Abschnitt 1 - Wie ein Donnerschlag aus heitrem Himmel traf Athalarichs plötzliches Ende die gotische Partei, ...

Wie ein Donnerschlag aus heitrem Himmel traf Athalarichs plötzliches Ende die gotische Partei, die an diesem nämlichen Tage ihre Hoffnungen so hoch gespannt hatte. Alle Maßregeln, die der König in ihrem Sinne angeordnet, waren gelähmt, die Goten plötzlich wieder ohne Vertretung in dem Staat, an dessen Spitze jetzt die Regentin ganz allein gestellt war.

Am frühen Morgen des nächsten Tages stellte sich Cassiodor bei dem Präfekten ein. Er fand diesen in ruhigem, festem Schlaf.


„Und du kannst schlafen, ruhig wie ein Kind, nach einem solchen Schlag!“ – „Ich schlief,“ sagte Cethegus, sich auf den linken Arm aufrichtend, „im Gefühle neuer Sicherheit.“ – „Sicherheit! ja für dich, aber das Reich!“

„Das Reich war mehr gefährdet durch diesen Knaben als ich. Wo ist die Königin?“ – „Am offenen Sarge ihres Sohnes sitzt sie, sprachlos! Die ganze Nacht.“

Cethegus sprang auf: „das darf nicht sein,“ rief er. „Das tut nicht gut. Sie gehört dem Staat, nicht dieser Leiche. Um so weniger, als ich von Gift flüstern hörte. Der junge Tyrann hatte viele Feinde. Wie steht es damit?“

„Sehr ungewiß. Der griechische Arzt Elpidios, der die Leiche untersuchte, sprach zwar von einigen auffallenden Erscheinungen. Aber, wenn Gift gebraucht worden, meinte er, müßte es ein sehr geheimes, ihm völlig fremdes sein. In dem Becher, daraus der Arme den letzten Trunk getan, fand sich nicht die leiseste Spur verdächtigen Inhalts. So glaubt man allgemein, die Aufregung habe das alte Herzleiden zurückgerufen und dieses ihn getötet. Aber doch ist es gut, daß man dich von dem Augenblick, da du die Versammlung verließest, immer vor Zeugen gesehen: der Schmerz macht argwöhnisch.“

„Wie steht es um Kamilla?“ forschte der Präfekt weiter. – „Sie soll von ihrer Betäubung noch gar nicht erwacht sein; die Ärzte fürchten das Schlimmste. – Aber ich kam, dich zu fragen: Was soll nun weiter geschehen? Die Regentin sprach davon, die Untersuchung gegen dich niederzuschlagen.“ – „Das darf nicht sein!“ rief Cethegus. „Ich fordre die Durchführung. Eilen wir zu ihr.“ – „Willst du sie am Sarge ihres Sohnes stören?“ – „Ja, das will ich! Deine zarte Rücksicht bebt davor zurück? Gut, komme du nach, wenn ich das Eis gebrochen.“

Er verabschiedete den Besuch und rief seine Sklaven, ihn anzukleiden. Bald darauf schritt er, in dunkelgraues Trauergewand gehüllt, hinab zu dem Gewölbe, wo die Leiche ausgestellt lag. Gebieterisch wies er die Wachen und die Frauen Amalaswinthens hinweg, die den Eingang hüteten und trat geräuschlos ein.

Es war die niedrig gewölbte Halle, in der ehedem die Leichen der Kaiser mit Salben und Brennstoffen waren für den Scheiterhaufen bereitet worden. Das schweigende Gelaß, mit dunkelgrünen Serpentin getäfelt, von kurzen dorischen Säulen aus schwarzem Marmor getragen, war nie von der Tageshelle beleuchtet; auch jetzt fiel auf die düstern byzantinischen Mosaiken auf dem Goldgrund der Wandplatten kein andres Licht als von den vier Pechfackeln, die an dem Steinsarkophag des jungen Königs mit unstetem Schimmer flackerten.

Dort lag er, auf einem tiefroten Purpurmantel, Helm, Schwert und Schild zu seinen Häupten.

Der alte Hildebrand hatte ihm einen Eichenkranz um die dunkeln Locken gewunden. Die edeln Züge ruhten in ernster, bleicher Schöne.

Zu seinen Füßen saß in langem Trauerschleier die hohe Gestalt der Regentin, das Haupt auf den linken Arm gestützt, der auf dem Sarkophage ruhte: der rechte hing erschlafft herab. Sie konnte nicht mehr weinen.

Das Knistern der Pechflammen war das einzige Geräusch in dieser Grabesstille. –

Lautlos trat Cethegus ein, nicht unbewegt von der Poesie des Anblicks. Aber mit einem Zusammenziehen der Brauen war dies Gefühl wie ein Anflug von Mitleid erstickt. Klarheit gilt es, sprach er zu sich selbst, und Ruhe. Leise trat er näher und ergriff die herabgesunkene Hand Amalaswinthens. „Erhebe dich, hohe Frau, du gehörst den Lebendigen, nicht den Toten.“

Erschrocken sah sie auf: „Du hier, Cethegus? Was suchst du hier?“

„Eine Königin.“

„O, du findest nur eine weinende Mutter!“ rief sie schluchzend. – „Das kann ich nicht glauben. Das Reich ist in Gefahr und Amalaswintha wird zeigen, daß auch ein Weib dem Vaterland den eignen Schmerz opfern kann.“

„Das kann sie,“ sagte sie, sich aufrichtend: „Aber sieh auf ihn hin. – Wie jung, wie schön –! Wie konnte der Himmel so grausam sein.“ – „Jetzt oder nie,“ dachte Cethegus. „Der Himmel ist gerecht, streng, nicht grausam.“

„Wie redest du? was hatte mein edler Sohn verschuldet? Wagst du ihn anzuklagen?“ – „Nicht ich! Doch eine Stelle der heiligen Schrift hat sich erfüllt an ihm: „Ehre Vater und Mutter, auf daß du lang lebest auf Erden.“ Die Verheißung ist auch eine Drohung. Gestern hat er gefrevelt gegen seine Mutter und sie verunehrt in trotziger Empörung: – heute liegt er hier. Ich sehe darin den Finger Gottes.“

Amalaswintha verhüllte ihr Antlitz. Sie hatte dem Sohn an seinem Sarge seine Auflehnung herzlich vergeben. Aber diese Auffassung, diese Worte ergriffen sie doch mächtig und zogen sie ab von ihrem Schmerz zur liebgewordenen Gewohnheit des Herrschens. „Du hast, o Königin, die Untersuchung gegen mich niederschlagen wollen und Witichis zurückberufen. Letzteres mag sein. Aber ich fordere die Durchführung des Prozesses und feierliche Freisprechung als mein Recht.“

„Ich habe nie an deiner Treue gezweifelt. Weh mir, wenn ich es jemals müßte. Sage mir: ich weiß von keiner Verschwörung! und alles ist abgetan.“ – Sie schien seine Beteurung zu erwarten. Cethegus schwieg eine Weile. Dann sagte er ruhig: „Königin, ich weiß von einer Verschwörung.“

„Was ist das?“ rief die Regentin und sah ihn drohend an. – „Ich habe diese Stunde, diesen Ort gewählt,“ fuhr Cethegus mit einem Blick auf die Leiche fort, „dir meine Treue entscheidend zu besiegeln, daß sie dir unauslöschlich möge ins Herz geschrieben sein. Höre und richte mich.“ – „Was werd' ich hören?“ sprach die Königin wachsam und fest entschlossen, sich weder täuschen noch erweichen zu lassen. „Ich wär' ein schlechter Römer, Königin, und du müßtest mich verachten, liebte ich nicht vor allem andern mein Volk. Dies stolze Volk, das selbst du, die Fremde, liebst. Ich wußte, wie du es weißt – daß der Haß gegen euch als Ketzer, als Barbaren in den Herzen fortglimmt. Die letzten strengen Taten deines Vaters hatten ihn geschürt. Ich ahnte eine Verschwörung. Ich suchte, ich entdeckte sie.“ – „Und verschwiegst sie!“ sprach die Regentin, zürnend sich erhebend. – „Und verschwieg sie. Bis heute. Die Verblendeten wollten die Griechen herbeirufen und nach Vernichtung der Goten sich dem Kaiser unterwerfen.“ – „Die Schändlichen!“ rief Amalaswintha heftig. – „Die Toren! Sie waren schon soweit gegangen, daß nur Ein Mittel blieb, sie zurückzuhalten: ich trat an ihre Spitze, ich ward ihr Haupt.“ – „Cethegus!“ – „Dadurch gewann ich Zeit und konnte edle, wenn auch verblendete Männer von dem Verderben zurückhalten. Allgemach konnte ich ihnen die Augen darüber öffnen, daß ihr Plan, wenn er gelänge, nur eine milde mit einer despotischen Herrschaft vertauschen würde. Sie sahen es ein, sie folgten mir, und kein Byzantiner wird diesen Boden betreten bis ich ihn rufe, ich – oder du.“

„Ich! rasest du?“ – „Nichts ist den Menschen zu verschwören! sagt Sophokles, dein Liebling. Laß dich warnen, Königin, die du die dringendste Gefahr nicht siehst. Eine andre Verschwörung, viel gefährlicher als jene römische Schwärmerei, bedroht dich, deine Freiheit, das Herrschaftsrecht der Amaler, in nächster Nähe – eine Verschwörung der Goten.“

Amalaswintha erbleichte.

„Du hast gestern zu deinem Schrecken ersehn, daß nicht deine Hand mehr das Ruder dieses Reiches führt. Ebensowenig dieser edle Tote, der nur ein Werkzeug deiner Feinde war. Du weißt es, Königin, viele in deinem Volk sind blutdürstende Barbaren, raubgierig, roh: sie möchten dies Land brandschatzen, wo Vergil und Tullius gewandelt. Du weißt, dein trotziger Adel haßt die Übermacht des Königshauses und will sich ihm wieder gleichstellen. Du weißt, die rauhen Goten denken nicht würdig von dem Beruf des Weibes zur Herrschaft.“ – „Ich weiß es,“ sprach sie stolz und zornig. – „Aber nicht weißt du, daß alle diese Parteien sich geeinigt haben. Geeinigt gegen dich und dein römerfreundlich Regiment. Dich wollen sie stürzen oder zu ihrem Willen zwingen. Cassiodor und ich, wir sollen von deiner Seite fort. Unser Senat, unsre Rechte sollen fallen, das Königtum ein Schatte werden. Krieg mit dem Kaiser soll entbrennen. Und Gewalt, Erpressung, Raub über uns Römer hereinbrechen.“ – „Du malst eitle Schreckbilder!“ – „War ein eitles Schreckbild, was gestern geschah? Wenn nicht der Arm des Himmels eingriff, warst nicht du selbst wie ich der Macht beraubt? Warst du denn noch Herrin in deinem Reich, in deinem Hause? Sind sie nicht schon so mächtig, daß der heidnische Hildebrand, der bäuerische Witichis, der finstre Teja in deines betörten Sohnes Namen offen deinem Willen trotzen? Haben sie nicht jene rebellischen drei Herzoge zurückberufen? Und deine widerspenstige Tochter und –“ – „Wahr, zu wahr!“ seufzte die Königin.

„Wenn diese Männer herrschen – dann lebt wohl Wissenschaft und Kunst und edle Bildung! Leb wohl, Italia, Mutter der Menschlichkeit! Dann lodert in Flammen auf, ihr weißen Pergamente, brecht in Trümmer, schöne Statuen. Gewalt und Blut wird diese Fluren erfüllen, und späte Enkel werden bezeugen: solches geschah unter Amalaswintha, der Tochter Theoderichs.“

„Nie, niemals soll das geschehen! Aber –“

„Du willst Beweise? Ich fürchte, nur zu bald wirst du sie haben. Du siehst jedoch schon jetzt: auf die Goten kannst du dich nicht stützen, wenn du jene Greuel verhindern willst. Gegen sie schützen nur wir dich, wir denen du ohnehin angehörst nach Geist und Bildung, wir Römer. Dann, wenn jene Barbaren lärmend deinen Thron umdrängen, dann laß mich jene Männer um dich scharen, die sich einst gegen dich verschworen, die Patrioten Roms: sie schützen dich und sich selbst zugleich.“

„Cethegus,“ sprach die bedrängte Frau, „du beherrschest die Menschen leicht! Wer, sage mir, wer bürgt mir für die Patrioten, für deine Treue?“

„Dies Blatt, Königin, und dieses! Jenes enthält eine genaue Liste der römischen Verschwornen – du siehst, es sind viele hundert Namen: dies die Glieder des gotischen Bundes, die ich freilich nur erraten konnte. Aber ich rate gut. Mit diesen beiden Blättern geb' ich die beiden Parteien, geb' ich mich selbst ganz in deine Hand. Du kannst mich jeden Augenblick bei den Meinen selbst als Verräter entlarven, der vor allem deine Gunst gesucht, kannst mich preisgeben dem Haß der Goten – ich habe jetzt keinen Anhang mehr, sobald du willst: ich stehe allein, allein auf dem Boden deiner Gunst.“

Die Königin hatte die Rollen mit leuchtenden Augen durchflogen. „Cethegus,“ rief sie jetzt, „ich will deiner Treue gedenken und dieser Stunde!“ Und sie reichte ihm gerührt die Hand.

Cethegus neigte leise das Haupt. „Noch eins, o Königin. Die Patrioten, fortan deine Freunde wie die meinen, wissen das Schwert des Verderbens, des Hasses der Barbaren über ihren Häuptern hangen. Die Erschrocknen bedürfen der Aufrichtung. Laß sie mich deines hohen Schutzes versichern: stelle deinen Namen an die Spitze dieses Blattes und laß mich ihnen dadurch ein sichtbar Zeichen deiner Gnade geben.“

Sie nahm den goldnen Stift und die Wachstafel, die er ihr reichte. Einen Augenblick noch zögerte sie nachdenklich: dann aber schrieb sie rasch ihren Namen und gab ihm Griffel und Tafel zurück: „Hier, sie sollen mir treu bleiben, treu wie du.“

Da trat Cassiodorus ein: „o Königin, die gotischen Großen harren dein. Sie begehren dich zu sprechen.“

„Ich komme! Sie sollen meinen Willen vernehmen,“ sprach sie heftig: „du aber, Cassiodor, sei der erste Zeuge des Beschlusses, den diese ernste Stunde in mir gereift, den bald mein ganzes Reich vernehmen soll: hier der Präfekt von Rom ist hinfort der erste meiner Diener, wie er der treuste ist: sein ist der Ehrenplatz in meinem Vertrauen und an meinem Thron.“

Staunend führte Cassiodor die Regentin die dunkeln Stufen hinan. Langsam folgte Cethegus. er hob die Wachstafel in die Höhe und sprach zu sich selbst: „Jetzt bist du mein, Tochter Theoderichs. Dein Name auf dieser Liste trennt dich auf immer von deinem Volk.“ – –

Als Cethegus aus dem unterirdischen Gewölbe wieder zu dem Erdgeschoß des Palastes aufgetaucht war und sich anschickte, der Regentin zu folgen, ward sein Ohr berührt und sein Schritt gefesselt durch feierliche, klagende Flötentöne. Er erriet, was sie bedeuteten.

Sein erster Antrieb war, auszuweichen. Aber alsbald entschloß er sich zu bleiben. „Einmal muß es doch geschehen, also am besten gleich,“ dachte er. „Man muß prüfen, wie weit sie unterrichtet ist.“

Immer näher kamen die Flöten, wechselnd mit eintönigen Klagegesängen. Cethegus trat in eine breite Nische des dunklen Ganges, in welchen schon die Spitze des kleinen Zuges einbog. Voran schritten paarweise sechs edle römische Jungfrauen in grauen Klageschleiern, gesenkte Fackeln in den Händen. Darauf folgte ein Priester, dem eine hohe Kreuzesfahne mit langen Wimpeln vorangetragen wurde. Hierauf eine Schar von Freigelassenen der Familie, angeführt von Corbulo, und die Flötenbläser. Dann erschien von vier römischen Mädchen getragen, ein offener, blumenüberschütteter Sarg: da lag auf weißem Linnentuch die tote Kamilla, in bräutlichem Schmuck, einen Kranz von weißen Rosen um das schwarze Haar: ein Zug lächelnden Friedens spielte um den leicht geöffneten Mund. Hinter dem Sarg aber wankte, mit gelöstem Haar, stier vor sich hinblickend, die unselige Mutter, von Matronen umgeben, welche die Sinkende stützten. Eine Reihe von Sklavinnen schloß den Zug, der sich langsam in das Totengewölbe verlor.

Cethegus erkannte die schluchzende Daphnidion und hielt sie an. „Wann starb sie?“ fragte er ruhig. – „Ach, Herr, vor wenigen Stunden! O die gute, schöne freundliche Domna!“ – „Ist sie noch einmal erwacht zu vollem Bewußtsein?“

„Nein, Herr, nicht mehr. Nur ganz zuletzt schlug sie die großen Augen nochmal auf und schien rings umher zu suchen“. „Wo ist er hin?“ fragte sie die Mutter. „Ach, ich sehe ihn,“ rief sie dann und hob sich aus den Kissen. „Kind, mein Kind, wo willst du hin?“ weinte die Herrin. „Nun, dorthin,“ sagte sie mit verklärtem Lächeln: „nach den Inseln der Seligen!“ und sie schloß die Augen und sank zurück auf das Lager und jenes holde Lächeln blieb stehen auf ihrem Mund – und sie war dahin, dahin auf ewig! – „Wer hat sie hier herabbringen lassen?“ – „Die Königin. Sie erfuhr alles und befahl, die Tote als die Braut ihres Sohnes neben ihm auszustellen und zu bestatten.“

„Aber was sagt der Arzt? wie konnte sie so plötzlich sterben?“ – „Ach der Arzt sah sie nur flüchtig; er hatte alle Gedanken bei der Königsleiche und die Herrin litt ja gar nicht, daß der fremde Mann ihre Tochter berühre. Das Herz ist ihr eben gebrochen: daran mag man wohl sterben! Aber still, sie kommen.“ Der Zug ging in derselben Ordnung ohne den Sarg, zurück. Daphnidion schloß sich an. Nur Rusticiana fehlte. Ruhig schritt Cethegus den einsamen Gang auf und nieder, sie zu erwarten.

Endlich stieg die gebrochne Gestalt die Stufen herauf. Sie wankte und drohte zu fallen. Da ergriff er rasch ihren Arm. „Rusticiana, fasse dich!“

„Du hier? O Gott, du hast sie auch geliebt! Und wir, wir beide haben sie ermordet!“ Und sie brach auf seine Schulter zusammen. „Schweig, Unselige!“ flüsterte er, sich umsehend.

„Ach, ich, die eigne Mutter, habe sie getötet. Ich habe den Trank gemischt, der ihm den Tod gebracht.“

Gut, dachte er, sie ahnt also nicht, daß sie getrunken, geschweige, daß ich sie trinken sah. „Es ist ein grausamer Streich des Geschicks,“ sagte er laut; „aber bedenke, was sollte werden, wenn sie lebte? Sie liebte ihn!“ – „Was werden sollte?“ rief Rusticiana, von ihm zurücktretend.

„O, wenn sie nur lebte! Wer kann wider die Liebe? Wäre sie sein geworden, sein Weib – seine Geliebte, wenn sie nur lebte!“ – „Aber du vergißt, daß er sterben mußte.“ – „Mußte? warum mußte er sterben? auf daß du deine stolzen Pläne hinausführst! O Selbstsucht ohnegleichen!“ – „Es sind deine Pläne, die ich ausführe, nicht die meinen; wie oft muß ich dir's wiederholen? Du hast den Gott der Rache heraufbeschworen, nicht ich: was klagst du mich an, wenn er Opfer von dir fordert? Besinne dich besser. Lebe wohl.“


Aber Rusticiana faßte heftig seinen Arm: „Und das ist alles? Und weiter hast du nichts, kein Wort, keine Träne für mein Kind? Und du willst mich glauben machen, um sie, um mich zu rächen habest du gehandelt? Du hast nie ein Herz gehabt. Du hast auch sie nicht geliebt – kalten Blutes siehst du sie sterben – ha, Fluch – Fluch über dich.“ – „Schweig, Unsinnige.“ – „Schweigen? nein, reden will ich und dir fluchen. O, wüßt' ich etwas, das dir wäre, was mir Kamilla war! O, müßtest du, wie ich, deines ganzen Lebens letzte, einzige Freude fallen sehen, fallen sehen und verzweifeln. Wenn ein Gott ist im Himmel, wirst du das erleben.“

Cethegus lächelte.

„Du glaubst an keine Macht im Himmel, die vergelte? wohlan, glaub' an die Rache einer jammervollen Mutter! Du sollst erzittern! ich eile zur Regentin und entdecke ihr alles! Du sollst sterben!“ – „Und du stirbst mit mir.“

„Mit lachenden Augen, wenn ich dich verderben sehe.“ Und sie wollte hinweg. Aber Cethegus ergriff sie mit starkem Arm. „Halt, Weib. Glaubst du, man sieht sich nicht vor mit deinesgleichen? Deine Söhne, Anicius und Severinus, die Verbannten, sind heimlich in Italien, in Rom, in meinem Hause. Du weißt, auf ihrer Rückkehr steht der Tod. Ein Wort – und sie sterben mit uns: dann magst du deinem Gatten auch die Söhne, wie die Tochter, als durch dich gefallen zuführen. Ihr Blut über dein Haupt.“ Und rasch war er um die Ecke des Ganges biegend verschwunden.

„Meine Söhne!“ rief Rusticiana und brach auf dem Marmorestrich zusammen. –

Wenige Tage darauf verließ die Witwe des Boëthius mit Corbulo und Daphnidion den Königshof für immer. Vergebens suchte die Regentin sie zu halten.

Der treue Freigelassene führte sie zurück auf die verborgne Villa bei Tifernum, die je verlassen zu haben sie jetzt tief betrauerte. Sie baute daselbst, an der Stelle des kleinen Venustempels, eine Basilika, in deren Krypta eine Urne mit den Herzen der beiden Liebenden beigesetzt wurde.

Ihre leidenschaftliche Seele verband mit dem Gebet für das Heil ihres Kindes unzertrennlich die Bitte der Rache an Cethegus, dessen wahre Beteiligung an Kamillens Tod sie nicht einmal ahnte: nur das durchschaute sie, daß er Mutter und Tochter als Werkzeuge seiner Pläne gebraucht und in herzloser Kälte des Mädchens Glück und Leben aufs Spiel gesetzt hatte.

Und kaum minder unablässig als das Licht der daselbst gestifteten ewigen Lampe stieg das Gebet und der Fluch der vereinsamten Mutter zum Himmel empor.

Die Stunde sollte nicht ausbleiben, die ihr die Schuld des Präfekten ganz enthüllte und auch die Rache nicht, die sie dafür vom Himmel niederrief.

Am Hofe von Ravenna aber wurde ein zäher und grimmiger Kampf geführt.

Die gotischen Patrioten, obwohl durch den plötzlichen Untergang ihres jugendlichen Königs schwer betrübt und für den Augenblick überwunden, wurden doch von ihren unermüdlichen Führern bald wieder aufgerafft. Das hohe Ansehen des alten Hildebrand, die ruhige Kraft des zurückberufenen Witichis und Tejas wachsamer Eifer wirkten unablässig. Wir haben gesehen, wie es diesen Männern gelungen war, Athalarich zur Abschüttelung der Oberleitung seiner Mutter zu verhelfen. Jetzt gelang es ihnen leicht, unter den Goten immer mehr Anhang zu finden gegen eine Regentschaft, in welcher der ihnen als Hochverräter verhaßte Cethegus mehr als je in den Vordergrund trat. Die Stimmung im Heer, in der germanischen Bevölkerung von Ravenna war genügend zu einem entscheidenden Schlage vorbereitet. Mit Mühe hielt der alte Waffenmeister die Unzufriedenen zurück, bis sie, durch wichtige Bundesgenossen verstärkt, desto sicherer siegen könnten.

Diese Bundesgenossen waren die drei Herzoge Thulun, Ibba und Pitza, die Amalaswintha vom Hofe verscheucht und ihr Sohn soeben zurückberufen hatte. Thulun und Ibba waren Brüder, Pitza ihr Vetter.

Ein andrer Bruder der ersteren, Herzog Alarich, war vor Jahren wegen angeblicher Verschwörung zum Tode verurteilt und seit seiner Flucht verschollen.

Sie stammten aus dem berühmten Geschlecht der Balten, das bei den Westgoten die Königskrone getragen hatte und den Amalungen kaum nachstand an Alter und Ansehn. Ihr Stammbaum führte, wie der des Königshauses, bis zu den Göttern hinauf. Ihr Reichtum an Grundbesitz und abhängigen Colonen und der Ruhm ihrer Kriegstaten erhöhten Macht und Glanz ihres Hauses. Man sagte im Volk, Theoderich habe eine Zeitlang daran gedacht, mit Übergehung seiner Tochter und ihres unmündigen Knaben, zum Heile des Reiches den kräftigen Herzog Thulun zu seinem Nachfolger zu bestellen.

Und die Patrioten waren jetzt, nach dem Tode Athalarichs, entschlossen, für den äußersten Fall, das heißt, wenn die Regentin von ihrem System nicht abzubringen sei, jene Gedanken wieder aufzunehmen.

Cethegus sah das Gewitter heranziehen: er sah, wie das gotische Volksbewußtsein, von Hildebrand und seinen Freunden wachgerufen, sich immer heftiger gegen die romanisierende Regentschaft sträubte.

Mit Unmut gestand er sich, daß es ihm an wirklicher Macht fehle, diese Unzufriedenheit niederzuhalten. Ravenna war nicht sein Rom, wo er die Werke beherrschte, wo er die Bürger wieder an die Waffen gewöhnt und an seine Person gefesselt hatte; hier waren alle Truppen Goten, und er mußte fürchten, daß sie einen Haftbefehl gegen Hildebrand oder Witichis mit offnem Aufruhr beantworten würden. So faßte er den kühnen Gedanken, mit Einem Zug sich aus den Netzen, die ihn zu Ravenna umstrickten, herauszureißen: er beschloß, die Regentin, nötigenfalls mit Gewalt, nach Rom zu bringen, nach seinem Rom: dort hatte er Waffen, Anhang, Macht. Dort war Amalaswintha ausschließlich in seiner Gewalt und die Goten hatten das Nachsehen.

Zu seiner Freude ging die Regentin lebhaft auf seinen Plan ein. Sie sehnte sich hinweg aus diesen Mauern, wo sie mehr eine Gefangene als eine Herrscherin erschien. Sie verlangte nach Rom, nach Freiheit und Macht. Rasch wie immer traf Cethegus seine Maßregeln. Auf den kürzern Weg zu Lande mußte er verzichten, da die große Via flaminia sowohl als die andern Straßen von Ravenna nach Rom durch gotische Scharen, die Witichis befehligte, bedeckt waren und daher zu fürchten stand, daß ihre Flucht auf diesem Wege zu früh entdeckt und vielleicht verhindert würde. So mußte er sich entschließen, einen Teil des Weges zur See zurückzulegen: aber auf die gotischen Schiffe im Hafen von Ravenna konnte man zu einem solchen Zweck nicht zählen.

Zum Glück erinnerte sich der Präfekt, daß der Nauarch Pomponius, einer der Verschwornen, mit drei Trieren zuverlässiger, d.h. römischer Bemannung an der Ostküste des Adriatischen Meeres, zwischen Ancona und Teate, auf afrikanische Seeräuber Jagd machend, kreuzte. Diesem sandte er Befehl, in der Nacht des Epiphaniasfestes in der Bucht von Ravenna zu erscheinen. Er hoffte vom Garten des Palastes aus, unter dem Schutz der Dunkelheit und während kirchliche und weltliche Festfeier die Stadt beschäftigte, leicht und sicher mit Amalaswintha die Schiffe zu erreichen, die sie zur See über die gotischen Stellungen hinaus bis nach Teate bringen sollten: von da aus war der Weg nach Rom kurz und ungefährdet.

Diesen Plan im Bewußtsein – sein Bote kam glücklich hin und zurück mit dem Versprechen des Pomponius, pünktlich einzutreffen – lächelte der Präfekt zu dem täglich wachsenden, trotzigen Haß der Goten, die seine Günstlingsstellung bei Amalaswintha mit Ingrimm betrachteten. Er ermahnte diese, geduldig auszuharren und nicht durch einen Ausbruch ihres königlichen Zornes über die „Rebellen“ vor dem Tag der Befreiung einen Zusammenstoß herbeizuführen, der leicht alle Pläne der Rettung vereiteln konnte.

Das Epiphaniasfest war gekommen: das Volk wogte in dichten Massen in den Basiliken, auf den Plätzen der Stadt. Die Kleinodien des Schatzes lagen geordnet und gepackt bereit, ebenso die wichtigsten Urkunden des Archivs. Es war Mittag. Amalaswintha und der Präfekt hatten soeben ihren Freund Cassiodor von dem Plan unterrichtet, dessen Kühnheit ihn anfangs erschreckte, dessen Klugheit ihn alsbald gewann. Sie wollten gerade aus dem Gemach der Beratung aufbrechen, als plötzlich der Lärm des Volkes, das vor dem Palast auf und nieder flutete, lauter und heftiger anschwoll: Drohungen, Jubelrufe, Waffenklirren wild durcheinander.

Cethegus schlug den Vorhang des großen Rundbogenfensters zurück: doch er sah nur noch die letzten Reihen der Menge nachdrängen in die offenen Tore des Palastes. Die Ursache der Aufregung war nicht zu entdecken.

Aber schon stieg im Palatium das Getöse die Treppen hinan, Zank mit der Dienerschaft wurde hörbar, einzelne Waffenschläge, bald nahe, schwere Tritte. Amalaswintha bebte nicht: fest hielt sie den Drachenknauf des Thronstuhls, auf den Cassiodor sie zurückgeführt.

Cethegus warf sich indessen den Andringenden entgegen. „Halt,“ rief er, unter der Türe des Gemaches hinaus, „die Königin ist für niemand sichtbar.“

Einen Augenblick lautlose Stille.

Dann rief eine kräftige Stimme: „Wenn für dich Römer, auch für uns, für ihre gotischen Brüder. Vorwärts!“

Und wieder erhob sich das Brausen der Stimmen und im Augenblick war Cethegus, ohne Anwendung bestimmter Gewalt, von dem Andrang der Masse wie von unwiderstehlicher Meeresflut bis weit in den Hintergrund des Saales zurückgeschoben, und die Vordersten im Zuge standen dicht vor dem Thron.

Es waren Hildebrand, Witichis, Teja, ein baumlanger Gote, den Cethegus nicht kannte, und neben ihm – es litt keinen Zweifel – die drei Herzoge Thulun, Ibba und Pitza, in voller Rüstung, drei prachtvolle Kriegergestalten. Die Eingedrungnen neigten sich vor dem Thron. Dann rief Herzog Thulun nach rückwärts gewendet mit der Handbewegung eines gebornen Herrschers: „Ihr, gotische Männer, harret noch draußen eine kurze Weile; wir wollen's in eurem Namen mit der Regentin zu schlichten suchen. Gelingt es nicht – so rufen wir euch auf zur Tat – ihr wißt, zu welcher.“

Willig und mit Jubelrufen zogen sich die Scharen hinter ihm zurück und verloren sich bald in den Gängen und Hallen des Schlosses.

„Tochter Theoderichs,“ hob Herzog Thulun an, das Haupt zurückwerfend, „wir sind gekommen, weil uns dein Sohn, der König, zurückberufen. Leider finden wir ihn nicht mehr am Leben. Wir wissen, daß du uns nicht gerne hier siehst.“

„Wenn ihr das wißt,“ sprach Amalaswintha mit Hoheit, „wie könnt ihr wagen, dennoch vor unser Angesicht zu treten? Wer gestattet euch, wider unsern Willen zu uns zu dringen?“ – „Die Not gebeut es, hohe Frau, die Not, die schon stärkere Riegel gebrochen als eines Weibes Laune. Wir haben dir die Forderungen deines Volkes vorzutragen, die du erfüllen wirst.“ – „Welche Sprache! Weißt du, wer vor dir steht, Herzog Thulun?“ – „Die Tochter der Amalungen, deren Kind ich ehre, auch wo es irrt und frevelt.“ – „Rebell!“ rief Amalaswintha und erhob sich majestätisch vom Throne, „dein König steht vor dir.“ Aber Thulun lächelte: „Du würdest klüger tun, Amalaswintha, von diesem Punkt zu schweigen. König Theoderich hat dir die Mundschaft über deinen Sohn übertragen, dem Weibe: – das war wider Recht, aber wir Goten haben ihm nicht eingeredet in seine Sippe. Er hat diesen Sohn zum Nachfolger gewünscht, den Knaben: – das war nicht klug. Aber Adel und Volk der Goten haben das Blut der Amalungen geehrt und den Wunsch eines Königs, der sonst weise war. Niemals jedoch hat er gewünscht, und niemals hätten wir gebilligt, daß nach jenem Knaben ein Weib über uns herrschen solle, die Spindel über die Speere.“

„So wollt ihr mich nicht mehr anerkennen als eure Königin?“ rief sie empört. „Und auch du, Hildebrand, alter Freund Theoderichs, auch du verleugnest seine Tochter?“

„Frau Königin,“ sprach der Alte, „wollest du selbst verhüten, daß ich dich verleugnen muß.“

Thulun fuhr fort: „Wir verleugnen dich nicht – noch nicht. Jenen Bescheid gab ich nur, weil du auf dein Recht pochst und weil du wissen mußt, daß du ein Recht nicht hast.

Aber weil wir gern den Adel des Blutes ehren – wir ehren damit uns selbst – und weil es in diesem Augenblick zu bösem Zwiespalt im Reich führen könnte, wollten wir dir die Krone absprechen, so will ich dir die Bedingungen sagen, unter denen du sie fürder tragen magst.“

Amalaswintha litt unsäglich: wie gern hätte sie das stolze Haupt, das solche Worte sprach, dem Henker geweiht. Und machtlos mußte sie das dulden! Tränen wollten in ihr Auge dringen: sie preßte sie zurück, aber erschöpft sank sie auf ihren Thron, von Cassiodor gestützt.

Cethegus war indessen an ihre andre Seite getreten: „Bewillige alles!“ raunte er ihr zu, „'s ist alles erzwungen und nichtig. Und heute nacht noch kömmt Pomponius.“

„Redet,“ sprach Cassiodor, „aber schont des Weibes, ihr Barbaren.“ – „Ei,“ lachte Herzog Pitza, „sie will ja nicht als Weib behandelt sein: sie ist ja unser König.“

„Ruhig, Vetter,“ verwies ihn Herzog Thulun, „sie ist von edlem Blut wie wir.“

„Fürs erste,“ fuhr er fort, „entläßt du aus deiner Nähe den Präfekten von Rom. Er gilt für einen Feind der Goten. Er darf nicht die Gotenkönigin beraten. An seine Stelle bei deinem Thron tritt Graf Witichis.“

„Bewilligt!“ sagte Cethegus selbst, statt Amalaswinthas.

„Fürs zweite erklärst du in einem Manifest, daß fortan kein Befehl von dir vollziehbar, der nicht von Hildebrand oder Witichis unterzeichnet, daß kein Gesetz ohne Genehmigung der Volksversammlung gültig ist.“

Die Regentin fuhr zornig auf, aber Cethegus hielt ihren Arm nieder. „Heute nacht kommt Pomponius!“ flüsterte er ihr zu. Dann rief er laut: „Auch das wird zugestanden.“

„Das dritte,“ hob Thulun wieder an, „wirst du so gern gewähren, als wir es empfangen. Wir drei Balten haben nicht gelernt, in der Hofburg die Häupter zu bücken: das Dach ist uns zu niedrig hier. Amaler und Balten leben am besten weit voneinander – wie Adler und Falk. Und das Reich bedarf unsres Arms an seinen Marken. Die Nachbarn wähnen, das Land sei verwaiset, seit dein großer Vater ins Grab stieg. Avaren, Gepiden, Sklavenen springen ungescheut über unsre Grenzen. Diese drei Völker zu züchtigen, rüstest du drei Heere, je zu dreißig Tausendschaften und wir drei Balten führen sie als deine Feldherrn nach Osten und nach Norden.“

Die ganze Waffenmacht obenein in ihre Hände: – nicht übel! dachte Cethegus. „Bewilligt,“ rief er lächelnd.

„Und was bleibt mir,“ fragte Amalaswintha, „wenn ich all' das euch dahingegeben?“

„Die goldne Krone auf der weißen Stirn,“ sagte Herzog Ibba.

„Du kannst ja schreiben wie ein Grieche,“ begann Thulun aufs neue. „Wohlan, man lernt solche Künste nicht umsonst. Hier dies Pergament soll enthalten – mein Sklave hat es aufgezeichnet – was wir fordern.“

Er reichte es Witichis zur Prüfung: „Ist es so? Gut. Das wirst du unterschreiben, Fürstin. – So, wir sind fertig. Jetzt sprich du, Hildebad, mit jenem Römer.“

Doch vor ihn trat Teja, die Rechte am Schwert, zitternd vor Haß: „Präfekt von Rom,“ sagte er, „Blut ist geflossen, edles, teures, gotisches Blut. Es weiht ihn ein, den grimmen Kampf, der bald entbrennen wird. Blut, das du büßen“ – der Zorn erstickte seine Stimme.

„Pah,“ rief, ihn zurückschiebend, Hildebad – denn er war der baumlange Gote – „macht nicht soviel Aufhebens davon! Mein goldner Bruder kann leicht etwas missen von überflüssigem Blut. Und der andre hat mehr verloren, als er missen kann. Da, du schwarzer Teufel,“ rief er Cethegus zu und hielt ihm ein breites Schwert dicht vor die Augen, „kennst du das?“

„Des Pomponius Schwert!“ rief dieser erbleichend und einen Schritt zurückweichend. Amalaswintha und Cassiodor fragten erschrocken: „Pomponius?“

„Aha,“ lachte Hildebad, „nicht wahr, das ist schlimm? Ja, aus der Wasserfahrt kann nichts werden.“

„Wo ist Pomponius, mein Nauarch?“ rief Amalaswintha heftig.

„Bei den Haifischen, Frau Königin, in tiefer See.“

„Ha, Tod und Vernichtung!“ rief Cethegus, jetzt fortgerissen vor Zorn, „wie geht das zu?“

„Lustig genug. Sieh, mein Bruder Totila – du kennst ihn ja, nicht wahr? – lag im Hafen von Ancona mit zwei kleinen Schiffen. Dein Freund Pomponius, der machte ihm seit einigen Tagen ein so übermütiges Gesicht und ließ so dicke Worte fallen, daß es selbst meinem arglosen Blonden auffiel. Plötzlich ist er eines Morgens mit seinen drei Trieren aus dem Hafen entwischt. Totila schöpft Verdacht, setzt alle Leinwand auf, fliegt ihm nach, holt ihn ein auf der Höhe von Pisaurum, stellt ihn, geht zu ihm an Bord mit mir und ein paar andern und fragt ihn, wohinaus?“

„Er hatte kein Recht dazu, Pomponius wird ihm keine Antwort gegeben haben.“

„Doch, Vortrefflicher“, er gab ihm eine. Wie der sah, daß wir zu sieben allein auf seinem Schiff, da lachte er und rief: „Wohin ich segle? Nach Ravenna, du Milchbart, und rette die Regentin aus euren Klauen nach Rom.“ Und dabei winkte er seinen Leuten. Da warfen aber auch wir die Schilde vor und hui, flogen die Schwerter aus den Scheiden. Das war ein harter Stand, sieben gegen dreißig. Aber es währte zum Glück nicht lang, da hörten unsre Bursche im nächsten Schiff das Eisen klirren und flugs waren sie mit ihren Booten heran und erkletterten wie die Katzen die Wandung. Jetzt waren wir die mehreren: aber der Nauarch – gib dem Teufel sein Recht! – gab sich nicht, focht wie ein Rasender und stieß meinem Bruder das Schwert durch den Schild in den linken Arm, daß es hoch aufspritzte. Da aber ward mein Bruder auch zornig und rannte ihm den Speer in den Leib, daß er fiel wie ein Schlachtstier. „Grüßt mir den Präfekten,“ sprach er sterbend, „gebt ihm das Schwert, sein Geschenk, zurück und sagt ihm, es kann keiner wider den Tod: sonst hätte ich Wort gehalten. Ich hab's ihm gelobt, es zu bestätigen. Er war ein tapfrer Mann. Hier ist das Schwert.“

Schweigend nahm es Cethegus.

„Die Schiffe ergaben sich und mein Bruder führte sie zurück nach Ancona. Ich aber segelte mit dem schnellsten hierher und traf am Hafen mit den drei Balten zusammen, gerade zur rechten Zeit.“

Eine Pause trat ein, in welcher die Überwundnen ihre böse Lage schmerzlich überdachten. Cethegus hatte ohne Widerstand alles bewilligt in der sichern Hoffnung auf die Flucht, die nun vereitelt war.

Sein schönster Plan war durchkreuzt, durchkreuzt von Totila: tief grub der Haß diesen Namen in des Präfekten Seele. Sein grimmiges Rachesinnen ward erst durch den Ausruf Thuluns gestört: „Nun, Amalaswintha, willst du unterzeichnen? oder sollen wir die Goten zur Wahl eines Königs berufen?“

Rasch fand bei diesen Worten Cethegus die Fassung wieder: er nahm die Wachstafel aus der Hand des Grafen und reichte sie ihr hin: „Du mußt, o Königin,“ sagte er leise, „es bleibt dir keine Wahl.“ Cassiodor gab ihr den Griffel, sie schrieb ihren Namen und Thulun nahm die Tafel zurück.

„Wohl,“ sagte er, „wir gehn, den Goten zu verkünden, daß ihr Reich gerettet ist. Du, Cassiodor, begleitest uns, zu bezeugen, daß alles ohne Gewalt geschehen ist.“

Auf einen Wink Amalaswinthens gehorchte der Senator und folgte den gotischen Männern hinaus auf das Forum vor dem Schlosse. Als sie sich mit Cethegus allein sah, sprang die Fürstin heftig auf: nicht länger gebot sie ihren Tränen. Leidenschaftlich schlug sie die Hand vor die Stirn. Ihr Stolz war aufs tiefste gebeugt. Schwerer als des Gatten, des Vaters, ja selbst als Athalarichs Verlust traf diese Stunde ihr Herz. „Das,“ rief sie laut weinend, „das also ist die Überlegenheit der Männer. Rohe, plumpe Gewalt! o Cethegus, alles ist verloren.“

„Nicht alles, Königin, nur ein Plan. Ich bitte um ein gnädiges Andenken,“ setzte er kalt hinzu, „ich gehe nach Rom.“

„Wie? du verläßt mich in diesem Augenblick? Du, du hast mir all diese Versprechungen abgewonnen, die mich entthronen, und nun scheidest du? O besser, ich hätte widerstanden, dann wär' ich Königin geblieben, hätten sie auch jenem Rebellenherzog die Krone aufgesetzt.“

Jawohl, dachte Cethegus, besser für dich, schlimmer für mich. Nein, kein Held soll mehr diese Krone tragen. – Rasch hatte er erkannt, daß Amalaswintha ihm nichts mehr nützen könne – und rasch gab er sie auf. Schon sah er sich nach einem neuen Werkzeug für seine Pläne um. Doch beschloß er, ihr einen Teil seiner Gedanken zu enthüllen, damit sie nicht auf eigne Faust handelnd jetzt noch ihre Versprechungen widerriefe und dadurch Thulun die Krone zuwende. „Ich gehe, o Herrin,“ sprach er, „doch ich verlasse dich darum nicht. Hier kann ich dir nichts mehr nützen. Man hat mich aus deiner Nähe verbannt und man wird dich hüten, eifersüchtig wie eine Geliebte.“

„Aber was soll ich tun mit diesen Versprechungen, mit diesen drei Herzogen?“

„Abwarten, zunächst dich fügen. Und die drei Herzoge,“ setzte er zögernd bei – „die ziehn ja in den Krieg – vielleicht kehren sie nicht zurück.“

„Vielleicht!“ seufzte die Regentin. „Was nützt ein vielleicht!“ Cethegus trat fest auf sie zu: „Sie kehren nicht zurück – sobald du's willst.“ Erschrocken bebte die Frau: „Mord? Entsetzlicher, was sinnst du?“ – „Das Notwendige. Mord ist das falsche Wort dafür. Es ist Notwehr. Oder Strafe. Hattest du in dieser Stunde die Macht, du hattest das volle Recht, sie zu töten. Sie sind Rebellen. Sie zwingen deinen königlichen Willen. Sie erschlagen deinen Nauarchen, den Tod haben sie verdient.“

„Und sie soll'n ihn finden,“ flüsterte Amalaswintha, die Faust ballend, vor sich hin, „sie soll'n nicht leben, die rohen Männer, die eine Königin gezwungen. Du hast recht – sie sollen sterben.“ – „Sie müssen sterben – sie, und,“ fügte er ingrimmig bei, „und – – der junge Seeheld!“

„Warum auch Totila? Er ist der schönste Jüngling meines Volks.“

„Er stirbt,“ knirschte Cethegus, „o, könnt' er zehnmal sterben.“

Und aus seinem Auge sprühte eine Glut des Hasses, die, plötzlich aus der eisigkalten Natur brechend, Amalaswintha in Schrecken überraschte. „Ich schicke dir,“ fuhr er rasch und leise fort, „aus Rom drei vertraute Männer, isaurische Söldner. Die sendest du den drei Balten nach, sobald sie in ihren Heerlagern eingetroffen. Hörst du, du sendest sie, die Königin: denn sie sind Henker, keine Mörder. Die drei müssen an Einem Tage fallen. – Für den schönen Totila sorge ich selbst! Der Schlag wird alles erschrecken. In der ersten Bestürzung der Goten eile ich von Rom herbei. Mit Waffen, dir zur Rettung. Leb' wohl.“

Er verließ rasch die Hilflose, an deren Ohr in diesem Augenblick von dem Forum vor dem Palatium jubelndes Freudengeschrei der Goten schlug, die den Erfolg ihrer Führer, die Besiegung Amalaswinthas feierten.

Sie fühlte sich ganz verlassen.

Daß die letzte Verheißung des Präfekten kaum mehr als ein leeres Trostwort zur Beschönigung seines Abgangs war, ahnte sie mit banger Seele. Gramvoll stützte sie die Wange auf die schöne Hand und verlor sich eine Weile finster in ihren ratlosen Gedanken. Da rauschten die Vorhänge des Gemaches: ein Palastbeamter stand vor ihr: „Gesandte von Byzanz bitten um Gehör. Justinus ist gestorben: Kaiser ist sein Neffe Justinian. Er bietet dir seinen brüderlichen Gruß und seine Freundschaft.“

„Justinianus!“ rief die ganze Seele der bedrängten Frau. Sie sah sich ihres Sohnes beraubt, von ihrem Volk bedroht, von Cethegus verlassen: ringsumher hatte sie in trübem Sinnen vergeblich Hilfe und Halt gesucht, und aufatmend aus tiefer Brust wiederholte sie jetzt: „Byzanz – Justinianus!“

In den Waldbergen von Fiesole findet heutzutage der Wandrer, der von Florenz heranzieht, rechts von der Straße die Ruinen eines ausgedehnten villenartigen Gebäudes.

Efeu, Steinbrech und Wildrosen haben um die Wette die Trümmer überkleidet: die Bauern des nahen Dorfes haben seit Jahrhunderten Steine davongetragen, die Erde ihrer Weingärten an den Hügelrändern aufzudämmen. Aber noch immer bezeichnen die Reste deutlich, wo die Säulenhalle vor dem Hause, wo das Mittelgebäude, wo die Hofmauer stand. Üppig wuchert das Unkraut auf dem Wiesgrund, wo dereinst der schöne Garten in Zier und Ordnung prangte: nichts davon hat sich erhalten als das breite Marmorbecken eines längst vertrockneten Brunnens, in dessen kiesigem Rinnsal sich jetzt die Eidechse sonnt.

Aber in den Tagen, von denen wir erzählen, sah es hier viel anders aus. „Die Villa des Mäcen bei Fäsulä,“ wie man das Gebäude damals, wohl mit wenig Fug, benannte, war von glücklichen Menschen bewohnt, das Haus von sorglicher Frauenhand bestellt, der Garten von hellem Kindeslachen belebt. Zierlich war die rankende Klemmatis hinaufgebunden an den schlanken Schäften der korinthischen Säulen vor dem Haus und der Wein zog freundlich schmückend über das flache Dach. Mit weißem Sande waren die schlängelnden Wege des Gartens bestreut und in den Nebengebäuden, die der Wirtschaft dienten, glänzte eine Reinlichkeit, waltete eine stille Ordnung, die nicht auf römische Sklavenhände raten ließ.

Es war um Sonnenuntergang.

Die Knechte und Mägde kehrten von den Feldern zurück: die hoch mit Heu beladenen Wagen mit Rossen nicht italischer Zucht bespannt, schwankten heran: von den Hügeln herunter trieben die Hirten Ziegen und Schafe herzu, von großen zottigen Hunden umbellt.

Dicht vor dem Hoftor gab es die lebendigste Szene des bunten Schauspiels: ein paar römische Sklaven trieben mit tobenden Gebärden und gellendem Geschrei die keuchenden Pferde eines grausam überladnen Wagens an: nicht mit Peitschenhieben, sondern mit Stöcken, deren Eisenspitzen sie den Tieren immer in dieselbe wunde Stelle stießen. Nur ruckweise ging es trotzdem vorwärts. Jetzt lag ein großer Stein vor dem linken Vorderrad, jeden Fortschritt unmöglich machend. Aber der wütige Italier sah es nicht.

„Vorwärts, Bestie, und Kind einer Bestie,“ schrie er dem zitternden Rosse zu, „vorwärts, du gotisches Faultier!“ Und ein neuer Stich mit dem Stachel und ein neuer verzweifelter Ruck: aber das Rad ging nicht über den Stein, das gequälte Tier stürzte in die Knie und drohte den Wagen mit umzureißen. Darüber wurde der Treiber erst recht grimmig. „Warte, du Racker!“ schrie er und schlug nach dem Auge des zuckenden Rosses. – Aber nur einmal schlug er, im nächsten Augenblick stürzte er selbst wie blitzgetroffen unter einem mächtigen Streiche nieder.

„Davus, du boshafter Hund!“ brüllte eine Bärenstimme und über dem Gefallenen stand schier noch mal so lang und gewiß noch mal so breit wie der erschrockene Tierquäler ein ungeheurer Gote, einen derben Knüttel wiederholt auf den Rücken des Schreienden schwingend.

„Du elender Neiding,“ schloß er mit einem Fußtritt, „ich will dich lehren, umgehn mit einem Geschöpf, das sechsmal besser ist als du. Ich glaube, du Schandbub quälst den Hengst, weil er von jenseit der Berge ist. Noch einmal laß mich das sehn, und ich zerbreche dir alle Knochen im Leibe. Jetzt auf und abgeladen: – du trägst alle Schwaden, die zuviel sind, auf deinem eignen Rücken in die Scheuer. Vorwärts.“

Mit einem giftigen Blick stand der Gezüchtigte auf und schickte sich hinkend an, zu gehorchen.

Der Gote hatte das zuckende Roß sogleich aufgerichtet und wusch ihm jetzt sorglich die geschürften Knie mit seinem eignen Abendtrunk von Wein und Wasser.

Kaum war er damit zu Ende, als ihn vom nahen Stall her dringend eine helle Knabenstimme rief: „Wachis, hierher, Wachis!“ – „Komme schon, Athalwin, mein Bursch, was gibt's?“ – und schon stand er in der offnen Türe des Pferdestalles, neben einem schönen Knaben von sieben bis acht Jahren, der sich heftig die langen, gelben Haare aus dem erglühenden Antlitz strich und mit Mühe in den himmelblauen Augen zwei Tränen des Zornes zerdrückte. Er hatte ein zierlich geschnitztes Holzschwert in der Rechten und hob es drohend gegen einen schwarzbraunen Sklaven, der mit gebognem Nacken und mit geballten Fäusten trotzig ihm gegenüberstand.

„Was gibt's da?“ wiederholte Wachis über die Schwelle tretend.

„Der Rotschimmel hat wieder nichts zu saufen, und sieh nur, zwei Bremsen haben sich eingesogen oben an seinem Bug, wo er mit der Mähne nicht hinreichen kann und ich nicht mit der Hand und der böse Cacus da, wie ich's ihm sage, will mir nicht folgen: und gewiß hat er mich geschimpft auf römisch, was ich nicht verstehe.“ Wachis trat drohend näher.

„Ich habe nur gesagt:“ sprach Cacus langsam zurückweichend, „erst ess' ich meine Hirse; das Tier mag warten; bei uns zu Lande kömmt der Mensch vor dem Vieh.“ – „So, du Tropf?“ sagte Wachis, die Bremsen erschlagend, „bei uns kommt das Roß vor dem Reiter zum Futter; mach vorwärts.“

Aber Cacus war stark und trotzig: er warf den Kopf auf und sagte: „wir sind hier in unserm Land – da gilt unser Brauch.“ – „Eia, du verfluchter Schwarzkopf, wirst du gehorchen?“ sprach Wachis ausholend. – „Gehorchen? Nicht dir! Du bist auch nur ein Sklave wie ich: und meine Eltern haben schon hier im Hause gelebt als deinesgleichen noch Küh' und Schafe stahlen jenseit der Berge.“ Wachis ließ den Knüttel fallen und wiegte seine Arme: „Höre, Cacus, ich habe ohnehin noch einen Span mit dir, du weißt schon, was für einen. Jetzt geht's in einem hin.“ – „Ha,“ lachte Cacus höhnisch, „wegen Liuta, der Flachsdirn? Pah, ich mag sie nicht mehr, die Barbarin. Sie tanzt wie eine Jungkuh.“ – „Jetzt ist's aus mit dir,“ sagte Wachis ruhig und schritt auf seinen Gegner zu. Aber dieser wandte sich wie eine Katze aus dem Griff des Goten, riß ein spitzes Messer aus der Brustfalte des Wollrocks und warf es nach ihm: da sich Wachis bückte, sauste es haarscharf an seinem Kopf vorbei und fuhr tief in den Pfosten der Tür. „Na, warte, du Mordwurm!“ rief der Germane und wollte sich auf Cacus werfen; da fühlte er sich von hinten umklammert.

Es war Davus, der die Gelegenheit der Rache scharf erpaßt hatte.

Aber jetzt ward Wachis sehr zornig.

Er schüttelte ihn ab, packte ihn mit der Linken am Genick, erwischte mit der Rechten Cacus an der Brust und stieß nun mit Bärenkraft seinen beiden Gegnern die Köpfe zusammen, jeden Stoß mit einem Ausruf begleitend, „so, meine Jungen – das für das Messer – und das für den Rückensprung – und den für die Jungkuh“ – und wer weiß, wie lange diese seltsame Litanei noch fortgedauert haben würde, hätte sie nicht ein lautes Rufen gestört.

„Wachis – Cacus – auseinander sag' ich!“ rief eine volle starke Frauenstimme, und vor der Tür erschien ein stattliches Weib in blauem gotischem Gewand. Sie war nicht groß und doch imposant: ihr schöner Bau eher mächtig als zart. Die goldbraunen Haare waren in reichen, doch einfachen Flechten um das runde Haupt geschlungen, die Züge regelmäßig, aber eher fest als fein gezeichnet. Geradheit, Tüchtigkeit, Verlässigkeit sprachen aus den fast allzugroßen graublauen Augen: die unbedeckten vollen Arme zeigten, daß sie der Arbeit nicht fremd. An ihrem breiten Gürtel, über den das braune Untergewand von selbstgewirktem Zeuge bauschte, klirrte ein Bund von Schlüsseln: die Linke stemmte sie ruhig in die Hüfte und befehlend streckte sie die Rechte vor sich hin.

„Eia, Rauthgundis, strenge Frau,“ sagte Wachis loslassend, „mußt du denn überall die Augen haben?“

„Überall, wo mein Gesinde Unfug treibt. Wann werdet ihr lernen, euch vertragen? Euch Welschen fehlt der Herr im Hause. Aber du, Wachis, solltest nicht auch der Hausfrau Verdruß machen. Komm, Athalwin, mit mir.“ Und sie führte den Knaben an der Hand mit fort.

Sie ging in den Seitenhof und füllte aus einer Truhe Körner in ihr Gewand, die Hühner und Tauben zu füttern, die sie sogleich dicht umdrängten.

Athalwin sah eine Weile schweigend zu. Endlich sagte er: „Du, Mutter, ist's wahr? ist der Vater ein Räuber?“

Rauthgundis hielt inne in ihrem Tun und sah das Kind an: „Wer hat das gesagt?“

„Wer? Ei, des Nachbars Calpurnius Neffe. Wir spielten auf dem großen Heuhaufen seiner Wiese drüben überm Zaun und ich zeigte ihm, wie weit das Land uns gehöre rechts vom Zaun – weit und breit – soweit unsre Knechte mähten und fern der Bach schimmerte. Da ward er zornig und sagte: „Ja, und all' das Land gehörte früher uns, und dein Vater oder dein Großvater, die haben's gestohlen, die Räuber.““

„So? und was sagtest du drauf?“

„Ei, gar nichts, Mutter. Ich warf ihn nur über den Heuhaufen hinunter, daß er die Füße gen Himmel schlug. Aber jetzt, nachderhand, möcht' ich doch wissen, ob's wahr ist.“

„Nein, Kind, es ist nicht wahr. Gestohlen hat's der Vater nicht. Aber offen genommen, weil er besser war und stärker als diese Welschen. Und alle starken Helden haben's immer so gemacht zu allen Zeiten. Und die Welschen in den Tagen, da sie stark waren und ihre Nachbarn schwach, am allermeisten. Aber nun komm, wir müssen nach dem Linnen sehen, das auf dem Anger zur Bleiche liegt.“

Als sie nun den Stallungen den Rücken wandten und dem nahen Grashügel links vom Hause zuschritten, hörten sie den raschen Hufschlag eines Rosses, das auf der alten römischen Heerstraße nahte. Rasch hatte Athalwin den Gipfel des Hügels erreicht und blickte nach der Straße hin.

Da sprengte ein Reiter auf einem mächtigen Braunen die Waldhöhe herab auf die Villa zu: hell funkelte sein Helm und die Spitze der Lanze, die er schräg über dem Rücken trug.

„Der Vater, Mutter, der Vater!“ rief der Knabe und rannte pfeilgeschwind den Hügel hinab dem Reiter entgegen.

Rauthgundis hatte jetzt auch die Höhe erreicht. Ihr Herz pochte. Sie legte die Hand vors Auge, in die schimmernde Abendröte zu schauen: dann sagte sie still glücklich vor sich hin: „Ja, er ist's. Mein Mann!“

Inzwischen hatte Athalwin den Nahenden schon erreicht und kletterte an seinem Fuß hinan. Der Reiter hob ihn mit liebevoller Hand herauf und setzte ihn vor sich in den Sattel und flog jetzt im Galopp heran: lustig wieherte Wallada, das edle Tier, einst Theoderichs Streitroß, die Heimat und die Herrin erkennend und schlug freudig mit dem langen wallenden Schweif.

Nun war der Reiter heran und stieg ab mit dem Knaben. „mein liebes Weib!“ sprach er, sie herzlich umarmend. „Mein Witichis!“ flüsterte sie, an seiner Brust erglühend, entgegen, „willkommen bei den Deinen.“ – „Ich hatte versprochen, noch vor dem neuen Mond zu kommen – schwer ging's –“

„Aber du hieltst Wort wie immer.“ – „Mich zog das Herz,“ sagte er, den Arm um sie schlingend. Sie schritten langsam dem Hause zu. „Dir, Athalwin, ist, scheint's, Wallada wichtiger als der Vater,“ lächelte er dem Kleinen zu, der sorgfältig das Pferd am Zügel nachführte.

„Nein, Vater, aber gib mir noch die Lanze dazu – so gut wird mir's selten hier in dem Bauernleben“ – und den langen schweren Speerschaft mit Mühe einherschleppend, rief er laut: „he, Wachis, Ansbrand, der Vater ist da! – Jetzt holt den Falernerschlauch aus dem Keller. Der Vaterhat Durst vom scharfen Ritt.“

Lächelnd strich Witichis über den Flachskopf des Knaben, der jetzt an ihnen vorüber und voran eilte. „Nun, und wie steht's hier draußen bei euch?“ fragte er, auf Rauthgundis blickend. „Gut, Witichis, die Ernte ist glücklich eingebracht, die Trauben gestampft, die Garben geschichtet.“ – „Nicht danach frag' ich,“ sagte er, sie zärtlich an sich drückend, – „wie geht es dir?“ – „Wie's einem armen Weibe geht,“ antwortete sie, zu ihm aufblickend, „das seinen herzgeliebten Mann vermißt. Da hilft nur Arbeit, Freund, und tüchtig Schaffen, daß man das weiche Herz betäubt. Oft denk' ich, wie hart du dich mühen mußt, draußen, unter fremden Leuten, im Lager und am Hof, wo niemand dein in Treuen pflegt. Da soll er wenigstens, denk' ich dann, kömmt er heim, sein Haus immer wohl bestellt und traulich finden.

Und das ist's, sieh, was mir all' die dumpfe Arbeit lieb macht und weihet und veredelt.“

„Du bist mein wackeres Weib. Mühst du dich nicht zuviel?“

„Die Arbeit ist gesund. Aber der Verdruß, die Bosheit der Leute, das tut mir weh.“ Witichis blieb stehen. „Wer wagt's, dir weh zu tun?“ – „Ach, die welschen Knechte und die welschen Nachbarn.

Sie hassen uns alle. Weh uns, wenn sie uns nicht mehr fürchten. Calpurnius, der Nachbar, ist so frech, wenn er dich ferne weiß, und die römischen Sklaven sind trotzig und falsch; nur unsre gotischen Knechte sind brav.“

Witichis seufzte. Sie waren jetzt vor dem Hause angelangt und ließen in dem Säulengang sich vor einem Marmortisch nieder. „Du mußt bedenken,“ sagte Witichis, „der Nachbar hat ein Drittel seines Guts und seiner Sklaven an uns abtreten müssen.“ – „Und hat zwei Drittel behalten und das Leben dazu – er sollte Gott danken!“ meinte Rauthgundis verächtlich.

Da sprang Athalwin heran mit einem Korb voll Äpfeln, die er vom Baum gepflückt; dann kamen Wachis und die andern germanischen Knechte mit Wein, Fleisch und Käse und sie begrüßten den Herrn mit freimütigem Handschlag. „Gut, meine Kinder, seid gegrüßt. Die Frau lobt euch. Aber wo stecken Davus, Cacus und die andern?“ – „Verzeih, Herr,“ schmunzelte Wachis, „sie haben ein schlecht Gewissen.“

„Warum? Weshalb?“ – „Ei, ich glaube, – weil ich sie ein bißchen geprügelt habe – sie schämen sich.“ Die andern Knechte lachten. „Nun, es kann ihnen nicht schaden,“ meinte Witichis, „geht jetzt zu eurem Essen. Morgen seh' ich nach eurer Arbeit.“ Die Knechte gingen. „Was ist's mit Calpurnius,“ fragte Witichis, sich einschenkend. Rauthgundis errötete und besann sich: „Das Heu von der Bergwiese,“ sagte sie dann, „das unsre Knechte gemäht, hat er nachts in seine Scheuer geschafft und gibt es nicht heraus.“ – „Er wird es schon herausgeben, mein' ich ....“ sagte er ruhig, trinkend. – „Jawohl,“ rief Athalwin lebhaft, „das mein' ich auch. Und gibt er's nicht – mir noch lieber! Dann sagen wir Fehde an und ich zieh' hinüber mit Wachis und den reisigen Knechten, mit Waffen und Wehr. Er sieht mich immer so giftig an, der schwarze Schleicher.??

Rauthgundis wies ihn zur Ruh' und schickte ihn schlafen. „Wohl, ich gehe,“ sagte er, „aber, Vater, wenn du wiederkömmst, bringst du mir statt dieses Steckens da ein richtig Gewaffen mit, nicht wahr?“ Und er hüpfte ins Haus.

„Der Streit mit diesen Welschen endet nie,“ sagte Witichis, „er vererbt sich auf die Kinder. Du hast hier allzuviel Verdruß damit. Desto lieber wirst du tun, was ich dir vorschlage: komm mit nach Ravenna an den Hof.“

Hoch erstaunt blickte ihn das Weib an: „Du scherzest!“ sagte sie ungläubig. „Du hast das nie gewollt. In den neun Jahren, die ich dein bin, ist dir's nie eingefallen, mich an den Hof zu führen: ich glaube, es weiß niemand in dem Volk, daß eine Rauthgundis lebt. Du hast ja unsere Ehe geheim gehalten“, lächelte sie, „wie eine Schuld.“ – „Wie einen Schatz,“ sagte Witichis, die Arme um sie schlingend. – „Ich habe dich nie gefragt, warum. Ich war und bin glücklich dabei und dachte und denke: er wird wohl seinen Grund haben.“

„Ich hatte meinen guten Grund: er besteht nicht mehr. Du magst nun alles wissen. Wenige Monate, nachdem ich dich gefunden in deiner Felseneinsamkeit und lieb gewonnen, kam König Theoderich auf den seltsamen Gedanken, mich seiner Schwester Amalaberga, der Witwe des Thüringerkönigs, zu vermählen, die gegen ihre schlimmen Nachbarn, die Franken, Mannesschutz bedurfte.“ – „Du solltest dort die Krone tragen?“ sprach Rauthgundis mit strahlenden Augen. – „Mir aber,“ fuhr Witichis fort, „war Rauthgundis lieber als Königin und Krone, und ich sagte nein.

Es verdroß ihn schwer, und er verzieh mir nur, als ich ihm sagte, ich würde wohl niemals freien. Konnt' ich doch damals nicht hoffen, dich je mein zu nennen: du weißt, wie lange dein Vater mißtrauisch und eisern dich mir nicht anvertrauen wollte. Als du nun aber doch mein geworden, da hielt ich's nicht für wohlgetan, ihm das Weib zu zeigen, um das ich seine Schwester ausgeschlagen.“

„Aber warum hast du mir das verschwiegen, neun Jahre lang?“

„Weil,“ sagte er, ihr herzlich in die Augen blickend, „weil ich meine Rauthgundis kenne. Du hättest immer geglaubt, Wunder was ich an jener Krone verloren. Jetzt aber ist der König tot und ich bin dauernd an den Hof gebunden. Wer weiß, wann ich wieder ruhen werde im Schatten dieser Säulen, im Frieden dieses Daches.“

Und in kurzen Worten erzählte er ihr den Sturz des Präfekten, und welche Stellung er nunmehr einnahm bei Amalaswinthen. Aufmerksam hörte ihn Rauthgundis an; dann drückte sie ihm die Hand: „Das ist wacker, Witichis, daß die Goten allmählich merken, was sie an dir haben. Und du bist heiterer, denk' ich, als sonst.“

„Ja, mir ist wohler, seit ich mit tragen darf an der Last der Zeit. Dabei stehen und sie wuchtig drücken sehen auf mein Volk, war viel schwerer. Mich dauert dabei nur die Regentin; sie ist wie eine Gefangene.“

„Bah, warum hat das Weib gegriffen in das Amt der Männer. Mir fiele das nie ein.“

„Du bist keine Königin, Rauthgundis, und Amalaswintha ist stolz.“

„Ich bin zehnmal so stolz wie sie. Aber so eitel bin ich nicht. Sie muß nie einen Mann geliebt haben und seinen Wert und seine Art begriffen. Sie könnte sonst nicht die Männer ersetzen wollen.“

„Am Hof sieht man das anders an. Komm nur mit an den Hof.“

„Nein, Witichis,“ sagte sie ruhig, aufstehend, „der Hof paßt nicht für mich. Und ich nicht für den Hof. Ich bin des Ödbauern Kind und gar unhöfisch geartet. Sieh diesen braunen Nacken,“ lachte sie, „und diese rauhen Hände. Ich kann nicht die Lyra zupfen und Verslein lesen: schlecht taugt' ich zu den feinen Römerinnen und wenig Ehre würdest du haben von mir.“

„Du wirst dich doch nicht zu schlecht erachten für den Hof?“ – „Nein, Witichis, zu gut.“ – „Nun, man müßte sich gegenseitig ertragen, würdigen lernen.“ – „Das würd' ich nie. Sie vielleicht mich, aus Furcht vor dir, ich niemals sie. Ich würd' ihnen täglich ins Gesicht sagen, daß sie hohl, falsch und schlecht sind.“

„So willst du lieber deinen Mann entbehren, mondelang?“ – „Ja, lieber ihn entbehren, als in schiefer, schlimmer Stellung um ihn sein. O mein Witichis,“ sagte sie, innig den Arm um seinen Nacken legend, „denk nur, wer ich bin und wie du mich gefunden.

Wo die letzten Siedelungen unseres Gotenvolkes den Saum der Alpen umgürten, hoch auf den Felsschroffen der Skaranzia, wo die junge Isara schäumend aus den Steinklüften ins offne Land der Bajuvaren bricht, da steht meines Vaters stiller Ödhof. Nichts kannt' ich da als die strenge Arbeit des Sommers auf den einsamen Almen, des Winters in der rauchgeschwärzten Halle am Rocken mit den Mägden. Früh starb die Mutter und den Bruder haben die Welschen erstochen. So wuchs ich einsam auf, allein mit dem alten Vater, der so treu, aber auch so hart und verschlossen wie seine Felsen. Da sah ich nichts von der Welt, die rechts und links von unsern Bergen lag. Nur hoch von oben sah ich manchmal neugierig, wie ein Saumroß mit Salz oder Wein unten in der Talschlucht des Weges zog. Da saß ich wohl manchen schimmervollen Sommerabend auf der zackigen Kulm des hohen Arn. Und sah der Sonne nach, wie sie so herrlich niedersank weit drüben überm Licus: und ich dachte, was sie wohl alles gesehen den langen Sommertag, seit sie aufstieg drüben überm breiten Önus. Und daß ich wohl auch wissen möchte, wie's aussieht über dem Karwändel. Oder gar drüben, hinter dem Brennusberg, wo der Bruder hinüberzog und nie mehr wiederkam. Und doch fühlte ich, wie schön es sei droben in meiner grünen Einsamkeit, wo ich den Steinadler pfeifen hörte aus dem nahen Horst und wo ich prächtige Blumen brach, wie sie nicht wuchsen unten in der Ebene und auch wohl einmal des Nachts den Bergwolf vor meiner Stalltür heulen hörte und mit dem Kienbrand scheuchte.

Und auch in dem frühen Herbst, in den langen Wintern hatte ich Muße, still in mich hineinzusinnen: wann um die hohen Tannen die weißen Nebelschleier spannen, wann der Bergwind die Felsblöcke von unserem Strohdach riß und die Schneestürze von den Schroffen donnernd niedergingen. So wuchs ich auf, fremd in der Welt jenseit der nächsten Wälder, nur zu Hause in der stillen Welt meiner Gedanken, und in dem engen Bauernleben.

Da kamest du – ich weiß es noch wie heute“ – und sie hielt an, in Erinnerung verloren.

„Ich weiß es auch noch genau,“ sagte Witichis. „Ich führte eine Hundertschaft zur Ablösung von Juvavia nach der Augustastadt am Licus – ich war vom Weg und meinen Leuten abgekommen: lang war ich den schwülen Sommertag pfadlos umhergeirrt – da sah ich Rauch aufsteigen überm Tannenhang und bald fand ich das versteckte Gehöft und trat ins Tor: da stand ein prächtig Mädchen am Ziehbrunnen und hob den Eimer.“ –

„Und ich erschrak siedheiß – zum erstenmal in meinem Leben! – als der große, bräunliche Mann um die Hausecke bog mit dem krausen Bart und dem funkelnden Helm.“

„Ja, du wurdest blutrot bis in die Schläfe, und ich bat dich um einen Trunk Wasser. Und niemals hat mein Auge ein schöner Bild gesehen als wie du dich nun niederbeugtest und mit den kräftigen Armen den schweren Eimer auf den Brunnenrand hobst und mir schöpftest in dem Kürbiskrug: reich fielen die dichten goldbraunen Zöpfe übers schwarze Mieder bis in die Knie und deine Wangen waren pfirsichgleich: o wie wacker, frisch und blühend sahst du aus. Und wie wacker, frisch und blühend bist du mir geblieben seither alle Zeit.“

„Und darum, mein Witichis, auf daß ich dir blühend bleibe, führe mich nicht an den Hof. Sieh hier schon im Tal, im Südtal der Alpen, wird mir's oft zu schwül und ich sehne mich nach einem Atemzug aus der Tannenluft meiner Waldberge. Am Hofe aber in den engen Goldgemächern – da würd' ich dir verkümmern und verschmachten. Laß du mich hier – ich will schon fertig werden mit Nachbar Calpurnius. Und du, das weiß ich ja, du denkst doch auch im Königssaal nach Haus an Weib und Kind.“

„Ja, weiß Gott, mit sehnenden Gedanken. So bleibe denn hier und Gott behüte dich, mein gutes Weib.“ –

Am zweiten Morgen darauf ritt Witichis wieder zurück, die Waldhöhe hinan. Der Abschied hatte ihn fast weich gemacht: mit Kraft hatte er den Ausdruck des Gefühls gehemmt, das er sich, schlicht und streng von Art, zu zeigen scheute. Wie hing des Wackern Herz an diesem kern'gen Weib und seinem Knaben!

Hinter ihm drein trabte Wachis, der sich's durchaus nicht hatte nehmen lassen, dem Herrn noch eine Strecke das Geleit zu geben. Plötzlich ritt er zu ihm hinan. „Herr,“ sagte er, „ich weiß was.“ – „So? warum sagst du's nicht?“ – „Weil mich noch niemand darum gefragt hat.“ – „Nun, ich frage dich drum.“ – „Ja, wenn man gefragt ist, muß man freilich reden. – Die Frau hat dir gesagt, daß Calpurnius so ein böser Nachbar ist?“ – „Ja. Und was soll's damit?“ – „Sie hat dir aber nicht gesagt, seit wann?“

„Nein. Weißt du seit wann?“ – „Nun, seit etwa einem halben Jahr. Da traf Calpurnius einmal die Frau im Wald allein, wie sie beide glaubten. Aber sie waren nicht allein. Es lag einer im Graben und hielt seinen Mittagsschlaf.“

„Der Faulpelz warst du.“

„Richtig erraten. Und da sagte Calpurnius etwas zur Frau.“

„Was sagte er?“

„Das hab' ich nicht verstanden. Aber die Frau war nicht faul, hob die Hand und schlug ihm ins Gesicht, daß es patschte. Das hab' ich verstanden. Und seither ist der Nachbar ein schlimmer Nachbar und das wollt' ich dir sagen, weil ich mir schon dachte, die Frau werde dich nicht ärgern wollen mit dem Wicht.

Aber es ist doch besser, du weißt darum. Und sieh, da steht Calpurnius gerade unter seiner Hoftür – siehst du dort – und jetzt fahr' wohl, lieber Herr.“

Und damit wandte er sein Pferd und jagte im Galopp nach Hause.

Witichis aber stieg das Blut zu Kopf. Er ritt an die Tür seines Nachbars, dieser wollte sich ins Haus drücken, aber Witichis rief ihn in einem Ton, daß er bleiben mußte.

„Was willst du mir, Nachbar Witichis,“ sagte er, blinzelnd zu ihm aufsehend.

Witichis zog den Zügel an und schob sein Roß dicht neben jenen. Dann streckte er ihm die geballte erzgepanzerte Faust hart vor die Augen: „Nachbar Calpurnius,“ sagte er ruhig, „wenn ich dir einmal ins Gesicht schlage, stehst du nie wieder auf.“

Calpurnius fuhr erschrocken zurück.

Witichis aber gab seinem Rosse den Sporn und ritt stolz und langsam seines Weges.

Zu Rom in seinem Arbeitszimmer lag, auf den weichen Kissen des Lectus behaglich ausgestreckt, Cethegus der Präfekt.

Er war guter Dinge.

Die Untersuchung gegen ihn hatte mit Freisprechung geendet: nur im Fall augenblicklicher Durchforschung seines Hauses, wie sie der junge König angeordnet, aber sein Tod vereitelt hatte, wäre Entdeckung zu befürchten gewesen. Er hatte durchgesetzt, daß die Befestigung von Rom fortgeführt wurde, mit Zuschüssen aus seinen eignen Geldern, was seinen Einfluß in der Stadt noch hob. In der letzten Nacht hatte er Versammlung gehalten in den Katakomben: alle Berichte lauteten günstig. Die Patrioten wuchsen an Zahl und Reichtum.

Der härtere Druck, der seit den letzten Vorgängen zu Ravenna auf den Italiern lastete, konnte die Zahl der Unzufriednen nur vermehren und, was die Hauptsache war, Cethegus hielt jetzt alle Fäden der Verschwörung in seiner Hand. Unbedingt erkannten selbst die eifersüchtigsten Republikaner die Notwendigkeit an, bis zum Tag der Freiheit dem Begabtesten die Führung zu überlassen. –

So vorgeschritten war die Stimmung gegen die Barbaren – bei allen Italiern, daß Cethegus den Gedanken fassen konnte, – sobald Rom vollends befestigt, ohne Hilfe der Byzantiner loszuschlagen. Denn, wiederholte er sich immer wieder, alle Befreier sind leicht gerufen und schwer abgedankt. Und mit Liebe pflegte er den Gedanken, Italien allein zu befreien.

So lag der Präfekt, legte Cäsars Bürgerkrieg, in dem er geblättert, zur Seite, stützte das Haupt auf den linken Arm und sagte zu sich selbst: „Die Götter müssen noch Großes mit dir vorhaben, Cethegus. So oft du stürzest, fällst du, heil wie eine Katze, auf die sichern Füße. Ah, wenn es uns wohl geht, möchten wir uns mitteilen. Aber Vertrauen ist ein zu gefährliches Vergnügen und das Schweigen ist der einzig treue Gott. Und doch bleibt man ein Mensch und möchte ...“ –


Da trat ein Sklave ein, der alte Ostiarius Fidus, überreichte schweigend einen Brief auf flacher goldner Schale und ging. „Der Bote wartet,“ sagte er.

Gleichgültig nahm Cethegus das Schreiben.

Aber sowie er auf dem Wachs, das die Schnüre der Tafeln zusammenhielt, das Siegel – die Dioskuren – erkannte, rief er lebhaft: „Von Julius! zu guter Stunde!“ löste eilig die Fäden, legte die Tafeln auseinander und las – das kalte bleiche Antlitz überflogen von einem sonst völlig fremden Hauch freudiger Wärme.

„Cethegus dem Präfekten sein Julius Montanus.

Wie lange ist's, mein väterlicher Lehrer“ (– „beim Jupiter, das klingt frostig“ –), „daß ich Dir nicht den schuldigen Gruß gesendet. Das letztemal schrieb ich Dir an den grünen Ufern des Ilissos, wo ich in dem verödeten Hain des Akademos die Spuren Platons suchte – und nicht fand. Ich weiß wohl, mein Brief war nicht heiter. Die traurigen Philosophen dort, in vereinsamten Schulen wandelnd, zwischen dem Druck des Kaisers, dem Argwohn der Priester und der Kälte der Menge, sie konnten nichts in mir erwecken als Mitleid. Meine Seele war dunkel, ich wußte nicht weshalb.

Ich schalt meinen Undank gegen Dich – den großmütigsten aller Wohltäter – –“ („so unerträgliche Namen hat er mir nie gegeben,“ schaltete Cethegus ein).

„Seit zwei Jahren reise ich, mit Deinen Reichtümern wie ein König der Syrer ausgestattet, von Deinen Freigelassenen und Sklaven begleitet, durch ganz Asien und Hellas, genieße alle Schönheit und Weisheit der Alten – und mein Herz bleibt unbefriedigt, mein Leben unausgefüllt. Nicht Platons schwärmerische Weisheit, nicht das Goldelfenbein des Pheidias, Homeros nicht und nicht Thukydides boten, was mir fehlte.

Endlich, endlich hier in Neapolis, der blühenden göttergesegneten Stadt hab' ich gefunden, was ich unbewußt überall vermißt und immer gesucht.

Nicht tote Weisheit: warmes, lebendiges Glück“ (– „er hat eine Geliebte! nun endlich, du spröder Hippolyt, Dank euch, Eros und Anteros! –“), „o, mein Lehrer, mein Vater! weißt Du, welch ein Glück es ist, ein Herz, das Dich ganz versteht, zum erstenmal Dein eigen nennen?“ (– „ah, Julius,“ seufzte der Präfekt mit einem seltnen Ausdruck weicher Empfindung, „ob ich es wußte! –“) „Dem Du die ganze volle Seele offen zeigen magst? O, wenn Du's je erfahren, preise mich, opfre Zeus dem Erfüller endlich: zum erstenmal hab' ich einen Freund.“

„Was ist das?“ rief Cethegus unwillig aufspringend mit einem Blick eifersüchtigen Schmerzes, „der Undankbare!“

„Denn, das fühlst Du wohl, ein Freund, ein Herzensvertrauter fehlte mir bis jetzt. Du, mein väterlicher Lehrer“ –

Cethegus warf die Tafeln auf den Schildpattisch und machte einen hast'gen Gang durchs Zimmer. „Torheit!“ sagte er dann ruhig, nahm den Brief auf und las weiter –

„Du, so viel älter, weiser, besser, größer als ich – Du hast mir eine solche Wucht von Dank und Verehrung auf die junge Seele geladen, daß sie sich Dir nie ohne Scheu öffnen konnte. Auch hörte ich oft mit Zagen, wie Du solche Weisheit und Wärme mit ätzendem Witze verhöhntest: ein scharfer Zug um Deinen stolzen festgeschlossenen Mund hat solche Gefühle in mir in Deiner Nähe stets getötet wie Nachtfrost die ersten Veilchen“ (– „nun, aufrichtig ist er!“ –). ??Jetzt aber hab' ich einen Freund gefunden: offen, warm, jung, begeistert wie ich und nie gekannte Wonne ist mein Teil. Wir haben nur Eine Seele in zwei Körpern: die sonnigen Tage, die mondsilbernen Nächte wandeln wir miteinander durch diese elyseischen Gefilde und finden kein Ende der geflügelten Worte. – Aber ich muß ein Ende finden dieses Briefes. Er ist ein Gote“ (– „auch noch,“ sagte Cethegus ungehalten) „und heißt Totila.“ –

Cethegus ließ die Hand mit dem Brief einen Augenblick sinken, er sagte nichts, nur die Augen schloß er einen Moment, dann las er ruhig nochmal:

„Und heißt Totila!“

„Als ich am Tage nach meiner Ankunft in Neapolis durch das Forum des Neptunus schlenderte und an der Bogenwölbung eines Hauses die Statuen bewunderte, die ein Bildhauer dort zum Kaufe ausgestellt, stürzt urplötzlich aus der Tür auf mich los ein grauköpfiger Mann mit einer wollnen Schürze, über und über mit Gips bestäubt, in der Hand ein spitzes Gerät: er packte mich an der Schulter und schrie: „Pollux, mein Pollux, hab' ich dich endlich!“

Ich dachte der Alte sei verrückt und sagte: „Du irrst, guter Mann: ich heiße Julius und komme von Athen.“

„Nein,“ schrie der Alte, „Pollux heißt du und kommst vom Olymp.“ Und eh' ich wußte, wie mir geschah, hatte er mich zur Tür hineingedreht. Da erkannte ich denn allmählich, waran ich mit dem Alten war: er war der Bildhauer, der die Statuen ausgestellt.

In seiner Werkhalle standen andre halbvollendete umher und er erklärte mir, seit Jahren trage er sich mit der Idee einer Dioskurengruppe. Für den Kastor habe er vor kurzem ein köstlich Modell in einem jungen Goten gefunden. „Aber umsonst erflehte ich“ – fuhr er fort – „all diese Tage vom Himmel einen Gedanken für meinen Pollux. Er soll dem Kastor gleichen, ein Bruder Helenas, ein Sohn des Zeus wie er, volle Ähnlichkeit in Zügen und Gestalt muß da sein. Und doch muß die Verschiedenheit so deutlich sein wie die Gleichheit: sie müssen zusammengehören und doch jeder ganz eigenartig sein. Umsonst lief ich alle Bäder und Gymnasien Neapolis' ab: ich fand den Ledazwilling nicht. Da hat dich ein Gott, Zeus selber hat dich mir ans eigne Fenster geführt: wie ein Blitz schlug's in mich ein, da steht mein Pollux, wie er sein muß: und nicht lebendig laß ich dich aus dieser Halle, bis du mir deinen Kopf und deinen Leib versprochen.“

Gern sagte ich dem närrischen Alten zu, andern Tages wiederzukommen. Und das erfüllt ich um so lieber als ich erfuhr, daß mein gewalttätiger Freund Xenarchos sei, der größte Bildner in Marmor und Erz, den Italien seit lange gesehn. Am andern Tag kam ich denn wieder und fand meinen Kastor – es war Totila: – und ich kann nicht leugnen, daß mich die große Ähnlichkeit selbst überraschte, wenn auch Totila älter, höher, kräftiger und unvergleichlich schöner ist als ich. Xenarchos sagt, wir seien wie Hellcitrus und Goldcitrus. Denn Totila ist heller an Haar und Haut: und geradeso, schwört der Meister, haben sich die beiden Dioskuren geglichen und nicht geglichen. So lernten wir uns denn unter den Götterbildern Xenarchs kennen und lieben. wir wurden in Wahrheit Kastor und Pollux, innig und unzertrennlich wie sie, und schon ruft uns das heitre Volk von Neapolis bei diesem Namen, wann wir, Arm in Arm geschlungen durch die Straßen gehn.

Unsre junge Freundschaft ward aber noch besonders rasch gereift durch eine drohende Gefahr, die sie leicht in der Blüte geknickt hätte.

Wir waren eines Abends, wie wir pflegten, zur Porta Nolana hinausgewandelt, in den Bädern des Tiberius Kühlung von des Tages Hitze zu suchen. Nach dem Bade hatte ich in einer Laune spielender Zärtlichkeit Du wirst sie schelten – des Freundes weißen Gotenmantel umgeschlagen und seinen Helm mit den Schwanenflügeln aufs Haupt gesetzt. Lächelnd ging er, meine Chlamys umwerfend, aufs den Tausch ein und friedlich plaudernd schritten wir durch den Pinienhain im ersten Dunkel der Nacht nach der Stadt zurück.

Da springt aus dem Taxusgebüsch hinter mir ein Mann auf mich her und ich fühle kaltes Eisen an meinem Halse.

Aber im nächsten Augenblick lag der Mörder zu meinen Füßen, Totilas Schwert in der Brust. Nur leicht verwundet beugte ich mich zu dem Sterbenden nieder und fragte ihn, welcher Grund ihn habe zum Haß, zum Morde gegen mich treiben können.

Er aber starrte mir ins Antlitz und hauchte: „Nicht dich – Totila, den Goten“ – und er zuckte und war tot. Man sah's an Tracht und Waffen – es war ein isaurischer Söldner.“

Cethegus senkte den Brief und drückte die linke Hand vor die Stirn. „Wahnsinn des Zufalls,“ sagte er, „wohin konntest du führen!“

Und er las zu Ende.

„Totila sagte, er habe der Feinde viele am Hofe zu Ravenna. Wir zeigten den Vorfall Uliaris, dem Gotengrafen zu Neapolis, an. Dieser ließ die Leiche durchsuchen und Nachforschungen anstellen – ohne Erfolg. Uns beiden aber hat diese ernste Stunde die junge Freundschaft befestigt und mit Blut geweiht für alle Zeit. Ernster und heiliger hat sie uns verbunden. Das Siegel der Dioskuren, das Du mir zum Abschied geschenkt, war ein freundlich Omen, das sich freundlich erfüllt hat. Und wenn ich mich frage, wem dank' ich all dies Glück? Dir, Dir allein, der mich in diese Stadt Neapolis gesendet, in der ich all mein Glück gefunden. So mögen Dir es alle Götter und Göttinnen vergelten! Ach ich sehe, dieser ganze Brief redet nur von mir und dieser Freundschaft – schreibe doch bald wie es um Dich steht. Vale.“

Ein bitteres Lächeln zuckte um des Präfekten ausdrucksvollen Mund.

Und wieder durchmaß er das Gemach in nur mit Mühe gehaltenen Schritten. Endlich blieb er stehen, das Kinn in die linke Hand stützend. – „Wie kann ich nur so – jugendlich sein, mich zu ärgern. Es ist alles sehr natürlich, wenn auch sehr einfältig. Du bist krank, Julius. Warte: ich will dir ein Rezept schreiben.“ Und mit einem Anflug von grausamer Freude im Ausdruck, setzte er sich auf den Schreiblectus, nahm eine Papyrusrolle aus der Bronzevase, ergriff die gnidische Schilffeder und schrieb mit der roten Tinte aus einem Löwenkopf von Achat, der an dem Lectus angeschraubt war:



„An Julius Montanus Cethegus, der Präfekt

von Rom.



Deine rührende Epistel aus Neapolis hat mir viel Spaß gemacht. Sie zeigt, daß Du in der letzten Kinderkrankheit steckst. Hast Du sie abgetan, wirst Du ein Mann sein.

Die Krisis zu beschleunigen, verschreibe ich Dir das beste Mittel. Du suchst sogleich den Purpurhändler Valerius Procillus, meinen ältesten Gastfreund in Neapolis auf Er ist der reichste Kaufherr des Abendlandes, ein grimmiger Feind der Kaiser von Byzanz, die ihm Vater und Brüder getötet, ein Republikaner wie Cato und schon deshalb mein vertrauter Freund. Seine Tochter Valeria Procilla aber ist die schönste Römerin unsrer Zeit und eine echte Tochter der alten, der heidnischen Welt. Antigone oder Virginia würden sich der Freundin freuen. Sie ist nur drei Jahre jünger und folglich zehnmal reifer als Du. Gleichwohl wird sie Dir der Vater nicht versagen, erklärst Du ihm, daß Cethegus für Dich wirbt. Du aber wirst Dich beim ersten Anblick sterblich in sie verlieben.

Du wirst das: obgleich ich es Dir vorhersage, und obgleich Du weißt, daß ich es wünsche. In ihren Armen wirst Du alle Freunde der Welt vergessen: geht die Sonne auf, erbleicht der Mond. Übrigens, weißt Du, daß Dein Kastor einer der gefährlichsten Römerfeinde ist? Und ich habe einmal einen gewissen Julius gekannt, der geschworen: Rom über alles.

Vale.“



Cethegus rollte den Papyrus zusammen, umschnürte ihn mit den Bändern von rotem Bast, befestigte diese an der Schleife mit Wachs und drückte seinen Amethystring mit dem herrlichen Jupiterkopf auf dasselbe. Dann berührte er einen aus dem Marmorgetäfel hervorschauenden silbernen Adler: draußen an der Wand des Vestibulums schlug ein eherner Donnerkeil auf den Silberschild eines niedergeworfenen Titanen mit glockenhellem Ton.

Der Sklave trat wieder ein.

„Laß den Boten in meinen Thermen baden, gib ihm Speise und Wein, einen Goldsolidus und diesen Brief. Morgen mit Sonnenaufgang geht er damit zurück nach Neapolis.“ – –

Mehrere Wochen darauf finden wir den ernsten Präfekten in einem Kreise, der sehr wenig zu seinem hohen Trachten, ja zu seinem Alter zu passen schien.

In dem seltsamen Nebeneinander von Heidentum und Christentum, das in den ersten Jahrhunderten nach der Konstantiner Bekehrung das Leben und die Sitten der Römerwelt mit grellen Widersprüchen erfüllte, spielte besonders die friedliche Mischung von Festen der alten und der neuen Religion eine auffallende Rolle. Neben den großen Feiertagen des christlichen Kirchenjahres bestanden auch noch größtenteils die fröhlichen Feste der alten Götter fort, wenn auch meist ihrer ursprünglichen Bedeutung, ihres religiösen Kernes beraubt.

Das Volk ließ sich etwa den Glauben an Jupiter und Juno nehmen und die Kultushandlungen und die Opfer, aber nicht die Spiele, die Feste, die Tänze und Schmäuse, die mit jenen Handlungen verbunden waren; und die Kirche war von jeher klug genug, zu dulden, was sie nicht ändern konnte.

So wurden ja sogar die echt heidnischen Lupercalien, mit welchen sich derber Aberglaube und wüster Unfug aller Art verband, erst im Jahre vierhundertsechsundneunzig – und nur mit Mühe – abgeschafft.

Viel länger natürlich behaupteten sich harmlose Feste wie die Floralien, die Palilien und zum Teil haben sich ja manche von ihnen in den Städten und Dörfern Italiens mit veränderter Bedeutung bis auf diese Stunde erhalten. So waren denn die Tage der Floralien gekommen, die, früher auf der ganzen Halbinsel, als ein Fest besonders der fröhlichen Jugend, mit lauten Spielen und Tänzen gefeiert, auch in jenen Tagen noch wenigstens mit Schmaus und Gelage begangen wurden.

Und so hatten sich denn die beiden Lizinier und ihr Kreis von jungen Rittern und Patriziern an dem Hauptfesttag der Floralien zu einem Symposion zusammenbestellt, für welches jeder der Gäste, wie bei unsern „Picknicks“, seinen Beitrag in Speisen oder Wein zu liefern hatte. Die Fröhlichen versammelten sich bei dem jungen Kallistratos, einem liebenswürdigen und reichen Griechen aus Korinth, der sich im Genuß künstlerischer Muße zu Rom niedergelassen und nahe bei den Gärten des Sallust ein geschmackvolles Haus gebaut hatte, das als der Mittelpunkt heitern Lebensgenusses und feiner Bildung. galt. Außer dem reichen Adel Roms verkehrten dort vornehmlich die Künstler und Gelehrten, und dann auch jene Schichten der römischer Jugend, denen über ihren Rossen und Wagen und Hunden wenige Zeit und Gedanken für den Staat übrigblieb und die daher bis jetzt dem Einfluß des Präfekten unzugänglich gewesen waren.

Deshalb war es diesem sehr erwünscht, als ihm der junge Lucius Licinius, jetzt sein glühendster Anhänger, die Einladung des Korinthers überbrachte. „Ich weiß wohl,“ sagte er schüchtern, „wir können deinem Geist nicht ebenbürtige Unterhaltung bieten und wenn dich nicht die alten Kyprier und Falerner locken, die Kallistratos spenden wird, lehnst du ab.“

„Nein, mein Sohn, ich komme,“ sagte Cethegus, „und mich locken nicht die alten Kyprier, sondern die jungen Römer.“ –

Kallistratos, der sein Hellenentum mit Stolz zur Schau trug, hatte sein Haus mitten in Rom in griechischem Stil gebaut. Und zwar nicht in dem des damaligen, sondern des freien, des perikleischen Griechenlands und dies machte im Gegensatz zu der geschmacklosen Überladung jener Tage den Eindruck edler Einfachheit. Durch einen schmalen Gang gelangte man in das Peristil, den offenen, von Säulengängen umschlossenen Hof, dessen Mittelpunkt ein plätschernder Springbrunnen in braunem Marmorbecken bildete. Die nach Norden offne Säulenhalle enthielt außer andern Gelassen auch den Speisesaal, der heute die kleine Gesellschaft versammelt hielt. Cethegus hatte sich vorbehalten, nicht schon zu der „Cöna“, dem eigentlichen Schmause, sondern erst zu der „Commissatio“, dem darauffolgenden nächtlichen Trinkgelag, zu kommen. Und so fand er denn die Freunde in der vornehmen Trinkstube, wo längst schon die zierlichen Bronzelampen an den schildpattgetäfelten Wänden brannten und die Gäste, mit Rosen und Eppich bekränzt, auf den Polstern des hufeisenförmigen Trikliniums lagerten. Eine betäubende Mischung von Weinduft und Blumenduft, von Fackelglanz und Farbenglanz drang ihm an der Schwelle entgegen.

„Salve, Cethege!“ rief der Wirt dem Eintretenden entgegen. „Du findest nur kleine Gesellschaft.“

Cethegus befahl dem Sklaven, der ihm folgte, einem herrlich gewachsenen jungen Mauren, dessen schlanke Glieder durch den Scharlachflor seiner leichten Tunika mehr gezeigt als verhüllt wurden, ihm die Sandalen abzubinden. Er zählte indessen: „Nicht unter den Grazien,“ lächelte er, „nicht über die Musen.“

„Geschwind, wähle den Kranz,“ mahnte Kallistratos, „und nimm deinen Platz da oben auf dem Ehrensitz der mittleren Kline. Wir haben dich im voraus zum Symposiarchen, zum Festkönig gewählt.“

Der Präfekt hatte sich vorgesetzt, diese jungen Leute zu bezaubern. Er wußte, wie gut er das konnte: und er wollte es heute. Er wählte einen Rosenkranz und ergriff das elfenbeinerne Zepter, das ihm ein syrischer Sklave knieend reichte. Das Rosendiadem zurechtrückend schwang er mit Würde den Stab: „So mach' ich eurer Freiheit ein Ende!“

„Ein geborner Herrscher,“ rief Kallistratos, halb im Scherz, halb im Ernst. – „Aber ich will ein sanfter Tyrann sein! mein erst Gesetz: ein Drittel Wasser – zwei Drittel Wein.“ – „Oho,“ rief Lucius Licinius und trank ihm zu, „bene te! Du führst üppig Regiment. Gleiche Mischung ist sonst unser Höchstes.“

„Ja, Freund,“ lächelte Cethegus, sich auf dem Ecksitz der mittleren Kline, dem „Konsulsplatz“, niederlassend, „ich habe meine Trinkstudien unter den Ägyptern gemacht, die trinken nur lautern. He, Mundschenk – wie heißt er?“

„Ganymedes – er ist aus Phrygien. Hübscher Wuchs, eh?“ – „Also, Ganymed, gehorche deinem Jupiter und stelle neben jeden eine Patera Mamertiner Wein – doch neben Balbus zwei, weil er sein Landsmann ist.“ Die jungen Leute lachten.

Balbus war ein reicher Gutsbesitzer auf Sizilien, noch sehr jung und schon sehr dick.

„Pah,“ lachte der Trinker, „Efeu ums Haupt und Amethyst am Finger – so trotz ich den Mächten des Bacchus.“ – „Nun, wo steht ihr im Wein?“ fragte Cethegus, dem jetzt hinter ihm stehenden Mauren winkend, der ihm einen zweiten Kranz von Rosen, diesmal um den Nacken, schlang.

„Settiner Most mit hymettischem Honig war das letzte. Da, versuch!“ so sprach Piso, der schelmische Poet, dessen Epigramme und Anakreontika die Buchhändler nicht rasch genug konnten abschreiben lassen und dessen Finanzen sich doch stets in poetischer Unordnung befanden. Und er reichte dem Präfekten was wir einen „Vexierbecher“ nennen würden, einen bronzenen Schlangenkopf, der, unvorsichtig an den Mund gebracht, einen Strahl Weines heftig in die Kehle schoß. Aber Cethegus kannte das Spiel, behutsam trank er und gab den Becher zurück. „Deine trocknen Witze sind mir lieber, Piso“, lachte er und haschte ihm aus der Brustfalte ein beschriebenes Täfelchen.

„O gib,“ sagte Piso, „es sind keine Verse – sondern – ganz im Gegenteil! – eine Zusammenstellung meiner Schulden für Wein und Pferde.“ –

„Je nun,“ meinte Cethegus, „ich hab' sie an mich genommen – sie sind also mein. Du magst morgen die Quittung bei mir einlösen: aber nicht umsonst – mit einem deiner boshaftesten Epigramme auf meinen frommen Freund Silverius!“ – „O Cethegus,“ rief der Poet erfreut und geschmeichelt, „wie boshaft kann man sein für vierzigtausend Solidi! Wehe dem heiligen Mann Gottes.“

„Und im Schmause – wie weit seid ihr damit?“ fragte Cethegus, „schon bei den Äpfeln? sind es diese?“

Und er sah blinzelnd nach zwei Fruchtkörben von Palmenbast, die hoch aufgehäuft auf einem Bronzetisch mit elfenbeinernen Füßen prangten. „Ha Triumph!“ lachte Marcus Licinius, des Lucius jüngerer Bruder, der sich mit der liebhaberischen Spielplastik der Mode abgab. „Da siehst du meine Kunst, Kallistratos! Der Präfekt nimmt meine Wachsäpfel, die ich dir gestern geschenkt, für echt.“ „Ah wirklich?“ rief Cethegus wie erstaunt, obwohl er den Wachsgeruch längst ungern vermerkt. „Ja, Kunst täuscht die Besten. Bei wem hast du gelernt? Ich möchte dergleichen in meinem kyzikenischen Saal aufstellen.“

„Ich bin Autodidakt,“ sagte Marcus stolz, „und morgen schicke ich dir meine neuen persischen Äpfel: – denn du würdigst die Kunst.“

„Aber das Gelag ist doch zu Ende?“ fragte der Präfekt, den linken Arm auf das Polster der Kline stützend.

„Nein,“ rief der Wirt, „ich will es nur gestehn: da ich auf unsern Festkönig erst zur Trinkstunde rechnen durfte, hab' ich noch einen kleinen Nachschmaus zu den Bechern gerüstet.“ – „O du Frevler,“ rief Balbus, sich mit der zottigen Purpurgausape die fettglänzenden Lippen wischend, „und ich habe so schrecklich viel von deinen Feigenschnepfen gegessen!“ – „Das ist wider die Verabredung!“ rief Marcus Licinius. – „Das verdirbt meine Sitten!“ sagte der fröhliche Piso ernsthaft. – „Sprich, ist das hellenische Einfachheit?“ fragte Lucius Licinius. – „Ruhig, Freunde,“ tröstete Cethegus mit einem Zitat: „Auch unverhofftes Unheil trägt ein Römer stark.“

„Der hellenische Wirt muß sich nach seinen Gästen richten,“ entschuldigte Kallistratos, „ich fürchte, ihr kämt mir nicht wieder, böte ich euch marathonische Kost.“ – „Nun, dann bekenne wenigstens, was noch droht,“ rief Cethegus, „du Nomenklator, lies die Schüsseln ab: ich werde dann die Weine bestimmen, die dazu gehören.“

Der Sklave, ein schöner lydischer Knabe, in einem bis an die Knie aufgeschlitzten Röckchen von blauer pelusischer Leinwand, trat dicht neben Cethegus an den Tisch von Zypressenholz und las von einem Täfelchen ab, das er an goldnem Kettchen um den Hals trug: „Frische Austern aus Britannien in Thunfischbrühe mit Lattich.“ – „Dazu Falerner von Fundi,“ sprach Cethegus ohne Besinnen. „Aber wo steht der Schenktisch mit den Pokalen? Rechter Trunk mundet nur aus rechter Schale.“

„Dort ist der Schenktisch!“ und auf einen Wink des Hausherrn fiel der Vorhang zurück, der die eine Ecke des Zimmers, den Gästen gegenüber, verhüllt hatte.

Ein Ruf des Staunens flog von den Tischen.

Der Reichtum der dort zur Schau gestellten Prunkgeschirre und der Geschmack ihrer Anordnung war selbst diesen verwöhnten Augen überraschend. Auf der Marmorplatte des Tisches stand ein geräumiger silberner Wagen mit goldnen Rädern und ehernem Gespann: es war ein Beutewagen, wie sie in römischen Triumphen aufgeführt zu werden pflegten: und als köstliche Beute lagen darin Pokale, Gläser, Schalen jeder Gestalt und jedes Stoffes in scheinbarer Unordnung, doch mit kunstverständiger Hand, gehäuft.

„Bei Mars dem Sieger,“ lachte der Präfekt, „der erste römische Triumph seit zweihundert Jahren. Ein seltner Anblick! Darf ich ihn zerstören?“ – „Du bist der Mann, ihn wieder aufzurichten,“ sagte Lucius Licinius feurig. – „Meinst du? Versuchen wir's! – Also zum Falerner die Kelche dort von Terebinthenholz.“

„Weindrosseln vom Tagus mit Spargeln von Tarent!“ fuhr der Lydier fort. „Dazu den roten Massiker von Sinuessa aus jenen amethystnen Kelchen.“

„Junge Schildkröten von Trapezunt mit Flamingozungen –“

„Halt an, beim heiligen Bacchus,“ rief Balbus. „Das sind ja die Qualen des Tantalus. Mir ist ganz gleich, aus was ich trinke, aus Terebinthen oder Amethyst – aber dies Aufzählen von Götterbissen mit trocknem Gaumen halt' ich nicht mehr aus. Nieder mit Cethegus dem Tyrannen, er sterbe, wenn er uns hungern läßt.“ – „Mir ist, ich wäre Imperator und hörte das getreue Volk von Rom. Ich rette mein Leben und gebe nach. Tragt auf, ihr Sklaven.“ Da tönten Flöten aus dem Vorgemach und im Takte der Musik schritten sechs Sklaven, Efeu um die glänzend gesalbten Locken, in roten Mänteln und weißen Tuniken heran. Sie reichten den Gästen frische Handtücher von feinstem sidonischen Linnen mit weichen Purpurfransen.

„Oh,“ rief Massurius, ein junger Kaufmann, der vornehmlich mit schönen Sklaven und Sklavinnen handelte und in dem zweideutigen Ruhme stand, der feinste Kenner solcher Ware zu sein, „das weichste Handtuch ist ein schönes Haar“ – und er fuhr dem eben neben ihm knieenden Ganymed durch die Locken. „Aber, Kallistratos, jene Flöten sind hoffentlich weiblichen Geschlechts – auf mit dem Vorhang – laß die Mädchen ein.“

„Noch nicht,“ befahl Cethegus. „Erst trinken, dann küssen. Ohne Bacchus und Ceres, du weißt –“

„Friert Venus, nicht Massurius.“

Da erscholl aus dem Seitengemach der Klang von Lyra und Kithara, und ein trat ein Zug von acht Jünglingen in goldgrün schillernden Seidengewändern, vorauf der „Anrichter“ und der „Zerleger“: die sechs andern trugen Schüsseln auf dem Haupt: sie zogen im Taktschritt an den Gästen vorüber und machten vor dem Anrichttisch von Citrus Halt. Während sie hier beschäftigt waren, erklangen vom Mittelgrunde her Kastagnetten und Zymbeln, die großen Doppeltüren drehten sich um ihre erzschimmernden Säulenpfosten und ein Schwarm von Sklaven in der schönen Tracht korinthischer Epheben strömte herein. Die einen reichten Brot in zierlich durchbrochenen Bronzekörben: andre verscheuchten die Mücken mit breiten Fächern von Straußenfedern und Palmblättern: einige gossen Öl in die Wandlampen aus doppelhenkeligen Krügen mit anmutvollen Bewegung, indes etliche mit zierlichen Besen von ägyptischem Schilf von dem Mosaikboden die Brosamen fegten und die übrigen Ganymed die Becher füllen halfen, die jetzt schon eifrig kreisten.

Damit stieg denn die Raschheit, die Wärme des Gesprächs und Cethegus, der, wie überlegen nüchtern blieb, völlig im Moment versunken schien, bezauberte durch seine Jugendlichkeit die Jünglinge.

„Wie ist's,“ fragte der Hausherr, „wollen wir würfeln zwischen den Schüsseln? Dort neben Piso steht der Würfelbecher.“ – „Nun, Massurius,“ meinte Cethegus mit einem spöttischen Blick auf den Sklavenhändler, „willst du wieder einmal dein Glück wider mich versuchen? Willst du wetten gegen mich? Gib ihm den Becher, Syphax!“ winkte er dem Mauren.

„Merkur soll mich bewahren!“ antwortete Massurius in komischem Schreck. „Laßt euch nicht ein mit dem Präfekten – er hat das Glück seines Ahnherrn Julius Cäsar geerbt.“

„Omen accipio!“ lachte Cethegus, „das nehm' ich an, mitsamt dem Dolch des Brutus.“

„Ich sag' euch, er ist ein Zauberer! Erst jüngst hat er eine ungewinnbare Wette gegen mich gewonnen an diesem braunen Dämon –“ Und er wollte dem Sklaven eine Feige ins Gesicht werfen: aber dieser fing sie behende mit den glänzend weißen Zähnen und verzehrte sie mit ruhigem Behagen.

„Gut, Syphax,“ lobte Cethegus, „Rosen aus den Dornen der Feinde! Du kannst ein Gaukler werden, sobald ich dich freilasse.“

„Syphax will nicht frei sein, er will dein Syphax sein und dein Leben retten wie du seins.“

„Was ist das – dein Leben?“ fragte Lucius Licinius mit erschrockenem Blick. – „Hast du ihn begnadigt?“ sagte Marcus.

„Mehr, ich hab' ihn losgekauft.“

„Ja, mit meinem Gelde!“ brummte Massurius.

„Du weißt, ich hab' ihm dein verwettet Geld sofort als Peculium geschenkt.“

„Was ist das mit der Wette? erzähle, vielleicht ein Stoff für meine Epigramme,“ fragte Piso.

„Laßt den Mauren selbst erzählen – sprich, Syphax, du darfst.“

Ohne Zögern trat der junge Sklave in das von den Tischen gebildete Hufeisen, den Rücken zur Türe gewandt. sein funkelndes Auge überflog rasch die Versammlung und haftete dann mit Glut auf seinem Herrn: alle bewunderten die jugendliche Kraft und Schönheit der schlanken Glieder, deren tiefes Braun nur um die Hüften ein kostbarer Schurz von Scharlach verhüllte.

„Leicht ist erzählt, was schwere Schmerzen barg. Ich bin daheim im Lieblingsland der Sonne; wo hundert Palmen die immer grüne Oase beschatten, außer uns nur dem Löwen bekannt und dem fleckigen Panther. Aber in einer götterverlassenen Nacht, da fand der Feind unser altes Versteck. Vandalische Reiter waren's und keine Rettung. Rot und schwarz stieg der Rauch unsrer Zelte durch die Zedernwipfel hinan, kreischend flohen Weiber und Kinder. Da traf mich ein sausender Speer.

Ich erwachte gebunden im Sklavenraum eines Griechenschiffs, das uns gekauft, mich und viele Männer und Weiber meines Stammes: ich hatte nichts gerettet als meinen Gott, den weißen Schlangenkönig, ich trug ihn im Gürtel geborgen. Sie brachten uns nach Rom, da kaufte mich einer, dessen Namen verflucht sei.“

„'s ist unser Freund Calpurnius,“ unterbrach Cethegus.

„Und kein Stern soll ihm leuchten auf nächtlicher Fahrt, er soll verdursten im heißen Sand,“ knirschte der Maure mit aufloderndem Haß. „Er schlug mich oft um nichts und ließ mich hungern. Ich schwieg und betete zu meinem Gott um Rache. Er zürnte, daß ich so ruhig seine Wut ertrug.

Er wußte nicht, daß Syphax seinen Gott bei sich trug in Gestalt einer Schlange. Da trat er eines Morgens an mein Lager und fand sie um meinen Hals geringelt. Er erschrak: ich sagte ihm seine Zähne seien nicht tödlich, aber seine Rache. Da ergrimmte er, schlug nach mir und sagte: „Töte den Wurm!“ Umsonst flehte ich und wand mich auf den Knieen vor ihm. Er schlug mich und schlug nach dem Gott: und als ich den deckte mit meinem Leibe, schrie er noch wilder: „Töte das Tier.“ Wie konnt' ich gehorchen! Da rief er seine Sklaven und befahl: „Nehmt ihm die Bestie und kocht sie lebendig. Er soll seinen Gott fressen!“ Ich erschrak zum Tode über diesen Frevel. Und sie griffen mich und haschten nach der Schlange. Aber der Gott gab mir die Kraft der Wut, die da gleich ist der Kraft des pfeilwunden Tigers, und ich sprang unter sie mit gellendem Schrei.

Nieder schlug ich den Verfluchten mit dieser Faust und gewann die Türe des Hauses und sprang hinaus ins Freie und dreißig Sklaven hinter mir drein. Da galt es das Leben.“

Die Gäste lauschten gespannt, selbst Balbus setzte den Becher ab, den er eben zu Munde führte.

„Ich laufe nicht schlecht: oft haben wir, drei Vettern und ich, die windschnelle Antilope müde gejagt. Und die Sklaven waren langsam und schwer.

Aber sie kannten die Stadt und ihre Straßen und ich nicht. So war es ein ungleich Spiel. Die Verfolger teilten sich in Scharen von drei, vier Mann und gewannen mir durch Seitengassen und Durchgänge den Weg ab.

Zum Glück hatte ich im Vorbeirennen an einer Schmiede einen schweren Feuerhaken errafft: zwei, dreimal braucht' ich ihn, die Verfolger zu scheuchen, zu treffen, die mir plötzlich von vorn entgegenkamen. Ich fühlte aber, lange konnte das nicht mehr dauern: wie rasch ich war, wie langsam sie, zuletzt mußte ich doch erliegen.

Da sandte mir der Gott, den ich fest mit der Linken an die Brust drückte, ihn,“ – und sein schönes Auge funkelte, – „meinen Herrn, den gewaltigen, der mächtig ist wie der Löwe von Abaritana und klug wie der Elefant, der da gut ist wie milder Regen nach langer Dürre und herrlich wie –“

„Jetzt erzählst du schlecht, Syphax, ich will vollenden. Ich kam gerade von den Schanzwerken am aurelischen Tor, dem Grabmal Hadrians.“

„Deinem schönen, göttergeschmückten Lieblingsort,“ unterbrach Kallistratos.

„Und bog am Fuße des Kapitols in das Forum Trajans: da stand eine gaffende, schreiende Menge und sah der Menschenjagd neugierig zu: wie ein Pfeil schoß der Maure von dem Forum des Nerva heran, seine Verfolger weit hinter ihm. Aber siehe, dicht neben mir bogen von links fünf, von rechts sieben der Sklaven des Calpurnius auf das Forum ein, bereit, ihn aufzufangen, sowie er auf dem Platz ankam. „Der ist verloren!“ sagte neben mir eine bekannte Stimme, es war Massurius, der aus dem Bade des Augustus trat.

„Wem gehört er?“ fragte ich. „Calpurnius ist unser Herr“, antwortete der Sklave neben mir. „Dann wehe ihm,“ sprach Massurius zu mir, „er hängt seine Strafsklaven bis an den Hals gebunden in seinen Fischweiher und läßt sie lebendig auffressen von seinen Muränen und Hechten.“ – „Ja,“ sagte der Sklave, „Syphax hat ihn niedergeschlagen,“ und der Herr rief im Aufstehen: „zu den Muränen den Hund! wer ihn einbringt, ist frei.“

Ich blickte den Platz hinab auf den Mauren, der jetzt gleich heran war. „Der ist zu gut für die Fische,“ sagte ich, „welch' herrlicher Wuchs! Und sieh, er kömmt durch, ich wette.“

Denn eben hatte der Flüchtling die erste Kette der Sklaven, die sich ihm an der Mündung der Via julia entgegenwarf, durchbrochen und flog jetzt auf uns zu.“

„Und ich wette tausend Solidi, er kömmt nicht durch: sieh' dort die Lanzen,“ sprach Massurius. – „Gerade vor uns standen fünf Sklaven mit Lanzen und Wurfspeeren. „Es gilt!“ rief ich, „tausend Solidi.“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Kampf um Rom