Fünfte Fortsetzung

Den Anträgen der Kammer gemäß erschien hierauf die Verordnung vom 23. Juli 1847, welche weniger als das Edikt von 1812 gewährte, eine besondere Eidesformel nebst Admonition durch einen jüdischen Gelehrten beibehielt und nur den früher geltenden Unterschied zwischen der Glaubwürdigkeit eines christlichen und eines jüdischen Zeugnisses aufhob. Eine unfruchtbare Ernte nach so vieler Arbeit!

Es gehört zu den Zeichen der Zeit, dass kurz nachher in einem anderen Lande, dessen Institutionen, zumal mit Rücksicht auf die kirchlichen Prärogative der Krone weit mehr mit der Kirche verwachsen sind als in Preußen, die Sache des Rechts und der gesunden Vernunft einen bedeutenden Sieg davongetragen hat. England hatte unter Cromwell die verjagten Israeliten, zum Teil wohl durch Manasse Ben Israels „Rettung der Juden" bewogen, wieder aufgenommen und im Jahre 1753 mit bürgerlichen Rechten soweit versehen, dass mindestens nichts ihrem Erwerbe hindernd in den Weg treten konnte. Staatsämter aber blieben ihnen verschlossen, bis durch die Emanzipation der Katholiken die Test- und Korporationsakte, welche nur hochkirchliche Bekenner zugelassen, 1829 aufgehoben wurde. Dagegen musste seitdem auf Antrag des Oberhauses Jeder, der sich um ein Staats- oder Gemeindeamt bewarb, den Eid leisten, sein Amt nicht zum Nachteil der englischen Kirche zu missbrauchen und zwar „auf den wahren Glauben eines Christen".


Robert Grants rühmlichen Anstrengungen gelang es, die Judenemanzipations-Bill 1833 durch das Unterhaus zu bringen; das Oberhaus aber blieb starr. Nachdem nun Baron Lyonel Rothschild ins Unterhaus gewählt worden war, nahm Lord John Russell von Neuem Anlass, eine Bill „zur Aufhebung der auf den israelitischen Untertanen lastenden Beschränkungen" einzubringen und erläuterte seinen Antrag mit folgenden Gründen:

Die Frage sei eine prinzipielle für England, keine politische wie anderwärts. Es sei Gefahr vorhanden für den Charakter und die Würde der Gesetzgebung, wenn die Ansprüche der Mitbürger jüdischen Glaubens nicht befriedigt würden. Es liege nämlich nicht im Wesen der britischen Gesetzgebung, religiöse Freiheit zu fördern oder die Gleichheit aller Untertanen als Grundsatz auszusprechen. So oft sich aber eine Gelegenheit hierzu geboten, habe das Parlament den Rechten seiner Mitbürger Genüge geleistet, konnte dies irgend ohne Gefahr für das Land geschehen. Sir Robert Inglis, der Gegner dieser Maßregel, habe ihm 1830 prophetisch zugerufen, wenn die Juden im Parlament zugelassen würden, so müsste in 10 Jahren eine allgemeine Parlamentsreform vorhanden sein. Und zwei Jahre nachher sei die Reform eingeführt wurden ohne Zulassung der Juden. Jeder Engländer müsse die Würden und Vorteile genießen, welche die Konstitution erteilt. Religiöse Meinungen könnten die Fähigkeiten hierzu nicht rauben. Parlamentsakte und Erklärungen des Oberhauses bestimmten, „dass die Geburt dem Volke Englands die gemeinsamen Privilegien sichern und nur Verbrechen der schlimmsten Art diese Fähigkeit entziehen." Das Recht fordere daher für die im Lande geborenen und je nach ihrem Berufe dem Staate dienenden Juden diese Gleichstellung mit den Christen. Es sei daher überflüssig, von Verdiensten Einzelner unter ihnen, von hervorragenden Talenten oder vom Nutzen zu sprechen, den sie dadurch dem Lande brächten.

Man habe nun Einwürfe gegen das Recht herzugebracht. Zuerst, dass diese Maßregel das Land entchristliche. Aber, wenn auch die Religion auf unser Privatleben Einfluss übe, so versichere man sich doch nicht durch eine Eidesformel des religiösen Pflichtgefühls. „Falkland, Gollis und Vane wichen schroff von einander ab in religiösen Dingen und doch saßen alle drei im Parlament und schwuren alle denselben Eid auf den Glauben eines Christen. Auch Gibbon schwur ihn, er, der das Christentum mehr gehöhnt als irgend ein Jude es gekonnt, und saß doch auf der Ministerbank unter Georg III., während einer Regierung, die mehr als sonst eine dem Rufe „für König und Kirche!" huldigte."

Der Grund der Formel „auf den wahren Glauben eines Christen" sei die Huldigung der Krone gewesen, nicht aber eine religiöse Ausschließung. Dienten nun etwa die englischen Juden einem auswärtigen Herrscher? Ja, habe man geantwortet, die Messiasverkündigung in den Propheten lasse darauf schließen. Aber komme es dem Parlament zu, die Propheten auf besondere Weise zu deuten, dass hierdurch die Grenze zwischen einem Alderman und einem königlichen Beamten, zwischen einem Friedensrichter und einem Parlamentsmitgliede gezogen werde?

Endlich behaupte man, im Volke herrsche gegen die Juden ein Vorurteil. Davon aber sei die letzte Parlamentswahl der Gegenbeweis. Das Volk sei so freisinnig wie die Parlamentsmitglieder und wolle nicht politische Beeinträchtigung infolge eines religiösen Bekenntnisses.

Diese gesunden, nüchternen Ausführungen, welche Gladstone nur bestärkte, behielten die Oberhand über die Angriffe Sir Robert Inglis' und Lord Aschley's (damals des größten Philantropen Englands) und Disraeli setzte der Verhandlung die Krone auf, als er behauptete, nicht bloß vom Gesichtspunkte religiöser Freiheit, sondern auch vom Standpunkte religiöser Wahrheit gebühre dem Antrage die Annahme. Sollte nämlich der Glaube entscheiden, mit welchem Rechte könnte dann eine Anzahl von Christen den Juden Glaubenslehren zum Vorwurf machen, welche sie selbst erst von ihnen angenommen, da sie ja alle an Moses und die Propheten glaubten? In den Kolonien säßen übrigens schon längst in den gesetzgebenden Versammlungen Juden und nicht bloß diese, sondern auch, wie in Ceylon, Buddhisten!

Dennoch ward der Antrag vom Unterhause erst später angenommen; das Oberhaus dagegen sträubte sich bis 1859, wo Lord Lucaus Bill passierte, wonach es den Juden gestattet sein sollte, die bedenkliche Formel auszulassen. Unter diesen Umständen trat Sir Francis Goldsmith ins Unterhaus 1860 ein, nachdem Lyonel v. Rothschild bis dahin sechs Monate lang ohne Eid im Parlament seinen Sitz eingenommen hatte. Nur die spezifisch britischen obersten Staatsämter kommen seitdem ausschließlich der Hochkirche zu. — Die Entscheidung aber kann, wie Russell selbst mit Recht bemerkte, nicht als ein Ereignis im Emanzipationsstreite für die übrige Welt betrachtet werden. Die Mehrheit beider Häuser, davon ist man auch in England überzeugt, betrachtet die Zulassung zum Parlament weniger als Rechtsfrage, denn als Konzession an die Lage der Dinge, welcher eine durchaus praktische Staatsweisheit, wie die englische, stets Rechnung trägt.

Kampf, Widerspruch der Ansichten der geläuterten öffentlichen Meinung mit den der Regierung gab es nur in Deutschland. Ohnehin das Herz des Judentums kraft der inneren Entwicklung dieser Religion und, außer der verbreiteten Intelligenz seiner zahlreichen Israeliten, Pflanzschule und Mittelpunkt der jüdischen Literatur, sah es diese Frage Hand in Hand gehen mit den Forderungen der Presse-, Denk- und Versammlungsfreiheit, der Selbstregierung, der Entfesselung des Gewerbefleißes, des Freihandels. Der Tag, welcher für diese heißersehnten Güter anbrechen sollte, musste auch den Juden „Licht, Wonne und Freude" bringen. Die Emanzipation des deutschen Volks, der Beginn des Rechtsstaates, musste auch die Emanzipation seiner Konfessionen enthalten.