Abschnitt 1

Wenn das edle alte Lübek nicht allein bezüglich des Privatrechtes für Wismar, Rostock, Stralsund u. s. w. Mutter gewesen ist, sondern seine öffentliche Einrichtung überhaupt diesen Städten zum Muster gedient hat und die Geschichte des Lübischen Rathskellers durch eine treffliche Arbeit 1) in größter Klarheit vorliegt, so erscheint es beinahe überflüssig, dem Wismarschen noch eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Da es aber lehrreich ist zu vergleichen, wie bei aller Aehnlichkeit im Großen und Ganzen die Institute und Verhältnisse der Metropole sich in den Tochterstädten modisicirten, und Einzelnes beigebracht werden kann, was zur Vervollständigung des Lübischen Bildes, wenn auch nur in untergeordneten Partien, dienen mag, so laden wir ein, auch dem Rathskeller zu Wismar ein Auge zuzuwenden.

In einem Verzeichnisse von Weinen, welche Lübische Bürger im Jahre 1289 in ihrer Stadt Keller lagern hatten, ist uns das älteste Zeugniß über diesen erhalten; der Art. 207 des Codex des Lübischen Rechtes von 1294 gestattet den Bürgern, in ihren eigenen Räumen Wein hinzulegen, und 1298 werden zuerst zwei Rathmannen als Weinherren oder Vorsteher des Rathskellers in Lübek genannt. Das Institut ist aber jedenfalls viel älter, als diese Nachrichten. Der angeführte Artikel des Lübischen Rechtes, wie wohl auch die ohne Zweifel uralte Strafbestimmung für Vorsate 2), welche dem Rathe ein Fuder Wein in Sonderheit zuspricht, scheinen auf eine langjährige Einrichtung zu deuten und es mag sogar für Wismar, wo wir zwischen 1300 und 1308 zuerst einem Weinherrn und einem Schenken, wenn auch nicht unter diesen ausdrückliche Bezeichnungen, so doch als solche deutlich erkennbar, begegnen 3), schon für die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts ein Rathskeller als urkundlich gesichert angenommen werden können, da Heinrich der Pilger am 5. Januar 1266 eine zu Brot und Wein für die Kirchen zu Wismar, die Kirche auf Pöl, die Kirchen im Lande Ilow u. s. w. gemachte Stiftung der Verwaltung der Wismarschen Rathmannen unterstellte 4) und deren Keller, so weit die Nachrichten reichen, mit Gewißheit jene versorgte.


In den jetzigen Räumen unter dem Rathhause lagerte aber in jenen Tagen der Wein freilich nicht, denn einestheils soll damals das Rathhaus überhaupt an einer anderen Stelle, an der Ostseite des Marktes, gelegen haben und anderntheils stammt auch der gegenwärtige Keller aus dem Neubau, welcher in Folge des Brandes vom Winter 1350/1 vorgenommen werden mußte. Derselbe erstreckt sich von der noch jetzt erkennbaren, in den heutigen Flügel an der Westseite aufgenommenen Halle in der Breite des Mittelbaues bis zum östlichen Ende und wird von zwanzig schönen Kreuzgewölben überspannt, welche in zwei Reihen geordnet sind und bei einer Weite von 23 Fuß Hamb. mit Mittelpfeilern von 3 und 5 Fuß eine Höhe von 17 Fuß haben, während der alte Boden noch 3 Fuß tief von Schutt bedeckt sein soll. Ein Nebenkeller nach dem Hofe zu, der im späteren Mittelalter angelegt zu sein scheint und Anlaß zu der schon 1665 existirenden Sage von einem Gange nach dem Neuen Hause 5) gegeben haben wird, ist jetzt verschüttet. Drei Eingänge, in Westen, Süden und Osten, führten in die südliche Reihe der Kellergewölbe hinab, die von allen Seiten so viel Licht und Luft empfingen, als hinlänglich war, um es den Gästen behaglich scheinen zu lassen, selbst eine Bemalung der Wände in Farben, von welcher vor Kurzem noch Spuren in einer Zechergruppe entdeckt wurden, und, wenigstens in den beiden letzten Jahrhunderten, das Wohnen des Schenken im Keller zu gestatten. Eine in der westlichen Mauer angebrachte Wendelstiege führte nach dem Berichte eines zuverlässigen Augenzeugen auf die Löverung. Als besondere Localitäten für die Gäste werden 1458 das „neue Gelag“ und 1465 eine „Rose“ genannt. Ein Inventarium von 1610 führt ein großes und ein kleines Sommergemach, eine große und eine kleine Rose auf und dazu vier Gelage, worunter Tische mit hochlehnigen Bänken beiderseits, zu einer Structur verbunden und im freien Räume aufgestellt, zu verstehen sein werden; ein Inventarium von 1616 nennt auch noch „des Frohnen Gelag“. Das letzte Inventarium über den Keller in alter Einrichtung ist 1810 aufgenommen und lehrt, daß die beiden jüngst verflossenen Jahrhunderte denselben zu einer vollständigen Wohnung und Schenkwirthschaft gestaltet hatten, in welcher selbst die Kegelbahn nicht fehlte, während der Raum zum Lagern des Weines sehr unbedeutend geworden war. Der Keller hat durch diese Einbauten aber kaum gelitten; größer mag der Schaden gewesen sein, der aus dem Einsturze des Rathhausdaches im Jahre 1804 hervorging, der größte aber wurde ihm zugefügt, als man 1817/9 den gegenwärtigen „Prachtbau“ errichtete und nicht allein der Weine wegen allen Zugang von Luft möglichst absperrte, so daß der Keller dumpf und feucht geworden ist, sondern auch die westliche Grundmauer des östlichen Flügels mitten durch die Gewölbe führte, wodurch die schöne Structur wohl für immer zerstört ist. Der Keller, von dem man aber zu anderweitigen Zwecken einen Theil abgenommen hat, dient seit dem gedachten Neubaue des Rathhauses einzig zum Lagern der Weine, und Trinkstube und Wohnung des Kellermeisters befinden sich, 1820 bezogen, im Erdgeschosse. In den vierziger Jahren bereits angeregt ist der Versuch von dem jetzigen thätigen Pächter gemacht worden, durch ein nach der Weise der Altvordern decorirtes Gemach der gegenwärtigen Generation den Aufenthalt im Keller wieder behaglich zu machen.




1) Wehrmann, d. Lüb. Rathsweinkeller, in d. Zeitschr. d. V. f. Lüb. Gesch. II. S. 75.
2) S. Pauli ebd. I, 200.
3) Mekl. U. B. IV, Nr. 2645.
4) Ebd. II, Nr. 1059.
5) Das Neue Haus, hinter dem Rathhause Nr. 15, wurde Michaelis 1569, nachdem Verhandlungen seit 1563 Statt gefunden, im Einvernehmen mit der Papagoyen-Compagnie, den Kaufleuten, Brauern und Schiffern, von Jaspar Wilde in Lübek gekauft und zum Festlocal u. s. w. für die Bürger (im älteren Sinne) gebraucht. In dem schönen Keller dieses Hauses findet sich aber keine Spur eines Ganges und ein solcher ist auch aus dem Grunde schon unwahrscheinlich, wenn nicht unmöglich, weil Wein, welcher im Rathskeller feil war, weder im Privathause noch im Schenkhause verkauft werden durfte, und umgekehrt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches E. E. Raths Weinkeller zu Wismar