der von Justinian verlangten noch eine zweite Steuer, die Petros und die Steuererheber untereinander teilten. Eine Weile ging das vortrefflich. Aber einmal –“

„Kaiserin, ich bitte dich –“

„Ich bin gleich zu Ende, Freund. Aber einmal hattest du das Unglück, daß einer von den neuen Steuerboten die Gunst der Kaiserin höher anschlug als den von dir verheißnen Teil der Beute. Er ging auf deinen Antrag ein, ließ sich die Urkunde von dir fälschen und – brachte sie mir.“

„Der Elende,“ murrte Petros.

„Ja, es war schlimm,“ lächelte Theodora, den Becher wegstellend. „Ich konnte jetzt meinem boshaften Feind, dem Vertrauten des verhaßten Eunuchen, den schlauen Kopf vor die Füße legen, und ich muß gestehen: es lüstete mich sehr danach, sehr! Aber ich opferte die kurze Rache einem großen, dauernden Vorteil. Ich rief dich zu mir und ließ dir die Wahl, zu sterben oder fortan mir zu dienen. Du warst gütig genug, das letztre zu wählen und so haben wir, vor der Welt nach wie vor die heftigsten Feinde, insgeheim seit Jahren zusammen gewirkt: du hast mir alle Pläne des großen Narses im Entstehen verraten und ich hab es dir wohl vergolten: du bist jetzt ein reicher Mann.“

„O, nicht der Rede wert.“

„Bitte, Undankbarer, das weiß mein Schatzmeister besser. Du bist sehr reich.“

„Wohl, aber ohne Rang und Würde. Meine Studiengenossen sind Patrizier, Präfekten, große Herren in Morgen- und Abendland: so Cethegus in Rom, Prokopius in Byzanz.“

„Geduld. Vom heutigen Tage an wirst du die Leiter der Ehren rasch erklimmen. Ich mußte doch immer etwas zu geben behalten. Höre: du gehst morgen als Gesandter nach Ravenna.“

„Als kaiserlicher Gesandter?“ rief Petros freudig.

„Durch meine Verwendung. Aber das ist nicht alles.

Du erhältst von Justinian ausführliche Anweisungen, das Gotenreich zu verderben, Belisar den Weg nach Italien zu bahnen.“

„Diese Anweisungen – befolg' ich oder vereitl' ich?“

„Befolgst du. Aber du erhältst noch einen Auftrag, den dir Justinian ganz besonders ans Herz legen wird: die Tochter Theoderichs um jeden Preis aus der Hand ihrer Feinde zu retten und nach Byzanz zu bringen. Hier hast du einen Brief von mir, der sie dringend einladet, an meiner Brust ein Asyl zu suchen.“ –

„Gut,“ sagte Petros, den Brief einsteckend, „ich bringe sie also sofort hierher.“

Da schnellte Theodora wie eine springende Schlange vom Lager auf, daß Galatea erschrocken zurückfuhr.

„Bei meinem Zorn, Petros, nein. Dich send' ich deshalb. Sie darf nicht nach Byzanz, sie darf nicht leben!“

Bestürzt ließ Petros den Brief fallen. „O Kaiserin,“ flüsterte er – „ein Mord!“

„Still, Rhetor,“ sprach Theodora mit heiserer Stimme und unheimlich funkelten ihre Augen. „Sie muß sterben.“

„Sterben? O Kaiserin, warum?“

„Warum? das hast du nicht zu fragen. Doch halt: – du sollst es wissen, es gibt deiner Feigheit einen Sporn – wisse –“ und sie faßte ihn wild am Arme und raunte ihm ins Ohr: „Justinian, der Verräter, fängt an, sie zu lieben.“

„Theodora!“ rief der Rhetor erschrocken und trat einen Schritt zur Seite.

Die Kaiserin sank auf die Kline zurück.

„Aber er hat sie ja nie gesehen!“ stammelte sich fassend Petros.

„Er hat ihr Bild gesehen: er träumt bereits von ihr, er glüht für dieses Bild.“

„Du hast nie eine Rivalin gehabt.“

„Ich werde dafür wachen, daß ich keine erhalte.“

„Du bist so schön.“

„Amalaswintha ist jünger.“

„Du bist so klug, bist seine Beraterin, die Vertraute seiner geheimsten Gedanken.“

„Das eben wird ihm lästig. Und“ – sie ergriff wieder seinen Arm „merke wohl: sie ist eine Königstochter! eine geborne Herrscherin, ich des Löwenwärters plebejisch Kind. Und – so wahnwitzig lächerlich es ist! – Justinian vergißt im Purpurmantel, daß er des dardanischen Ziegenhirten Sohn. Er hat den Wahnsinn der Könige geerbt, er, selbst ein Abenteurer, er faselt von angebornen Majestät, von dem Mysterium königlichen Bluts. Gegen solche Grillen hab' ich keinen Schutz: von allen Weibern der Erde fürchte ich nichts: aber diese Königstochter – –“

Sie sprang zürnend auf und ballte die kleine Hand.

„Hüte dich, Justinian!“ sagte sie, durchs Gemach schreitend. „Theodora hat mit diesem Auge, mit dieser Hand Löwen und Tiger bezaubert und beherrscht: laß sehen, ob ich nicht diesen Fuchs im Purpur in Treue erhalten kann.“ Sie setzte sich wieder.

„Kurz, Amalaswintha stirbt,“ sagte sie, plötzlich wieder kalt geworden.

„Wohl,“ erwiderte der Rhetor, „aber nicht durch mich. Du hast der blutgewohnten Diener genug. Sie sende; ich bin ein Mann der Rede. –“

„Du bist ein Mann des Todes, wenn du nicht gehorchst. Gerade du, mein Feind mußt es tun: keiner meiner Freunde kann es ohne Verdacht.“

„Theodora,“ mahnte der Rhetor sich vergessend, „die Tochter des großen Theoderich ermorden, eine geborne Königin – –“

„Ha,“ lachte Theodora grimmig, „auch dich Armseligen blendet die geborne Königin. Narren sind die Männer alle, noch mehr als Schurken! Höre, Petros, an dem Tage, da die Todesnachricht aus Ravenna eintrifft, bist du Senator und Patricius.“

Wohl blitzte des Alten Auge. Aber Feigheit oder Gewissensangst war doch mächtiger als der Ehrgeiz. „Nein,“ sagte er entschlossen, „lieber lasse ich den Hof und alle Pläne.“

„Das Leben läss'st du, Elender!“ rief Theodora zornig. „Oh, du wähntest, du seiest frei und ungefährdet, weil ich damals vor deinen Augen die gefälschte Urkunde verbrannt? Du Tor! es war die rechte nicht! Sieh her – hier halte ich dein Leben.“

Und sie riß aus einer Capsula voller Dokumente ein vergilbtes Pergament. Sie zeigte es dem Erschrocknen, der jetzt willenlos in die Kniee brach.

„Befiehl,“ stammelte er, „ich gehorche.“

Da pochte man an die Haupttüre.

„Hinweg,“ rief die Kaiserin. „Hebe meinen Brief an die Gotenfürstin vom Boden auf und bedenk es wohl: Patricius, wenn sie stirbt, Folter und Tod, wenn sie lebt. Fort.“

Und Galatea schob den Betäubten durch den geheimen Eingang hinaus, drehte den bronzenen Justinian wieder an seine Stelle und ging, die Haupttür aufzutun.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Kampf um Rom