Doberan mit seinem Ostseebad Heiligendamm

Lichtgrüne Buchenwälder auf eng zusammengedrängten Moränenketten, silberweiße klassizistische Bauten um den Kampplatz, seitab in der schattigen Weite des englischen Gartens die ehrwürdigen Ruinen des Klosters und der hoch aufragende Bau seines stolzen Münsters ? das ist Doberan.
Und zu ihm gehört der Heiligedamm. Bis hart an den schmalen Strand der stillen Bucht drängt sich der Hochwald mit seinen schattigen Armen, das anmutige Kurhaus mit seiner säulengeschmückten Terrasse umhegend. Smaragdgrün die lebendige Flut der Ostsee, in der Ferne sich in tiefes Blau verlierend. Hinge nicht der herbe Duft des Meeres über der ganzen Landschaft, man glaubte sich nach Thüringen versetzt, so sehr beherrschen die umliegenden Hügel die Landschaft und heben sie als eine Sonderbildung aus der Einförmigkeit der nieder-deutschen Tiefebene heraus. Das Gesamtbild? so wechselvoll und anmutig es sich heute dem Auge des Beschauers darbietet? einst war es ganz anders. Der Mensch hat das Land geschaffen, in unablässiger Arbeit der Wildnis abgerungen, Sumpf und Moor gebändigt und zur Heimat gemacht. Einst war die flache Senke von Althof bis an den Conventer See und darüber hinaus ein wildes Unland. Der Urwald wucherte. Sommers über standen weite Flächen von den Wassern überschwemmt, die sich strudelnd ihr wildes Bett in den Bruchwald rissen und im Herbst und Frühjahr als wilder Strom ihre Wogen in die See wälzten.
In diese öde Wildnis hinein stiftete Herzog Borwin gegen Ende des zwölften Jahrhunderts das Kloster der Zisterzienser. Der Wendenfürst wird kaum geahnt haben, was die überlegene Kulturtechnik der Mönche, vereint mit dem zähen Fleiß der Bauern, die sie ins Land zogen, aus diesem Unland schaffen würden. Die Mönche fingen die drei Bäche, welche einst die Senke, in der heute das Kloster steht, durchströmten, ab und legten so den quelligen Grund trocken. Aus Bruchland und Moor entstanden weite Wiesenflächen. In den weiten Urwaldbezirk schoben sich Kolonistendörfer der Bauern, und der jungfräuliche Boden der Wildnis lohnte bald hundertfältig die aufgewandte Arbeit. Kaum hundert Jahre später beginnt die Macht des Klosters zu wachsen, und zweihundert Jahre nach seiner Gründung ist Doberan die reichste und blühendste der vielen Zisterzienserstiftungen. Sein weit zerstreuter Grundbesitz reicht von Ostpreußen bis nach Lüneburg. Von diesem Reichtum zeugen die Bauten, die heute noch durch alle Stürme der Vergangenheit sich bis in die Gegenwart herübergerettet haben. Es sind wenige. Denn als der Dreißigjährige Krieg mit schweren Hufen unser Land zerstampfte und zertrat, nutzte man die vielen Ruinen, die das weite Rund des mauerumfriedeten Klosterbezirks erfüllten, als Steinbruch, und nur wenige von den vielen Häusern sind uns erhalten geblieben. Allen voran das wundervolle Münster, heute vielleicht die schönste Klosterkirche in ganz Norddeutschland.



Was diesem gotischen Kern von Doberan seine besondere Note gibt, ist die Tatsache, dass er bei der Gründung des Seebades gewahrt wurde, und dass man ihm einen Rahmen gab, wie er schöner nicht gedacht werden kann. Mit schonender Hand hat der Gartenbauarchitekt den weiten, grünen Plan innerhalb der hegenden Klostermauer in einen Park verwandelt. Eine berauschende Symphonie von Gold und Grün, schilfumgürtete Teiche, in denen sich die dunklen Kronen der Baumgruppen spiegeln, klare Bäche, die murmelnd vorüberrauschen, sonnenüberglühte Wiesenflächen und über dem allen das tiefe Blau des Himmels, aus dem der helle Ruf des Turmfalken hernieder klingt, der in dem alten Gemäuer horstet. Und mitten darin das alte Gotteshaus, kraftvoll und doch anmutig in der frohen Farbigkeit seiner violett-braunen Ziegel. Jedem Spiel der Atmosphäre passen sie sich an, dem grauen, Nebel umschleierten Novemberabend, wie dem Leuchten des Hochsommermittags. Wie stolz reckt sich der Westgiebel empor in adeliger Kraft, wie eigenwillig, schlank und männlich streben seine Pfeilertürme zum Himmel, die Front mit sich emporziehend. Und wie fügt sich zu diesem Empordrang die ruhige Ausgeglichenheit der Flächen an der Nordfassade mit ihren gewaltigen, schlanken Fenstern. Sparsam die Ornamentik, aber klar die Gliederung, bewusst hervorgehoben das breit Hingelagerte. So betont unsere norddeutsche Backsteingotik das Erdverwurzelte. Und doch wie graziös vermag der Baumeister zu spielen in dem anmutig bewegten Kapellenkranz, der leicht und musikalisch schwingend den Ostchor umkränzt.
Überwältigend auch der Eindruck des Innenraumes. Auch hier überwiegt das Element des Malerischen und Farbigen. Wie wuchtig und erdverwurzelt steigen die mächtigen Pfeiler empor. Wie herb und klar ist das Gewölbe abgesetzt. Wie leuchten in der farbigen Dämmerung das Gold der Altäre, das braune Chorgestühl mit seinem dunklen Glanz, die bunten Pfeiler, die in unbekümmerter Unsymmetrie das mächtige Gewölbe des Ouerschiffes tragen. Wer einmal unser Münster betrat, ist seinem Zauber verfallen. Immer wieder steht in stillen Stunden vor ihm die farbige, dämmernde Weite, dieses Bekenntnis längst verronnener Jahrhunderte.
Die Kirche in ihrer heutigen Gestalt stammt aus dem 14. Jahrhundert. Ebenso wie das mächtige, eindrucksvolle Wirtschaftsgebäude, die sogenannte Brauerei, und die Ruine der Wolfsscheune, wie der Volksmund die alte Wollscheune bezeichnet. An die älteste, romanische Gründung gemahnt nur noch der alte Kreuzgang, der sich ein wenig müde an das Gotteshaus lehnt, sowie an der Westseite der niedrige, abgestufte Giebel mit der schweren, romanischen Rundbogentür.
Treten wir nun aus der Umhegtheit der alten Klostermauer hinaus auf den sonnigen Kamp, so ist es, als träten wir in eine neue Welt. Gegenüber der schwermütigen Schönheit der Gotik die klare Heiterkeit des diesseitigfreudigen Empire. Das ist das Bad Doberan, das der Herzog Friedrich Franz gründete und das seine Prägung empfing durch den herzoglichen Baumeister Karl Theodor Severin, einen überaus feinsinnigen Künstler der Berliner Schule. Seine künstlerische Geschlossenheit verdankt Doberan der Tatsache, dass Severin gewissermaßen in einen leeren Raum hineinbauen konnte. Denn der Kamp ist ursprünglich die alte Kuhweide des Fleckens, der selber ? damals kaum mehr als ein Dorf ? auf dem Hang des Jungfernbergs lag. So entstehen hier in den Jahren 1802 - 1836 in rascher Folge das herzogliche Logierhaus (das heutige Kurhaus), das Salongebäude (das heutige Rathaus), das herzogliche Palais, das Prinzenpalais, das Stahlbad und der größte Teil der anmutigen Bauten, die heute den Kamp umkränzen. Der sandige Anger erhält seine entzückenden Baumanlagen, ursprünglich im streng französischen Stil, aus dem heraus er im Laufe der Zeit sich zu einem lockeren und doch geschlossenen Park entwickelte. Mitten innen, auf dem samtenen Grün des Rasens, die beiden graziösen Pavillons, die sich in dem damals beliebten chinesisch - klassizistischen Mischstil anmutig in den Rahmen dieser leicht stilisierten Landschaft einfügen. Es ist die klare Anmut des Goethestils, die der kleinen Sommerresidenz ihren Rahmen schuf. Schlicht und kühl die Maße, ruhig abgewogen, zurückhaltend in ihren Ausdrucksformen, Lichtfreudig mit einer spielenden Bewegtheit bei sparsamst verwandter Ornamentik. Schade, dass nicht alle Gebäude das zarte Silber des einfachen Kalkanstriches behalten haben. Was für ein Leuchten lag über dem grün gehegten Platz, wenn das strahlende Tagesgestirn hinter dem Ouellholz untertauchte, die hohen Kronen der Bäume sich dunkler gegen den dämmernden Seidenglanz des Himmels abhoben, und nun alles Licht von den graziösen Bauten auszuströmen schien. Lustig und leicht beschwingt lief das Leben dahin, anmutig umkränzt von der Kunst, die in Schauspiel und Musik hier gepflegt wurde. Gewiss gab dem ganzen Treiben hier im wesentlichen der Hof seine Note. Aber etwas von dem beschwingten Rhythmus griff doch auch ?ber auf die Bürgerwelt. Aus Rostock kam man herüber, versuchte einmal sein Glück bei der Spielbank auf dem grünen Tuch, vom Lande her kamen zu den Rennen, die alljährlich abgehalten wurden, die Bauern und nahmen selber an ihm teil. Der Ruf als heilkräftiger Badeort zog aber auch Publikum aus ganz Deutschland, selbst aus dem Auslande, herbei. Und die wundervolle Umgebung, die jedem nach Laune frohe Gesellschaft oder die Einsamkeit von Wäldern und gehegten Promenaden finden ließ, übte ihren Zauber nicht vergebens aus. In Doberan wohnte man, und am Heiligendamm wurde gebadet. Durch den schattigen Laubengang der Dammchaussee rollten die Wagen, trabten die Pferde. Draußen am Strand hielten Badeschaluppen, warteten die Badekarren auf die Besucher, und wen es gelüstete, konnte in dem alten Badehaus auch warme Seebäder nehmen. Mittags ging es zurück. Auf dem Kamp spielte die Badekapelle, im Logierhaus fand man sich in zwanglosen Gruppen zum Mittagsmahl zusammen, bei dem der Herzog präsidierte. Lustpartien nach Althof, Warnemünde und in die nähere Umgegend füllten die Nachmittage aus, Bälle und Feuerwerke die Abende. Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein hat das alte Seebad seine Anziehungskraft behalten. Dann aber entstand längs des Strandes der Ostsee ein Badeort nach dem andern. Mehr und mehr gewöhnte man sich daran, das Meer unmittelbar vor der Tür zu haben. Ein Strandleben kam auf, das sich ganz wesentlich unterschied von dem Badeleben, wie es in der kleinen Sommerresidenz gepflegt wurden So geschah es, dass Doberan-Heiligendamm ganz langsam in einen Dornröschenschlaf verfiel. Was jetzt an die Ostsee strömte, das waren die Scharen der Großstadtmenschen, welche Zerstreuung suchten und nicht Sammlung. Und als man in den siebziger Jahren die alte Einheit von Doberan und Heiligendamm aufhob und den Damm selber zu einem Seebad zu machen versuchte, schnitt man beiden Orten den Lebensnerv ab. Denn sie sind aufeinander angewiesen, sie sind eine einheitliche Schöpfung, Ausdruck eines Stilwillens, der noch ganz und gar in der klaren Heiterkeit und Grazie der Goethezeit wurzelt. Heute sind die beiden Orte, die für einander geschaffen waren, wieder vereinigt. In dieser Vereinigung kommt aber aufs neue ein ganz bestimmter, gestaltender Lebenswille zum Ausdruck. Was dieses Seebad von anderen unterscheidet, ist, dass es Tradition hat, ein künstlerisches Erbe, das ihm eine bestimmte Verpflichtung auferlegt. Alle Vergangenheit wirkt lebendig hindurch durch die Kette der Geschlechter bis in die Gegenwart. Unser Bad will kein Museum sein, in dem man die Schätze einer großen Geschichte zur Schau stellt. Wir wollen dem Tage und der Gegenwart dienen, und wir werden dies am besten tun, wenn wir wie einst unseren Gästen Sammlung und besinnliche Erholung bieten statt Zerstreuung in der stillen Gehegtheit, die Natur und Kunst noch heute darbietet. Dann wird auch für sie der alte Spruch gelten, der am Kurhaus zu Heiligendamm steht.

Heic Te Laetitia Invitat Post Balnea Sanum.

(Frohsinn empfange dich hier, entsteigst du gesundet dem Wasser.)

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Doberan (seit 1921 Bad Doberan)
Das Waldhaus

Das Waldhaus

Das Innere der Kapelle

Das Innere der Kapelle

alle Kapitel sehen