Dritte Fortsetzung

Napoleon I. blieb es vorbehalten, zuerst annähernd die Gleichheit der Kulte herzustellen. Nachdem bereits ein Staatsrat für das Kultwesen ernannt (Arrêté des Konsuls vom 15. Vendemiaire Jahr X., 2. Oktober 1801) und infolge des Konkordats von 1801 vom ersten Konsul das Gesetz über die Organisation des Kultus, besonders auch die organischen Artikel der Protestantischen Kulte vom 18.—28. Germinal Jahr X. (8.—18. April 1802) erlassen worden, war der Zeitpunkt erschienen, auch auf den der Israeliten den Blick zu werfen, sollte anders das einmal angenommene Prinzip der Beaufsichtigung, aber auch Anerkennung der Religion nicht erschüttert werden.

Die nächste tatsächliche Veranlassung hierzu unter dem Kaiserreich war jedoch eine eigentümliche.


Klagen über wucherische Geschäfte der Juden, welche der Kaiser bei seinem Marsche durch das Elsass 1805 vernommen, veranlassten ihn, die Sache dem Staatsrat zu überweisen. Hier waren die Ansichten über die Abhilfe geteilt, überwiegend aber gegen den Vorschlag des Justizministers, allen französischen Israeliten die Hypothekenaufnahme zu verbieten. Napoleon folgte seiner Vorliebe für Radikalkuren, stellte die Behauptung auf, dass das Staatsinteresse, nicht das Zivilrecht maßgebend sein dürfe, weil, wie er ausdrücklich betonte, „die Juden nicht Staatsbürger wären"; ein gewaltiger Irrtum, insofern sie das in Frankreich selbst durch die Verfassungen, die vierte vom 13. Dezember 1799 (Art. 2) eingerechnet, längst geworden; das organische Senatskonsult vom 18. Mai 1804, welches den Kaiser proklamiert, hatte hierin nichts geändert. Selbst die darin vorbehaltenen Ausnahmegesetze erstreckten sich nur auf einzelne Departements, nicht aber auf einzelne Glaubensgenossenschaften, abgesehen davon, dass hier die Motive eines Belagerungszustandes gänzlich fehlten.

Es war daher eine Verletzung der Verfassung, besonders des Privatrechts und der richterlichen Autorität, wenn das Dekret vom 30. Mai 1806 Art. 1 anordnete: dass vom Tage der Bekanntmachung dieses Dekrets an auf Ein Jahr die Exekution aller Urteile oder Verträge, ausgenommen bloß konservatorische Akte, gegen nicht handeltreibende Landbauern in den Departements Saar, Roer, Donnersberg, Ober- und Niederrhein, Rhein und Mosel, Mosel und Vogesen suspendiert sein sollen, wenn diese Ansprüche auf Verbindlichkeiten sich gründen, welche solche Landbauern gegen Juden eingegangen sind.

Napoleon wollte aber auch der Regenerator der Juden und sozusagen ihr nationaler Chef werden. Über die Mittel der Abhilfe bisheriger Übel und die Stellung der Juden zum Staate wollte er sie selbst hören und eine Art von Notabeln aus ihrer Mitte versammeln. Deshalb berief dasselbe Dekret (Art. 2—6) eine Versammlung von 74 Deputierten jüdischen Glaubens auf den 15. Juni nach Paris, gewählt von 14 Departements; mit ihnen sollten drei kaiserliche Kommissare, Molé, Portalis und Pasquier verhandeln.

Inzwischen bemächtigte sich wiederum die Literatur der Situation. Gregoire hatte „neue Bemerkungen über die Juden, und mit besonderer Rücksicht auf die zu Amsterdam und Frankfurt veröffentlicht und nochmals unter Hervorhebung der Kapazitäten, vorhandene Auswüchse durch den Druck der Gegner begründet. Gegen de Bonalds Angriff verteidigten ihre Glaubensgenossen Rodrigues und Michel-Beer. In der „Revue philosophique litéraire et politique“ erörterte Justin-Camoureux die Verhältnisse derselben zu ihren Gunsten und der Moniteur vom 25. Juli 1806 gab in Gregoire'scher Weise eine „Untersuchung des Zustandes der Juden von Mosis bis auf unsere Zeiten" zum Besten.

Unter solchen Auspizien versammelten sich die israelitischen Deputierten und beantworteten zuvörderst 12 vom Kaiser ihnen vorgelegte Fragen dahin, dass die Polygamie seit dem 11. Jahrhundert verboten, die Ehescheidung nach richterlichen Entscheidungsgründen erlaubt, die Ehe mit Christen gestattet sei, die Juden die Franzosen als Brüder und sich gleichberechtigt, Frankreich für ihr Vaterland betrachteten; dass den Rabbinern keine richterliche Gewalt, sondern nur die Ausübung religiöser Funktionen zustehe, und dies nur nach dem Herkommen; alle Gewerbe seien dem Juden erlaubt, das Erlernen eines Handwerks sogar ein Gebot der Pflicht; der Wucher endlich, d. h. unerlaubter Zins, sei auch Christen gegenüber verboten.
Demnächst genehmigte die Versammlung die vom Kaiser angeordnete Berufung eines großen Sanhedrin aus allen Teilen des Reichs, um diese Beschlüsse sanktionieren zu lassen. Dies letztere geschah in den Monaten Februar und März 1807. Und so groß war das Aufsehen, welches diese Erscheinung verursachte, dass es nicht an jüdischen Gemeinden fehlte, in welchen man allen Ernstes, zumal in Deutschland und Italien, Napoleon als den Messias betrachtete! Diese törichten Verehrer des Franzosenkaisers hatten nicht bedacht, dass die erste Forderung an einen Messias die unversehrte Erhaltung seines Verfassungseides sein muss. Denn im Reich des Messias soll nach prophetischem Ausspruche „das Lamm mit dem Wolfe lagern, der Löwe mit Stier und Schaf, geführt von einem Knaben": das ist nichts anderes als die Alleinherrschaft des Gesetzes inmitten des tiefsten Völkerfriedens. Nein, das Kaiserreich war nicht der Frieden, ein Napoleon kein Messias.

Das Dekret vom 30. Mai hatte zwei entgegengesetzte Folgen. Wohltätig wirkte es auf die Organisation, Hebung und Gleichstellung des jüdischen Kultus mit dem der andern Bekenntnisse. Denn die israelitischen Notabeln hatten besonders die Konsistorialverfassung mit kaiserlicher Genehmigung eingerichtet, wie sie mit wenigen Veränderungen in Frankreich noch heute besteht. In jedem Departement mit mindestens 2.000 Einwohnern jüdischen Glaubens sollte der Sitz eines Konsistoriums sein, welches, mit Vorbehalt kaiserlicher Ernennung, die Rabbiner ein- und absetzen und deren nächste Aufsichtsbehörde bilden, während alle Konsistorien untereinander in Verbindung stehen und ein Zentralkonsistorium zu Paris anerkennen sollten. Somit war auch die Anerkennung des Staats, die man lange Zeit hindurch als Grundbedingung der öffentlichen Achtung des sozialen Zusammenlebens, der Nivellierung und Verschmelzung der Konfessionen betrachten konnte, so lange nicht die volle Trennung von Staat und Kirche zu Stande gekommen. Dann nämlich ist nur eine Freigebung, keine Anerkennung durch den Staat nötig.

Dagegen legten die privatrechtlichen Beschränkungen den Keim zu schlimmen Früchten. Am 17. März 1608 wurde die Wucher-Verordnung erneuert; und wenn diese auch im Jahre 1814, erst nach der Restauration, aufgehoben wurden, so hatte sie doch, ohne zu nützen, den Volkshass genährt und vor allem jene Nützlichkeitsperiode eröffnet, die in Deutschland weit schlimmer fortwucherte, als der Zinswucher selbst.

In Frankreich aber war die gesetzliche Gleichstellung in Betreff der Juden zum Dogma geworden. Selbst die Bourbonenkonstitution vom 4. Juni 1814 hatte doch alle Franzosen vor dem Gesetze gleichgestellt und zu allen Zivil- und Militärämtern fähig erklärt (Art. 1. 3); und wenn sie das in Betreff des Kultus nicht getan, indem sie die katholische Religion für Staatsreligion erklärte und nur den Dienern der christlichen Konfessionen Besoldung aus der Staatskasse garantierte (Art. 6. 7.), welche letztere Bestimmung die konstitutionelle Charte vom 7. August 1830 wiederholte (Art. 6): so stellte doch schon das Gesetz vom 8. Februar 1831 auch hierin die Gleichheit her, indem es auch den israelitischen Kultus der Staatskasse überwies. Nicht eine einzige Stimme hatte in den betreffenden Debatten gegen diese Glaubensgenossen sich erhoben, und der Minister Merilhou gab ihnen bei Vorlegung des Gesetzentwurfs das glänzendste Zeugnis, „dass sie in den öffentlichen Ämtern, unter der Fahne, in Wissenschaft und Kunst wie in der Industrie das edelste Dementi den Verleumdungen ihrer Gegner entgegengesetzt hätten." Eine besondere Fassung des Eides im Zivilprozesse (Eid more judaico) wurde infolge einer Verteidigung Cremieux am 31. Dezember 1839 in der Praxis unmöglich gemacht, welche sie noch im Elsass erhalten hatte. Am 29. August 1845 entschied der Staatsrat, dass die Weigerung der Rabbiner, dem Eide moro judico zu assistieren, nicht als Missbrauch (abus) zu betrachten sei. Damit war dieser mittelalterliche Gebrauch des 19. Jahrhunderts erledigt.

Dass die Februarrevolution von 1848, jener Ausdruck der sozialen Einigung, diesen Zustand nur kräftigen konnte, war natürlich. Sie erhob die Israeliten in die ersten Verwaltungsämter. Cremieux ward Mitglied der Regierung, Goudchaux Finanzminister.

Frankreich gehört daher der Ruhm, die Theorie der Emanzipation, deren Wiege in Deutschland gestanden, zuerst zur praktischen Reife gebracht zu haben, die, vom Standpunkte der Humanität ausgehend, in den Worten Gregoirc's gipfelt: „Die ganze Frage läuft nur darauf hinaus, zu wissen, ob die Juden Menschen sind." Wie jener Spartaner, der in den olympischen Spielen einem Greise seinen Sitz gegeben hatte und dem applaudierenden Volke zurief: die Athener wissen was sich schickt, aber wir Spartaner tun es, so können die Franzosen über den Rhein rufen: Die Deutschen wissen was recht ist, wir aber haben es zuerst ausgeführt. Das Staatsbürgertum der Juden darf seinen Blick unverrückt auf das Palais Bourbon richten und, wie Napoleon I. beim Eintritt in den Schlossgarten zu Pillnitz rufen: „Hier bin ich geboren!"

Inzwischen hatten mehrere von der Republik eroberte oder mit, Frankreich verbundene Staaten, besonders Belgien und die Niederlande, die französischen Einrichtungen erhalten und behielten sie nach erlangter Selbständigkeit vollkommen bei. Die belgische Verfassung vom 25. Februar 1831 erkennt die Gleichheit aller Belgier vor dem Gesetze und ihre gleiche Befähigung zu bürgerlichen und militärischen Ämtern an, sowie die Pflicht des Staates, sich nicht in die Ernennung oder Einsetzung der Diener irgend eines Kultus zu mischen (Art. 6. 16.). Dies hindert jedoch durchaus nicht, dass die Staatskasse dem israelitischen Konsistorium jährlich 10.000 Frcs. zu Unterhaltung des Kultus beisteuert (Reglement pour l'organisation de la communauté des Israelites de Belgique vom 1. Januar 1835).

Das Grundgesetz der Niederlande vom 24. August 1815 setzt (Art. 192 — 196) die Gleichheit aller Staatsangehörigen in bürgerlichen und politischen Ämtern, den gleichen Anspruch auf alle Würden und Stellen, den Schutz der Gehälter aller Kultusdiener und der freien Ausübung der Gottesverehrung fest.
Mendelssohn, Moses (1729-1786) deutscher Philosoph der Aufklärung und Wegbereiter der Bildung der Juden

Mendelssohn, Moses (1729-1786) deutscher Philosoph der Aufklärung und Wegbereiter der Bildung der Juden

Lessing, Gotthold Ephraim (1729-1781) bedeutender Dichter der deutschen Aufklärung

Lessing, Gotthold Ephraim (1729-1781) bedeutender Dichter der deutschen Aufklärung

Ludwig Börne 1827

Ludwig Börne 1827

Dohm, Christian Konrad Wilhelm von Dr. (1751-1820) deutscher Jurist, Professor, Diplomat, politischer-historicher Schriftsteller.

Dohm, Christian Konrad Wilhelm von Dr. (1751-1820) deutscher Jurist, Professor, Diplomat, politischer-historicher Schriftsteller.

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