Erste Fortsetzung

Diesem allem habe die Inquisition in Spanien unter Marterung und Verbannung der tätigsten und intelligentesten Bevölkerung, nach deren Wegzug das Land sich niemals wieder erheben können, die Krone aufgesetzt. Und man wundere sich über den durch die Christen selbst heraufbeschworenen Hass des Juden? Trotzdem fehlte es nicht an den erhebendsten Beispielen jüdischer Großmut. Ein Amsterdamer Jude habe seinem Fürsten, dem späteren König Wilhelm, ohne die geringste Sicherheit, zwei Millionen zu seinem Zuge nach England vorgeschossen. Cerfberr's Wohltaten während der Hungersnot von 1765 im Elsass, jener judenverfolgungssüchtigen Provinz, habe Ludwig XVI. ausdrücklich anerkannt. Selbst die Kargheit und kleinliche Gewinnsucht, eine dem Handel sonst gar nicht einwohnende Eigenschaft, zeige der Jude offenbar nur da und deshalb, wo und weil man seiner Spekulationsbedürftigkeit das Großhandelsgebiet verschließt und seinen Handelsgeist auf den Schacher im Kleinen herabdrückt, während die Neigung zum Ackerbau, die er im ehemaligen eigenen Staate gezeigt, durch Entziehung jeglichen Grundbesitzes beim Juden gar nicht aufkommen könne.

Deshalb verlangt der gereifte Staatsmann für die bisher Unterdrückten: Erstens: volle Gleichheit vor dem Gesetz mit den übrigen Staatsangehörigen, unter Übernahme gleicher Pflichten, deren sie auch vollkommen fähig; also Aufhebung aller bisherigen Ausnahmegesetze. Zweitens: Heranziehung der Juden zur Industrie und zum Handwerk, und zwar, wenn die Zünfte ihnen den Eintritt verweigerten, außerhalb derselben aber gleich ihnen, so lange diese vollständig aufzulösen nicht für rätlich gehalten werden sollte. Drittens: Gestattung des Ackerbaues, daher des Grundbesitzes, ohne Beschränkung auf bestimmte Distrikte des Landes; nicht minder viertens: jeder Art von Handel, unter der Verpflichtung, die Handelsbücher in der Landessprache zu führen. Fünftens: die Ausübung jeder Kunst und Wissenschaft, wie sie jedem freien Menschen gebührt, mit dem Recht auf Staatsdienste, sobald sie sich hierzu fähig zeigen, sei es auch nur um das herrschende Vorurteil zu bekämpfen. Sechstens: freien Besuch der christlichen Lehranstalten und Gleichstellung der jüdischen Schulen mit jenen, nebst Aufsichtsführung der obersten Staatsbehörde über die ersteren zur Beseitigung von Vorurteilen in den christlichen Erziehungsanstalten. Freie Religionsausübung und Autonomie (Kirchenpolizei) versteht sich von selbst.


Es war folgerecht, dass Dohm sich schließlich entschieden für Heranziehung der Juden zum Militärdienste aussprach und besonders den zweiten Teil seines Werkes der Bekämpfung von Vorurteilen widmete, welche, wie der Emanzipation überhaupt,so besonders dieser letzteren Forderung aus Missverständnis; der heiligen Schrift, aus der Sabbatfeier und den jüdischen Ritualgesetzen gehegt und vorgebracht wurden. Seine Erörterungen lassen sich in den durch vernünftige Theorien und bewährte Praxis längst festgestellten Grundsatz zusammenfassen, dass die Freiheit ihr Korrektiv in sich selbst trägt. Seinen Aufruf aber begründet er mit dem allgemeinen Winke, dass nur der Druck der Zeiten Verderbnis unter den Juden hervorgebracht, dass es daher der Gerechtigkeit wie der Politik entspreche, diesen Zustand zu ihrem und des Staates Wohl zu verbessern.

Es hat notwendig geschienen, längere Zeit bei diesem glänzenden Werke zu verweilen, weil es nicht nur der Ausgangspunkt in der praktischen Reform dieser Zustände geworden, sondern auch weil bis in die neueste Zeit seine gründlichen Ausführungen der deutschen Gesetzgebungen zur Basis gedient und den Stoff zu parlamentarischen Reden geliefert haben. Hatte auf Dohm wie auf Lessing Mendelssohns und seiner Freunde Erscheinung eingewirkt, zumal des Elstern „Ritualgesetze der Juden", so fand dieser sich veranlasst, zur Brechung der rabbinischen Macht sein „Jerusalem oder religiöse Macht des Judentums" zu schreiben; während der weise Mann mit richtigem Takte den christlichen Forschern die Initiative in Betreff der bürgerlichen Gleichstellung seiner Glaubensgenossen überließ.

Die Dohm'sche Schrift übte sofort ihren Einfluss auf die Gesetzgebung wie auf die Literatur.

Die erste Frucht war unbestritten das im Geiste bereits vorbereitete, durch die Tat erst nachmals entwickelte (1782) sogenannte Toleranzedikt Joseph II. in Österreich, eine bedeutende Besserung für feine Zeit, eine Zwergfrucht von unserm und selbst vom Dohm'schen Standpunkte aus.

Es gestattete den Juden regelmäßig in den Städten und» ausnahmsweise auf dem Lande zu wohnen, Handwerk und Handel im Großen und Kleinen, mit einigen Beschränkungen, zu betreiben; ausgeschlossen ist der städtische Grundbesitz. Die Tolerierten erhielten Schutzbriefe gegen hohe Toleranz- und andere Steuern von Synagogen, Hochzeiten und Beerdigungen, konnten aber Freiherren werden, Dekorationen und Degen tragen! Die Zahl der Heiraten war beschränkt, vom Bürgerrecht oder Eintritt in eine Zunft keine Rede. Die Juden waren berechtigt, Normalschulen zu gründen und— militärpflichtig; wenig Rechte, aber kein Recht, viele Pflichten, darunter eine, welche nur bei vollständiger Gleichstellung übernommen werden darf. Wer sein Leben im Kriege für sein Vaterland opfern soll, muss eben ein solches schon besitzen. Ein Schutzjude aber hat kein Vaterland. Dohms Werk ward verstümmelt. Derselbe Joseph, der seine sonstigen Reformen, vom Zaune brach, Ungarn und die Niederlande durch Verletzung, ihrer Verfassungen zu jenen Aufständen reizte, die den Widerruf feiner Maßregeln veranlassten — konnte es doch nicht über sich gewinnen, eine Gleichberechtigung der Juden auszusprechen, die keine Verletzung einer Verfassung, wohl aber eine Wiederherstellung sittlicher und rechtlicher Ordnung gewesen wäre. Dass der Judenknabe erst mit 14 Jahren Christ werden durfte, war kein Äquivalent für diesen Staatsfehler.

Dagegen rührten sich zwei große Geister in Frankreich, angeregt teils durch die Beschränkungen der Juden im Innern und deren fortdauernde Verfolgung im Elsass (dargestellt in einem dem Staatsrat 1780 übergebenen Memoire zur l’état des juifs en Alsace) teils durch die wissenschaftlichen Regenerationsidern in Deutschland. Zuerst trat der französische Demosthenes, Mirabeau, 1787 mit einer vortrefflichen, zugleich auf Dohm Bezug nehmenden Schrift auf: „Über Moses Mendelssohn, die politische Reform der Juden und den zu ihren Gunsten in England 1753 versuchten Umschwung (Revolution)." Eine Schilderung jenes „modernen Pluto" und seiner Werke, vom „Phädon" bis „Jerusalem" fährt den geistreichen Verfasser auf den Kern des Judentums und die religiösen Vorurteile gegen diese glänzende, weil ewige Wahrheit enthaltende Religion. Mirabeau sondert die mosaischen, von der Zeit gebotenen politischen Vorschriften von den moralischen Pflichten der Bibel, zeigt die Notwendigkeit der Trennung von Staat und Kirche in der Jetztzeit, ohne welche weder der Katholik in protestantischen, noch der Reformierte in katholischen Ländern oder der Muhamedaner unter den Christen bürgerliche Rechte ausüben könnte. Das Lasttier, welches man Jude heißt, könnte doch wohl nicht Liebe zum Christen empfinden, der ihn, wo er ihn nicht verfolgt, mindestens unterdrückt. Das habe die Naturalisationsbill von 1753 (Statut 26. Georg II.) eingesehen und den Juden zum Bürger gemacht: ein Beispiel, das der Nachahmung dringend bedürfe.

An Inhalt schwächer als die Dohm'sche Schrift, bekundet die Darstellung Mirabeaus dennoch bedeutendere philosophische Tiefe. Sie trägt überdies den Stempel des französischen beweglichen Nationalcharakters und musste auf ihn den richtigen Einfluss üben, auf die Individuen wie die Gesetzgebung.