Die Kunstkammer

Auf die Kunstkammer gehen in ihrem Ursprünge die meisten der gegenwärtigen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft zurück, die den Ruhm Dresdens als einer der ersten Kunststätten Europas begründet haben. Die Lust zum Sammeln von Kunstwerken war in der Renaissance zuerst in Italien neu aufgelebt. ]Berühmte Sammler waren Alfons der Große von Aragon, König von Neapel (um 1450), zahlreiche Päpste, darunter als sammelkräftigster Alfons' Zeitgenosse Paul II., ganz besonders aber die Mediceer Cosimo, Pietro, Lorenzo Magnifico und Papst Leo X., von deren herrlichen Sammlungen die Inventare Kenntnis geben. Als Schatzkammern begannen diese Kunstsammlungen, allmählich stiegen sie zu immer höherem Kunstwert empor. Was jene Sammler geleistet haben, davon zeugen noch heute die vatikanischen und die Florentiner Museen. Mit der Renaissancekunst kam die Lust am Sammeln als fürstlicher Sport über die Alpen nach Deutschland. Berühmte Kunstsammler waren Herzog Albrecht V. von Bayern (†1579) und Kaiser Rudolph II. (1576—1612), welche ungeheure Summen ausgaben, um ihre Kunstkammern zu füllen, Albrecht V. hatte in Italien die Herrlichkeiten der neuen Kunst kennen gelernt und wollte nach dem Muster der italienischen Fürstenhöfe seinen Hof einrichten: man nannte ihn wie Lorenzo de Medici den Vater der Musen, den Prächtigen, den Goldbrunnen, der alle geistigen Gebiete überströme und befruchte; sein Zeitalter wurde als das mediceische in Bayern gepriesen. Die von ihm gesammelten Schätze bilden den Grundstock der späteren Hofbibliothek, Schatzkammer, Münzsammlung und reichen Kapelle; auch legte er durch seine Ankäufe von Antiken den Grund zum späteren Antiquarium in München. (Janssen VI, 123 /I). Außer seiner Kunstkammer hinterließ er seinem Sohne eine Schuldenlast von 2.300.000 Gulden. Noch größer war die krampfhafte Sammelwut Rudolphs II. "Seine Sammlungen in den großen Sälen der Prager Burg gehörten allerdings zu den vornehmsten und kostbarsten aller damals vorhandenen, und in seinem Nachlaßverzeichnis von 1612 berechnete man den Wert seiner Kunstkammer auf 17 Millionen in Gold.“ Aber auch hier stand dem eine Schuldenlast von nicht weniger als 30 Millionen gegenüber, so daß kaum noch ein lediges Pfandstück gefunden werden konnte. Auch handelte es sich bei diesen Sammlern um kein eigentliches Kunstverständnis; neben wertvollen Kunstwerken wurde auch wertloser Kuriositätenkram angekauft, und in der Kunstkammer standen diese Raritäten ohne jede Ordnung und Wertabstufung bunt durcheinander.

Nicht viel anders war es in Dresden. Hier wandte sich, wie gesagt, zuerst Kurfürst August, wohl angeregt durch das Beispiel seiner fürstlichen Zeitgenossen, dem Sammeln zu. In einem Punkte unterschied er sich gründlich von jenen beiden: wirklich kostbare Kunstwerke kaufte er überhaupt nicht — als er Gemälde in Rom bestellen wollte, fand er, daß der „Mallohn“ zu hoch sei — er kaufte nur nach seinen Mitteln und hinterließ seinen Nachfolgern keine Schulden, sondern im Gegenteil reiche Barmittel. In bezug auf Kunstgeschmack stand er also noch wesentlich unter Albrecht und Rudolf. Sein Hauptinteresse erschöpfte sich im Gewerbe und Handwerk, ganz besonders in der Technik.


Die Moral des Sammelns, um einen Ausdruck Jakob Burkhardts zu brauchen, stand bei ihm größtenteils auf dem Standpunkte der Rarität, auf dem Glück zu besitzen, was kaum ein anderer oder gar kein anderer hatte. So erwarb er teils durch Kauf, teils als Geschenke eine große Anzahl von Merkwürdigkeiten und Kunstwerken mannigfacher Art, die er dann von 1560 an in sieben Zimmern über seinen eigenen Wohngemächern im Schloss aufstellen ließ. Ein erstes Inventar von 1587 gibt Kunde vom Inhalt dieser Kunstkammer. Heute würde man vielleicht eher von einem technologischen Museum sprechen. Die Sammlung umfasste zahlreiche Geräte für Geometrie, Astronomie, Messkunst und jede Art der Technik; man sah da Erd- und Himmelsgloben, Uhren aller Art, Datumzeiger, Lesegläser, sämtliche Hilfsmittel zum Zeichnen, Schrittzähler, darunter einen von dem berühmten Nürnberger Goldschmied Wenzel Jamnitzer; ferner kostbare Landkarten, ausgestopfte Tiere, zahlreiche Werkzeuge für Tischler, Drechsler, Schlosser, Goldschmiede, Barbiere und Wundärzte; ferner Feuerzeuge, Schreibmaterialien aller Art, Stempel und Petschafte, Schach, Mühle und andere Spiele, Prismen, Wagen und Gewichte, eine kostbare Büchersammlung von 288 Stück, Hirschgeweihe, Gemsenhörner, allerlei Geräte zum Fisch- und Vogelfang, Modelle zu Maschinen und Gebäuden u. v. a.

Daneben kam auch die Kunst zu ihrem Recht. Wir lesen von künstlichen, teilweise sehr kostbaren Schreibtischen, darunter einem aus Marmor und Jaspis, der mit einem Positiv (kleine Orgel) verbunden war, von dem Bildhauer und Bildschnitzer Christoph Walter (1534 — 1584). Dieses hervorragende Werk ist noch jetzt im historischen Museum zu Dresden. An Erzeugnissen der Plastik werden erwähnt Nachbildungen der vier Tageszeiten von Michelangelo aus Alabaster und ein Standbild des Mars von Giovanni da Bologna. Unter den Gemälden sind zahlreiche Bildnisse teils zeitgenössischer Fürsten, z. B. des Herzogs August und seiner Gemahlin Anna von dem Leipziger "Fürstenmaler“ Hans Krell von 1551, jetzt in der Galerie, auch ein Bildnis Christians III. von Dänemark, jetzt im historischen Museum, Landschaften von Hans Bol, Adam und Eva von Lucas Cranach d. Ä. (jetzt in der Galerie) u. m. a.

Auch auf Kupferstiche und Holzschnitte erstreckte sich des Kurfürsten Sammeleifer. Teils hingen sie gerahmt an den Wänden, z. B. Ansichten von Venedig und Antwerpen, teils waren sie in eine ganze Reihe von Sammelbänden eingeklebt oder eingeheftet. Erwähnt werden namentlich wieder "Ansichten von Städten und Gebäuden, ferner Abbildungen römischer Altertümer, Szenen aus der biblischen Geschichte von berühmten Meistern, namentlich von Virgil Solls, Wappen, Stammbäume, Fürstenbildnisse, Darstellungen von Turnieren, festlichen Aufzügen und allerlei höfischem Zeremoniell“. (Vgl. Victor Hantzsch S. 231.)

Abb 22 Positiv (Orgel und Schreibepult mit altarartigem Aufbau) von Christoph Walther 1584

Besondere Teilnahme schenkte Kurfürst August der Kunst des Drechseins. Er selbst beherrschte sie in hohem Maße und drechselte mit großer Vorliebe. Nicht weniger als 165 Stück "elfenbeinernen Zeugs, so der Churfürst zu Sachsen Herzog Augustus eigener Person gedrehet“, wurden am 12. Oktober 1586 dem Kunstkämmerer David Uszlaub in die Kunstkammer zu setzen übergeben: gedrehte Kugeln, Büchsen, Schachteln, Schalen, Becher und ähnliche Geräte. Andere gedrehte Stücke der Sammlung stammten von den Hofdrechslern Georg Wecker und Egidius Löbenigk, einem geborenen Bayern. Noch andere waren Geschenke des Königs von Dänemark, des Erzherzogs Karl von Österreich und der Herzöge von Bayern und Florenz. Die meisten dieser Werke — von Löbenigk gegen 40, von Wecker über 50 — befinden sich im Elfenbeinzimmer des Grünen Gewölbes. Seinen beiden Hofdrechslern und anderen Hofhandwerkern lieh der Kurfürst zuweilen sein Handwerkszeug, wenn er Arbeiten bei ihnen bestellt hatte, die sie mit ihrem eigenen Handwerkszeug nicht ausführen konnten. (Hantzsch S. 228.)

"Ferner befanden sich in der Kunstkammer mehr als 200 Gefäße aus verschiedenen Steinen, namentlich aus Serpentin von Zöblitz und aus Marmor von Weißensee hergestellt.“ Damit im Zusammenhange steht endlich eine "Sammlung von 32 verschiedenen sächsischen Gesteinsarten, die auf des Kurfürsten Geheiß Johann Maria Nosseni zusammengebracht und auf ihre technische Verwertbarkeit hin geprüft hatte. Darunter befanden sich mehrere Arten Serpentin von Zöblitz, buntfarbige Schiefer von Niederplanitz bei Zwickau, roter Marmor mit weißen Punkten und ein grüner, rotgefleckter Stein von Wildenfels, schwarzer Basalt von Stolpen, vom Pöhlberge bei Annaberg und vom Schneeberg bei Grünau, Amethyst von Warmbad, Jaspis von Langenlungwitz u. v. a.“ Das Sammeln von heimischem Marmor und andern Gesteinsarten, wovon die Kunstkammer zeugt, betrieb Kurfürst August ganz planmäßig, und er hat dadurch die sächsische Plastik kräftig gefördert; denn die Bildhauer gewöhnten sich dadurch daran, anstatt wie bisher nur in Sandstein auch in edlerem Stein zu arbeiten. Der Künstler, dessen sich der Kurfürst dabei bediente, war Nosseni.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Dresden
Abb 22 Positiv (Orgel und Schreibepult mit altarartigem Aufbau) von Christoph Walther 1584

Abb 22 Positiv (Orgel und Schreibepult mit altarartigem Aufbau) von Christoph Walther 1584

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