Dritte Fortsetzung

Gleich hinter Horten, dessen Hafen Carl-Johans-Værn mit der norwegischen Kriegsflotte kaum sichtbar ist, erweitert sich der Fjord seeartig; geradeaus geht die Weiterfahrt nach Drøbak; rechts hat man die Gjellø dahinter Moß, bekannt durch die Konvention vom 14. August 1814, durch welche die Norweger ihren Frieden mit Schweden machten und sich das Palladium ihrer Verfassung retteten. Links erblickt man das unter einer Felswand gelegene Städtchen Holmestrand. An ihm vorbei geht die Seefahrt nach Brammen, dem alten Drafn. Bei dem überaus klaren warmen Wetter empfängt man den Eindruck eines italienischen Sees. Nur die Ufer, namentlich der großen Halbinsel Hurum im Norden, sind ziemlich öde, wenn auch mit Wald bedeckt, und wenig bewohnt. Bis hierher pflegt der Fjord im Winter zu gefrieren; es kommt sogar vor, dass die Leute über die Eisdecke von Horten nach Moß zu Fuß geben. Aber auch diesen Riegel durchbricht schon lange vor dem Abgange des Eises der Eisbrecher Mjølnir und eröffnet wenigstens den Seedampfern einen offenen Wasserweg (Raak) nach der Hauptstadt.

Allmählich werden die Ufer belebter. Ein Delphin springt wohl hoch über die metallene Fläche und fesselt die Aufmerksamkeit der etwas seemüden Gesellschaft. Bei dem Städtchen Drøbak, das mit seiner Kirche und den schattigen Linden gar freundlich daliegt, zieht sich der Fjord eng zusammen. Ein paar Inseln, die Kaholmer, verengen das Fahrwasser noch mehr, so dass nur im Osten eine schmale Fahrbahn bleibt, welche dazu von den respektablen Festungswerken auf dem größten der Holme, der Oscarsborg, beherrscht wird. Zieht sich die Flotte aus dem ziemlich offenen Horten hinter diese Enge zurück, so kann Christiania zur See kaum angegriffen werden. Anders freilich, wenn ein Landheer in Moß landete. Ein solcher Angriff könnte nach der Meinung der einfacheren Leute nur von — Deutschland kommen!


Wer an einem hellen Vormittag von Drøbak nach Christiania fährt, wird seine Erinnerung um ein großes Bild bereichern. Rechts hat man die ziemlich uninteressante Felswand von N?sodden. Links aber tritt das Ufer zurück, und es steigen die merkwürdigen Gneiskuppen und Porphyrrücken auf, welche Leopold v. Buch schon im Jahre 1806 besucht und so anschaulich geschildert hat: der Vardekolle, Skougums- und Kaalsaas, später auch Voksenaas mit dem berühmten Frogner S?ter. Christiania selbst, und noch früher Oscarshall, erblickt man erst, wenn man um N?sodtangen biegt, und es beginnt nun ein Panorama, welches an Mannigfaltigkeit und Reichtum der einzelnen Elemente, an Farbenglanz und landschaftlicher Harmonie wohl alles übertrifft, was der Norden Europas darzubieten vermag. Da das Boot längs dem ganzen Nordufer bis zur äußersten Bucht im Osten fährt, rollt sich uns dieses ganze Bild allmählich auf.

Was die Landschaft von Christiania so eigentümlich macht, ist die innige Verbindung von Gebirge, Meer und Inseln. Keines dieser drei Elemente dominiert. Die Berghöhen im Norden, alle vollkommen bewaldet, steigen nicht über fünfhundert Meter auf. Der Fjord trägt mehr den Charakter eines Gebirgssees als eines Meeresarms; doch breitet er sich auch hier noch immer meilenweit aus, und man atmet den frischen Salzgeruch des Ozeans. Nach Osten hin wird er enger; es springen nicht bloß von allen Seiten mächtige Felszungen (Tanger) herein, es tauchen überall auch große Inseln auf. Der Fjord gibt gleichsam seine Hoheit auf und wird lieblicher und milder, indem er sich um die Wohnstätten der Menschen schmiegt und nur noch ihren Verkehr vermittelt. Auf dem Nordufer dieses Ostendes des Fjordes steigt nun die Stadt auf, teils sich um die Buchten und Viken dehnend, teils sich über die wellenförmigen Höhenzüge legend, und in großen Terrassen zu dem Gebirgsrücken im Norden sich erhebend. Es gibt keine Grenzen dieses großen stundenweiten Stadtbildes. Dasselbe verliert sich wohl im Osten und im Norden, es hört aber eigentlich nirgends auf. Nach Westen gibt es aber gar kein Ende. Wie in Neapel ist auch hier meilenweit die Bucht von aneinanderhängenden Vorstädten und Dörfern besetzt. Es ist allerdings meist nur eine lange der Eisenbahn folgende Linie, aber sie hört nicht auf. Erst an dem mächtigen Vardekolle im Westen verschwindet das Menschentum, und es starrt uns die ernste norwegische Natur entgegen. Im Südosten legt sich wie ein großer Wall der Ekeberg vor und hemmt den Blick. Doch auch hier liegt ein Villenkranz an seinem Ufer. Zugleich tritt hier jene Inselwelt auf. welche diesem Landschaftsbild erst den rechten Charakter verleiht. Alle diese Inseln sind mit den reizendsten Landhäusern besetzt, meist freien luftigen Holzbauten, die einen am Strande, die anderen auf den Felshöhen stehend; alle mit Badestellen an der See, Flaggenmasten und wehenden Fahnen. Wo sich die Inseln auseinander geben, blickt man nach Süden hindurch in den tiefblauen Bundefjord, neben welchem die neue Eisenbahn nach Moß und Frederikshaid geht. Es ist, als ob diese Herrlichkeit gar kein Ende nehmen könnte.

Durch diese Inseln hindurch, im Norden die Lindø und Hoyedø, im Süden die Rambergø, Blekø, Sjursø; weiter südlich die Ormø und Malmø, geht unser oft enge Wasserweg. Dann biegt das Boot nach Norden in die Bjørvik, und führt um Hovedtangen mit dem Akershusslot zu der Toldbodbrygge. Nach der kühlen Meerfahrt ist es, als oh man in einen heißen Ofen gelangte. Die Zollbeamten kommen auf das Schiff, untersuchen, „um die Formalitäten zu beobachten“, fast nur mit den Augen unser Gepäck und versehen es mit einem Runenzeichen von Kreide. Wir sind entlassen. Die glühenden Steine, welche durch die Sohlen unserer Stiefel brennen, sagen uns allerdings nicht, dass wir uns über dem sechzigsten Breitengrad hinaus befinden. Aber im nahen Victoriahotel ist es luftig und kühl; auf der großen, mit Pflanzen und ausgestopften Vögeln, mit Karten, Bildern und Springbrunnen geschmückten, offenen, nur durch ein Zeltdach gedeckten Halle vergisst man das Schaukeln des Schiffes, und in dem frei auf dem gepflasterten Hofe errichteten Zelt, in dem ein paar hundert Personen dinieren können, bei Erdbeeren und Eis auch die Beschränkung der Schiffsküche.