Herculaneum. Pästum.

Somit gewährten die Altertümer von Herculaneum nach verschiedenen Seiten Eindrücke und Aufschlüsse, welche den engen Kreis römischer Anschauungen ganz wesentlich erweiterten. Ein großes Kupferwerk machte diese neue Welt bald weiten Kreisen zugänglich. Eines freilich hatte Herculaneum nicht bieten können, das zusammenhängende Bild einer antiken Stadt. Dazu war die zu Stein verhärtete Aschendecke zu dicht; sie erlaubte nur hie und da ein einzelnes Stück der alten Stadt in der Tiefe zu untersuchen und seine Schätze wie aus einem Bergwerk ans Licht zu fördern.

Über Neapel hinaus hatte Winckelmann noch einen Schritt weiter gen Süden getan, nach Pästum mit seinen alten Tempeln, das erst kurz zuvor entdeckt worden war, so offen es auch vor Aller Augen lag. Hier hatte er sich das erste und einzige Mal in seinem Leben auf griechischem Boden befunden, griechische Architektur geschaut Mit der Klarheit seines Blickes und der Wärme seines Empfindens hatte er die Grundverschiedenheit griechischer und römischer Baukunst alsbald erfasst, und was er hier auf einem Gebiete griechischer Kunst erkannt hatte, das hellte ihm auch andere Seiten derselben Kunst auf. Zum erstenmale hielten die ernsten, einfach großen Gebilde der älteren griechischen Kunst ihren Einzug in den Bereich geschichtlicher Kunstbetrachtung. Wir erkennen in Goethes italienischer Reise, wo er Pästum besucht, den gleichen überwältigenden Eindruck einer Erscheinung wie aus einer anderen, bisher nur geahnten Welt; vollends in Sizilien, das Winckelmann nicht besucht hat, fühlte sich Goethe ganz griechisch, ganz homerisch angeregt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Jahrhundert kunstarchäologischer Entdeckungen