Mode im 18. Jahrhundert

Ein Brief aus Paris

Aus den Kleinen Schriften
Autor: Sturz, Peter Helfrich (1736-1779) deutscher Schriftsteller der Aufklärung, Erscheinungsjahr: 1768
Themenbereiche
Paris, den 12. November 1768.

Das Schauspiel der Moden belustigt in Frankreich mehr als irgendwo, weil es wie die Bilder einer Zauberlaterne abwechselt und nie so einförmig wird als unsere Nachahmung. Mancher deutsche Hof in seiner Gala sieht aus wie ein Assortiment Dresdener Puppen aus einer Form und von einer Glasur. Eine junge Französin ist ehrgeiziger; sie erfindet ihren Putz selbst oder ändert die Mode nach ihrer Gestalt und versteht meistenteils ihren Vorteil. Auf einem Ball bei dem Prinzen Soubise sah ich alle jungen Damen verschieden gekleidet, jede war auf eine eigentümliche Art aufgesetzt, garniert und verziert. Freilich wird ein neuer Kopfputz so ernsthaft untersucht wie ein neues Drama; und wenn manche Erfindung ihre Jahreszeit durchlebt, so fallen andere am Tag ihrer Geburt.

Alles was für den Nachttisch bestimmt ist, gehört hier ins Gebiet des Genies. Es gibt in Paris Artistes en fait de Jupes à baleine und Artistes perruquiers. Die Akademie der Wissenschaften untersucht nicht immer Maschinen, um Pfröpfe aus Bouteillen zu ziehen, sie erhebt sich oft zu gemeinnützigen Gegenständen und ernennt Kommissäre, um einen neuen Lockenbau zu prüfen. Mir ist folgendes ehrenvolles Zeugnis bekannt: „L'Académie ayant examiné les ouvrages du Sieur Garaffe, Artiste coiffeur des Dames, elle atteste la solidité de son tissu, reconnaît l'élégance de ses formes et applaudie à son zèle ingénieux.“ Leider hilft das Brevet dem Künstler nicht immer: man appelliert von der Akademie an eine Tänzerin.

Ich ging gestern zu einer berühmten Modehändlerin, welche Puppen durch ganz Europa versendet. Hier sah ich mit Unmut ein Heer Automaten, furchtbarer für uns als ein gallisches Kriegsheer, weil es uns schon jahrhundertelang brandschatzt. Eine Puppe kam mir vorzüglich abgeschmackt vor. „Ist sie verkauft?“ fragte ich. „Oui, Monsieur, elle est destiné pour le Nord, où l'on aime les couleurs singulières et le merveilleux.“ — „Aber hat man sich in Paris je so gekleidet?“ — „Eh mon Dieu, non, Monsieur! Mais on a des magasins à vider, il faut de la variété et il s'agit de satisfaire au goût de chaque nation.“ Ich ward erbittert bei dem Gedanken, daß vielleicht bald die Puppe im Putzzimmer einer deutschen Prinzessin anlangt, daß sie dann den Hof und die Stadt umbildet und ganze Garderoben zum Trödel verurteilt; daß sie manchem Ehemann heimliche Seufzer, mancher modesiechen Frau ihren Schlaf kosten wird; daß sie Freundschaften trennt und Gallenfieber ausbrütet, diese missgestaltete Brut der Phantasie eines elenden Weibes, das uns von ihrem Boden herab ausplündert und verspottet.

Zum Teil sind wir durch die Anglomanie der heutigen Franzosen gerächt. Sie treffen überall auf wandelnde Riding-Coats, in deren Hüllen ein gebrechliches, halb wieder aufgelöstes Wesen zappelt, oder auf englische Fuhrwerke, überthront von einem Kutscher aus der Titanenfamilie, der Streitrosse mit einer Donnerstimme lenkt; hintenauf haben sich noch ein paar Riesen gelagert; nebenher springt nicht selten ein furchtbarer Hund, und in einer Ecke des Kastens werden sie das emballierte Restchen einer alten Familie gewahr — es jammert sie des mit Ungeheuern umringten Pygmäen.

Zu gleicher Zeit wimmelt's von Engländern hier, die durchaus Pariser Stutzern ähnlich sein wollen. Nichts komischer als ein nerviger Brite, wenn ihn sein Schneider französisch aufgezäumt hat und er sich bäumt und sträubt im ungewohnten Zeuge wie ein ungebrochenes Pferd im Schlittengeschirr. Sonderbar ist es, daß die Söhne der Freiheit sich knechtisch unter jede Mode bequemen, und daß der untertänige Franzose immer eine National Verzierung anbringt. Er steckt in seinem Reitknechtshabit einen großen Blumenstrauß an die Brust, und hinter seinem Nacken schwillt der kleine englische Kadogan zur Größe eines Puddings. Wenn die Miss ihren mit einer Rose geschmückten Chiphat auf die Mitte ihres braunlockigen Kopfes setzt, so hängt der Chapeau a l'anglaise schief auf der gepuderten Französin, und die Rose wird zur Girlande.

Ich schweige von meinen Landsleuten: ihre Missgestalten belästigen mich. Es geht mir nahe, manchen mit dem Clinquant aller Nationen ausstaffiert zu sehen wie einen von Europäern beschenkten Wilden; zu hören, wie man es belacht, daß ein ehrlicher Deutscher immer jede neue Torheit auf sich pfropft. Viele sind mit einer allgemeinen Musterkarte drapiert und tragen ihre Reisegeschichte auf sich herum; man kann ihnen, von ihrem Hut zu den Stiefeln, aus Italien durch Frankteich nach England folgen, und durch die bunte Lasur leuchtet oft eine herbe Grundfarbe von Studenteneleganz durch. Warum reisen wir nicht später, wenn Kopf und Herz fester sind? Nun flattern wir in die Welt wie ein weißes Blatt, das jeder Tor mit seinem Wahnsinn befleckt und oft mit unauslöschlicher Schrift.

Ich preise unsere Landsmänninnen. Sie haben doch der Schminke widerstanden. Hier ist sie nicht mehr Koketterie, sondern notwendiger Teil des Anzugs. Neulich entlief mir eine Dame, im Begriff in den Wagen zu steigen, und rief mit aller Würde des tragischen Entsetzens: „Ah grand Dieu! j'ai oublié mon rouge!“ Nur die Dirnen ahmen in Frankreich durch das Rot die Farbe der Natur nach, une honnête femme met le rouge à tranchant; sie trägt nämlich unter jedem Auge einen scharf abgeschnittenen karmosinfarbigen Fleck auf. Ich finde diese Flecken leidlicher auf einem lederfarbenen alten Gesicht als auf jugendlichen Wangen, weil sich auf jenem die Nuance sanfter vereinigt. Welchen Unsinn man nicht aus Gewohnheit erträgt! Wer zuerst seinen Kopf in einem Mehlsack herumkehrte und es wagte, in einer ehrbaren Versammlung zu erscheinen, würde zuverlässig dem Arzt empfohlen; und wir lachen über die Römerinnen und ihren Puder aus Goldstaub, über die schwarzen Zähne in Indien, über die gelben Finger in Ägypten. Ich sah ein Bild einer bekannten Schönheit aus der Zeit Ludwigs XIV, als Göttin der Liebe in einem Wagen von Tauben gezogen — in einer Fontange. Das ging an im großen Jahrhundert des Geschmacks. Wie sehr muss alles Gefühl abarten, ehe der wespenartige Leib unserer Mädchen gefällt, ehe wir uns mit den Reifröcken aussöhnen, die ein englischer Schriftsteller ein verkehrt angelegtes Festungswerk nennt! Als die Frau eines dänischen Konsuls die Gemahlin des Kaisers von Marokko besuchte, fühlte diese neugierig auf dem Reifrock herum und fragte voller Erstaunen: „Bist du das alles selbst!“ Unsere Mütter hatten ihre Außenwerke nicht viel scharfsinniger hinten angebracht. Es sind noch Strafgesetze gegen die widernatürliche Prachtgeschwulst übrig. In Franz des Ersten Zeiten ließ sich jeder ehrbare Mann barbieren, und nur die Stutzer trugen Bärte. Ich finde in einer Stelle des Ben Johnson, daß eine Tabakspfeife damals unter die Nippes eines zierlichen Herrn gehörte, und daß man sie am weiblichen Nachttische mit eben dem wichtigen Anstand wie jetzt eine Riechflasche herauszog. Als Madame de Motteville den Hof der Infantin und künftigen Gemahlin Ludwigs XIV. sah, war es Mode bei den spanischen Damen, die Brust zu bedecken und den Rücken zu entblößen. Es verdient bekannter zu werden, daß vor einigen Jahren eine Französin auf der Promenade des Palais d'Orléans mit lilafarbener Schminke erschien, und es ist unbegreiflich, daß der Versuch ohne Nachahmung blieb.

Die Geschichte des Menschen ist oft dem Tageregister eines Narrenhauses ähnlich; sie erzählt die Visionen der Kranken. Was uns heute als Triumph des guten Geschmacks vorkommt, sinkt vielleicht morgen zum Unsinn. Wir gähnen bei dem Witz unserer Väter.

Entwicklung der Mode zwischen 1790 und 1830

Entwicklung der Mode zwischen 1790 und 1830

000. Antoine Watteau, Iris

000. Antoine Watteau, Iris

002. Chodowiecki, 1781

002. Chodowiecki, 1781

008. Bonnard, Dame mit Schürzchen

008. Bonnard, Dame mit Schürzchen

Im Ankleidezimmer. 19tes Jahrhundert

Im Ankleidezimmer. 19tes Jahrhundert

Pariser Mode im 18ten Jahrhundert

Pariser Mode im 18ten Jahrhundert