Fjodor Michailowitsch Dostojewski - einer der bedeutendsten russischen Schriftsteller

Dostojewski – Zur Kritik der Persönlichkeit

Ein Versuch
Autor: Kaus, Otto (1891-) deutscher Psychoanalytiker, Erscheinungsjahr: 1916
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Dostojewski, Russland, Russen, Schriftsteller, russischer Realismus, Weltanschauung, Otto Kaus, Weltbild,
Vorwort

Um den Zweck der vorliegenden Arbeit, der in Anbetracht der hohen und empfindlichen, an ihrem Material beteiligten Werte nichts gefährlicher sein könnte, als die Überspannung ihrer spezifischen Absicht, in kurzen Worten darzulegen, sei es uns erlaubt, auf ihre Entstehung zurückzugreifen, wodurch wir am besten die doppelte Einschränkung des Gesichtsfeldes veranschaulichen können, die der Fragestellung vorausging. Das Problem, dem wir hier begegnen, hatte sich aus weitergreifenden Gedankengängen abgespalten, die einem Vergleich zwischen Flaubert und Dostojewski, einer synoptischen Betrachtung der wichtigsten Repräsentanten des „französischen“ und des ,,russischen“ Realismus dienen sollten.*) Äußeren Gründen, zu denen vielleicht auch das Bedürfnis gehört, sich auf diesen Vorbereitungsakt berufen zu dürfen, ist es zuzuschreiben, dass dieselben bisher nur in unverbindlicher Darstellung in die Öffentlichkeit gelangten.**) Wenn dort die als vermittelnde Arbeitshypothese legitimierte Weltanschauung des Schaffenden in die Betrachtung eingestellt wird, möchten wir hier versuchen, einen Knoten zu lösen, welcher eine allgemeine Verarbeitung des Stoffes um so mehr erschwert, als er schon jede unmittelbare Auseinandersetzung mit Dostojewski hemmt und die objektive Beurteilung seiner Weltanschauung und seiner Kunst verzögert. Es soll weder eine vollkommene Darstellung seines Weltbildes und noch viel weniger eine Erörterung seiner dichterischen Bedeutung geboten werden, sondern einige aus der vergleichenden Betrachtung des Denkers und des Dichters sich ergebende Schwierigkeiten aufgezeigt und unserem Urteil über die Persönlichkeit dienstbar gemacht werden. Infolgedessen wurden auch nur jene überindividuellen Zusammenhänge angedeutet und dem Stoffe nur jene Angaben entnommen, die zur Fixierung dieser beiden Komplexe innerhalb ihres engeren Einflusskreises notwendig sind. Der Brennpunkt unserer Frage liegt dort, wo die verschiedenen Strömungen in die Persönlichkeit Dostojewskis einmünden, und unsere Aussagen beanspruchen infolgedessen keine Verallgemeinerung, höchstens insofern sie für das Doppelleben der schöpferischen Persönlichkeit typische Vorgänge berühren. Wichtiger als jedes Urteil über die einzelnen Faktoren, war uns ihre Verkettung, die Dynamik ihres inneren Zusammenhanges, ein diesem Dichter eigentümliches Verhältnis der Kräfte, das vor jeder weiteren Einreihung berücksichtigt sein möchte, weil es jede Äußerung wie eine konstante Korrektur begleitet.***)

Dass die Arbeit schon vor zwei Jahren angelegt und begonnen wurde, schützt uns gegen den Vorwurf, als wären wir dem Einfluss einer allzu nahen Gegenwart, sei es bei der Problemstellung, sei es bei der Ausführung, erlegen. Wenn wir einige aktuelle Ideen- und Tatsachenkreise streifen, so folgen wir nur der Verpflichtung des Materials, das dieselben umschließt. Andererseits hielten wir uns für berechtigt, uns gelegentlich auf die höhere Evidenz zu berufen, welche dieses und jenes Motiv durch nahe und große Ereignisse gewinnt, weil wir den kürzeren Weg dem längeren vorziehen, und die lebendigere Erfahrung der zeitlich oder räumlich entfremdeten, so lange wir unserer Objektivität die Fähigkeit zutrauen, eine empirische Distanz durch eine geistige zu ersetzen.
Wien, im Jänner 1916. Otto Kaus.

*) In Vorbereitung bei R. Piper & Co., München.
**) S. Otto Kaus: Flaubert und Dostojewski. Die Weißen Blätter 1914/5 (März-Heft).
***) S. Otto Kaus: Der Irrtum Dostojewskis. Frankfurter Zeitung, 4. Jänner 1916.

Dostojewski, Fjodor Michailowitsch 1821-1881

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Bauernhochzeit

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Auf dem Weg zur Hinrichtung

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Brennholztransport auf dem Ladoga-See. Im Hintergrund die Festung Schlüsselburg.

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Kreml zu Moskau

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