Dritte Fortsetzung

Nächst Deutschland war es Dänemark, welches jener großen Bewegung wie überhaupt auch in dieser besonderen Sphäre, Ausdruck verliehen hat, in dem in sein demokratisches Grundgesetz vom 6. Juni 1849, Art. 84, dem Genuss bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte frei erklärte vom religiösen Bekenntnis, und nur in Betreff der scharf begrenzten evangelischen geistlichen Ämter eine Ausnahme gestattete. Man muss es zur Ehre Dänemarks gestehen, dass es bei den Verhandlungen hierüber keine Parteien gegeben hat.

Das Königreich Italien hat ebenfalls die Gleichstellung der Konfessionen in jeder und aller staatsbürgerlicher Rücksicht zum Verfassungsgrundsatz erhoben. Jeder neue Ländererwerb sah denselben auch sofort verwirklichen. So hat ihn in Neapel der Held von Marsala im Jahre 1860 alsbald nach der Eroberung proklamiert, in Venetien der Herzog von Carignan am 4. August 1866. Schnell ist dieser Grundsatz in dem neuerblühten Staate zur Tat geworden. Schon 1860 ward der Abgeordnete Samson d'Ancona zum Finanzchef in Toscana ernannt, 1867 Herr Artan zum italienischen Gesandten am dänischen Hofe, und Kammermitglieder wie Munizipalräte jüdischen Glaubens gehören seit acht Jahren nicht mehr zu den Seltenheiten. Volk und Regierung stehen somit auch hierin einig zu einander. Auch hier gab und gibt es keine Debatten darüber: fará dea se, hieß es von der Emanzipation wie von der Einheit Italiens.


Anders in der freien Schweiz, wo die bürgerliche und religiöse Freiheit der Juden über die herkömmlichen Vorurteile einzelner Kantone nur teilweise und auch dies nur infolge äußeren Drängens, den Sieg neuerdings zu erringen vermocht hat.

Zwar hat der Bundesbeschluss vom 24. September 1856 der Bundesverfassung die weiteste Ausdehnung betreffs der Gleichstellung gegeben. Doch behielten die Kantone noch ihre ehemaligen Beschränkungen bei, wodurch sich die Niederlande 1867 bekanntlich in die unangenehme Lage versetzt sahen, einen Handelsvertrag mit der Schweiz abzulehnen: die stärkste und klarste Konsequenz des Rechtsstaats von dieser Seite her.

Der jüngst abgeschlossene Handelsvertrag mit Frankreich hat allerdings — jedoch nur im Punkte der Gewerbe und des Handels — diesem Zustande ein Ende gemacht; zum Glück für die Schweiz selbst, weil ohne diesen Handelsvertrag die Revision der Artikel 41 und 48 der Verfassung sicherlich nicht überall durchgesetzt worden wäre. Bei der auf den Antrag der Niederlande (nach dem Beschluss der Generalstaaten) von der Bundesregierung gehaltenen Umfrage ergab sich übrigens, dass die Kantone Uri, Unterwalten, Glarus, Zug, Freiburg, Solothurn, Baselland, Appenzell, Graubünden, Thurgau und Tessin die Freiheit des jüdischen Kultus gesetzlich nicht festgestellt haben. Als Kuriosum tauchte gerade zu jener Zeit die „Schlachtfrage" daneben auf, d. h. das jüdische Schlachten (bekanntlich die geringste Quälerei bei Tötung des Viehes) wurde von einigen christlichen Gemeinde-Vorständen, namentlich in dem wackeren Appenzell und Glarus, in der Tat angefochten und beanstandet, auch erst nach längeren Verhandlungen wieder freigegeben!

Auch Schweden gehört endlich zu den seit 1848 verfassungsreformierenden Staaten, daher auch zu denjenigen, wo der öffentliche Geist die staatsbürgerlichen Konfessionsunterschiede zu vernichten strebte. In Betreff der Juden gelang dies jedoch bisher nur unvollkommen, weil die Landesbischöfe in der ersten Kammer deren Zulassung zu den öffentlichen und Staatsämtern, „um noch einen leisen Druck auf diese Glaubensgenossen zu üben", schlechterdings verworfen. So einigte man sich zuletzt, zumal auf das allgemeine Drängen der Tagespresse, über eine Art Kompromiss, welches zu §. 28 der Verfassung von 1866 den Zusatz beliebte, dass zu allen nicht geistlichen und theologischen Lehr- und Staatsämtern, ausgenommen zu Mitgliedern des Staatsrats, auch Bekenner einer anderen, als der evangelischen Lehre, sowie die mosaischen Religionsgenossen ernannt werden dürfen; nur haben dieselben als Richter oder als Besitzer eines andern Amtes an Beratungen über Religionsfragen, Religionsunterricht oder Beförderungen in den schwedischen Kirchen nicht teilzunehmen.

Schwedens Bruderstaat, Norwegen, blieb dagegen in seiner konfessionellen Starrheit, unberührt von den Regungen der Neuzeit. Es sucht nach wie vor seinen erzevangelischen Charakter durch das Verbot der Niederlassung eines Juden felsenfest zu bewahren. Ja, es scheint das abenteuerliche Gesetz, keinen Juden landen zu lassen, noch jetzt nicht förmlich aufgehoben zu haben, obgleich es sich den Spott der zivilisierten Welt auf dem Theater hierdurch zugezogen hat. Diese höchste Art von Unduldsamkeit stellt das Land der „norwegischen Männer" noch eine Stufe tiefer, als das nächstfolgende, den Sitz des Erzkatholizismus.

Spanien, das einst mit seiner Macht und seinem Reichtum Europa die Spitze bot, stieg rasch von seiner Höhe, seitdem es seine Juden und Mauren teils verbrannte, teils verjagte. Getreu den alten Überlieferungen, duldet es auch heute noch keine Art von jüdischem Kultus. Zwar lässt es seit einigen Jahrzehnten Juden, zumal Bankiers, welche Regierungsanleihen zu machen verstehen, in seiner Mitte weilen, aber begraben — unmöglich! Hoffentlich wird die Revolution, welche sich siegreich nächstens auf den Thron setzen wird, in der künftigen Verfassung das Volk belehren, dass Spaniens alleinseligmachender Staatsgrundsatz die Freiheit aller Bekenntnisse und die Unabhängigkeit des Berufs von der Konfession sein muss. Er allein wird dem schönen Lande wieder die Kraft verleihen, den Bettelstab zu zerbrechen, welchen ihm der fanatische Despotismus in die Hand gedrückt hat.

In Portugal kennt man zwar diesen Grundsatz noch nicht, doch hat sich die Lage der Israeliten seit der Herrschaft Donna Marias oder besser der erleuchteten Coburger gebessert. Schon blüht in Lissabon eine jüdische Gemeinde.

Die Lage der Juden in Russland und Kongresspolen dagegen kann nur als eine schlimme bezeichnet werden. Die Hoffnung des „Nord" vom 3. Januar 1859, dass die Aufhebung der Leibeigenschaft in Russland auch der „jüdischen Sklaverei" ein Ende machen werde, ist nicht bloß unerfüllt geblieben, sondern auch damals sofort von der Zensur gestrichen worden: — ein Fingerzeig für die Zukunft. Das Utilitätssystem in seiner engsten und bedenklichsten Bedeutung — um nicht mehr zu sagen — wird hier in Anwendung gebracht. Die Juden sind die bereichernde Masse des Staatssäckels, und doch hätte wenigstens in der Neuzeit die große Zahl von 1.200.000 dem Herrscher dieses Ungeheuern Reiches die Augen öffnen müssen über die unermesslichen Vorteile, welche die Gleichberechtigung dieser Glaubensgenossen der Volkswirtschaft im wahren Sinne längst notwendig bereitet hätte. Und was wäre denn schon heute Russlands Handel ohne die Juden? Statt dessen sucht man auch hier zu „erziehen" und die Intelligenz zum Maßstab bürgerlicher Rechte zu machen in einem Lande, wo die christliche Masse keinesfalls so hoch steht, als die jüdische. Es bedarf hier keines Seitenblicks auf die Leibeignen; selbst mancher christliche „Kollegienassessor" steht tiefer, als der gewöhnliche jüdische Kaufmann.

In Polen insbesondere, wo die Israeliten allein (nach dem Zeugnis Surowieckis über den Verfall der Städte und der Industrie in Polen) nach den Plünderungen des Landes in den verschiedenen Kriegen Handwerk, Handel und Ackerbau emporgehalten haben, leben sie unter der Herrschaft einer Sammlung von mittelalterlichen Verordnungen und einer Steuerlast, die außer der von jedem Untertan gleichen Gewerbes und Standes zu zahlenden, noch im Jahre 1863 600.000 Rubel Silber jährlich betrug, also mehr als ein Rubel auf den Kopf.

Von einem Selfgovernment der jüdischen Gemeinden ist leine Rede, vielmehr ist die Aufsicht darüber den christlichen Verwaltungsbehörden zugewiesen.

Bekannt ist das Verbot des Kaisers Nicolaus, polnisch jüdische Kleidung zu tragen: eine barbarische Maßregel, die in neuester Zeit ihrer gänzlichen Aufhebung entgegensieht. Jeder öffentliche Dienst ist dergestalt versperrt, dass die Zulassung von Ärzten in Hospitälern nur im Wege der Gnade geschieht.

Nicht einmal das Vorsteheramt in den Zünften ist den Israeliten zugänglich; sowenig wie die Mitwirkung bei Lossprechung ihrer eignen zahlreichen Handwerksgesellen, ja sie besitzen keine Glaubwürdigkeit als Zeugen bei notariellen Akten! „wegen des gegen sie gesetzlich herrschenden Misstrauens!"

In 121 von 453 Städten des früheren Königreichs ist der Erwerb von Grundbesitz an Bedingungen geknüpft. Daneben gibt es eine Flut von Vorschriften; die alle jener längst verurteilten Methode angehören, die Juden zu „bilden".

Milderungen und Beschränkungen dieser Steuern sind in spärlicher Weise seit sechs Jahren eingetreten, von Grundgesetzen aber zur mehreren oder mindern Gleichstellung ist keine Rede.

Kein Wunder daher, wenn gerade die jüdische Bevölkerung, ihre Rabbiner an der Spitze, die letzte polnische Bewegung energisch unterstützt hat.