Die Utilitätsperiode.

Kehren wir nun zur literarischen Wiege der Emanzipation, nach Deutschland zurück. Nur äußerst wenig hatte Dohm bewirkt. Nicht einmal der Leibzoll — der den Israeliten zum Vorteil der Finanzkasse zum Tier herabwürdigte — ward überall abgeschafft. Friedrich Wilhelm II. ließ sich zwar dazu herbei (1787). In andern Teilen Deutschlands aber, selbst innerhalb des Rheinbundes, ward diese schimpfliche Auflage erst durch Androhung mit Repressivmaßregeln des Königreichs Westphalen — wo sofort die bürgerliche Gleichstellung der Juden ausgesprochen ward (Dekret vom 27. Januar 1808) wie später in Hamburg und Lübeck gegen alle Staatsangehörigen der betreffenden Länder, und auch dann nur nach und nach aufgehoben, wie im Königreich Sachsen.

Die Emanzipationsliteratur hatte wenig Fortgang. Die Verfasser waren meist Juden, dieselben welche die innere, Synagogen und Schulreform, bewerkstelligten, an der Spitze der Konsistorial-Präsident Jacobsohn zu Kassel, demnächst Peter Beer und Jeiteles zu Prag, Salomon und Fränkel in Dessau. Einen Kampf mit Gegnern gab es noch nicht, aber auch keine durchgreifende Besserung im Sinne des Rechts. Die Rheinbundstaaten ahmten nur zum Teil ihrem Protektor nach und ließen den Juden gerade soviel Freiheit, als der Vorteil des Staates nach dem damaligen einseitigen Gesichtspunkte zu heischen schien, oder die neuen Verfassungen notwendig machten, wenn sie nicht in ihren Hauptgrundsätzen Widersprüche oder gar Lächerlichkeiten enthalten sollten. Das 6. Konstitutionsedikt des Großherzogtums Baden erklärte alle Juden für Schutzbürger des Ortes, welchen sie bisher bewohnt und als Ortsbürger durch Ergreifung jedes mit dem der Christen gleichförmigen Gewerbezweiges, ferner im Edikt vom 13. Januar 1809 und 4. Mai 1812 für einen konstitutionsmäßig aufgenommenen Religionsteil. Verboten war ihnen jedoch regelmäßig die Veränderung des Wohnortes, der Nothandel (Trödel), mit Ausnahme der Israeliten, welche sich bisher dadurch ernährt hatten; sowie die völlige Gleichstellung von ihrem Bestreben abhängen sollte, dem Staate zu nützen — eine halb metaphysische gänzlich unpraktische Utilitätsklausel, welche nur die Unbekanntschaft mit dem System der Volkswirtschaft bekundet.


Das Königreich Württemberg, die anhalt'schen und sächsischen Herzogtümer folgten, indem sie den Juden Handwerke und Künste zu betreiben erlaubten und das Ortsbürgerrecht damit verbanden. Stiftungen der Juden mit reichen Fonds zur Erlernung solcher Gewerbe waren die unmittelbaren Folgen.

Ähnlich gestalteten sich die Verhältnisse in Bayern durch das Edikt vom 10. Juni 1813.
Endlich erteilte der Fürst Primas den Frankfurter Juden unter Ablösung ihrer früheren besonderen Steuern um 440.000 rhein. Gulden am 28. Dez. 1811 völliges Bürgerrecht.

Am meisten aber raffte sich Preußen auf, als es, nach der Niederlage von Jena auf die Hälfte seines Gebietes reduziert, an die großen inneren Reformen ging, die ihm nachher die Weltrolle gegen Napoleon I. ermöglichten. An die Schöpfung der Landwehr, die Städteordnung und der Gewerbefreiheit musste sich notwendig die Verschmelzung der Juden mit dem Staate anschließen, wenn nicht eine Lücke in dieser Einheit entstehen sollte, zumal die Kräfte dieses Volksteils an materiellem und geistigem Kapital, alles dem Minister Hardenberg wohlbewusst war, durchaus nicht gering anzuschlagen waren. Das Edikt vom 11. März 1812 erteilte ihnen gleiche bürgerliche Rechte mit den Christen, Freizügigkeit im Lande, jeden Gewerbebetrieb, ohne Ausnahme, die Erwerbung von Grundstücken mit allen darauf haftenden Realrechten, sowie die Zulassung zu akademischen (Universitäts-) Schul- und Gemeindeämtern; während die zu Staatsämtern „und anderen Bedienungen" künftigen Gesetzen vorbehalten blieb. Dagegen wurden ihnen gleiche Pflichten gegen den Staat, namentlich die Militärpflicht auferlegt, besondere Abgaben aber abgeschafft. Auch fiel das besondere Privatrecht und die Autonomie, ausgenommen in Religionssachen, Bestimmungen über Kultus und Unterricht sollten, unter Zuziehung ihrer eigenen Notabeln vorbehalten bleiben.

Das Edikt zündete wie ein Blitz. Ohnehin auf hoher Stufe der Bildung angelangt, zeigte die israelitische Bevölkerung im Heimatlande Mendelsohns und seiner jüdisch-literarischen Schule einen unerhörten Eifer für das neugewonnene Vaterland. Der Freiheitskrieg von 1813—1815 sah sie für dasselbe Opfer bringen an Gut und Blut. Ja, auch in den von Frankreich eroberten Teilen Deutschlands, kämpften sie an der Seite deutscher Brüder gegen die, welche ihnen doch Vorteile im Staate zuerst geboten. Der Jude war überall Deutscher geworden, und die Freiheit seines Landes stand ihm höher als die Freiheit seines Gewerbes. Das zeigt noch heute die Gedenktafel in der Marienkirche zu Lübeck für die Juden, welche dort im Kampfe gegen die Franzosen ihr Leben geopfert. Gewiss, das war ihre Pflicht — aber der Pflicht entspricht das Recht. Und dieses Recht ward ihnen schmählich entzogen. Schmählich mäkelte man zuerst und in Gesetzen, sodann in dünnen und dickleibigen literarischen Abhandlungen, selbst an dem was ihnen gewährt worden. Von Neuem ein solches Recht einzuräumen, davon war keine Rede. Die Freiheit ward verhüllt; die Judenemanzipation erschien neben dem Gespenst der Demagogie; ein missverstandenes Zweckmäßigkeitsprinzip in Verbindung mit einem sogenannten christlichen, d. h. Polizeistaat behielt die Oberhand!

Alles erwartete man zuerst von der deutschen Bundesakte, der Verfassungsurkunde Deutschlands.

Auch schienen die ersten Regungen der deutschen Konferenzen auf dem Wiener Kongress diesen Hoffnungen nicht abhold. Besonders waren die Ansichten der Bevollmächtigten Preußens und Österreichs, wie der deutschen strafferen Einigung, so auch der Gleichstellung aller Bekenntnisse im Staate so zugewandt, dass sie energische Vorstellungen an die entschiedensten Gegner des jüdischen Bürgertums, die Magistrate der vier freien Städte nicht sparten. Hardenberg machte dem Hamburger Senat am 4. Januar 1815 durch den preußischen Gesandten bemerklich, „dass die Schicksale der Juden in den übrigen Provinzen und Städten des nördlichen Deutschlands seit dem Preußischen Edikt von 1812 dem preußischen Staate nicht gleichgültig sein könnten, weil durch eine fortdauernde Bedrückung und gehässige Ausschließung von den Rechten, auf welche sie als Menschen einen Anspruch hätten, der ihnen zum Vorwurf gemachte Zustand der Immoralität verlängert und die Absicht der diesseitigen Regierung vereitelt werde, durch Teilnahme an allen bürgerlichen Rechten und Lasten die Spuren eines Vorwurfs zu verlöschen, der nur aus einer drückenden, verächtlichen und knechtischen Behandlung hervorgegangen sei. Auch die Geschichte des letzten Krieges habe bewiesen, dass sie des Staates, der sie in seinen Schoß aufgenommen, durch treue Anhänglichkeit würdig geworden. Die jungen Männer jüdischen Glaubens seien die Waffengefährten ihrer christlichen Mitbürger gewesen und hätten Beispiele des Heldenmutes und der rühmlichsten Verachtung der Kriegsgefahren aufzuweisen, sowie die übrigen jüdischen Einwohner, namentlich die Frauen, in Aufopferung jeder Art den Christen sich angeschlossen. „Außerdem verlange schon das Handelsinteresse der freien Städte eine mildere Behandlung ihrer jüdischen Einwohner, da man ihnen doch nicht mit einem Schlage ihren Wohlstand entziehen könne und die größeren Häuser durch Bedrückung sich veranlasst finden könnten, ihre Kapitalien anderen Staaten zuzuwenden. Noch am 10. Juni erneuerte der preußische Minister seine Bemühungen bei der Stadt Lübeck und fand sogar für nötig hervorzuheben, dass die Besorgnis, es könnte der Flor jüdischer Handelshäuser den der christlichen unterdrücken, durch Preußens Beispiel verscheucht werde, wo der Flor beider Teile ungeachtet der Gleichstellung sich die Wage gehalten.

Selbst Metternich ließ die drei freien Städte Norddeutschlands aufmerksam machen, dass die Juden berechtigt wären, liberale Grundsätze vom Kongresse zu erwarten und der Druck des Auslandes (des deutschen Auslandes!) auf die jüdischen Familien eine höchst nachteilige Rückwirkung auf Österreich üben müsste. Umsonst, das Spießbürgertum behielt die Oberhand, so dass, als ein Teil der Juden ernstlich Miene machte, Hamburg zu verlassen, die „freie" Stadt ihnen zum Spotte die Tore öffnen ließ!

Den kleinsten Staaten, wozu namentlich auch die Erben des Königreichs Westphalen zählten, gaben die Verfasser der Bundesakte nach. Im Artikel 16 derselben, welcher im Entwurf gelautet hatte:

„Die Bundesversammlung wird in Beratung ziehen, wie auf eine möglichst übereinstimmende Weise die bürgerliche Verbesserung der Bekenner des jüdischen Glaubens in Deutschland zu bewirken sei, und wie insbesondere denselben der Genuss der bürgerlichen Rechte gegen die Übernahme aller Bürgerpflichten in den Bundesstaaten, gesichert werden könne. Jedoch werden den Bekennern dieses Glaubens bis dahin die denselben in den einzelnen Bundesstaaten bereits eingeräumten Rechte erhalten", wurde bei der Schlussredaktion das Wörtchen in in von verwandelt, so dass nunmehr die von der Fremdherrschaft verliehenen Rechte mit einem Schlage in Nichts zerfielen.

Selbst in der freien Stadt Frankfurt a. M., wo die Juden ihre Gleichstellung durch Ablösung früherer Lasten geradezu erkauft hatten, ward dieselbe nach achtjährigem Rechtsstreit von einer Kommission der Bundesversammlung aufgehoben, und ein Gesetz vom 1. September 1824 sprach ihnen jede Teilnahme an der Stadtverwaltung ab, das Bürgerrecht nebst freier Wahl des Gewerbes zwar zu, jedoch unter Verfügung mehrerer Geschäfte und unter der Bedingung, nur ein Grundstück zu besitzen; Vergebens hatte die jüdische Gemeinde sich mit allen rechtlichen Waffen, mit den gediegensten Fakultätsgutachten gegen dieses empörende Beginnen der freien Stadt unter des durchlauchtigen Bundesschützenden Privilegien gewehrt. Die Gewalt behielt Recht; so dekretierte die Bundeskommission unter Vorsitz des sächsischen Gesandten von Carlowitz!

Mitten in diesem Rechtsstreit, teils infolge desselben, teils auf Grund des Art. 16 der Bundesakte tauchte nun die Literatur für und wider die Emanzipation aufs neue und in unerhörter Fülle auf. Aus dieser Flut von Schriften, deren jede Leipziger Ostermesse eine beträchtliche Menge, zum Teil von gänzlich Unbekannten brachte, sind nur wenige zu beleuchten, welche gegen die nacheinander auftretenden Hauptgegner Rühs, Fries, Paulus gerichtet waren. Diese Verfasser gehörten samt und sonders zu denen, welche die Juden achten, aber mehr und minder fürchteten. Ihre Schwäche liegt in zu großem Aufwand von Gelehrsamkeit, zu geringer Kenntnis der augenblicklichen Verhältnisse und in gänzlicher Verkennung des Staatszweckes. Rühs ist der erste, der den Vorwurf eines „Staates im Staate" gegen die Bekenner des mosaischen Glaubens erhebt und die Beweise hierzu aus Spanien im Mittelalter herzu bringt! Fries geht in seiner Diatribe „Über die Gefährdung des Wohlstandes und Charakters der Deutschen durch die Juden", bis zur Behauptung, dass das Unglück des deutschen Reichs zuletzt aus einer „durch Humanität verwilderten Gesetzgebung" hervorgegangen! Es begann nämlich jetzt jene blasierte Epoche, welche die Grundsätze der Menschlichkeit und des Freisinns verlachte und daher auch auf dem Gebiete des Strafrechts die Segnungen eines Beccaria und Filangieri mit kaltem Blute vernichten wollte. Dazu kam das missverstandene Deutschtum. Die Burschenschaft, welche das deutsche Reich noch nicht hatte durchsetzen können, rächte sich dafür am Bekenntnis friedlicher Bürger.
Dohm, Christian Konrad Wilhelm von Dr. (1751-1820) deutscher Jurist, Professor, Diplomat, politischer-historicher Schriftsteller.

Dohm, Christian Konrad Wilhelm von Dr. (1751-1820) deutscher Jurist, Professor, Diplomat, politischer-historicher Schriftsteller.

Hamburgs deutsche Juden 01 Raare englische Bleesticken

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Hamburgs deutsche Juden 02 Boomwollne Mitschen un Strümp

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Hamburgs deutsche Juden 03 Siden Bant un Weefkanten

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