Die Heilige-Bluts-Kapelle zu Doberan (1854) *

1854

Vor der Pforte des nördlichen Kreuzschiffes des Kirche zu Doberan, welche in alten Zeiten die Hauptpforte für alle diejenigen war, welche nicht im Kloster wohnten, steht isolirt eine kleine, achteckige Kapelle von großer Schönheit (vgl. Jahrb. IX, S. 411 flgd.). In dieser Kapelle ward ohne Zweifel das Heilige Blut aufbewahrt, welches dem Kloster sehr früh einen großen Ruf verschaffte. Schon im J. 1201 soll ein Hirte zu Steffenshagen eine Hostie vom Abendmahle im Munde mit nach Hause genommen, in seinem Hirtenstabe verwahrt und seine Heerde fortan damit geschützt haben, bis das Geheimniß entdeckt und die blutende Hostie ins Kloster zurückgebracht ward, wo sie fortan als wunderthätig eine große Verehrung genoß. So ungefähr erzählt Kirchberg in seiner meklenburgischen Reimchronik die Geschichte. Da die Weiber die Klosterkirche gewöhnlich nicht betreten durften, man aber das Wunder dem ganzen Volke zeigen wollte, so bauete man eine eigene Kapelle für dasselbe vor der Kirche.


Die Kapelle ist alt. Sie ist im kräftigen Uebergangs- oder normannischen Style gebauet und stammt wohl noch aus dem ersten Viertheil des 13. Jahrhunderts, wahrscheinlich noch aus der Zeit vor dem J. 1232, in welchem die alte Kirche geweihet ward. Sicher stand sie schon im J. 1248, als der Fürst Borwin von Rostock den Mönchen eine jährliche Ergötzung an Weißbrot, Wein und Fischen am Tage der Weihung der an der Pforte gegründeten Kapelle aussetzte ("in festo dedicationis capellulae, quae ad portam est fundata"). Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß hiemit die in Frage stehende Kapelle gemeint sei. Als der Bischof Friederich von Schwerin am Trinitatisfeste 1368 die jetzige Kirche weihete, bestimmte er auch zugleich, daß der jährliche Weihtag der Kirche und die Verehrung des Heiligen Blutes ("des Sacramentes") ("visitacio sacramenti in capella portae monasteru Doberanensis") fortan am Sonntage nach der Octave des Fronleichnamsfestes gefeiert werden solle, und verspricht allen Besuchenden Ablaß. Eben so wird in jüngern Ablaßbriefen von 1450 und 1461 die Kapelle an der Pforte ("capella in porticu ipsius monasterii") genannt.

Der Bau der kleinen Kapelle ist höchst ausgezeichnet. Die Kapelle ist achteckig, wohl eine Nachahmung der Kirche des Heil. Grabes und der Moschee des Khalifen Omar zu Jerusalem; die Heiligen-Grabes- und Sacraments-Kapellen wurden nach dem Muster dieser alten Bauten im Mittelalter häufig achteckig ausgeführt; man vgl. das Octogon der Kapelle der Heil. Drei Könige hinter dem Altare (vgl. oben). Die Kapelle hat 7 von einem kräftigen Wulste eingefaßte, leise gespitzte, schmale, jedoch hohe Fenster im Uebergangsstyle: an der achten Seite über der Thür ist eine Rosette von unglasurtem, gebranntem Thon eingesetzt, offenbar in jüngern Zeiten, wohl im 14. Jahrhundert. Jede der 8 Seiten mißt an der Außenwand nur 7 1/2 Fuß hamb. Maaß. Das ganze Gebäude ist im Aeußern von abwechselnd rothen und dunkelgrün und schwarz glasurten Ziegeln mosaikartig aufgemauert. Unter den Fenstern sind die glasurten Ziegel heller; nach oben hin werden sie dunkler und vorherrschend roth und schwarz. (Eine mißverstandene Restauration hat in den letzten Zeiten an den untern Theilen der Wände und sonst viel Altes und Kräftiges vernichtet.) Die Ecken sind mit Säulen bekleidet und mit kleinen, Kreuze tragenden Pyramiden gekrönt. Die 8 Giebel sind mit kleinen Ziegeln mosaikartig verziert. Der Fries besteht aus einer schönen Zusammenstellung von Kreissegmenten. Kurz das Ganze gewährt auf dem grünen Rasen, neben den grünen Bäumen und der majestätischen Kirche einen wunderschönen, reizenden Anblick und ist ein wahres Kleinod der Ziegelbaukunst.

Das Innere ist natürlich ähnlich gebauet, nur einfacher, auf den ersten Anblick. Die Fenster sind auch im Innern mit einem kräftigen Wulste eingefaßt. Das schöne kräftige Gewölbe ist oben in einer großen, hohen Rundung geöffnet, wahrscheinlich um von innen zu dem flachen achteckigen Dache gelangen zu können, da die Kapelle viel zu klein ist, um Treppen und Bodenanlagen anbringen zu können. Die starken Gewölberippen werden von Consolen getragen, welche alle mit verschiedenem Laubwerk in Relief verziert sind. Die Kapelle ist so klein, daß nur ein sehr kleiner Altar, auf dem das Heilige Blut in einer Monstranz stand, und ein "Ostensor", ein Priester, der es dem Volke zeigte, darin Platz finden konnten. Ob die Kapelle jemals auch zur Taufkapelle benutzt worden sei, läßt sich nicht ermitteln, ist aber sehr unwahrscheinlich. Bis in das Jahr 1853 war die Kapelle Kalkkammer für die kleinen Kirchenrestaurationen.

Von großer kunstgeschichtlicher Bedeutung ist aber die erst jetzt entdeckte künstlerische Ausstattung dieser Kapelle. Die ganze Kapelle ist von unten bis oben mit uralten Wandmalereien geschmückt. Es läßt sich eine dreifache Uebertünchung der Wände verfolgen. Zuerst sind die Wände mit grauem Kalk sehr dünne und fest geputzt und bemalt worden.

Darauf sind die Wände überweißt, ob auch bemalt, läßt sich nicht ermitteln. Endlich sind die Wände zum dritten Male, ohne Zweifel noch zur katholischen Zeit, überweißt und mit schlechten Arabesken und andern Verzierungen, häufig in grün, bemalt; so sind z. B. die Wulste und Gewölberippen mit abwechselnd rothen und grünen Bändern umwunden. Alle diese jüngern Malereien haben gar keinen Werth.

Die ersten, ältesten Wandmalereien, unter den jüngern Tünchen, sind aber von ungewöhnlich großer Bedeutung. Ohne Zweifel stammen sie aus dem Jahrhundert der Erbauung der Kapelle, dem 13. Jahrhundert, und es ist wahrscheinlich, daß sie gleich nach der Vollendung der Kapelle aufgetragen wurden, da der alte, dünne, porzellanharte, glatte, graue Putz, auf dem die Gemälde stehen, ohne Zweifel unmittelbar nach der Vollendung der Kapelle angebracht ist und die Gemälde ganz den Charakter des 13. Jahrhunderts tragen. Einen technischen Beweis möchten die bischöflichen Weihkreuze liefern, welche dasselbe schwarz gewordene Roth haben, wie die Gewänder mehrerer Figuren, so daß man schließen kann, beide seien zu derselben Zeit gemalt worden. Die Weihkreuze stammen aber von der ersten Einweihung her.

Der Raum für die Gemälde ist sehr beschränkt. Die im stumpfen Winkel gebrochenen Wände des Achtecks zwischen den Fenstern sind in grader Linie nur 1 Fuß 2 Zoll, mit dem Winkel 1 Fuß 8 Zoll breit. Die mit einem Wulst eingefaßten Fenster sind bis an die Wölbung derselben, wo auch die Consolen der Gewölberippen stehen, 10 Fuß hoch. Auf diesem beschränkten Raume von 10 Fuß hoch und 1 Fuß 8 Zoll breit, zwischen den Fenstern, ferner in den Gewölbekappen, endlich über der Thür sind die Wandmalereien angebracht.

Die ganze Ausschmückung der Kapelle ist folgendermaßen geordnet. Die innerste Laibung der Fenster, den Fenstern zunächst bis an die Wulste, steht im Rohbau. Die Wulste, die Leibung nach dem innern Raume der Kapelle, die Wandflächen über den Fensterwölbungen bis an die Gewölbekappen und die Gewölberippen sind geputzt und roth mit weißen Streifen, zur Nachahmung des Ziegelbaues, bemalt, grade so wie der Chor der Kirche zu Alt-Röbel bemalt war. Die innern Flächen der Kapelle und die Gewölbekappen sind grau geputzt und mit Figuren bemalt.

Die gebrochenen Wandflächen zwischen den Fenstern haben folgende anziehende Darstellungen.

Die beiden Flächen zunächst der Thür sind entweder nicht bemalt gewesen oder haben mit den Malereien auf der Wand über der Thür im Zusammenhange gestanden, sind jetzt jedoch gar nicht mehr zu erkennen. Es bleiben also nur 6 Wände für den Cyclus der Malereien übrig.

Der bemalte Raum auf den Wänden zwischen den Fenstern ist 10 Fuß hoch.

Unten steht, 3 1/4 Fuß hoch, auf jeder der 5 Wandflächen von der Linken zur Rechten eine der fünf thörichten Jungfrauen, einfach, meistentheils mit röthlichen Umrissen auf grau gemalt. Alle haben sehr traurige Gebärden, theilweise eine Hand an den gesenkten Kopf gelegt u. s. w., nach altem Typus. Die Darstellung auf der sechsten Wand ist nicht mehr zu erkennen.

Ueber diesen Figuren stehen, 1 Fuß hoch, 9 bischöfliche Weihkreuze, immer zwei neben einander auf jeder der vier der Thür gegenüberstehenden gebrochenen Wände, das neunte allein auf der Wand zunächst rechts. Die großen Kreuze sind von einem Kreise eingefaßt, auf welchem noch ein kleineres Kreuz steht. Die Malerei dieser Kreuze ist schwarz geworden; ohne Zweifel war es eine rothe Mineralfarbe, welche, wie häufig, schwarz geworden ist.

Ueber den Weihkreuzen stehen, 3 1/2 Fuß hoch, von der Linken zur Rechten die fünf klugen Jungfrauen, erhabene, schöne Gestalten, mit runden, antiken Lampen, aus denen eine große Flamme emporschlägt, in der Hand. Auf der Brust haben sie zum hochzeitlichen Schmuck ein großes Juwel in rhombischer Gestalt. Gewänder, Lampen und Flammen sind jetzt auch schwarz geworden, ursprünglich aber roth gewesen. An der sechsten Wand rechts steht eine heilige Jungfrau mit einem Schwerte in der Hand, die H. Katharine.

Ueber den klugen Jungfrauen stehen unter den Consolen der Gewölberippen, 1 1/2 Fuß hoch, knieende Gestalten, welche die Arme ausbreiten, um anzubeten oder die Consolen zu stützen, einfach mit hellrothen Umrissen gemalt, wie die thörichten Jungfrauen.

Die klugen Jungfrauen, auf den Weihkreuzen stehend, bilden mit ihrem Farbenschmuck den bedeutendem Mitteltheil der ganzen Darstellung.

Diese Darstellung mit den thörichten und klugen Jungfrauen findet sich öfter in den Vorhallen großer Kirchen, z. B. in der nördlichen Vorhalle des magdeburger Domes, in der Vorhalle der Frauenkirche zu Nürnberg u. s. w. Die doberaner Kapelle vor der Pforte ist auch als Vorhalle zu betrachten, wenn sie auch nicht in unmittelbarer Verbindung mit der Kirche steht.

Von den Gemälden auf der breiten, undurchbrochenen Wand über der Thür ist wenig zu erkennen. Die Gemälde haben schon früh, wahrscheinlich beim Einsetzen der Rosette in die Außenwand im 14. Jahrh., gelitten und man sieht deutlich, daß jüngerer Putz in die Gemälde gedrungen ist. Jedoch sind die Darstellungen dem Sinne nach noch zu erkennen. Die Wand war horizontal in zwei Hälften getheilt. Oben ist die Krönung Mariä: auf Stühlen sitzen zwei Gestalten, zur Rechten Maria, die Figur zur Linken ist nicht zu erkennen. Unten ist Christus am Kreuze; zur Rechten ist noch eine knieende weibliche Figur (Maria) zu erkennen.

Die Gemälde in den Gewölbekappen sind nicht so klar; mehrere sind jedoch deutlich zu erkennen. Es sind große, kräftige Gestalten, in röthlichen Umrißlinien, in jeder Gewölbekappe eine. Der Thür gegenüber steht der auferstandene Christus; man erkennt noch den erhobenen linken Arm mit dem Nägelmale. Die beiden nächsten Bilder sind nicht zu erkennen; vielleicht waren es die Jungfrau Maria und Johannes der Täufer, die Hauptheiligen des Klosters nächst Christus und vor dem Evangelisten Johannes. Von den folgenden Bildern steht rechts zunächst: der Apostel Petrus, mit dem Schlüssel in der linken und einem kurzen Kreuzstabe in der rechten Hand; dann folgt (zunächst der Thür) der Apostel Philippus, mit einem Buche in der linken und einem langen Kreuzstabe in der rechten Hand. An der linken Seite steht zunächst der Evangelist Johannes mit einem Kelche in der Hand; dann folgt (zunächst der Thür) der Apostel Paulus mit Buch und Schwert. In der Gewölbekappe über der Thür steht der Apostel Judas Thaddäus mit einem Buche im linken Arme und einer Keule in der rechten Hand.

Diese ganze Ausstattung der Kapelle, wie in Meklenburg an Geist und Ausführung noch kein zweites bekannt geworden ist, verdient die höchste Aufmerksamkeit und Pflege.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Doberan (seit 1921 Bad Doberan)