Rückblick auf die Februarunruhen. Ein Brief von Friedrich Thiersch.

Der Rektor Fr. Thiersch schreibt an Kronprinz Maximilian am 19. Februar:

Die Katastrophe kam mir übrigens nicht unerwartet. Seit dem Anfang meiner Amtsführung habe ich sie herannahen sehen, nachdem es mir wie jedem andern unmöglich erschien, den Bestand jener Gesellschaft zu erschüttern, mit welcher und durch welche die Gräfin Landsfeld in die Universität eingriff, um die Wurzel aus dem Boden unseres akademischen Lebens zu reißen, ans welcher eine bittere Frucht nach der andern und immer die letzte schlimmer als die frühere sich entwickelte. Die vulkanische Natur unserer Zustände kam dazu. Mir so wenig als den übrigen Behörden war verborgen, daß der Boden unter unseren Füßen zitterte, und daß die etwas heftigere Bewegung an irgend einem Punkte der Stadt das Signal einer größeren Eruption sein würde. Gott gebe, daß die, deren Zeugen wir gewesen, die letzte sein möge. Meine Lage war um so bedenklicher, als ich bei der Unentschlossenheit und Furchtsamkeit, welche die Schrecknis vor der Gräfin und den Folgen ihres Zorns um uns her verbreitet hatte, die Gemüter befangen und den guten Willen gehemmt fand. Nur Josef Müller stand mir im Senat mit Entschlossenheit zur Seite und in den letzten Tagen noch Haneberg. - Ich übernahm also alles auf meine Verantwortlichkeit und verfolgte beharrlich einen und denselben Zweck, die aufgeregten und erschütterten Gemüter der Jugend in den Schranken der Ordnung und des Gesetzes so weit zu halten, als es noch möglich war, und als das Unglück über die Universität ausgebrochen war, sie zu bewegen, in jenen Schranken zu beharren und männlich zu ertragen, was mit einer Art von innerer Notwendigkeit über sie gekommen war. So ist es geschehen, daß die Studenten, sobald sie das Ziel ihres Unwillens, die Alemannen aus ihrer Mitte fern zu halten, erreicht hatten, sich in keiner Weise an den Unordnungen beteiligten, die sich daran knüpften, und nun, obwohl noch etwas exaltiert, allmählich in den ruhigen Gang ihres Lebens wieder einlenkten. Es kommt uns sehr zu statten, daß S. Durchlaucht der Fürst von Wallerstein, mit dem ich gemeinsam jeden Schritt getan, und dessen Tätigkeit und überlegene Einsicht in Behandlung schwieriger Probleme ich von neuem zu bewundern Gelegenheit gehabt habe, bereits den Studierenden das Recht freier Association für ihre geselligen Verhältnisse erworben hat. Die Anordnung derselben, die ich unter meine Aufsicht genommen habe, wird sie einige Wochen in ihren freien Stunden beschäftigen, und wir kommen dadurch dem Ende des Semesters näher, das ich mit Ende des März zu schließen gedenke, um sie dann in ihre Heimat zu entlassen, aus der sie dann, wie ich hoffe, zum Sommersemester mit erhöhtem und beruhigtem Gefühl an ihre Arbeiten zurückkehren werden. An neue Aufregung unter ihnen ist vor der Hand nicht zu denken und nur zu wünschen, daß von außen nichts geschieht, wodurch sie in die Universität hineingetrieben wird. Ich kenne die Gefahren, die auch unserer Kirche von dieser Seite drohen, und habe mit Vergnügen gesehen, daß durch den vorwiegenden besseren Geist der Studierenden sie bis jetzt auf jedem Punkte, wo sie sich zeigten, besiegt und fern gehalten wurden.


Über das weitere, was geschehen ist und noch geschieht, um den noch hochgehenden Strom in seinem normalen Gang zu erhalten und allmählich verlaufen zu lassen, werde ich nachträglich berichten. Die Umgestaltung des akademischen Lebens, entsprechend dem Bedürfnisse und dem Geist der gegenwärtigen Zeit, wird dadurch eingeleitet, nachdem sie in der Burschenschaft durch politische Reaktion verunglückt war, während jetzt der Charakter politischer Aufregung unserer Jugend ganz und gar ferne liegt. Es war eine Krisis, in der sie ein gefährliches Gift ausgestoßen, das ihrem gesunden Organismus war eingepflanzt oder eingeimpft worden.

Daniel Bonifaz von Haneberg (1816 -I876), seit 1844 Professor für alttestamentliche Exegese an der Universitär wurde 1854 Abt des Benediktinerklosters St. Bonifaz in München und 1872 Bischof von Speyer. Ursprünglich im Sinne Döllingers der freieren Dichtung des Katholizismus huldigend, wurde er nach der Entzweiung mit Döllinger infolge dessen Ablehnung des Unfehlbarkeitsdogmas streng orthodox und bekämpfte mit besonderer Schärfe den Altkatholizismus.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Jahrhundert München 1800-1900