Athen und Ionien.

Wichtiger noch ward eine andere Expedition, die um die gleiche Zeit von England ausging um Athen wiederzugewinnen. Athen war während des ganzen Mittelalters fast verschollen gewesen. Der Besuch des Marquis de Nointel, des französischen Botschafters bei der Hohen Pforte, im Jahre 1674, dem wir die fälschlich unter dem Namen Carreys bekannten Zeichnungen danken, und die Reise des Lyoner Arztes Jakob Spon und seines Gefährten George Wheler im Jahre 1676 hatten gerade noch rechtzeitig stattgefunden, um uns manche Kunde aufzubewahren, die sonst mit dem unglückseligen Bombardement der Akropolis durch Morosinis Truppen im Jahre 1687 ganz verloren gegangen wäre. Wieder war Athen ganz in das Dunkel zurückgetreten, bis 1751 der Maler James Stuart und der Architekt Nicholas Revett dorthin kamen um die bisher nie ordentlich erforschten Reste der Baukunst und Skulptur in dreijähriger Arbeit zu vermessen und abzuzeichnen. Damals stand noch manches aufrecht, was seitdem verschwunden ist (z. B. der ionische Tempel am Ilissos, das Monument des Thrasyllos an der Akropolis); anderes war besser erhalten als heute. Stuarts und Revetts athenische Unternehmung war der ergebnisreichste und wichtigste aller bisherigen Entdeckungszüge; sie würde aber ganz anders gewirkt haben, hätte sich nicht die Herausgabe des großen Werkes der Antiquities of Athens so überaus lange hinausgezögert: von den beiden Athen behandelnden Bänden erschien der eine erst 1790, der andere gar erst 1816. Kein Wunder, wenn die Dilettanti, die die Herausgabe unterstützten, ungeduldig wurden und 1764 auf ihre Kosten eine „ionische“ Expedition entsandten, der außer Revett der Gelehrte Richard Chandler und der vortreffliche Zeichner William Pars angehörten. Ihr verdanken wir außer einer athenischen Nachlese die ersten Aufnahmen von Tempelresten an der ionischen Küste Kleinasiens (in Samos, Priene, bei Milet), eine bedeutende Erweiterung unserer Kenntnis der ionischen Baukunst. Auch die dorischen Tempelruinen auf Ägina und auf Kap Sunion traten ans Licht. So ergänzten die Antiquities of Ionia in erwünschtester Weise das ältere Werk, und indem ihre beiden Bände verhältnismäßig rasch erschienen (1769 und 1797), verdunkelten sie fast das Interesse an jenem.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Jahrhundert kunstarchäologischer Entdeckungen