Abschnitt 1


Die Abreise. - Erster Reisetag. - Stettin. - Das Meer. -
Die Seekrankheit. - Swinemünde. - Ankunft in Rügen
und Landung in Lauterbach. - Putbus.


Der Monat August hatte wider Erwarten trübe und feucht begonnen. Die warmen und sonnigen Tage des Julis waren wie vom Sturm fortgeweht, das Thermometer war in einer Nacht von 25 Grad Reaumur auf 15 Grad gesunken, und der Wind wehte kalt und unangenehm aus Nordost. Wer hätte das vor acht Tagen gedacht, wo die Sonnenstrahlen mit jener intensiven Wärme, welche der Sommer im Norden so oft auf kurze Zeit mit sich bringt, die Granitplatten und die hohen Häuser, welche, wie einst die langen Grenadiere der Potsdamer Garde, nebeneinander stehen, in den langen schnurgeraden Straßen Berlins so erhitzten, das die Temperatur während sechs Stunden des Tags unerträglich wurde! Der Wunsch einer mir befreundeten berühmten Künstlerin, welche das Hamburger Publikum während des Monats August durch ihre genialen Charakterdarstellungen auf dem dortigen Stadttheater entzücken wollte, kalte und trübe Tage, waren erfüllt; mich brachten sie zur Verzweiflung. Ich wollte zum ersten Mal in meinem Leben die Küsten von Rügen sehen, die hohen Kreidefelsen von Jasmund besuchen und durch die dunkeln Eichenwälder des Granitz und der Stubnitz wandern; im Juli waren mir die Tage zu heiß gewesen, jetzt ging der Sommer zu Ende und nur bis in die ersten Tage des September hinein tragen den Reisenden die Dampfschiffe aus dem Hafen von Stettin über die grünen Wogen der Ostsee an den Strand, wo die schwarze Frau schon seit vielen hundert Jahren in der tiefen dunkeln Höhle der Stubbenkammer wohnt, ihren weißen schlanken Leib in schwarze Trauergewänder gehüllt, das schöne Haupt mit dem schwarzen Schleier bedeckt, und den goldenen Becher hütet, wo jährlich in der Johannisnacht noch immer die Prinzessin Swanwithe rückwärts den Garzer Schlosswall hinaufschreitet, um den alten Heidenkönig mit seinen funkelnden Schätzen zu erlösen und dadurch selbst die ewige Ruhe zu finden. Einundzwanzig Tage wartete ich mit himmlischer Geduld, einundzwanzig Tage ging die Sonne ebenso trübe auf, wie tags vorher, der Nordostwind wehte ebenso kalt und die wenigen Sonnenblicke verscheuchte sofort kurzer, eisiger Sprühregen. In Hamburg im Stadttheater hätten alle Schätze im Saal des Garzer Schlossberges nicht hingereicht, einen Parkettplatz zu kaufen, hier hörte ich von Morgen bis zum Abend von Börsenkursen, von der Stellung Österreichs und Preußens zu den Westmächten und von der zu erwartenden schlechten Ernte. Da beschloss ich eines Abends mein Glück zu versuchen, wie einstmals, wo ich während der Studienjahre in Göttingen unter strömendem Regen nach Frankfurt fuhr, und am andern Morgen die Sonne klar und feurig über den grünen Rebenhügeln des Rheines aufging und die prächtige Kuppel des Domes zu Mainz vergoldete. Ich packte den Reisekoffer, und eine Droschke brachte mich um 10 ½ Uhr nach dem Stettiner Bahnhofe, wo ich gerade zur rechten Zeit eintraf, um mit dem nach Königsberg um 11 Uhr abgehenden Schnellzuge nach Stettin zu fahren.




Die Benutzung des nächtlichen Schnellzuges nach Königsberg zu einer Reise nach Rügen hat den Vorteil, dass man nicht genötigt ist, einen halben Tag und eine Nacht in Stettin zu bleiben. Zwischen 5 und 6 Uhr morgens geht ein Dampfboot von Stettin ab, welches Swinemünde berührt, nachmittags zwischen 3 und 4 Uhr in Putbus landet, und von dort noch an demselben Tage nach Stralsund fährt. Von Berlin bis Stettin zahlt man für die dritte Wagenklasse 2 Taler. Von Stettin nach Swinemünde beträgt die Taxe für das Dampfboot für die erste Kajüte 1½ Taler, für die zweite Kajüte 1 Taler, von Swinemünde nach Putbus 3 17 Taler. Nimmt man ein Billet zur Hin- und Rückreise von Swinemünde nach Putbus, so kostet dies nur 4½ Taler. Auch von Stettin nach Putbus kann man ein Billet zur Hin- und Rückreise kaufen und dadurch einige Taler ersparen. Ich würde indes niemandem raten, der Ersparnis einiger Taler wegen sofort ein Billet zur Hin- und Rückreise zu nehmen. Die höchst praktische und für den Reisenden so bequeme Einrichtung auf den rheinischen Dampfschiffen, dass das gelöste Billet für Wochen und Monate Gültigkeit hat und man dadurch ermächtigt ist, auf jedem Schiffe der verschiedenen Dampfschifffahrtsgesellschaften die Rückreise anzutreten, existiert auf den Dampfschifffahrtslinien der Ostsee noch nicht; man ist vielmehr genötigt, auf demselben Dampfschiffe, auf dem man die Hinreise gemacht hat, auch die Rückreise anzutreten; man ist ferner gezwungen, diese Rückreise binnen einer bestimmten und zwar sehr kurzen Zeit, ich glaube binnen drei Tagen, zu machen; dazu fährt das Dampfboot, mit dem man zurückreisen muss, nur an bestimmten Wochentagen, und alles dies bei Verwarnung der Amortisationserklärung des Retourbillets. Mir brummte es im Kopf, als der Kapitän der Elisabeth mir diese Reihe von Bestimmungen, Bedingungen und Verwarnungen herzählte, unter denen es mir vergönnt sein sollte, zwei oder drei Taler zu ersparen, und zum Unglück hatte ich die erste Gültigkeitsbedingung meines Retourbillets vergessen, als der Kapitän an die Aufzählung der letzten kam. Dazwischen dachte ich an die schönen Augen der verzauberten Prinzessin Swanwithe im Saale des Heidenkönigs im Garzer Schlossberge, an die trauernde Jungfrau, die der schreckliche Seeräuber Störtebeker in der Höhle am Waschstein einschloss, und die zuweilen dem einsamen Fischer am Meeresstrande erscheint, das blutige Tuch in der Hand, aus dem sie vergebens die Blutflecken auszuwaschen versucht, ich konnte die Ersparnisbedingungen nicht in meinem Gedächtnis fixieren und kaufte mir ein Billet, welches nur auf die Hinfahrt nach Putbus lautete, welches ich mit 4½ Taler in preußischen Kassenanweisungen bezahlte. Man versehe sich überhaupt zu der Reise nach Rügen mit preußischem Gold, Silber oder Papier, andere Münzsorten haben auf den königlichen Postdampfschiffen keinen Kurs und denselben wird die Annahme hartnäckig verweigert. Man zahlt freilich erst, wenn man das Fort Preußen längst aus dem Gesichte verloren hat, der Kassierer hat am Ende freilich keine Wahl, als entweder eine ausländische Kassenanweisung in Zahlung zu nehmen und die Auswechslung mit seiner eigenen Börse vorzunehmen, oder den in preußischer Münze nicht zahlungsfähigen Reisenden in das Meer zu werfen, und dazu ist er denn doch zu human und vernünftig, auch verbietet es §. 175 des Strafgesetzbuchs vom 14. April 1851, und setzt darauf die Strafe der Enthauptung durch das Beil. Mir passierte dies auf der Tour von Putbus nach Stralsund. Wo die Meerenge von Gellen am breitesten ist, Palmerort vor uns, im Süden die hochgehenden Wogen des Rügener und des Greifswalder Boddens, sah ich mich genötigt, dem Kapitän der Elisabeth in einer schönen schwarzburgrudolstädtischen Kassenanweisung die Zahlung meines Billets nach Stralsund zu offerieren. Er besah sie mit verwunderter Miene und verweigerte hartnäckig die Annahme, ich bot ihm eine andere, er erblickte den hessischen Löwen und schüttelte noch mehr das seeund wettergebräunte Haupt, sogar der antike Kopf mit der weimarischen Mauerkrone gefiel ihm nicht. Ich ließ alle Adler, Löwen und Bären sämtlicher deutscher Klein- und Großstaaten vor seinen Augen vorübergleiten - er verlangte die beiden wilden Schildhalter des preußischen Wappens und die pausbäckigen Knaben mit der Sichel und dem Fruchtkorb zu sehen, und als ich ihm kleinlaut gestand, dass ich hiervon keinen einzigen besitze, erklärte er mir fest und bestimmt, dass ich unter solchen Umständen nicht weiter mitfahren könnte, worauf ich ihn ersuchte, mich alsdann sofort auszusetzen. Drüben am Palmerort war dies nicht möglich, der Rügensche und Greifswalder Bodden boten hierzu auch kein passendes Terrain, der Steuermann hielt geraden Kurs immer mitten in die Meerenge hinein, um nicht auf die vielen blinden Stubbers an der pommerschen und rügenschen Küste zu geraten, und so war er am Ende genötigt, ein Wechselgeschäft ohne Diskonto und ohne Provision mit mir auf hoher See zu machen und mich bis in den Hafen von Stralsund mitzunehmen. Dennoch sind diese Diskussionen unangenehm, sie verbleiben oft nicht innerhalb der parlamentarischen Grenzen und man vermeidet sie am besten durch den Besitz preußischer Kassenanweisungen, die man sich in Berlin bei dem ersten besten Bankier einlöst, wenn auch der Diskont ein wenig höher ist, wie beim Kapitän auf offener See.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Ausflug nach Rügen