Edelfrau aus Marokko

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1898
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Marokko, Frauen, Frauenrechte, Gleichberechtigung, Ehe, Islam, Koran, Berber
In dem Berbersultanate Marokko ist die Monogamie die fast ausschließliche Art der Ehe, sowohl bei den Arabern als auch bei den Berbern. Die wenigen Ausnahmefälle, in denen ein reicher oder hochgestellter Araber sich einen Harem hält, kommen kaum in Betracht, und ein Berber heiratet nie mehr als eine Frau, mag er eine noch so hohe Stellung einnehmen, noch so reich sein. Die Marokkanerin genießt größere Freiheiten, als es sonst unter den Völkern des Islams Sitte oder Gesetz ist.

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Dieser Unterschied stammt gewiss noch aus vormohammedanischer Zeit, denn im Koran heißt es: „Die Frau ist ein unvollkommenes Geschöpf, das nur für sein Äußeres und seinen Schmuck lebt; stets bereit, ohne jeglichen Grund sich zu streiten und zu zanken; dass man mit Güte behandeln, aber bei Gelegenheit züchtigen muss.“ In Marokko ist die Stellung des Weibes eine bessere; hier gehen auch die Mädchen unverschleiert, und der heiratslustige Jüngling ist infolgedessen nicht auf Mittels: und Vermittlungspersonen angewiesen. Auch wird kein eigentlicher Kaufpreis für das zur Ehe begehrte Mädchen erlegt, denn die Summe, welche der Werber seinem künftigen Schwiegervater einhändigt, dient lediglich zur Anschaffung von Toilette- und Schmuckgegenständen für die Braut. Dass es unter den Marokkanerinnen selbst nach europäischen Begriffen hervorragende Schönheiten gibt, mag uns das Bild einer Edelfrau aus Marokko auf S. 19 (nach einem Gemälde von G. Croegaert) dartun. Sehr fein geschnitten ist das Gesicht, das aber seinen Hauptreiz durch die großen dunklen Augen erhält; charakteristisch sind die großen Ohrringe und das mit Goldmünzen besetzte Kopftuch. Den Adel oder die vornehmste Klasse der marokkanischen Bevölkerung bilden die Schürfa (Plural von Scherif), das heißt Abkömmlinge Mohammeds. Sie führen ihren Stammbaum auf Fatma Zohra, die Tochter des Propheten, und seinen Oheim Sidi Ali Abi Taleb zurück. Daneben gibt es noch einen Kriegeradel, der die Abkömmlinge alter, durch ihre Waffentaten berühmt gewordener Geschlechter, namentlich der Mehhal, der Kampfgenossen Mohammeds, umfasst. Es gibt ganze Ortschaften, die fast nur aus Schürfa bestehen, denen auch die gegenwärtige Dynastie in Marokko angehört. Man erkennt die Angehörigen dieses Adels daran, dass sie vor dem Namen das Prädikat Sidi oder Mulei (das heißt mein Herr) führen. Ungeachtet der oben erwähnten höheren Stellung der Frau bei den Marokkanern ist aber das Scheriftum nicht durch die Mutter erblich, wie das zum Beispiel bei den Tuareg der Fall. Heiratet etwa ein gewöhnlicher Marokkaner eine Adelige, so sind die Kinder keine Schürfa. Ein Scherif aber mag eine Frau aus jedem Stande nehmen, und die aus der Ehe entspringenden Kinder werden unter allen Umständen Schürfa.

Edelfrau aus Marokko

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