Dostojewskis großartige Methode.

Autor: Morgenstern, Christian (1871-1914)
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Dostojewski hat folgende großartige Methode:

Er führt eine Anzahl Menschen ein, die uns zunächst nur einfach fesseln, noch nicht erregen, wirft sie durcheinander, bringt sie in die unglaublichsten Verwickelungen, bis für jeden irgendeinmal die Stunde schlägt, wo er sein Innerstes enthüllen muß. Und enthüllt er sich nicht aus freien Stücken — und je bedeutender solch ein Mensch ist, desto verschlossener, schamhafter, unwilliger, ja selbst zynischer ist er — so wird er, ich möchte sagen, 'gestellt'. Ein andrer setzt ihm das Messer auf die Brust: Aljoscha und Iwan in den 'Karamasow', Werssilow und sein Sohn im 'Werdenden', Schatoff und Stawrogin in den 'Dämonen' usw.. Lassen wir das, ruft Schatoff, davon später, sprechen wir von der Hauptsache, von der Hauptsache ... Ich habe zwei Jahre auf Sie gewartet. — Nicht meine Person selbst, zum Teufel mit ihr, — aber das andere — ! Und dann sprechen sie alle von dem 'andern', von der Hauptsache: ob es einen Gott gibt oder nicht; was der Mensch tun muß, wenn es Gott nicht gibt; ob der Mensch überhaupt ohne Gott leben könne; wie im Besondern das Russenvolk diese höchste und brennendste Lebensfrage entscheide, und ob dieses Volk nicht vielleicht 'das einzige Gott tragende Volk' heute sei, 'das einzige, dem die Schlüssel des Lebens und des neuen Wortes gegeben sind'.

Und in diesen Gesprächen brennt die Flamme Gottes selbst, die Flamme des um sich selbst ringenden Gottes, dessen Leib das unendliche All der Gestirne und dessen Geist der Geist ihrer Lebendigen ist.