Fortsetzung

Mit unaussprechlicher Liebe hing Luther an seinen Kindern, doch stand der Liebe der väterliche Ernst zur Seite, welcher, wie wehe es ihm tun mochte, auch zu strengen Zuchtmitteln griff. In wie herzlicher Art macht er seinen Freunden Mitteilung, wenn Gott ihm ein Kind geboren werden lässt. Wie kannte er nichts. Höheres, als früh den frommen Sinn seinen Kindern einzuflößen. „Gehe hin, sprach er einst zu einem seiner Kindlein, welches eine Muhme auf dem Arme trug, und biß fromm! Geld will ich dir nicht lassen, aber einen reichen Gott will ich dir lassen. Hic te non deseret. Biß nur fromm? Da helf dir Gott zu! Er sah gern dem kindischen Spiele der Seinen zu und entnahm daraus tiefe Wahrheit. Als er einst seine Kinder im Garten unter einander hadern sah und bald wiederum sich versöhnen und fröhlich spielen, rief er aus: „Lieber Herr Gott, wie wohl gefällt mir doch solcher Kinder Leben und Spielen! Ja alle ihre Sünden sind nichts, denn Vergebung der Sünden.“ Als sein jüngstes Töchterchen ihm einst von Jesu und den lieben Engeln und dem schönen Himmelreiche erzählte, rief er in seliger Rührung: „O wie ist doch der Kinder Glauben und Leben am allerbesten! Das Wort, welches sie hören, nehmen sie ohne Zweifel und freudig an und sind selig. Wir alten Narren aber haben das Hezeleid und disputieren noch lange. Ja wohl hat Christus Recht, wenn er spricht: Es sei denn, dass ihr euch umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. Die Kinder sind ein liebster Gedanke, wenn er fern ist; fiel bei der Heimkehr zu überraschen ist ihm hoher Genuss. So schrieb er von Torgau aus an seine Gattin: „Ich kann in dieser Stadt, wiewohl itzt Jahrmarkt ist, nichts finden zu kaufen für die Kinder. Wo ich nichts brächte sonderlichs, so schaffe mir da etwas Vorrat. Vielleicht ermahnte ihn der Rückblick in die eigene trübe Jugend, allen mönchischen Zwang von der Erziehung fern zu halten.“ Es ist gut, sagte er, dass ein junger Mensch viel bei den Leuten sei; doch dass er ehrlich zur Redlichkeit und Tugend gezogen und von Lastern abgehalten werde. Jungen Leuten ist solcher tyrannischer mönchischer Zwang ganz schädlich, und ist ihnen Freude und Ergötzen so hoch vonnöten, wie ihnen Essen und Trinken ist. Die treue Gattin wusste, wie sehr der Gatte an den Kindern hing, daher schickte sie ihm, als er während des Augsburger Reichstages auf der Ehrenburg, bei Koburg sich aufhielt, ein Bildnis ihrer kleinen Magdalena. Veit Diettrich schrieb ihr: „Ihr habt ein sehr gut Werk getan, dass Ihr dem Herrn Doctori die Contrafactur geschenkt habt. Denn er über die Maßen viel Gedanken mit dem Bilde vergisset, er hats gegen den Tisch über an die Wand geklebet, da wir essen in des Fürsten Gemach. Die Klagen in welcher er sich ergießt als ein Kindlein in der frühesten Jugend, und die Lieblingstochter in schönster Blüte ihm entrissen ward, schließen den Blick auf in das Vaterherz in welchem der Schmerz über den Verlust geliebter Kinder mit dem gläubigen Troste ringt; doch trägt der Trost den Sieg davon.

Ein milder Herr war Luther gegen seine Diener und Hausgenossen. Er warnt freilich vor zu großer Freundlichkeit die leicht frech mache, ja er ist sogar einer gerechten Züchtigung nicht abgeneigt. „Also, sagt er, ists auch ein Werk der Barmherzigkeit, das Gott belohnen will, wo böse Kinder und Gesind im Hause sind, dass man einen eichenen Butterwecken in die Hand nehme, und schmiere ihnen die Haut voll damit. Solches ist eine geistliche Salbe wider der Seelen Krankheit die da heißet Ungehorsam gegen Vater und Mutter, gegen Frauen und Herren im Hause. Jeder Beweis aber von treuer Anhänglichkeit steht in seinem Gedächtnisse angeschrieben. Als er sich bei dem totkranken Kurfürsten in Torgau befand, wollte sein treuer Famulus, Johann Rischmann aus Braunschweig, Wittenberg verlassen. Da schrieb er seiner Gattin: „Weil Johann wegzeugt, so wills die Not und Ehre fordern, dass ich ihn ehrlich lasse von uns kommen. Denn Du weißest, dass er fleißig und treulich gedient hat und wahrlich dem Evangelio nach sich demütig gehalten und alles getan und gelitten. Darum denke Du, wie oftmal wir haben bösen Buben und undankbaren Schülern gegeben, da es Alles verloren gewesen ist. So greif Dich nun hier an! Ich weiß wohl, dass wenig da ist; aber ich gäbe ihm gerne 10 Gülden, wenn ich sie hätte. Aber unter fünf Gülden sollst Du ihm nicht geben, weil er nicht gekleidet ist. Was Du drüber kannst geben, das tue, da bitte ich um. Lass Du nicht fehlen, weil ein Becher da ist. Denke, wo Du es kriegest: Gott wird wohl Anders geben, das weiß ich.


Luther war ein treuer Freund. Der ausgedehnte Briefwechsel, in welchem er mit den Edelsten seiner Zeit verkehrte, zeigt uns den innigen Anteil, den er an allen Verhältnissen und Schicksalen seiner Freunde nimmt; das Kleinste wie das Größte bewegt ihn lebhaft. Gern sah er einen geselligen Kreis in seinem Hause versammelt, wo er sich der ungezwungensten Heiterkeit überließ, und seine Tischreden geben das deutlichste Zeugnis, wie die verschiedensten Gegenstände in den Kreis der Unterhaltung hineingezogen wurden, und den seltensten Geistesreichtum entfalteten. Er verwandte sich gern für seine Freunde und scheuete für sie kein Opfer. Als er für den Prediger Simon Hafritz, der eine starke Familie hatte, in Magdeburg ein Unterkommen erwirkt hatte, dieser Mann aber mit dem kärglichsten Gehalte sich dort begnügen musste, fühlte er sich aufgefordert, wiewohl selbst in Not, den armen Mann zu unterstützen. „Es ist besser, schrieb er an Amsdorf, dass es über mich hergeht, als dass Ihr in Verlegenheit kommt. In Gottes Namen möge er kommen. Luther hat einen breiten Rücken, er wird auch diese Last tragen.“ Am innigsten fühlte er sich zu Melanchthon hingezogen. Sie waren, sagt ein geistvoller Schriftsteller, die zwei Pole des neuen Lebens der Zeit, die einander entgegengesetzt sind, während einer immer den andern voraussetzt, einer den andern ergänzt. Jeder fand in dem Andern, was er selbst nicht war, und was er doch nicht entbehren konnte, um eine volle und ganze Wirkung zu erzielen. Jeder sah auf der Stirn des Andern das göttliche Siegel seiner Berufung glänzen und der Eine ist dem Andern eine geistige Macht, die ihn mit einer unsichtbaren diamantenen Kette festhält. Melanchthon gesteht: „Ich bin hier festgehalten, ich weiß nicht durch welche Bande, und dass ich die Wahrheit sage, ich bin festgehalten wider meinen Willen;“ Luther erklärt: „Unser Philipp ist ein wunderbarer Mensch, ja an dem sich fast Nichts findet, was nicht übermenschlich wäre.“ Nur der vereinten Kraft beider großen Männer konnte es gelingen so Großes auszuführen.

Derselbe Mann, welcher in kleineren Kreisen der Stern war, zu dem die Seinen aufblickten, war auch untadelhaft, wenn er auf der großen Weltbühne wirkte. Eine rastlose Tätigkeit zeichnete ihn aus. Neben seinen Vorlesungen hat er oft, zuweilen viermal, an einem Tage gepredigt, und wenn er die laufenden Geschäfte beendigt hatte, so versenkte er sich in das Studium der heiligen Schrift, in welches er sich dergestalt vertiefen konnte, dass er sich seiner eigenen Familie Tage lang entziehen konnte. Selbst seine letzte Reise nach Eisleben und sein Aufenthalt daselbst, war ein rührender Beweis, dass er fest hielt an dem Wahlspruche: ich muss arbeiten, so lange es Tag ist.

Bei allem was er trieb, zeigte er die beharrlichste Ausdauer. Er wusste, dass er mit Gott begonnen hatte, darum kannte er seinen Helfer. „Ich weiß, schreibt er an Kurfürst Friedrich, dass mein Wort und Anfang nicht aus mir, sondern aus Gott ist, dass mich kein Tod noch Verfolgung anders lehren wird, denke auch, man wird es müssen lassen bleiben. – Es ist nicht möglich, dass ein Mensch sollt allein solch Wesen ersehen und führen. Es ist auch ohn mein Bedenken und Ratschlägen so fern kommen: es soll auch ohn mein Rat wohl hinausgehen, und die Pforten der Höllen sollen nicht hindern. Ein ander Mann ists, der das Rädel treibet. Überall tritt in ihm eine männliche Kraft hervor. Daher hat er auch Gefallen an tapfern Kriegsleuten und beklagt die Erfindung des Schießpulvers, weil nun ein Feigling den ritterlichsten Mann töten kann. Diese Kraft flammt aus dem denkwürdigen Worte: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen.“ Sie spricht aus jenem Schreiben, welches er an den Kurfürsten richtet, als er wider dessen Willen von der Wartburg nach Wittenberg geeilt ist, den tobenden Sturm zu beschwören: „Solches sei E. K. F. G. geschrieben, der Meinung, dass E. K. F. G. wisse, ich komme gen Wittenberg in gar viel einem höheren Schutz, denn des Kurfürsten. Ich habs auch nicht im Sinn, von E. K. F. G. Schutz zu begehren. Ja, ich halte, ich wolle E. K. F. G. mehr schützen, als sie mich schützen könnte. Dazu, wenn ich wüsste, dass mich E. K. F. G. könnte und wollte schützen, so wollte ich nicht kommen. Dieser Sachen soll noch kann kein Schwert raten oder helfen; Gott muss hier allein schaffen, ohne alles menschlich Sorgen und Zutun. Darum wer am meisten glaubt, der wird hier am meisten schützen. Dieweil ich denn nun spüre, dass E. K. F. G. noch gar schwach ist im Glauben, kann ich keinerleiwege E. K. F. G. für den Mann ansehen, der mich schützen oder retten könnte.“ Noch ehe er die Reise nach Worms antrat, schrieb er an Spalatinus: „Gedenke nur nicht, dass ich ich tes widerrufen werde, weil ich sehe und merke, dass die Papisten keinen andern Grund und Behelf wider mich haben, darauf hie fußen, denn dass ich wider der Kirchen (die sie ihnen erdichten und träumen) Missbräuche und Zeremonien geschrieben habe. Will derohalben Kaiser Carol antworten: So ich allein des Widerrufs halber erscheinen soll, wolle ich nicht kommen; sintemal es eben das Ansehen hätte, als wäre ich bereits draußen gewest und nun wieder hereinkommen, denn ich könnte auch hier widerrufen, wenn es allein darum zu tun wäre. Will aber Seine Kaiserliche Majestät mich über das fordern, dass ich soll umbracht werden, und von wegen dieser meiner Antwort mich für des Reichs Feind halten, will ich mich erbieten zu kommen. Denn ich gedenke nicht zu fliehen, noch das Wort in Gefahr stehen zu lassen, sondern es bekennen bis in Tod, soferne mir Christus gnädig ist und beistehet.“ Unerschrocken redet er die Wahrheit und fürchtet keine Gewalt der Mächtigen. Auch da, wo ihn das Feuer offenbar zu weit fortreißt, wie gegen Heinrich VIII. von England, oder Georg von Sachsen, ist der Antrieb immer ein edler. „Ich habe auch nichts für Augen, sagt er, denn die Sache der Wahrheit an ihr selbst, der ich aus Herzen hold bin. Und ob ich um ihrer willen zuweilen bin oder sein würde zu frei und frisch, wollt mir dasselbe ein Jechlicher freundlich verzeihen.“

Ein frommer Glaube war in ihm lebendig. Ruhig hält er aus in Wittenberg, als die Pest viele Opfer wegrafft; mutig antwortet er denen, welche ihn bedenklich fragen, wo er bleiben wolle, wenn ein Kurfürst ihn nicht schützen werde? „wenn nicht unter dem Himmel, doch im Himmel; vertrauensvoll tröstet er von Koburg aus die in Augsburg zagenden Freunde und lässt seine frommen Gefühle ausströmen in das Kernlied: eine feste Burg ist unser Gott. Im Namen Gottes hat er begonnen; nun steht der Glaube fest, der Herr werde weiter sorgen. „Ob wir gleich um Gottes willen zu Trümmern gehen sollen, wenn es Gott also schickete, so würde doch der allmächtige barmherzige Gott, der unser Vater um Christi willen ist worden, auch unsern Weibern und Kindern, Witwen und Waisen freundlicher gnädiger Vater und Haushalter, Schutz und Schirm sein, und alle Sachen tausendmal besser ausrichten, denn wir bei unserm Leben. Durch sein ganzes Denken, Wollen und Handeln zog sich die innigste Liebe zu Christo. „Gott nehme mich diese Stunde, sagt er, oder morgen aus diesem Leben, so will ich das hinter mir lassen, dass ich Jesum Christum erkennen und bekennen will für meinen Gott und Herrn. Solches habe ich nicht allein aus der Schrift, sondern auch durch viele, große und mancherlei Erfahrung; denn der Name Jesus hat mir oft geholfen, da mir sonst keine Kreatur hat können helfen. – Wohlan, wir habens auf den Mann, den Herrn Chrisum, Gottes Sohn, gewaget, der wird uns gewisslich nicht lassen. Unser Leib und Leben stehet auf ihm; wo er bleibet, da werden wir auch bleiben; sonst weiß ich nichts, darauf ich trotzen könnte. Darum lebet Christus, so wird er wissen, dass wir Alles um seinetwillen tun und leiden, mit Predigen, Lehren und Schreiben. Wie das auch die Welt weiß, und wir wissens auch; auf ihn wagen wirs, er wird uns auch helfen; aber es muss auch brechen und kann nicht also bestehen.“

Dieser fromme Glaube erhielt in ihm das kindliche Gemüt, welches sich in einer sinnigen Naturanschauung offenbarte. „Die größten Wunderwerke Gottes, sagt er, werden in den allerkleinsten und unachtsamsten Kreaturen und Dingen gesehen, als an einer reifen Birne und Apfel, welche, ehe sie reif wird, vor einem halben Jahre zuvor ohngefähr zu rechnen, da war sie tiefer, denn sie lang und groß ist unter der Erden, und saß im äußersten Wipfel der Wurzel. Überall wusste er Beziehungen zu dem Übersinnlichen anzuknüpfen. Als einst zwei Vögel in einen Garten geflogen kamen, welche von den Vorübergehenden dorthin verscheucht waren, sprach Luther: „Ach du liebes Vögelein, fliehe nicht, ich gönne dirs von Herzen wohl, wenn du mirs nur glauben könntest. Also vertrauen und glauben wir unserm Herr Gott auch nicht, der uns doch alles Gute gönnet und erzeiget; er will uns ja nicht totschlagen, der seinen Sohn für uns gegeben hat.“

Nicht in der Freude allein, sondern auch in der Trübsal hielt er fest an Gott; sein Inneres war dargelegt in seinem Wahlspruche: Vexatio dat intellectum und in seinem Siegel, in welchem sich eine weiße Rose befand, in der ein rotes Herz mit einem gelben Kreuze angebracht war, mit der Beischrift:

Ein Christenherz auf Rosen geht,
Wenns mitten unterm Kreuze steht.


Wenn aber die Wasser der Trübsal bis an die Seele gingen, dann erhob sich das betende Herz zu den Bergen, von denen uns Hilfe herabkommt; in seinem Gebete offenbarte er aber die ganze Innigkeit, Stärke und Glaubenskraft seiner Seele, und es geht uns durchs Herz, wenn wir den Bericht von Veit Diettrich lesen, der ihn zu Koburg belauschte, als er vor Gott betend niedergesunken war, oder Bugenhagen erzählen hören, wie herzlich Luther in einer schweren Krankheit zu beten verstand, oder ihn selbst vernehmen, wie er der Kraft seines Gebetes die Genesung des totkranken Melanchthons zuschrieb.

Wie hätte einem solchen Manne die Demut fehlen sollen? Jedes Streben nach eitler Ehre war ihm fern; er konnte es nicht dulden, wenn die Freunde von ihm lobpreisend redeten. „Was konntest Du mir Bitterers schreiben, bemerkt er dem Rechtsgelehrten Christoph Scheurl, als dass Du im Streben nach meiner Freundschaft mich mit so vielen durchaus eiteln Titeln ehrtest. Ich will nicht, dass Du mein Freund werdest, denn nicht zum Ruhm, sondern zur Gefahr wird Dir meine Freundschaft gereichen, wenn das Sprichwort wahr ist: den Freunden ist alles gemein. Wenn nun vermittelt dieser Freundschaft das Meinige Dein wird, so wirst Du an nichts reicher werden, als an Sünden, Torheit und Schmach, denn dies sind meine Sachen, die Du an mir, wie gesagt, zu den entgegengesetzten Tugenden gestempelt hat.“ Ob sein eigener Name dabei genannt werde, ist ihm gleichgültig, wenn nur sein heiliges Werk gedeihet. „Zum ersten, sagt er, bitte ich, man wolle meines Namens schweigen und sich nicht Lutherisch, sondern Christen heißen. Was ist Luther? Ist doch die Lehre nicht mein. So bin ich auch für Niemand gekreuzigt. Sankt Paulus 1. Cor. 3, 4. 5. wollte nicht leiden, dass die Christen sollten heißen Paulisch oder Petrisch, sondern Christen. Wie käme denn ich armer stinkender Madensack dazu, dass man die Kinder Christi sollte mit meinem heillosen Namen nennen? Nicht also, lieben Freunde, lasst uns tilgen die parteiischen Namen, und Christen heißen, des Lehre wir haben. Ich bin und will Keines Meister sein.“

Herzliches Wohlwollen gegen Alle belebte ihn. Ein hartes Wort hätte er gern zurückgenommen. Als er hörte, dass Tezel durch Vorwürfe, die ihm gemacht waren, in eine Gemütskrankheit verfallen sei, zu der sich ein hitziges Fieber gesellt hatte, schrieb er an ihn einen Trostbrief, in welchem er ihn ermahnte: er solle nur guten Mutes sein, weil er von ihm gar nichts zu befürchten habe; er möge nur Gott um Vergebung seiner begangenen Sünden bitten. – Eigennutz war ihm fern; er gab vielmehr, wo er nur konnte. Als einst von einem Wittenberger Professor die Rede war, welcher das Geld sehr lieb hatte, und Luthers Gattin sagte: „Hätte mein Herr einen solchen Sinn gehabt, so wäre er sehr reich geworden, entgegnete Melanchthon: „Das ist unmöglich; denn die auf gemeinen Nutzen trachten, können nicht ihrem Nutzen nachhängen."

Die höchste Genügsamkeit war seine Zierde. Wie gern er auch mit den Freunden die Freuden der Tafel teilte, wenn der Kurfürst ein Stück Wildpret, oder der Rat ein Fässchen Wein verehrt hatten, so hatte er doch in der Regel für sich wenige Bedürfnisse. „Er genoss, erzählt Melanchthon, nur sehr wenig Speise und Trank; ich habe ihn, und zwar bei völlig guter Gesundheit, vier Tage hinter einander nichts essen und trinken, auch oft sonst zu andern Zeiten viele Tage hinter einander täglich mit ein wenig Brot und einem Heringe sich begnügen gesehen. Bei dieser Genügsamkeit fand er häufig die Mittel. Andere reichlich zu unterstützen. Oft bat er für Andere, selten für sich; ja er suchte die Gnadenbeweise seines Fürsten für sich sogar zu beschränken. Sehr bezeichnend ist in dieser Hinsicht ein Schreiben an den Kurfürsten, der ihm Kleidung zum Geschenk gemacht hatte. Hier sagt er: „Ich habe lange verzogen, Euer Kurfürstl. Gnaden untertäniglich zu danken für die überschickten geschenkten Kleider und Gewande. Aber ich will Euer Kurfürstlichen Gnaden untertäniglich bitten, nicht zu glauben denen, die mich angeben, als habe ich Mangel. Ich habe, leider! mehr, sonderlich von Euer Kurfürstlichen Gnaden denn ich im Gewissen vertragen kann. Mir gebühret auch nicht, als einem Prediger, Überfluss zu haben, begehre es auch nicht. Darum ich auch Euer Kurfürstlichen Gnaden milde und gnädige Gunst so spüre, dass ich mich gleich fürchte. Denn ich ja nicht gerne hier im Leben wollte mit denen erfunden werden, zu welchen Christus spricht: Wehe, euch Reichen! ihr habt euern Lohn dahin. Zudem auch weltlich zu reden, ich will nicht gerne Euer Kurfürstlichen Gnaden beschwerlich sein, als der ich weiß, dass Euer Kurfürstlichen Gnaden des Gebens so viel hat, dass Sie freilich zu solchem Stande nichts übrigs haben mögen. Denn zu viel zerreißt den Sack. Demnach, wiewohl es zu viel wäre gewesen an dem lederfarbenen Tuch, auf dass ich aber Euer Kurfürstlichen Gnaden dankbar sei, so will ich auch Euer Kurfürstl. Gnaden zu Ehren, den schwarzen Rock tragen, wiewohl er mir doch ja zu köstlich ist, und wo es nicht Euer Kurfürstlichen Gnaden Geschenk wäre, ich nimmer mehr solchen Rock tragen könnte. Bitte derohalben, Euer Kurfürstlichen Gnaden wollten harren, bis ich selber klage und bitte, auf dass ich durch solch Zuvorkommen nicht scheu werde, für Andere zu bitten, die solcher Gnade viel würdiger sind. Denn Euer Kurfürstlichen Gnaden tun mir ohne dies zu viel. Chrisus soll und wird es gnädiglich und reichlich erstatten. Das bitte ich von Herzen. Amen.“

Luther war Mensch im edelsten Sinne des Wortes; dass er nicht frei von Mängeln war, hat Niemand besser erkannt, als er selbst. Wenn man aber die Heftigkeit eines Charakters getadelt hat, so möchte ich die Frage aufwerfen: ob ohne diese so viel Großes zu Stande gekommen sein würde? Die Mängel welche wir an Luther wahrnehmen, gehören als wesentliche Farben in das Gesamtbild seines Lebens hinein. Manches was man hinweggetilgt sehen möchte, wird milder beurteilt werden, wenn wir uns auf den Standpunkt der Zeit stellen, in welcher er lebte; dahin gehört sein glühender Judenhass und sein stürmisches Auftreten gegen die Schweizer, deren Sache er mit Karlstadt mehr verschmolzen hielt, als wirklich der Fall war.

Luther hatte redlich am Worte des Herrn gearbeitet; darum nahm ihn der Herr zu sich hinauf durch einen sanften Tod. Von der bleichen Lippe zitterte als letztes Wort das Bekenntnis eines freudigen Christenglaubens. Drei Jahrhunderte sind nun vorübergezogen an einem Grabe. Als das erste Jahrhundert sich schloss, war die Kriegsflamme im Erlöschen, welche acht und zwanzig Jahre lang Deutschland verwüstet und ihm Wunden geschlagen hatte, von denen es erst spät genesen konnte. Als das zweite Jahrhundert endete, flocht Preußens großer König die ersten blutigen Lorbeeren um die Siegerstirn. Jetzt ist das dritte Säkulum vollendet; Frieden von außen, aber Bewegung und Kampf in der Kirche. In zwei große Heerlager sind die Bekenner unserer evangelischen Kirche geteilt. Die Einen wollen den Geist der Zeit mit seinen Forderungen mit Gewalt zurückdrängen, erkennen das Heil der Kirche nur in dem Zurückgehen auf die ursprüngliche Form, nicht allein der ersten lutherschen, sondern der ersten christlichen Kirche; verlangen die Verpflichtung der Prediger auf den Buchstaben der von den Reformatoren entworfenen Bekenntnisschriften, wollen ein jedes einzelne Wort der Bibel als göttliche Eingebung betrachtet wissen und die Vernunft unter den Glauben also gefangen nehmen, dass sie derselben alles Recht der Prüfung in Glaubenssachen absprechen. Unter ihnen leuchten Männer, vor deren Gelehrsamkeit und Frömmigkeit wir alle Achtung empfinden; weil aber diese Partei von einzelnen Gewaltigen dieser Erde in besonderen Schutz genommen wird, so treten unter ihnen Viele hervor, denen es nicht um den Sieg der Wahrheit, sondern nur um den Sieg ihrer Ansicht zu tun ist, und welche statt mit ehrlichen wissenschaftlichen Waffen zu kämpfen, ihre Gegner verdächtigen und verketzern, ihnen die Berechtigung absprechen, innerhalb der evangelischen Kirche sich frei zu bewegen, ja sie nach alter Sitte in den Bann tun und aus der Kirchengemeinschaft ausstoßen möchten. Eine andere Partei will durchaus vorwärts. Sie erkennt dass kein Menschenwerk vollendet sein kann und will daher das Werk der Kirchenverbesserung nach den Anforderungen unserer Zeit fortsetzen; sie erkennt in dem Menschenworte nur den Ausdruck des Glaubens und der Gesinnung einer bestimmten Zeit, kann sich nicht überzeugen, dass dasselbe für alle Jahrhunderte bindend sein sollte, und erklärt sich daher gegen die Verpflichtung auf den Buchstaben der Bekenntnisschriften unserer Kirche; sie erkennt in der Vernunft eine reiche Gottesgabe, und wenn fiel auch zugesteht, dass der Vernunft Schranken gesetzt sind, so behauptet sie doch das Recht zu haben, die Glaubensgegenstände einer besonnenen Prüfung unterwerfen zu dürfen; sie erkennt in der Bibel den Quell der Heilswahrheiten und das Gefäß darin Gott seine Offenbarungen niedergelegt hat, aber sie unterscheidet von dem göttlichen Kerne, der in ihr enthalten ist, die menschliche Fassung, und glaubt vollkommen im Christentum zu stehen, wenn sie auch einzelne biblische Erzählungen und Aussprüche nach dem Standpunkte einer früheren Zeit beurteilt. Auch unter diesen Vorwärtsstrebenden, welche eine Wiedergeburt der Kirche aus der Gemeinde selbst heraus erwecken und verbreiten helfen, ehren wir tüchtige, gesinnungsreiche und fromme Männer, deren treues Kämpfen um so mehr zu ehren ist, da fiel durch dasselbe viele zeitliche Vorteile aufgeben, und unbekümmert ausharren, ob sie auch von der Gewalt aus ehrenvollen oder angenehmen Verhältnissen gedrängt werden. Unter denen aber, die vorwärts wollen, gibt es auch Männer, welche die Zeit nicht abwarten können, niederreißen wollen ehe sie neue und bessere Stützen zu Hand haben, durch bloße Leidenschaftlichkeit auf den Kampfplatz geführt sind, in der Hitze des Kampfes allzuscharfe Behauptungen ausgesprochen haben, zu deren Vertretung sie sich verpflichtet halten, und weil fiel in dem jetzigen Zustande unserer Kirche sich in ihren Ansichten beschränkt fühlen, statt redlich mitzuarbeiten, die in derselben liegenden edleren Keime zu entwickeln, die Kirche verlassen und neue Sekten bilden. Das Heiligste was der Mensch hat, der Glaube, wird bei diesem Kampfe in Anspruch genommen, daher gehen die Eindrücke, welche er hervorbringt, sehr tief und Viele blicken besorgt in die Zukunft und sehnen sich nach einem neuen Luther, der die Getrennten vereine und den Sturm beschwöre.

Wir, teure Freunde, die wir durch die Hallen der Kirchengeschichte gewandert sind, wir lassen uns nicht einschüchtern. Es gab in unserer Kirche schon viel härtere Kämpfe und bedenklichere Zeiten, Zeiten, in denen Männer, welche der Wissenschaft dienten, aus dem Kreise lehrbegieriger Schüler herausgerissen und ins Gefängnis geschleppt wurden, weil sie von einzelnen Ansichten Luthers abgegangen waren; in denen ein hochstehender Staatsmann auf dem Blutgerüste endete, weil er sich der freieren Fassung der reformierten Kirche genähert hatte; in denen ein mächtiger König, eines großen Vorgängers leuchtende Spur verlassend, ein Glaubenstribunal errichtete und die Lehrer seines Reiches zwingen wollte, nur nach einer vorgeschriebenen Weise zu lehren; in denen Jahrzehende lang mit gewandter Hand alle Waffen des Spottes und des Witzes und der geistreichsten Wissenschaft gegen Christentum und Kirche gebraucht wurden; in denen französische Unsittlichkeit und Unkirchlichkeit selbst dem bessern Teile unters Volkes Gefahr drohte; – seine Kirche hat aber der Herr dennoch beschützt und erhalten bis auf diesen Tag. An Luthers Grabe soll die Angst vor der Hoffnung weichen, dass unserer evangelischen Kirche der Frühling nicht ferne sei.

Vorwärts drängt unsere Zeit. Wir wollen ihrer Mahnung folgen. Stillstand ist Tod, nur Bewegung schafft Leben. Luther hat getan was er vermocht hat; seine Mission hat er erfüllt, denn als Sohn einer Zeit folgte er dem Aufschwunge, trug aber auch die Fesseln seiner Zeit. Wenn er heute unter uns auftreten könnte – er würde sich wundern, dass die Einen festhalten an seinem Buchstaben, er würde sich freuen, dass die Andern auf einer Grundlage weiterfortbauen, er würde in denen, welche jetzt begonnen haben und beginnen das Joch der geistigen Knechtschaft abzuwerfen, welches jenseits der Berge geschmiedet ist, seine Anhänger begrüßen und in den fortschreitenden religiösen Bewegungen unserer Tage, spätreifende Früchte von einer Aussaat erblicken.

An uns ist es, die Aufgabe unserer großen Zeit zu begreifen und an ihrer Lösung zu arbeiten. Ein edles religiöses Selbstbewusstsein regt sich in den Gemeinden. Sie blicken auf uns, ihre Führer. Sollen wir vergebens von uns hoffen lassen? Vorwärts denn, meine Brüder, aber mit Besonnenheit, dass bei dem neuen Aufbaue ein fester Grund uns bleibe, der göttliche Kern der Bibel und Jesus Christus gestern und heute und derselbige in alle Ewigkeit. Vorwärts denn, aber mit Liebe, dass das gegenseitige Verketzern aufhöre, dass wir eine höhere Einheit anstreben, in der alle trennenden Unterschiede aufgehen, dass wir über Luthers Grabe auch denen die Hand reichen, die nicht der evangelischen Kirche angehören, und Wesen und Form aus einander halten lernen. Vorwärts denn, aber mit Gott und Christo, dass ein Jeder, der an der Wiedergeburt der Kirche arbeiten will, erst bei sich selbst anfange und reinige und läutere das eigene Herz, und lerne still sein in dem Herrn, und greife nicht über, wohin sein Beruf nicht führt, dass nicht mehr Politisches und Kirchliches verwechselt, vermischt und dadurch getrübt werde. Das soll das Totenopfer sein, welches wir Dir darbringen, großer Luther, Du größter Mann, den die neuere Zeit für Deutschland geboren hat. Dein Geist soll die Bahn zeichnen, welche wir wandeln sollen, und der Gott, der Deine „feste Burg“ war in Deinen Kämpfen und in Deinem Hoffen, wird auch uns segnen, wenn wir, Jeder in einem Kreise und nach dem Maße einer Kraft, Dein Werk fördern helfen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Dr. Martin Luther in seinem Wesen und Wirken
Altenburg, Bartholomäikirche

Altenburg, Bartholomäikirche

Altwasser, Katholische Kirche

Altwasser, Katholische Kirche

Bernau, Herz-Jesu-Kirche

Bernau, Herz-Jesu-Kirche

Bernau, Nordseite der Marienkirche

Bernau, Nordseite der Marienkirche

Der Dom in Schwerin

Der Dom in Schwerin

Eisenach, Die Wartburg

Eisenach, Die Wartburg

Elsass Straßbourg, Kaufhausgasse mit Münster

Elsass Straßbourg, Kaufhausgasse mit Münster

Erfurt, Augustiner-Kloster

Erfurt, Augustiner-Kloster

Erfurt, Lutherdenkmal

Erfurt, Lutherdenkmal

Friedrichroda - Kirche

Friedrichroda - Kirche

Malchin, Postamt, Tor und Kirche

Malchin, Postamt, Tor und Kirche

Münster (Westf.) Liebfrauenkirche

Münster (Westf.) Liebfrauenkirche

Herne

Herne

Potsdam, Garnisionskirche

Potsdam, Garnisionskirche

SH Marne, Marktplatz

SH Marne, Marktplatz

Ulm, Muenster

Ulm, Muenster

Wolgast, St. Petri

Wolgast, St. Petri

Wolgast, St. Petri 2

Wolgast, St. Petri 2

Wolgast, St. Petri Innenansicht

Wolgast, St. Petri Innenansicht

Schwerin, Dom 1

Schwerin, Dom 1

Munich — Church of St. John. Drawn by Charles Vetter.

Munich — Church of St. John. Drawn by Charles Vetter.

Munich — The Church of St. Anna. Painted by Charles Vetter.

Munich — The Church of St. Anna. Painted by Charles Vetter.

Augsburg — The North Portal of the Cathedral. Painted by Karl O Lynch von Town.

Augsburg — The North Portal of the Cathedral. Painted by Karl O Lynch von Town.

Dresden — Church of Our Lady from the Brühl Terrace. Painted by Karl O Lynch von Town.

Dresden — Church of Our Lady from the Brühl Terrace. Painted by Karl O Lynch von Town.

Hildesheim — The Nave of St. Michaels Church. Painted by Alfred Scherres.

Hildesheim — The Nave of St. Michaels Church. Painted by Alfred Scherres.

Hildesheim — Cathedral Cloisters. The Thousand-year Rose-bush. Painted by Alfred Scherres.

Hildesheim — Cathedral Cloisters. The Thousand-year Rose-bush. Painted by Alfred Scherres.

Brunswick — The front of St. Andrews, as seen from the Weber-Strasse. Painted by Gertrude Wurmb.

Brunswick — The front of St. Andrews, as seen from the Weber-Strasse. Painted by Gertrude Wurmb.

Berlin — The Cathedral and the Frederick Bridge, from the Circus Busch on the north side of the Spree. Painted by Karl O Lynch von Town.

Berlin — The Cathedral and the Frederick Bridge, from the Circus Busch on the north side of the Spree. Painted by Karl O Lynch von Town.

Danzig — The Mottlau and St. Johns Church (Winter Evening). Painted by Alfred Scherres

Danzig — The Mottlau and St. Johns Church (Winter Evening). Painted by Alfred Scherres

Danzig — The Poggenpfuhl, with St. Peters Church and the Rathaus Tower. Painted by Alfred Scherres.

Danzig — The Poggenpfuhl, with St. Peters Church and the Rathaus Tower. Painted by Alfred Scherres.

M. Joachim Schlüter oder die Reformation in Rostock

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Der Rebell von St. Petri - Band 1

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Der Rebell von St. Petri - Band 2

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Rostock - Petrikirche mit Petritor

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Rostock - Markt, Marienkirche und Blutstraße

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