Dritte Fortsetzung

Inzwischen trat Paulus in Heidelberg wiederum gegen die Juden mit jener verrosteten Waffe, der Absonderung, in die Schranken, die, trotz mannigfacher Widerlegung aus der Mitte der Juden, dennoch auf die zweite Kammer in Baden ihre Kraft übte. Diese wollte Napoleons Sanhedrin auffrischen und verlangte die Berufung einer Versammlung von Abgeordneten der badischen Israeliten, um die der Emanzipation entgegenstehenden Hindernisse zu beseitigen. Aber die deutschen Juden von 1831 waren in diesem Vierteljahrhundert mit mehr Selbstgefühl bewaffnet worden. Sie lehnten religiöse Änderungen als Gebot, somit die Versammlung ab und beharrten bei ihrem staatsbürgerlichen Recht, dessen volle Gewährung sie bei den Kammern von 1833 forderten. Die Erste Kammer beschloss Anempfehlung der Petition an die Regierung, nachdem Professor Zell den eklatanten sittlichen und gewerblichen Fortschritt betont (es gab bereits unter 12.000 Juden über 550 Meister, 340 Gesellen, 155 Lehrlinge im Handwerk, 206 selbständige Ackerbauer), ferner Freiherr von Rüdt darauf aufmerksam gemacht, dass das Vorurteil gegen Juden meist an Orten zum Vorschein käme, wo keine Juden wohnten, und der Fürst zu Fürstenberg besonders warm der Unterdrückten sich angenommen hatte.

Die zweite Kammer dagegen ging auf den Antrag ihres Berichterstatters Rotteck zur motivierten Tagesordnung über. Der sonst freisinnige, selbst verfolgte Geschichtsschreiber war in Vorurteilen befangen, verteidigte allen Ernstes die Herrschaft des Staates über die Konfessionen und erwartete viel von der jüdischen Abgeordnetenversammlung; ihm stimmte ein anderer Liberaler, Rindeschwender, bei. Welker, Trefurt, Bader blieben zwar der politischen Fahne treu, der sie sonst überall geschworen, widerlegten den sogenannten christlichen Staat, während Duttlinger vorübergehende Beschränkungen wünschte. Aber Rottecks Wort beherrschte die Kammer, welche hierauf nur die Bewilligung von 1.500 Gulden für den israelitischen Kultus genehmigte, jedoch die Erweiterung bürgerlicher Rechte verwarf.


Die späteren Ständeversammlungen änderten die Sachlage kaum, obgleich die Regierung, besonders der berühmte Minister Winter, überall für das Recht in die Schranken trat, und von ihrer Befugnis, akademische Ämter den Juden zu erteilen, dreimal an der Universität Heidelberg Gebrauch machte. Die zweite Kammer liebte es, an der jüdischen Religion zu mäkeln und später unter dem polizeistaatlichen Ministerium Blittersdorf konnte die Freiheit sicherlich nichts erwarten.

Freisinniger zeigten sich wiederum die Kammern in Württemberg, wo der Bischof von Rottenburg der religiösen Gleichstellung das Wort redete, derselbe Wolfgang Menzel, der in seinen Schriften den Israeliten nicht hold war, 1836 die Fortschritte derselben hervorhob und Schott, ein Stern der deutschen Fortschrittspartei, endlich das Vonsichwerfen unedler Vorurteile durch Aufgeben der gesuchten Beschönigungen verteidigte. Man forderte volle Emanzipation von der Regierung, diese aber ging noch nicht darauf ein, ungeachtet der bürgerlichen Fortschritte der Juden (nahe an 900 Handwerker, Fabrikanten und wissenschaftlich Tätige unter 11.000 Seelen), machte jedoch 1845, bei Erneuerung dieses Antrags seiten beider Kammern, größere Hoffnung hierzu, die sich auch, freilich erst jetzt, vollständig realisiert hat, während der jüdische Kultus schon längst als ein öffentlicher anerkannt und organisiert worden war.

Einen größeren Gegensatz hat es dagegen auf gemeinsamen deutschen Boden kaum gegeben, als die Gesetzgebung Kurhessens und Sachsens auf diesem Gebiete im Jahre 1833. Beide waren fast zu gleicher Zeit, nach heftigen Volksbewegungen, 1831 in den Kreis der Verfassungsstaaten getreten. Aber während das Kurfürstentum seine Aufgabe so schnell begriffen hatte, dass es bereits 1833 gesetzlich alle Staatsangehörigen jüdischen Glaubens den Christen gleichstellte — ein rühmlicher Vorgang, dem das Herzogtum Braunschweig wenige Jahre nachher folgte, nachdem Regierung und Stände, letztere unter ihrem ausgezeichneten Präsidenten, Rechtsanwalt Steinacker, hierin eines Sinnes waren: reifte die Emanzipation im Königreich Sachsen zu jener Zeit nicht weiter als bis zum Antrage der Kammern, die Regierung möge eine Revision der bisherigen einschlagenden Verordnungen vornehmen, ungeachtet einer meisterhaften Verteidigung der Menschenrechte durch Krug, jenen unerschütterlichen Apostel der Gewissensfreiheit, dessen einzige Stimme in der zweiten Kammer, welche unbedingte Gleichstellung im Staate forderte; ungeachtet einer sinnreichen wissenschaftlichen Apologie des ersten protestantischen Prälaten, Amnion, und so manches freundlichen Wortes im Munde des Abgeordneten von Mayer. Dieser, der Berichterstatter in der zweiten Kammer, führte aus dem Talmud die billigsten und humansten Grundsätze an, bekämpfte die Engherzigkeit, Menschen erst veredeln zu wollen, ehe ihnen nur ein anständiger Lebenserwerb gestattet worden, und schloss seine Bemerkungen mit dem Ausrufe Gregoires: „Die große Frage läuft am Ende nur darauf hinaus, zu wissen, ob die Juden Menschen sind!"

Das Kindesalter dieser Verhandlungen und die Unreife der Begriffe der Mehrheit in dieser Frage kennzeichnet die Äußerung eines Deputationsmitgliedes, Richters aus Zwickau: er stelle nur das Prinzip bürgerlicher und religiöser Freiheit für alle Staatseinwohner auf, sonst aber werde er — gegen die Emanzipation stimmen. Sein Echo war die Erörterung eines Bürgermeisters aus Freiberg, Namens Sachße, der die schönsten Theorien aufstellte und zuletzt für den sogenannten langsamen Fortschritt stimmte, für die Brosamen von des Reichen Tisch! Am bedeutendsten noch sprach sich der Vizepräsident Haase aus Leipzig aus: Weder das Christentum, noch der Protestantismus insbesondere stehe der Gleichstellung der Juden entgegen. Der Staat müsse sich außerhalb der Religion stellen. Weder Sabbatsfeier noch Speiseverbote oder die Beschneidung stünden dem Staatszwecke entgegen. „Mag der Jude doch streng den Sabbat feiern, wenn er nur die Sonntagsfeier, wo das Landesgesetz sie vorschreibt, beobachtet. Wenn Schacher und Wucher als Gründe der Unwürdigteit angeführt werden, so eröffne man diesen Glaubensgenossen alle anderen Gewerbe. Man löse die Fesseln, und er wird durch Freiheit der Freiheit würdig werden!" Als spaßhaftes Intermezzo, aber auch zugleich als Denkmal der Unvernunft und der Habsucht der Zünfte erscheint mitten in der Debatte eine Petition der letzteren, welche ein stärkeres Argument für die Emanzipation bilden dürfte, als alle Anstrengungen ihrer Verfechter: „Als einen Beweis — sagte dieses logische Kunstwerk — wie das Dichten und Streben dieser Leute (der Juden) nur darauf gerichtet ist, zu unserem Nachteil reicher zu werden, fuhren wir an, dass der Mendelssohn-Verein zu Dresden (zur Unterstützung jüdischer Handwerker und Künstler) zwei jüdische Lehrlinge bei zwei hiesigen Meistern aufgedungen hat. Die Tendenz des Vereins, hierdurch den Schuh- und Lederhandel an sich zu ziehen, ist hierbei gar nicht zu verkennen. — Der Landtag hat uns verfassungsmäßige Freiheit versprochen, aber die Emanzipation stört unsere Zufriedenheit, unsere Freiheit, unsere Ruhe — —! Damit stimmen auch die anderen Innungen in Dresden überein; also spricht sich keineswegs — die öffentliche Stimme in Sachsen für Gleichstellung aus." — Welcher Lärm um zwei Schusterbuben!

Die einzige sofortige Änderung war die allerdings nach damaligen Begriffen anerkennenswerte Stellung des israelitischen Gottesdienstes und Unterrichts unter das Ministerium des Kultus und — die Aufhebung des Gesetzes, dass die Juden die Bergstadt Freiberg nur in Begleitung von Polizeidienern besuchen dürfen! Denn das stand noch schwarz auf weiß gedruckt, ebenso wie das Verbot der Handwerke, des zünftigen Handels und das Konzessionssystem, d. h. jeder Jude musste noch einen Schutzbrief haben, der ihm seine Nahrungsweise vorschrieb und sicherte. Diese Altertümlichkeiten wurden allerdings in einem an die Ständeversammlung von 1836/37 gebrachten Regierungsentwurf aufgehoben, sonst aber nur die Freiheit in Handwerk und Gewerben gewährt, jedoch mit Ausnahme des Buchhandels, der Apotheken, der Gastwirtschaften, und unter der Beschränkung des Wohnorts auf Dresden und Leipzig als Regel, von welcher der Regierung Ausnahmen zu machen freistehen sollte. So gering aber auch das Maß des Gewährten, so ausführlich war doch die Verhandlung und so traurig-ironisch der Inhalt der Petitionen, welche die Zünfte, die lebenden Sinnbilder des Brotneides, gegen diese Erleichterungen eingereicht hatten. Sie stellten nicht weniger in Aussicht, als dass das Land verarmen würde, wenn die Juden — 800 im Lande — sich ehrlich ernähren könnten.

Wahr ist es, dass es Mitglieder in der Kammer gab, die den Mut hatten, dieses Treiben ins rechte Licht zu stellen; und nicht weniger als Mut gehörte dazu, damals dem Zunftgeiste zu begegnen, in dessen Schlingen selbst ein sonst liberaler Abgeordneter, Eisenstuck, so gefangen war, dass er eines Tages in der Fortsetzung seiner Kammerrede so ziemlich das zurücknahm, was er Tags vorher in deren erster Hälfte für die Juden zum Besten gegeben hatte.

Wer die Verteidigung des Fortschrittes in beiden Kammern mit dem Resultate der Beratung zusammenhielt, der konnte allerdings schon damals eines Lächelns sich nicht erwehren. In der ersten Kammer wies der Referent Ritterstädt darauf hin, dass man zwar den Juden Rechte erteilen müsse, um langsam besser zu werden, aber eben deshalb mit größter Vorsicht, um der Befürchtung, dass sie die Christen überflügeln könnten, vorzubeugen. Nun kam aber auf 2.000 Christen 1 Jude, und um die Christen vor Überflügelung zu sichern, schloss man die Israeliten in Dresden und Leipzig ein. Wem kommt nicht bei dieser kindischen Furcht vor der „Überflügelung" durch den Scharfsinn des Juden das an Propst Teller gerichtete geistreiche Wort Moses Mendelssohns in den Sinn: „Also macht das Wasser dumm".

Dennoch unterstützte den Referenten der Amtshauptmann von Biedermann, der die Flügel wohl etwas erheben wollte, aber scheu vor dem Vorurteil der Ständevertretung wieder sinken ließ. Selbst Ammon gab sich viel mit Menschenliebe ab, zog aber immer nur den Schluss des besonnenen Fortschritts und wollte nur noch die Gewährung des Buchhandels, wegen des Nutzens, den die rabbinische Literatur mit sich führe.

In der zweiten Kammer waren es Thielau und Mayer, die ihren Ruf als unabhängige Männer bewahrten. Jener wies schlagend nach, wie nur die volle Gleichberechtigung die Übel vertilgen könne, die, eine Folge der Unduldsamkeit, den Juden als Schuld aufgebürdet würden. Er appellierte außerdem an die Menschlichkeit, Großmut, Gerechtigkeit der Kammer: ein Standpunkt, den auch Mayer einnahm, indem er an die künftige Erziehung der Kinder erinnerte, die mit der Zeit und ihrer Richtung im Widerspruche stände. Die Mittel dieser Redner, auf die Versammlung zu wirken, waren allerdings die bestgewählten.

Aber trotz alledem ward der Regierungsentwurf noch bedeutend beschränkt; besonders wurden alle bürgerlichen Ehrenrechte, also das aktive wie passive Wahlrecht zu Gemeindeämtern, eine Anzahl von bürgerlichen Gewerben, die Freizügigkeit im Lande und der Besitz von mehr als Einem Grundstück abgesprochen, wogegen die Advokatur zuletzt von der Dispensation der Regierung abhängig gemacht wurde, der man überhaupt eine systematische Aufsicht über die Juden aufbürdete. Auswärtigen handeltreibenden Israeliten ward der Aufenthalt so erschwert, dass sogar ein Konflikt mit den Verträgen des Zollvereins hieraus entstand, ja selbst ein französischer Israelit genötigt war, unter dem Ministerium Thiers diplomatische Hilfe anzurufen.

Und dabei blieb es *) bis zum Jahre 1848 trotz weiterer Anstrengungen der israelitischen Gemeinden zu Dresden und Leipzig. Um so interessanter ist die Deutung, welche jenen die Verhältnisse der Juden hiernach regelnden Gesetze von 1838, das Stadtgericht zu Leipzig, eine der bedeutendsten Rechtsstätten im Lande, an deren Spitze Stadtrichter Winter, damals vielleicht der tüchtigste praktische Jurist Sachsens, gegeben hat. Dieses Gericht erteilte nämlich 1842 einem Juden — dem Verfasser dieser Schrift — den Akzess (Auskultanz in Preußen) und verpflichtete ihn zu den Akten. Damals der erste Fall dieser Art in Deutschland. Wenige Wochen nachher forderte das Justizministerium vom Stadtgericht Rechenschaft hierüber. Die Antwort aber lautete in schlichter Weise, dass die Verfassung jedem Staatsbürger die freie Wahl, seines Gewerbes zugesichert habe, soweit es ihm das Gesetz nicht verbiete. Da nun der Staatsdienst unter den im Jahre 1838 den Juden verbotenen Gewerben nicht enthalten sei, so habe das Gericht jene Akzess-Erteilung unbedenklich gefunden. Hierbei ließ es auch das Justizministerium bewenden — und wie in Sachsen, so auch in anderen deutschen Staaten. — Es war die Windstille vor dem Sturme. Das Missverständnis über den „christlichen Staat" war damals an der Tagesordnung, am meisten in Preußen.

*) Man vergleiche weiteres in meiner (K. Sidori) „Geschichte der Juden in Sachsen".

Hier hatte Friedrich Wilhelm IV. 1840 den Thron bestiegen. Zwei Äußerungen, welche hervorragende Männer gegen den Verfasser dieser Schrift fallen ließen, scheinen genügend diesen Regenten zu bezeichnen. Alexander von Humboldt nannte ihn den Mann des besten Herzens; aber allen Einflüsterungen zugänglich. Bunsen meinte, er sei zu lange Kronprinz gewesen und habe daher zu viel Zeit gehabt, Pläne für die Zukunft zu entwerfen, die sich oft diametral entgegenstünden. In der Tat hatte der König, ohnehin mit einem Zuge zur Romantik begabt, für sein gesamtes Regierungssystem Pläne und Gegenpläne gefasst, die sich auch bald auf dem Gebiete der Judenfrage laut äußerten. Nachdem er noch als Kronprinz und Präsident des Staatsrats einen Gesetzentwurf des Geh. Regierungsrats Streckfuß (welcher später, man weiß nicht weshalb, seine Überzeugung in das Gegenteil verwandelt hat) dadurch verurteilte, dass er auf dem Titel statt 1833—1533 setzte, war er zu Anfang seiner Regierung sehr geneigt, ähnliche Projekte in Ausführung zu bringen. Schon war eine Verordnung fertig, welche den Juden christliche Namen zu führen *) verbot und, wie man sich erzählt, soll der König von deren Ausführung zumeist durch einen, ihm anonym zugegangenen Brief abgehalten worden sein, der mit großer Gründlichkeit darlegte, dass alle Staaten, welche Judenverfolgung geübt, in Verfall gekommen wären.

*) Man vergleiche über diese Zeitverhältnisse u. a. meine Schrift: „Ein Wort über die Rechtsverhältnisse der Juden im preußischen Staate". Das dort gerügte Verbot des Eintritts jüdischer Preußen in das Garbe-Corps wurde hierauf sofort vom König, der dem Verfasser für die Schrift eigenhändig dankte, aufgehoben.