Ein Brief Johann Bugenhagens und die Treptower Vitte in Dragör

Aus: Hansische Geschichtsblätter. 30. Jahrgang 1902
Autor: Girgensohn, Joseph (1848-1933) Geschichtsforscher, Oberlehrer, Publizist, Erscheinungsjahr: 1903

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Hansezeit, Hanse, Bugenhagen, Treptow, Fischlager, Livland, Luther
Durch einen Zufall stieß ich beim Durchblättern eines Manuskripten-Bandes auf einen Originalbrief Bugenhagens an die Stadt Treptow a. R. in Angelegenheit der Treptower Vitte in Dragör auf Amager bei Kopenhagen. Dieser Manuskripten-Band gehörte ursprünglich dem Treptower Ratsarchiv an, ist aber durch Kauf vor einigen Jahren in Privatbesitz übergegangen und befand sich zuletzt im Eigentum des Kaufmanns Herrlinger in Treptow; inzwischen ist er von ihm dem Staatsarchiv zu Stettin übergeben worden. Er trägt den Titel: „Miscellanea civitatis Treptoae in sui usum conscripta et collecta a Samuele Gadebuschen Dicasterii Electoralis Advocato et Senatore Treptowiensi“. Auf 513 paginierten und 30 unpaginierten Seiten enthält der Band Abschriften und Originalbriefe durcheinander, meist aus dem 16. und 17. Jahrhundert, aber auch Abschriften von Urkunden (der Privilegien Treptows) aus dem 13. und 14. Jahrhundert.

Der Brief Bugenhagens, der Seite 415 und 416 des Bandes bildet, ist vom Montag nach Dionysii (Okt. 14) 1538 datiert. Er behandelt einen Streit der Kolberger und Treptower in Dragör, also eine Angelegenheit, die mit den kirchlichen Dingen nichts zu tun hat. Leider war das Eintreten Bugenhagens für seine lieben Treptower ebensowenig erfolgreich, wie seine Fürsprache in Sachen der Klostergüter von Hiddensee; interessant ist es aber immerhin, aus diesem Brief zu ersehen, wie treu der große Reformator gegen die Stadt gesinnt war, in der er anderthalb Decennien gewirkt hatte und wo ihm zum ersten Male die Bedeutung Luthers und seines Werkes aufgegangen war.

Von den Verhältnissen in Dragör und dessen Fischlagern wissen wir viel weniger als von denen bei Skanör und Falsterbo. Von der Treptower Vitte sind auch nur spärliche Nachrichten erhalten. Die Rega-Stadt hat im Mittelalter bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts einen nicht ganz unbedeutenden Handel mit den skandinavischen, preußischen und livländischen Städten, betrieben, von dessen Einzelheiten mancherlei aus den Ratsprotokollen, die mit einigen starken Lücken im 16. und 17. Jahrhundert von 1553 an im Archiv der Stadt sich erhalten haben, zu berichten wäre. Hier interessieren die Beziehungen zu Schonen und Dänemark.

Wahrscheinlich hat Treptow als Gast auf der Kolberger Vitte in Falsterbo seit 1372 Heringshandel getrieben. Im Jahre 1407 wird die Stadt ohne Vermittlung Kolbergs direkt von der Hanse aufgefordert zur Ausrüstung von „Friedeschiffen“ gegen die Seeräuber beizutragen. Sieben Jahre später (1414) spricht der Herzog Wartislaw von Pommern-Wolgast von einer Schonenfahrt der Treptower. Nach weiteren 22 Jahren (1436) erhalten die Treptower eine Vitte auf Dragör, die sie mit den Stargardern teilen sollen. Diese Verleihung geschah. Die beiden Städte hatten, als König Erich nach dem Reichstag von Wordingborg heimlich nach Pommern kam, ihm bei der Beseitigung der inneren Zwistigkeiten und wohl auch zusammen mit den pommerschen Herzögen bei der Besiegung der Opposition in Dänemark und Schweden geholfen. Im Jahre 1464 erhalten die Treptower von König Christian I. von Dänemark auf zwei Jahre ein neues Handelsprivileg, in dem aber der Vitte von Dragör keine Erwähnung geschieht. Auch ist hier ebensowenig, wie im Jahre 1436, davon die Rede, dass Treptow in irgend welcher Unterordnung unter Kolberg stand, wie es bei anderen Gelegenheiten sich zeigt. Im Jahre 1496 kommt es zu einem Streit zwischen beiden Nachbarstädten um den Vorrang in den Versammlungen zu Dragör, der über ein halbes Jahrhundert andauert und in dem eben Bugenhagen sich auf die Seite Treptows stellt. Das Zeugnis des Greifswalder Rates vom 14. September 1496, Kolberg nehme auf den Hansetagen die sechste Stelle unter Hamburg ein, ist an Vögte und Olderleute der gemeinen Hanse zu Dragör gerichtet und kann sich also nur auf die Rangordnung bei den dortigen Zusammenkünften beziehen. Die Kolberger wollten den Anspruch, in Dragör über den Treptowern zu sitzen, durch den Nachweis begründen, dass ihnen bei den Versammlungen der Hansestädte ein bestimmter Platz zustehe und also ihre Stadt als Prinzipalstadt zu gelten habe, während Treptow auf diesen Versammlungen nicht durch eigene Boten vertreten sei. Die strittige Sache wird deutlicher aus folgenden Urkunden. Im Jahre 1500 war von den Olderleuten der Städte in Dragör ein Urteil gefällt worden, von dem man beschlossen hatte, zu einem vereinbarten Termine an die Vögte in Falsterbo zu appellieren; wegen Abwesenheit der Angeklagten (Treptower) aber war es damals nicht zur Entscheidung in Schonen gekommen. Die Treptower wandten sich vielmehr gegen das Recht und die Gewohnheiten der Hansischen an den Schlossvogt zu Kopenhagen, Ritter Kralle, der sie im Jahre 1501 im Namen des Königs in ihre alten Sitze einsetzte. Damit gaben sich die Kolberger nicht zufrieden, sondern riefen nochmals den Vogt, Andreas Geipsen, und die Olderleute von Dragör, insbesondere die von Stettin und Stralsund, als Schiedsrichter an und appellierten, als diese 1502 Sept. 5 gleichfalls zu Gunsten Treptows entschieden, wiederum an die Versammlung der Vögte zu Falsterbo. Diese erkannten, nachdem beide Parteien sich bereit erklärt hatten, bei ihrer und eventuell bei des Rats von Lübeck Entscheidung zu verbleiben, 1502 Sept. 23 für Recht: „dat de Colberchschen schollen sytten in ore stede to Draker baven de van Treptouwe so lange, dat de Treptouwesschen bryngen bether bewys, dat se older in der hense synt, wen die van Colberghe, na uthwysinghe ore beyder breve, de by dem fagede [bracht weren]“, und die Treptower erklärten nochmals: „se wolden des blyven by mynem [rade to Lubeke]. Trotzdem aber gingen, wie es scheint, die Treptower nicht an den Rat von Lübeck, von dem sie wohl kaum ein günstigeres Urteil erlangt haben würden, sondern hielten es für praktischer, sich an den dänischen König Johann zu wenden, der dann auch 1503 Sept. 8 das Urteil seines Vogtes Andreas Jepson bestätigte und die Treptower wiederum über die Kolberger setzte.

Dass die Kolberger immer wieder den Versuch gemacht haben werden, die Treptower zu verdrängen, versteht sich wohl von selbst und scheint auch aus den Bemühungen Bugenhagens hervorzugehen, ein neues Privilegium von dem ihm persönlich wohl geneigten Könige Christian III. zu erlangen. Er schreibt darüber am 14. Oktober 1538 folgendes an den Rat von Treptow:

Den Ersamen weisen Herrn, Burgermeisteren und Radtmannen der Stadt Newen Treptow in Pomern, meinen lieben Herrn und besondern guten freundten.

Gnad und frid von Gott, unserm vater, und von Jesu Christo, unserm herrn. Ersamen weisen herrn und günstige freundte. Des Privilegien halben habe ich gentzlich meinen fleis gethan bei königlicher Majestät. Gistern aber sind E[wer] privilegia vor seiner M. gelesen und befunden, wie den auch furhin K. M. wol wüste, das ir kein vorsigelt privilegium habt, den allein von König Hansen von dem gesetze über die Colbergischen, und von König Erich auff die vitte zu Draker, wilchs keine Könige nach seiner verlassung des konigreichs bestediget haben. Doch hielt ich fast an, das das selbige auff die vitte zu Draker mit der gemeinen clausulen, von E. E. mir zugeschickt, itzt seine K. M. wolte euch confirmiren, weil es doch nicht neues were, sondern die vitte versigelt durch K. Erich und die clausula in der Stettinischen privilegia mit begriffen were. Da antwerdet K. M. : so s. M. sulchs einer andern stadt hette gethan, wolt s. K. M. das auch gern euch thun. Es were euch, sprach s. K. M., gar nicht vo[n] nöten; ir solt auch keine fare ha[ben], gleich ob ir etwas hirinne verseumt hetten; ir müchtet auff der vitten und sonst im lande handelen, wie bisher, doch unversetimet den zol. Aber seine M. wolle volenden den handel mit d[en] Lubischen der Privilegien halben, da ir, wie s. M. sagett, auch mit inbegriffen sind; des werdet ir den auch mit niessen. Derwegen, weil ich die Sache nicht fürder habe künd bringen und K. M. aus sulcher, wie gesagt, Ursachen nicht anders itzt hat kundt oder wolt thün, so sende ich E. E. wedder die brieffe, mir durch den ersamen burgermeister Hans Crummenhusen uberantwortt. So es euch von nöten wurde sein, diesen meinen brieff vor K. M. zu erzogen, so wird K. M. dieser meiner schrifft, wilche s. M. wol kennet, glauben geben, das also geschihen ist und also mir auff diese sache K. M. geantwortet habe, den bei s. K. M. war auch Er Johan Frise, s. M. cantzeler, und Petrus Suaven, unser landsman, Secretarius. Konte ich E. E. womit mehr dienen, das thu ich gern. . . . Christus sei mit euch ewiglich. Scr. zu Copenhagen MDXXXVIII montags vor Dionysii.

E. E. williger
Joannes Bugenhagen
Pomer. D.


Von der Erlaubnis, diesen Brief später einmal bei neuer Werbung am dänischen Hof vorzuzeigen, haben die Treptower wiederholt Gebrauch gemacht. Im Jahre 1555 erlangten sie vom Herzog Barnim X. von Stettin eine „Fürschrift“ an den König Christian III., in welcher derselbe um Bestätigung ihrer Privilegien gebeten wurde. Das geht aus folgender Stelle in den Treptower Ratsprotokollen hervor:

Dingtags nach Bartholomei, den 26. tag Augusti, anno LV.
Gemein Borgerrecht.

Peter Garvine ist von einem erbar rade verantwordet F. G. zu Stettin furschrifft an die Ko. Mt. zu Dennemarcken von wegen der vitten up Drakor zu erhalten, mit befhel, das ehr neben Jürgen Pawel die gerechtigkeiten uff Drakor mitfordern soll helffen; und sind im auch die original vortrauet, als: 1. König Ericks anno 2 c. 1436 in profesto nativitatis Marie 1, 2. König Hanses anno etc. M. D. V gegeben, 3. Johan Bugenhagens anno etc. 1538 montags vor Dionisii, 4. item konig Christierns des gefangenen confirmation den Stettinschen und Pomerschen gegeben, ausgenommen den stedten, die in der hense sind, 5. item vorantwortet copia unser supplication nebenst 6. der minuten F. G. brieff.

Den Treptower Deputierten wurde die Bitte nicht gewährt; die Gründe ersehen wir aus dem im Treptower Ratsarchiv bis in die neueste Zeit aufbewahrten Schreiben des Königs Christians III. an den Herzog Barnim X. von 1556 Aug. 31. Der König weist die Bestätigung der Privilegien nicht zurück, aber er erklärt, zunächst mit den Hansestädten über deren Privilegien in Dragör verhandeln zu müssen, ehe er den Treptowern ihre Freiheiten bestätigen könne; jedoch wolle er sich den Treptowern gnädig erweisen. Ihr Handel ist auch, wie es scheint, nicht gestört worden; denn am 21. Dezember 1557 bitten die Treptower Kaufleute den Rat, „eine cumpanie zu Draker zu bauen“, und im folgenden Jahre (1558) werden Gerth Ohem, Jochim Buntwerk und Jürgen Pawel vom Rat als Olderleute in Dragör „eingesetzt“. Eine Kompagnie der Dragör-Fahrer wie in Stettin gab es also in Treptow ebensowenig, wie wir von einem Treptower Vogt in Dragör wissen, sondern die Treptower Kaufleute zu Dragör empfingen ihre Olderleute durch Ernennung des Rats.

Am 31. März (Freitag in den Ostern) 1559 „ist an den heuptman zu Copenhagen Pawel Witfeld geschrieben allerlei gelegenheit und umstand der Drakerschen vitte halben. So seind auch Peter Garvine mitgedan auscultirte copie von König Erichs Privilegien. Er Jochim Pawels handt. Item Buggenhagens brieff und m. g. h. hertzog Barnim vorsigelte Vorschrift und des konings zu Dennemarck schrifftlich antwort mit irer K. M. handt unterschrieben ist Garvine vertrauet, des in Dennemarck zu erziegen“.

Also auch nach Christians III. Tode (†1559 Jan. 1) glaubten die Treptower, indem sie allein mit der dänischen Regierung in Verhandlung traten, mehr erreichen zu können, als im Verein mit anderen Städten oder der Hanse überhaupt. Sie täuschten sich, eine Bestätigung ihrer Privilegien wurde ihnen nicht zu Teil. Im Gegenteil: „Die kauffleute zu Drakör clagen“ nach dem Ratsprotokoll vom 29. Mai, „das ire olterlute sich der gebhur nicht vast annehmen mit vorfechtis jeder vitten; darumb begeren und bitten sie von einem rade trost und hulffe, das sie mugen bey irer gerechtigkeiten erhalten werden uff Draker“. Am 12. Juni beschließt der Rat, „an fürstliche durchleuchtigkeit zu supplicierende umb eine furschrifft an Ko. Mat. wegen des Drakers lagers“. Herzog Philipp von Stettin nimmt sich der Sache an, und „montag nach Jacobi [Juli 31] ist beschlossen in Dennemarken zu schicken der Privilegien halben uff Drakoer“. Die deutsche Kanzlei des neuen Königs, Friedrichs II., erteilt dem Herzog und den Treptowern eine freundliche Antwort, aus der wir erfahren, dass ein Neffe Bugenhagens, der Syndikus Johann Lubbeke, das Schreiben Herzog Philipps dem König überreicht habe; wegen der Krönung und „dabei anhangenden“ Geschäfte wegen sei es aber nicht möglich gewesen, der Sache näher zu treten, und der König lässt die Treptower auf einen Tag 1560 Juni 24 zu Odensee verweisen, wo er mit den Hansestädten „handelung zu pflegen gnedigst endtschlossen“ sei, und sich auch auf „der von Treptow ferner ansuchen, so viele recht und billich, mitt gnaden vornehmen laßen“ werde. Als nach dem Tage zu Odensee, wo die Hansestädte wohl über Zoll und Accise, die ihnen in den dänischen Fischlagern auferlegt wurden, klagten, aber keine Abhilfe erreichten, die Treptower König Friedrich II. noch einmal um Bestätigung ihrer Freiheiten ersuchten, erhielten sie am 6. September 1560 nur die ausweichende Antwort, der König werde sich, wenn er nach Kopenhagen komme, nach der Angelegenheit genauer erkundigen und sich dann gnädig erzeigen.

Leider ist in den Ratsprotokollen eine Lücke von 1559 bis 1569. Aus der Ähnlichkeit der Verhandlungen der Stettiner mit den dänischen Königen können wir aber wohl sicher schließen, dass bald nach dieser letzten Gesandtschaft von 1560 die Treptower wegen Bedrückung durch die dänische Regierung ihr Fischager in Dragör aufgegeben haben. In den noch erhaltenen Protokollen des Rats von 1569 — 1570, 1582 — 1583 und 1589 findet sich keine einzige Notiz, die von einem ferneren Bestehen des Fischlagers in Dragör Nachricht gäbe, während aus den Handelsprozess-Protokollen zu schließen ist, dass mit Kopenhagen sowohl als mit anderen dänischen Städten doch noch weiter Handel getrieben wird. Mit den Handels Vorrechten aber war es vorbei. König Friedrich II. antwortete am 12. Oktober 1575 auf die Beschwerden der Stettiner: „sinthemal einem jeden bevor und frey stehet unsere reiche zu gebrauchen oder nitt; derhalben wen es nit gelegen oder gefelligk, der magk dieselbigen unbesucht lassen“.

Bugenhagen, Johannes Dr. (1485-1558) Dr. Pomeranus gen. Reformator, Wegefährte Luthers

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Luther und Melanchthon beim Übersetzen der Bibel

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Martin Luther als Mönch. Holzschnitt von Lukas Cranach

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