Sechste Fortsetzung

Zum Schluss mögen zwei Winke über die besondere Aufgabe der Juden in der Jetztzeit nich überflüssig erscheinen.

Es liegt in der Mission des Judentums, die Gewissensfreiheit zu schirmen und zu fördern. Darauf weist zunächst das Prinzip des dogmalosen Deismus hin, der Keim jener freien, fast unerhörten Entwicklung im Schoße dieser Religion. Hierzu gesellt sich der große Kampf für Trennung der Kirche vom Staat, den diese Bekenner in allen Staaten seit Jahrhunderten zu bestehen hatten. Denn der Kern aller Schwierigkeiten lag ja und liegt zum Teil noch heute, bei Licht besehen, nur in der Verschiedenheit des Glaubens, welche Beschönigungen auch die Widersacher der Gleichstellung aus politischen Gründen schöpfen mögen. Die israelischen Glaubensgenossen haben daher allgemeine religiöse Freiheit und Gleichheit für andere Konfessionen auf ihr Banner zu schreiben, nachdem sie die ihrige im sicheren Hafen wissen. Die Verträglichkeit mit der christlichen Religion überhaupt ist ohnehin dem Israeliten eine leichte Aufgabe. Mag das Christentum getrost die Fackel Heißen, welche die Zivilisation in alle Welt getragen, bald mit ruhiger Flamme, bald sprühend und sengend. Ihr Licht aber hat die Fackel an dem Diamanten entzündet, dessen Bestimmung es ist, durch alle Zeiten zu leuchten mit dem milden Glanze des reinen Glaubens an ein einziges ewiges Wesen. Diamant und Fackel, mögen sie von nun an freundlich miteinander leuchten!


Mag es nun erklärlich sein, wenn die Israeliten in ihrer großen gebildeten Mehrheit mit den Bekennern des geläuterten Christentums sich enger befreunden, so mögen sie doch niemals vergessen, das jede religiöse Überzeugung, jede Konfession einen Anspruch auf Gewissensfreiheit hat, vor welcher das fromme Kind, das zur Madonna betet, gleichsteht dem Denker, der in dem großen Buche der Natur seine Befriedigung findet.

Wenn in obiger Übersicht der rechtlichen Lage der Juden dem Kirchenstaate kein Wort gegönnt worden, so geschah das weil eine Regierung, die ihren jüdischen Staatsangehörigen das laute Singen und Musizieren verbietet und Steuern auferlegt, um ihnen dafür in ihrem Ghetto von Mönchen Bekehrung predigen zu lassen, in der Reihe zivilisierter Länder keinen Platz finden kann. Aber so gewiss eine politische Wirtschaft, die sich noch darin gefällt, auf die Gefahr hin von allen gebildeten Nationen verurteilt zu werden, ungestraft unmündige Kinder ihren Eltern rauben zu lassen, um sie einer mit Zuckerplätzchen und seidenen Kleidern versüßten und beflitterten Taufe zuzuführen, ihrem jähen Ruin entgegenrennt: so gewiss haben die Israeliten trotzdem das kirchliche Oberhaupt der katholischen Christenheit mit dieser zu achten, wollen sie nicht anders in des Gegners Fehler verfallen, den Staat mit der Kirche zu verwechseln.

Das zweite Wort auf dem Banner der Israeliten heißt Fortschritt. Die Idee ist unermesslich, der Grundsatz einfach: Festes Anschließen an alle freisinnigen Maßnahmen auf dem Gebiete der Staatsverwaltung und der Volkswirtschaft. Der erst Blick auf die Emanzipation der Juden lässt die Wahrheit erkennen, das nur der Durchbruch der reinen wahren öffentlichen Meinung und der gesunden Vernunft ihr zum Siege verholfen hat. Vortreffliche Fürsten konnten es nur spärlich oder systemlos. Ganze Ballen Papier verschlagen die Last der Bittschriften, welche Regierungen und Ständevertretungen ein halbes Jahrhundert lang durchlesen mussten. Und doch war das Resultat meist nichts als eine arme Randglosse.

Dagegen haben die drei großen politischen Akte der Völkerbewegung in der neuesten Geschichte, alle drei von Frankreich ausgehend, die deutlichste Antwort auf unsere Frage erteilt. Eingedenk dessen, bleibe der Jude, was er ehemals im mosaischen Staate werden sollte, was er auch durch seinen fortgesetzten Kampf vor und nach dem Exil geworden ist: Ein Pionier der Freiheit, ein Vorfechter der bürgerlichen Gleichheit und des Volkstümlichen Aufschwungs seines teuren Vaterlandes. Es ist ein bedeutsames Zeichen der Zeit, dass der nunmehr verewigte Herrscher im Reiche der Finanz nicht bloß Testamentsvollstrecker für Könige, sondern auch der populäre väterliche Freund der Pariser Arbeiter war. Also im Frieden wie im Kampfe:

Alles für das Volk,
Alles mit dem Volk,
Alles durch das Volk!