Antiken im mittelalterlichen Rom

In seinen Bauwerken zeigte sich das alte Rom noch immer von seiner großartigen Seite. Aber auch auf dem Gebiete der Plastik stand es nicht ganz so schlimm, wie wir nach Poggios etwas rhetorisch zugespitzten Klagen erwarten sollten. Gab es doch damals drei Orte in Rom, an denen sich antike Bildwerke angesammelt hatten, zum Teil Werke, die nie unter die dichte mittelalterliche Schuttdecke geraten waren.

Auf dem Quirinal standen noch auf ihrer spätantiken Basis die großen Marmorbilder der Dioskuren neben ihren Pferden, die dem Berge den Namen Monte Cavallo gaben. An sie und ihre inschriftlich bezeugten Urheber Phidias und Praxiteles hatte sich mittelalterliches Sagengespinst angesetzt, das auch einen Brunnen und eine von einer großen Schlange umwundene Frauenstatue mit umwob. An die Basis der beiden Kolosse aber war eine Halle angeklebt, mit drei Statuen Konstantins und seiner Söhne geschmückt, die wahrscheinlich aus den benachbarten Thermen Konstantins stammten. Die Halle diente zum Rechtsprechen; hier wie anderswo brachte der Aberglaube Werke der Vorzeit, die man mit einer gewissen unheimlichen Scheu betrachtete, in Verbindung mit Gerichtsgebräuchen. Endlich gehörten auch zwei kolossale liegende Flussgötter, vermutlich Reste vom Schmuck einer großen Brunnenanlage Trajans (heutzutage schmücken sie die Treppe des Kapitolspalastes), zu dem Antikenbestande des Monte Cavallo; zugleich mit den Dioskuren zählten sie zu den Wahrzeichen Roms, deren Andeutung auf den alten Stadtbildern oder Stadtplänen nicht leicht fehlt.


Eine Sammlung ganz anderer Art umgab den päpstlichen Palast am Lateran. Hier stand auf dem weiten, freien Platze jenes eherne Reiterstandbild Marcaurels, in dem bald die Volks sage den Ritter oder den großen Bauer erblickte, der einst vor dem benachbarten Tor einen orientalischen Fürsten durch List gefangen genommen und dadurch Rom gerettet habe, bald deutete man den Reiter auf Konstantin, den Begründer des staatlichen Christentums. Auch dies Bildwerk war im 10. Jahrhundert Zeuge gerichtlicher Vorgänge gewesen; einmal hatte man einen rebellischen Stadtobersten vor dem Pferd aufgehängt, ein andermal die Leiche eines Gegenpapstes daneben hingeworfen. Ebenso erfahren wir, dass ein anderes lateranisches Erzwerk, die berühmte Wölfin, außen an einem Turm des Palastes aufgestellt, im Mittel339 alter eine gewöhnliche Gerichtsstätte bezeichnete; eine alte Abbildung stellt daher die Wölfin umgeben von zwei abgehauenen 39 Händen dar. Der Dornauszieher, der Opferdiener (Camillus), ein Kolossalkopf und eine Weltkugel vervollständigten die lateranische Sammlung von Erzwerken; vermutlich hatten sie alle, ohne unter die Erde zu geraten, die Zerstörungen des Mittelalters überdauert.

Auch das Kapitol besaß schon im Mittelalter seine Antikensammlung. Auf dem Kapitolsplatze, der damals der Stadt als Marktplatz diente, standen die Grabsteine der Gemahlin und eines Sohnes des Germanicus, die, aus dem Mausoleum Augusts hervorgeholt, nunmehr mit ihrer Höhlung als städtische Normalmaße für Korn und Salz dienten. Auf der Treppe zum Kapitolspalast mit seinem großen Gerichtssaale bot die von Michelangelo bewunderte Gruppe des ein Pferd zerreißenden Löwen (heute im oberen Hofe des neuen kapitolinischen Museums aufgestellt) ein Symbol strafender Gerechtigkeit. Hier wurden die Todesurteile verkündet, die meistens auf dem nahen tarpejischen Felsen vollstreckt wurden; Cola di Rienzi fand 1354 seinen Tod unmittelbar an der Löwengruppe. Sarkophagreliefs säumten die große Treppe zur Kirche Araceli. Neben ihrem Seiteneingang stand ein Obelisk; unten am Forum lag der Flussgott, der als Marforio zusammen mit Pasquino später seine Rolle im römischen Volksleben spielen sollte.

So erinnerten diese drei hochgelegenen Plätze an die antike Skulptur. Einzelne Werke gab es auch sonst noch hier und da öffentlich aufgestellt oder in Kirchen geborgen; manche Straßennamen erinnern noch heute an Antiken, denen sie ihren Ursprung verdanken. Aber freilich, was wollte das alles heißen gegenüber der ehemaligen Fülle!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Jahrhundert kunstarchäologischer Entdeckungen