Die Rechtsperiode.
„Und es ward Licht!" Der Februarrevolution jenseits des Rheins folgte der Märzsturm in Deutschland. Einheit und Parlament war hier die Losung! Das Volk spottete des Glaubensunterschieds und, als hätte es nie einen solchen gegeben, emanzipierte es die Israeliten allüberall. Vergessen waren die zum Überdruss gehörten Kammerreden und die Zunftpetitionen und die „Absonderung" und der „versetzte Sonntag-Sabbat" und die preußischen Ghetti-Corporationen.
Die verketzerte öffentliche Meinung tat Wunder! In denselben Staaten, wo man sich seit 30 Jahren für Tausende von Nöten, die besseren Zwecken hätten dienen können, über die große Frage gestritten, ob hier der Verkauf einer Elle Kattun, dort ein Fass Bier oder ein Buch zu verlegen eines Ungetauften Recht werden könnte, in denselben Staaten, wo noch vor drei Monaten die aktive Wahlfähigkeit eines Juden in die Kammern für ein Hirngespinnst gehalten worden, schrieben Regierungsmandate die Wahlversammlungen fürs deutsche Parlament ohne Unterschied des Glaubens aus; und wehe dem Wahlkommissar oder der Versammlung, die am Erscheinen oder an der Wahl eines Juden Anstoß hatten nehmen wollen!
Ein Gesetz ward weder verlangt noch gegeben. Das Parlament trat zusammen und die Juden saßen im Parlament, welches sogar später einen Juden, Rießer, zum Vizepräsidenten ernannte — drei Jahre nachdem Duttlinger in der zweiten badischen Kammer die Frage aufgeworfen hatte, was die Israeliten Wohl tun würden, wenn Deutschland ein Nationalparlament erhalten sollte! 1849 ward Rießer sogar Reichsjustizminister. Das war die Antwort des deutschen Volks auf die metaphysisch-religiösen, oft genug unpraktischen Ständeverhandlungen.
Aber die Tatsache ward auch bald als Rechtstat festgestellt. Es bedurfte weder einer neuen Literatur noch parlamentarischer Expektorationen. Es galt die Herstellung Eines Vaterlandes, Eines Bürgertums, Einer sozialen Verbindung aller Deutschen; wie konnte ein Teil der Nation im Helotismus verbleiben? Die Grundrechte des deutschen Volks, die man seine Fibel und Bibel nannte, erschienen als Reichsgesetz am 21. Dezember 1848. Sie gingen im Punkte der Gewissensfreiheit und der Gleichheit der religiösen Bekenntnisse einen Schritt weiter als die französischen Menschenrechte von 1789, indem sie keine Staats- oder auch nur annähernd privilegierte Kirche anerkannten. Art. V. dieser Grundrechte bestimmt: Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit und zwar 1) ist Niemand verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren; 2) der Deutsche ist unbeschränkt in der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Übung seiner Religion; 3) Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausübung dieser Freiheit begangen werden, sind nach dem Gesetze zu bestrafen; 4) durch das religiöse Bekenntnis wird der Genuss der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt; 5) den staatsbürgerlichen Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch tun; 6) jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen; 7) keine Religion genießt vor der andern Vorrechte von dem Staat, es besteht fernerhin keine Staatskirche.
Da nun die Grundrechte allein oder in Verbindung mit der Reichsverfassung vom 28. März 1849, in welche sie als siebenter Abschnitt übergegangen, von 29 deutschen Regierungen — wozu jedoch Preußen, Österreich und Bayern nicht gehören — anerkannt worden sind, so ist in allen diesen Staaten die staatsbürgerliche und religiöse Gleichstellung der israelitischen Bekenner dergestalt auf immer zum unverrückbaren Grundsatz erhoben, dass jede nachfolgende Beschränkung desselben eine Verletzung der Verfassung des betreffenden Einzelstaats und zugleich einen Angriff auf die Bundesakte enthält. Es ist nämlich jede Souveränität in Deutschland durch die Bundesakte ausdrücklich gebunden, sowie jede Verfassung dies noch besonders erklärt hat. Die Bundesakte aber, welche auch seit 1848 nirgends in ihrer Gesamtheit aufgehoben worden, auch nicht durch die neu konstituierte Reichsgewalt, soweit dies nicht durch entgegenstehende Gesetze geschehen ist, garantiert alle den Juden von den Einzelstaaten bis zu der Zeit, wo ein vom Bund selbst hierüber künftig zu erlassendes Gesetz erscheinen würde, eingeräumten Rechte. Alle dem entgegenstehenden beschränkenden Gesetze sind daher null und nichtig. Es bedarf nicht erst der Begründung, dass durch die neuesten Verhältnisse seit dem Jahre 1866 jene staatliche Verpflichtung, wie sie bis dahin die Bundesakte auferlegt hatte, deshalb nicht aufgehoben worden ist, weil das entsprechende Recht der Juden vor dem Schwinden der Bundesakte in jedem der 29 Grundrechtsstaaten bereits festgewurzelt war.
Hieran ändert auch nichts die später erfolgte Aufhebung der Grundrechte durch die reaktivierte Bundesversammlung am 23. August 1851 (ganz abgesehen von der Frage über deren Rechtsbeständigkeit), da keine mich rechtmäßig bestehende Bundesversammlung diese Bestimmung des Grundgesetzes anders als durch Stimmeneinhelligkeit im Plenum der Versammlung (Art. 7 der Bundesakte und Art. 13 unter 1. der Wiener Schlussakte) aufheben konnte. Diese Voraussetzungen waren beide bei der Aufhebung durchaus nicht vorhanden. Ja, die Bundesversammlung selbst sanktionierte die Aufhebung nur „insoweit die Grundrechte mit den Bundesgesetzen in Widerspruch stünden," was gleichfalls in Betreff der Gleichstellung der Israeliten nicht der Fall war (hiernach berichtigt sich Zöpfl, Grundsätze des allgemeinen und deutschen Staatsrechts, Th. 2, S. 266).
Es bedurfte daher in den Staaten, wo die Grundrechte veröffentlicht worden waren, weder neuer Gesetze in Betreff der Emanzipation der Israeliten, wie die im Laufe der letzten Jahre in Baden, Württemberg und Frankfurt a. M. erlassenen, noch der besonderen Bestimmung, dass ungeachtet der Aufhebung der Grundrechte, die von diesen den Juden eingeräumten Rechte bis auf weiteres bestehen bleiben, wie in Sachsen zuerst durch das Gesetz vom 12. Mai 1851, später in Württemberg durch Verordnung vom 5. Oktober 1851 geschehen.
Allerdings hatte die sächsische Regierung in der reaktivierten Ständeversammlung nicht bloß den wiederaufglimmenden Hass der Zünfte, sondern selbst den Fanatismus protestantischer Geistlicher, namentlich des Leipziger Superintendenten Großmann zu bekämpfen. Dieser Stifter des Gustav-Adolf-Vereins, der die Kanzel nie ohne den Ruf nach Gewissensfreiheit verließ, der die lautesten Klagen über die kleinste Bedrückung der Akatholiken in Österreich oder darüber ertönen ließ, dass die protestantischen Soldaten vor dem Sanktissimum in München das Gewehr präsentieren mussten, holte vier Jahre nachdem er in einem Leipziger Konzil die Unabhängigkeit der evangelischen Kirche von der Regierung gefordert, die verrostete geradezu lächerlich gewordene Waffe der Schüsselabsonderung und der Sabbatfeier gegen die Juden zum letztenmal aus der alten Rumpelkammer ihrer blinden Feinde hervor. Er forderte allen Ernstes wiederum die Verlegung des Sabbats auf den Sonntag als Bedingung bürgerlicher Gleichstellung, ohne zu bedenken, dass das Christentum selbst einst die Verlegung der Feste lediglich vorgenommen hatte, um sich von dem Judentum zu sondern. Welche barbarische Forderung war es nunmehr, vom alten Bunde das Nachhinken zu verlangen, für ihr ältestes, so hoch poetisches Fest; jenes Sinnbild des die Natur nach ewigen Gesetzen beherrschenden Geistes. So verstand dieser protestantische Prälat seine Gewissensfreiheit.
Glücklicherweise hatten die Juden allenthalben ihre Festigkeit bewahrt und solche Forderungen mit Spott zurückgewiesen. Denn selbst das kleine Häuflein sogenannter Reformer, die in Berlin und wenigen andern preußischen Gemeinden auf einige Tausend Seelen beschränkt blieben, hatte doch bei dieser Sabbatsverlegung feierlich sich dagegen verwahrt, als ob sie damit lediglich ein Lösegeld für bürgerliche Gleichstellung pränummerieren wollten. Aber auch die sächsische Regierung wies solche Anwandlungen entschieden zurück, worauf wohl die damals von der Regierung zu Potsdam insgeheim projektierte Berliner Messe, von der man Wind bekommen hatte, nicht geringen Einfluss geübt haben mochte.
Der Grundsatz der Emanzipation ist seitdem in Sachsen nur einmal im Jahre 1866 durch §. 1.617 des bürgerlichen Gesetzbuches verletzt worden, insofern darin Ehen zwischen Christen und Juden verboten werden. Da nun die Ehe mit ihrer freien Wahl ein bürgerliches Recht ist, welches sonach von den Grundrechten garantiert worden, überdies solche Mischehen nach protestantischem Kirchenrecht niemals verboten, auch in Sachsen in der Praxis geduldet worden waren; so versteht es sich, dass diese gesetzliche Bestimmung null und nichtig ist.
Dasselbe gilt von denjenigen jetzigen oder ehemaligen deutschen Staaten, welche zwar die deutschen Grundrechte nicht durch besonderes Gesetz eingeführt, wohl aber die Gleichstellung aller Staatsangehörigen, ohne Rücksicht auf deren religiöses Bekenntnis; seit 1849 als Verfassungsgrundsatz ausgesprochen, namentlich auch von Preußen (Verfassungsurkunde von 1850, §. 12) und Österreich in Betreff seiner deutschen Bundesländer (Verfassungsurkunde vom 4. März 1849), von Bayern (Art. 5 der Verfassungsurkunde, Gesetz von 1855, Landtagsabschied von 1861, welcher letztere, nach warmer Bekämpfung der Ausnahmegesetze auf dem Landtage, namentlich durch den verstorbenen v. Lerchenfeld und den jetzigen Ministerpräsidenten, Fürsten Hohenlohe, erfolgte). Ferner gilt dies von Luxemburg (Niederlande) seit der Verfassung vom 9. Juli 1848.
So wäre denn schon damals in Deutschland jede gesetzliche Schwierigkeit aus dem Wege geräumt worden, insofern man unter dem Gesetz nicht alles das versteht, was in der Gesetzesammlung gedruckt zu lesen ist, sondern nur das, was wahrhaft zu Recht besteht. Doch wurde leider in den meisten Staaten, wie in andern Dingen, so auch hierin, die Verfassung, das Recht verletzt.
Was Österreich insbesondere betrifft, so haben die Rechtsverhältnisse der Juden hier selbstverständlich von Staatswegen dieselben Wandlungen erfahren müssen, welche das konstitutionelle Leben überhaupt erschütterten. Namentlich wurden zwar die in der Verfassung vom 4. März 1849 gewährleisteten Grundrechte durch das Patent vom 31. Dezember 1851 im Allgemeinen aufgehoben. Diese Aufhebung jedoch verletzte, wie bereits erwähnt, nicht nur in den deutschen Kronländern den Art. 16 der deutschen Bundesakte, sondern auch für das ganze Reich die gesunden Grundsätze des Staatsrechts, welche oktroyierte Verfassungen den paktierten gleichstellen. Wenn daher in den schweren Zeiten der Reaktion die Verordnung vom 2. Oktober 1853 die Grundbesitzfähigkeit der Juden in allen Kronländern nach den vor dem Jahre 1848 bestandenen Einrichtungen provisorisch wieder beschränkte, wenn ferner die Verordnung vom 18. Februar 1860 für Galizien, die Bukowina und Krakau den Erwerb von liegenden Gründen überhaupt von der Absolvierung höherer Schulen oder dem Offizierscharakter abhängig gemacht hat (ein Goluchowsky'sches Meisterstück), so waren und bleiben doch alle diese Derogationen bürgerlicher oder politischer Rechte, nicht minder das Verbot der Ausübung des Patronatsrechts *) null und nichtig, was Ungarn gegenüber einer besonderen Erläuterung nicht einmal bedarf. Das Patent vom 26. Februar 1861 erschien als Lichtblick, ohne jedoch systematisch oder praktisch das seitherige Dunkel völlig verscheucht zu haben.
*) Man vergleiche mein Kirchenpatronatsrecht von 1866, §§. 1b, 16.
Kaum der Erwähnung wert scheint hierbei das Konkordat vom 11. August 1855, ein Vertrag, welcher, da er die Bundesakte, Art. 16, und mehr als Ein österreichisches Grundgesetz, sowohl den Protestanten als den Juden gegenüber auf das Flagranteste verletzte, schon deshalb von Anfang an nichtig war, weil offenbar wenigstens seitens der kaiserlichen Regierung, die obendrein dem Bundestage präsidierte, ein Rechtsirrtum (error juriz etejure) vorwaltete, dergestalt, dass eine besondere Aufhebung des Vertrages nach dieser Seite hin gewiss nicht von Nöten scheint. Endlich musste die Regierung sich aufraffen. Nach der schweren Niederlage, die das Reich betroffen, nachdem unter den Tausenden von Opfern auch 500 Juden auf den Schlachtfeldern geblutet, fühlte sie die Notwendigkeit, nicht bloß die pragmatische Sanktion Ungarns, sondern auch das verletzte Recht aller Staatsangehörigen wiederherzustellen. Dies haben, außer der neuen Verfassung vom 24. Dezember 1867, ins besondere die konfessionellen Gesetze vom 25. Mai 1868 (die allgemeinen Rechte des Staatsbürgers Art. 1, 2, 3 und 14, volle Gleichheit und Freiheit aller Konfessionen in staatsbürgerlichen und religiösen Rechten Art. 15) garantiert. Bereits ist das Recht in die Praxis übergegangen. Österreichs Kronländer kennen Zivilbeamte und höhere Offiziere (mehr als einen Obersten) unter den Juden. Aber auch nach einer andern Seite hin, die der christlichen Judenmission viel zu denken geben konnte, hat diese Gleichstellung bedeutende Folgen gehabt. Es ist nämlich eine gute Anzahl Proselyten zum Judentum zurückgekehrt, darunter Männer von bedeutender Bildung.
Die verketzerte öffentliche Meinung tat Wunder! In denselben Staaten, wo man sich seit 30 Jahren für Tausende von Nöten, die besseren Zwecken hätten dienen können, über die große Frage gestritten, ob hier der Verkauf einer Elle Kattun, dort ein Fass Bier oder ein Buch zu verlegen eines Ungetauften Recht werden könnte, in denselben Staaten, wo noch vor drei Monaten die aktive Wahlfähigkeit eines Juden in die Kammern für ein Hirngespinnst gehalten worden, schrieben Regierungsmandate die Wahlversammlungen fürs deutsche Parlament ohne Unterschied des Glaubens aus; und wehe dem Wahlkommissar oder der Versammlung, die am Erscheinen oder an der Wahl eines Juden Anstoß hatten nehmen wollen!
Ein Gesetz ward weder verlangt noch gegeben. Das Parlament trat zusammen und die Juden saßen im Parlament, welches sogar später einen Juden, Rießer, zum Vizepräsidenten ernannte — drei Jahre nachdem Duttlinger in der zweiten badischen Kammer die Frage aufgeworfen hatte, was die Israeliten Wohl tun würden, wenn Deutschland ein Nationalparlament erhalten sollte! 1849 ward Rießer sogar Reichsjustizminister. Das war die Antwort des deutschen Volks auf die metaphysisch-religiösen, oft genug unpraktischen Ständeverhandlungen.
Aber die Tatsache ward auch bald als Rechtstat festgestellt. Es bedurfte weder einer neuen Literatur noch parlamentarischer Expektorationen. Es galt die Herstellung Eines Vaterlandes, Eines Bürgertums, Einer sozialen Verbindung aller Deutschen; wie konnte ein Teil der Nation im Helotismus verbleiben? Die Grundrechte des deutschen Volks, die man seine Fibel und Bibel nannte, erschienen als Reichsgesetz am 21. Dezember 1848. Sie gingen im Punkte der Gewissensfreiheit und der Gleichheit der religiösen Bekenntnisse einen Schritt weiter als die französischen Menschenrechte von 1789, indem sie keine Staats- oder auch nur annähernd privilegierte Kirche anerkannten. Art. V. dieser Grundrechte bestimmt: Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit und zwar 1) ist Niemand verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren; 2) der Deutsche ist unbeschränkt in der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Übung seiner Religion; 3) Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausübung dieser Freiheit begangen werden, sind nach dem Gesetze zu bestrafen; 4) durch das religiöse Bekenntnis wird der Genuss der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt; 5) den staatsbürgerlichen Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch tun; 6) jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen; 7) keine Religion genießt vor der andern Vorrechte von dem Staat, es besteht fernerhin keine Staatskirche.
Da nun die Grundrechte allein oder in Verbindung mit der Reichsverfassung vom 28. März 1849, in welche sie als siebenter Abschnitt übergegangen, von 29 deutschen Regierungen — wozu jedoch Preußen, Österreich und Bayern nicht gehören — anerkannt worden sind, so ist in allen diesen Staaten die staatsbürgerliche und religiöse Gleichstellung der israelitischen Bekenner dergestalt auf immer zum unverrückbaren Grundsatz erhoben, dass jede nachfolgende Beschränkung desselben eine Verletzung der Verfassung des betreffenden Einzelstaats und zugleich einen Angriff auf die Bundesakte enthält. Es ist nämlich jede Souveränität in Deutschland durch die Bundesakte ausdrücklich gebunden, sowie jede Verfassung dies noch besonders erklärt hat. Die Bundesakte aber, welche auch seit 1848 nirgends in ihrer Gesamtheit aufgehoben worden, auch nicht durch die neu konstituierte Reichsgewalt, soweit dies nicht durch entgegenstehende Gesetze geschehen ist, garantiert alle den Juden von den Einzelstaaten bis zu der Zeit, wo ein vom Bund selbst hierüber künftig zu erlassendes Gesetz erscheinen würde, eingeräumten Rechte. Alle dem entgegenstehenden beschränkenden Gesetze sind daher null und nichtig. Es bedarf nicht erst der Begründung, dass durch die neuesten Verhältnisse seit dem Jahre 1866 jene staatliche Verpflichtung, wie sie bis dahin die Bundesakte auferlegt hatte, deshalb nicht aufgehoben worden ist, weil das entsprechende Recht der Juden vor dem Schwinden der Bundesakte in jedem der 29 Grundrechtsstaaten bereits festgewurzelt war.
Hieran ändert auch nichts die später erfolgte Aufhebung der Grundrechte durch die reaktivierte Bundesversammlung am 23. August 1851 (ganz abgesehen von der Frage über deren Rechtsbeständigkeit), da keine mich rechtmäßig bestehende Bundesversammlung diese Bestimmung des Grundgesetzes anders als durch Stimmeneinhelligkeit im Plenum der Versammlung (Art. 7 der Bundesakte und Art. 13 unter 1. der Wiener Schlussakte) aufheben konnte. Diese Voraussetzungen waren beide bei der Aufhebung durchaus nicht vorhanden. Ja, die Bundesversammlung selbst sanktionierte die Aufhebung nur „insoweit die Grundrechte mit den Bundesgesetzen in Widerspruch stünden," was gleichfalls in Betreff der Gleichstellung der Israeliten nicht der Fall war (hiernach berichtigt sich Zöpfl, Grundsätze des allgemeinen und deutschen Staatsrechts, Th. 2, S. 266).
Es bedurfte daher in den Staaten, wo die Grundrechte veröffentlicht worden waren, weder neuer Gesetze in Betreff der Emanzipation der Israeliten, wie die im Laufe der letzten Jahre in Baden, Württemberg und Frankfurt a. M. erlassenen, noch der besonderen Bestimmung, dass ungeachtet der Aufhebung der Grundrechte, die von diesen den Juden eingeräumten Rechte bis auf weiteres bestehen bleiben, wie in Sachsen zuerst durch das Gesetz vom 12. Mai 1851, später in Württemberg durch Verordnung vom 5. Oktober 1851 geschehen.
Allerdings hatte die sächsische Regierung in der reaktivierten Ständeversammlung nicht bloß den wiederaufglimmenden Hass der Zünfte, sondern selbst den Fanatismus protestantischer Geistlicher, namentlich des Leipziger Superintendenten Großmann zu bekämpfen. Dieser Stifter des Gustav-Adolf-Vereins, der die Kanzel nie ohne den Ruf nach Gewissensfreiheit verließ, der die lautesten Klagen über die kleinste Bedrückung der Akatholiken in Österreich oder darüber ertönen ließ, dass die protestantischen Soldaten vor dem Sanktissimum in München das Gewehr präsentieren mussten, holte vier Jahre nachdem er in einem Leipziger Konzil die Unabhängigkeit der evangelischen Kirche von der Regierung gefordert, die verrostete geradezu lächerlich gewordene Waffe der Schüsselabsonderung und der Sabbatfeier gegen die Juden zum letztenmal aus der alten Rumpelkammer ihrer blinden Feinde hervor. Er forderte allen Ernstes wiederum die Verlegung des Sabbats auf den Sonntag als Bedingung bürgerlicher Gleichstellung, ohne zu bedenken, dass das Christentum selbst einst die Verlegung der Feste lediglich vorgenommen hatte, um sich von dem Judentum zu sondern. Welche barbarische Forderung war es nunmehr, vom alten Bunde das Nachhinken zu verlangen, für ihr ältestes, so hoch poetisches Fest; jenes Sinnbild des die Natur nach ewigen Gesetzen beherrschenden Geistes. So verstand dieser protestantische Prälat seine Gewissensfreiheit.
Glücklicherweise hatten die Juden allenthalben ihre Festigkeit bewahrt und solche Forderungen mit Spott zurückgewiesen. Denn selbst das kleine Häuflein sogenannter Reformer, die in Berlin und wenigen andern preußischen Gemeinden auf einige Tausend Seelen beschränkt blieben, hatte doch bei dieser Sabbatsverlegung feierlich sich dagegen verwahrt, als ob sie damit lediglich ein Lösegeld für bürgerliche Gleichstellung pränummerieren wollten. Aber auch die sächsische Regierung wies solche Anwandlungen entschieden zurück, worauf wohl die damals von der Regierung zu Potsdam insgeheim projektierte Berliner Messe, von der man Wind bekommen hatte, nicht geringen Einfluss geübt haben mochte.
Der Grundsatz der Emanzipation ist seitdem in Sachsen nur einmal im Jahre 1866 durch §. 1.617 des bürgerlichen Gesetzbuches verletzt worden, insofern darin Ehen zwischen Christen und Juden verboten werden. Da nun die Ehe mit ihrer freien Wahl ein bürgerliches Recht ist, welches sonach von den Grundrechten garantiert worden, überdies solche Mischehen nach protestantischem Kirchenrecht niemals verboten, auch in Sachsen in der Praxis geduldet worden waren; so versteht es sich, dass diese gesetzliche Bestimmung null und nichtig ist.
Dasselbe gilt von denjenigen jetzigen oder ehemaligen deutschen Staaten, welche zwar die deutschen Grundrechte nicht durch besonderes Gesetz eingeführt, wohl aber die Gleichstellung aller Staatsangehörigen, ohne Rücksicht auf deren religiöses Bekenntnis; seit 1849 als Verfassungsgrundsatz ausgesprochen, namentlich auch von Preußen (Verfassungsurkunde von 1850, §. 12) und Österreich in Betreff seiner deutschen Bundesländer (Verfassungsurkunde vom 4. März 1849), von Bayern (Art. 5 der Verfassungsurkunde, Gesetz von 1855, Landtagsabschied von 1861, welcher letztere, nach warmer Bekämpfung der Ausnahmegesetze auf dem Landtage, namentlich durch den verstorbenen v. Lerchenfeld und den jetzigen Ministerpräsidenten, Fürsten Hohenlohe, erfolgte). Ferner gilt dies von Luxemburg (Niederlande) seit der Verfassung vom 9. Juli 1848.
So wäre denn schon damals in Deutschland jede gesetzliche Schwierigkeit aus dem Wege geräumt worden, insofern man unter dem Gesetz nicht alles das versteht, was in der Gesetzesammlung gedruckt zu lesen ist, sondern nur das, was wahrhaft zu Recht besteht. Doch wurde leider in den meisten Staaten, wie in andern Dingen, so auch hierin, die Verfassung, das Recht verletzt.
Was Österreich insbesondere betrifft, so haben die Rechtsverhältnisse der Juden hier selbstverständlich von Staatswegen dieselben Wandlungen erfahren müssen, welche das konstitutionelle Leben überhaupt erschütterten. Namentlich wurden zwar die in der Verfassung vom 4. März 1849 gewährleisteten Grundrechte durch das Patent vom 31. Dezember 1851 im Allgemeinen aufgehoben. Diese Aufhebung jedoch verletzte, wie bereits erwähnt, nicht nur in den deutschen Kronländern den Art. 16 der deutschen Bundesakte, sondern auch für das ganze Reich die gesunden Grundsätze des Staatsrechts, welche oktroyierte Verfassungen den paktierten gleichstellen. Wenn daher in den schweren Zeiten der Reaktion die Verordnung vom 2. Oktober 1853 die Grundbesitzfähigkeit der Juden in allen Kronländern nach den vor dem Jahre 1848 bestandenen Einrichtungen provisorisch wieder beschränkte, wenn ferner die Verordnung vom 18. Februar 1860 für Galizien, die Bukowina und Krakau den Erwerb von liegenden Gründen überhaupt von der Absolvierung höherer Schulen oder dem Offizierscharakter abhängig gemacht hat (ein Goluchowsky'sches Meisterstück), so waren und bleiben doch alle diese Derogationen bürgerlicher oder politischer Rechte, nicht minder das Verbot der Ausübung des Patronatsrechts *) null und nichtig, was Ungarn gegenüber einer besonderen Erläuterung nicht einmal bedarf. Das Patent vom 26. Februar 1861 erschien als Lichtblick, ohne jedoch systematisch oder praktisch das seitherige Dunkel völlig verscheucht zu haben.
*) Man vergleiche mein Kirchenpatronatsrecht von 1866, §§. 1b, 16.
Kaum der Erwähnung wert scheint hierbei das Konkordat vom 11. August 1855, ein Vertrag, welcher, da er die Bundesakte, Art. 16, und mehr als Ein österreichisches Grundgesetz, sowohl den Protestanten als den Juden gegenüber auf das Flagranteste verletzte, schon deshalb von Anfang an nichtig war, weil offenbar wenigstens seitens der kaiserlichen Regierung, die obendrein dem Bundestage präsidierte, ein Rechtsirrtum (error juriz etejure) vorwaltete, dergestalt, dass eine besondere Aufhebung des Vertrages nach dieser Seite hin gewiss nicht von Nöten scheint. Endlich musste die Regierung sich aufraffen. Nach der schweren Niederlage, die das Reich betroffen, nachdem unter den Tausenden von Opfern auch 500 Juden auf den Schlachtfeldern geblutet, fühlte sie die Notwendigkeit, nicht bloß die pragmatische Sanktion Ungarns, sondern auch das verletzte Recht aller Staatsangehörigen wiederherzustellen. Dies haben, außer der neuen Verfassung vom 24. Dezember 1867, ins besondere die konfessionellen Gesetze vom 25. Mai 1868 (die allgemeinen Rechte des Staatsbürgers Art. 1, 2, 3 und 14, volle Gleichheit und Freiheit aller Konfessionen in staatsbürgerlichen und religiösen Rechten Art. 15) garantiert. Bereits ist das Recht in die Praxis übergegangen. Österreichs Kronländer kennen Zivilbeamte und höhere Offiziere (mehr als einen Obersten) unter den Juden. Aber auch nach einer andern Seite hin, die der christlichen Judenmission viel zu denken geben konnte, hat diese Gleichstellung bedeutende Folgen gehabt. Es ist nämlich eine gute Anzahl Proselyten zum Judentum zurückgekehrt, darunter Männer von bedeutender Bildung.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Jahrhundert der Judenemanzipation und deren christliche Verteidiger.