Ehrlos. Zu dem Kunstblatt in diesem Heft (vor S. 29).

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1926
Autor: H. R. S., Erscheinungsjahr: 1926

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Handwerk, Mittelalter, Henker, Scharfrichter, Nachrichter, Thor,
Obwohl das Handwerk im Mittelalter hohes Ansehen genoss, die Meister im Rate der Stadt gewichtige Stimme hatten, galten doch einzelne Gewerbe als „unehrliche Hantierungen“, so zum Beispiel die der Bader und Müller und vor allem der fahrenden Spielleute. Für den Ehrlosesten unter diesen von der Volksmeinung Geächteten galt der „Scharfrichter“, auch „Nachrichter“ genannt.

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Das war nicht immer so gewesen. Im früheren Mittelalter konnte und musste vielmehr Hängen und Enthaupten ehrenamtlich durch jeden unbescholtenen Bürger verrichtet werden. Schon der Beiname, den man dem Scharfrichter gegeben hatte, „Meister Hämmerlein“, erinnert daran, dass die Vollstreckung rechtskräftigen Urteils eigentlich nichts Entehrendes haben kann, weil der Betreffende als ein Bote oder als Arm der heiligen Justiz der Gerechtigkeit dient. Der Hammer des alten germanischen Gottes Thor war ein uraltes Rechtssymbol, das erst in späterer Zeit nicht mehr verstanden wurde, als man sich bei der Bezeichnung „Meister Hämmerlein“ nichts mehr dachte. Erst als dem Volk die Rechtsprechung entzogen wurde und die Scharfrichter mehr und mehr auch bei Torturen aller Art Henkerdienste verrichteten, wurde dieses Handwerk zu einem anrüchigen und gemiedenen. Zu den grausamen Quälereien der Folter gaben sich natürlich nur rohe, gewalttätige Personen her.

Der Abscheu vor dem ursprünglich ehrenamtlichen, durch die Verbindung mit den Knechtsdiensten des Schinders und dem unsauberen Geschäft der Abdeckerei aber abstoßend gewordenen Beruf ist wohl begreiflich. Dagegen kann man es in unserer Zeit doch kaum verstehen, dass die Achtung eines Mannes, der im Auftrag der Obrigkeit sein Werk vollbringt, so allgemein und so weitgehend sein konnte, wie es im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert üblich war. Mit dem Meister Hämmerlein wollte niemand in Berührung kommen. So verächtlich und ängstlich rückte man von ihm ab, dass ihm beispielsweise in den Trinkstuben nur abseits ein Platz gegönnt wurde. Sein Becher hing besonders an der Wand, mit einem Kettlein befestigt, damit er ja nicht etwa aus Versehen einem anderen Gast zum Trunk gereicht würde. In die Kirche durfte der Henker nur eintreten, wenn die Besucher des Gottesdienstes Platz genommen hatten. Dann mochte er in einem versteckten Winkel sein Gebet verrichten. Der Scharfrichter war ein aus der bürgerlichen Gesellschaft Ausgestoßener. Weder er selbst noch einer seiner Nachkommen oder Gehilfen konnten Bürgerrecht in der Stadt erwerben.

Erst im Jahre 1731 verfügte ein deutsches Reichsgesetz, die „Unehrlichkeit“ der Nachkommen des Scharfrichters oder Schinders solle zwar in der ersten und zweiten Generation noch aufrechterhalten, dagegen dürften die späteren Geschlechter von keinem Gewerbe, das sie zu ergreifen Lust hätten, ausgeschlossen werden. Hart und hoffärtig erscheint uns solche Verfemung, und doch steckte darin auch ein achtbares Empfinden. Die bürgerliche Gemeinschaft schätzte sesshafte und ehrliche Hantierung hoch, mochte aber Leute, die als Vaganten bald da, bald dort im Lande umherzogen oder um des Erwerbes willen die natürliche Scheu und Selbstachtung, wie sie sich im Widerwillen gegen unmenschliche Grausamkeit kundtun, preisgaben, in ihrer Mitte nicht leiden.

Dem einzelnen konnte freilich damit schweres Unrecht angetan werden. Keineswegs war jeder Scharfrichter ein Rohling. Gar mancher hatte im Gegenteil ein stilles, in sich gekehrtes sanftes Wesen, wie man es wohl eher bei Poeten sucht. So war Sampson, ein Henker aus der Schreckenszeit der französischen Revolution, der Hunderten in Ausübung seines grausigen Berufes den Kopf vom Leibe trennte, doch ein ungewöhnlich zartempfindender, über die tiefsten Fragen des Menschenlebens nachsinnender Mensch. Und ein anderes Beispiel des seltsamen Widerspruches zwischen dem abstoßenden blutigen Handwerk und der innerlichen, geistig gerichteten Art des Ausübenden ist Karl Hus, der Scharfrichter von Eger. Vom Vater hatte er das verrufene Geschäft des Henkers übernommen, aber seine Liebhaberei waren naturwissenschaftliche und historische Studien, die er mit solcher Gründlichkeit betrieb, dass Gelehrte vom Fach einen regen Briefwechsel mit ihm unterhielten und Fürsten auf ihn aufmerksam wurden.

Kein Geringerer als Goethe hat ihn seit dem Jahr 1806 wiederholt besucht und mit dem „derben unermüdlichen Sammler“ manches Erfreuliche über die Ergebnisse mineralogischer Studien ausgetauscht. Gustav Freytag, der Dichter der Ahnen, schrieb von ihm: „Gemeinsame Freude an den Gebilden der Kunst und Natur war es, was den größten Dichter der deutschen Nation, Goethe, mit dem Nachrichter von Eger in ein gemütliches Verhältnis brachte und ein leichtes Band wob zwischen dem Gönner der Gelehrten, dem Lieblinge der Unsterblichen, und dem armen Ausgestoßenen, den alte Münzen und Steine dafür trösten mussten, dass ihn die Menschen in seiner Umgebung nicht als ihresgleichen achteten.“

Der Tisch des Henkers

Der Tisch des Henkers

Wirtshaus, Der Tisch des Henkers

Wirtshaus, Der Tisch des Henkers