Das vatikanische Museum

Winckelmann, dem früh Geschiedenen, war es nicht vergönnt gewesen einen Blick in das gelobte Land griechischer Kunst, wie es sich hier durch englische Tatkraft aufgetan hatte, zu werfen. Aber sein Ansehen war so überwältigend, dass die nächsten Generationen lieber bei ihm stehen blieben, als dass sie sich die neu gewonnenen Anschauungen zunutze gemacht hätten. Winckelmanns Kunstgeschichte blieb auf lange Zeit der Kanon für die Kenntnis und die Beurteilung der griechischen Kunst, so deutlich das Werk auch seinen Ursprung auf italienischem Boden, seine Beschränkung infolge des benutzten, fast ausschließlich römischen Materials zu erkennen gab. Aber wie viele waren es denn, deren Blick damals weiter reichte? Vollends gewann der römische Geist noch einmal völliges Übergewicht in der Bildung des vatikanischen Museums durch die beiden Päpste Clemens XIV. und Pius VI. Das „pioclementinische“ Museum war eine glänzende Erweiterung des alten belvederischen Statuenhofes. Das beste, was sich in Rom und Umgebung durch Kauf, Schenkung, Ausgrabungen erwerben ließ, sammelte sich in den Prachtsälen, deren Bau mit der Bereicherung des Inhalts gleichen Schritt hielt. 1770 begonnen, erreichte das Museum seinen Abschluss im Jahre 1792, wo der erste Katalog erschien. Der bedeutendste Archäologe Italiens, Ennio Quirino Visconti, besorgte das Prachtwerk, das mit päpstlicher Munifizenz hergestellt ward. Es nahm für die Erklärung der antiken Skulpturen etwa dieselbe Stelle ein, wie Winckelmanns Lebenswerk für die Kunstgeschichte. So schien das vatikanische Museum den glänzenden Abschluss der auf italienische Quellen gegründeten Archäologie bilden zu sollen. Diesen Platz behauptet es bis auf den heutigen Tag; wenn es beim weiteren Publikum vielfach auch jetzt noch als das vornehmste aller Antikenmuseen gilt, so beweist das nur, wie zähe noch immer die Winckelmannsche Tradition im stillen nachwirkt
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Jahrhundert kunstarchäologischer Entdeckungen