Das Grab des mecklenburgischen Fürsten Pribslav in der Kirche zu Doberan * *

in der Kirche zu Doberan,
vom ArchivRath und Conservator Dr. Lisch.
1857


Das Gedächtniß merkwürdiger Personen ist von so großer Bedeutung, daß der menschliche Geist unabweislich darnach trachtet, die Stätten ihrer Wirksamkeit, ihres Lebens und ihrer Ruhe zu kennen und zu bezeichnen. Für Meklenburg hat nun die Grabstätte des Fürsten Pribislav eine bedeutende Wichtigkeit, da er der christliche Stammvater unsers Fürstenhauses ist und an seine Ruhestätte sich eine lange Reihe höchst ausgezeichneter Begebenheiten und Bestrebungen knüpft. Der Fürst Pribislav starb am 30. Dec. 1178: er fiel in einem Turnier zu Lüneburg (nach der doberaner Chronik: in torneamento laesus obiit. Jahrb. II, S. 18). Seine Leiche ward zuerst in dem MichaelisKloster auf dem Kalkberge bei Lüneburg beigesetzt und nach der Vollendung der Kirche zu Doberan im J. 1219 hierher versetzt. Pribislavs Begräbniß in der Kirche zu Doberan war unter dem mittlern Gewölbe des nördlichen Kreuzschiffes der Kirche 1), der südlichen Hauptpforte für die Mönche gerade gegenüber, an der nördlichen Hauptpforte für die Laien. Seine Begräbnißstätte ward der Ort der Ruhe für die meisten seiner Nachkommen aus allen Linien des Fürstenhauses bis zum Jahre 1550, eine Stätte voll der reichsten Erinnerungen für die Geschichte unsers Vaterlandes. Dreihundert Jahre lang lag dieser Ort in Vergessenheit, bis es in den neuesten Zeiten durch eine große Kette der verschiedenartigsten Forschungen gelang, die alte, merkwürdige Stätte des Begräbnisses der meklenburgischen Fürsten wieder zu entdecken und wieder zu Ehren zu bringen. Am 3. Nov. 1853 fand ich das Grab des Fürsten Pribislav an der Stelle, wohin alle urkundlichen Nachrichten und Denkmäler leiteten, und in Folge dieser Entdeckung beschloß Se. königliche Hoheit der allerdurchlauchtigste Großherzog Friedrich Franz II. zu Doberan die Wiederherstellung der fürstlichen Begräbnißkapelle, nachdem Allerhöchstderselbe sich von der Wahrheit der Entdeckung in Doberan Selbst überzeugt hatte. In den nächsten Jahren wurden die Vorbereitungen zu der Wiederherstellung eifrig betrieben, bis diese im Jahre 1856 in Angriff genommen werden konnte. Dies Alles ist mit ausreichenden, sichern Beweisen und ausführlicher Schilderung in den Jahrbüchern XIX, S. 342 flgd. und S. 158 flgd. dargelegt. In den gegenwärtigen Zeilen will ich schließlich nur über die letzte Aufgrabung, die Versicherung des Grabes und die dabei gemachten Erfahrungen berichten.
Zur sichern Bezeichnung des Grabes des Fürsten Pribislav legte ich im Anfange des Monats April 1856 das Begräbniß wieder frei. Am 3. April 1856 war der ganze Grund so weit aufgegraben, daß die Grabkiste Pribislavs offen lag und Se. Königliche Hoheit der allerdurchlauchtigste Großherzog, Allerhöchstwelcher zu der Oeffnung und Schließung des Grabes nach Doberan gekommen war, Sich von den Umständen Allerhöchstselbst überzeugen konnte. Das Grab Pribislavs, des christlichen Stammvaters des fürstlichen Hauses und des Gründers des Klosters Doberan, war zur Zeit der katholischen Kirchenverfassung und so lange das Kloster und das Bewußtsein des Stifters desselben dauerte, mit einem großen Leichensteine bedeckt, auf welchem eine "schöne Messingplatte" befestigt war, welche späterhin und mit derselben das Andenken an diese ehrwürdige Stätte spurlos verschwunden ist. Daher war auch über dem Grabe Pribislavs keine andere Leiche begraben, sondern die Erde über demselben war reiner Sand. Der Stammvater Pribislav war in der Mitte 2) der fürstlichen Begräbnißkapelle, grade vor dem Altare dieser Kapelle und unter dem Schlußsteine des Gewölbes, selbstverständlich mit dem Antlitz gegen Osten hin, eingesenkt. Dagegen ruhen rund um ihn her in vielen Schichten über einander in reiner Erde, ohne Sarkophage, die Gebeine seiner Nachkommen aus den drei älteren Linien, deren Begräbnißstätten nur mit großen Wappenziegeln aus gebranntem Thon bezeichnet waren. Die Leiche Pribislavs lag tiefer als die Leichen aller seiner Nachkommen. Die Kapelle war, wie der hohe Chor der Kirche, mit den bekannten kleinen Mosaikziegeln (oder "Klinkern") des 12. Jahrh. Gepflastert 3).
Der Sarkophag Pribislavs stand in seinen Fundamenten 6 Fuß tief unter dem Fußboden der Kirche. Er war von großen Ziegeln rechtwinklig aufgemauert, 2 Fuß hoch, 8 Fuß lang und 2 Fuß 10 Zoll weit im Innern, unten ohne Unterlage in die Erde gesetzt, oben offen. Die Ziegel hatten das gewöhnliche Format der Bauziegel jener Zeit. Schon diese uralte Begräbnißweise ist ein Beweis, daß diese Stätte das Grab des Fürsten Pribislav ist. "Die alten Fürstengräber waren insgemein nicht anders beschaffen", selbst oft in der Nähe von Gebirgsländem, wo man nur aus Felsen zu bauen gewohnt ist. Eben so sind die alten Kaisergräber im Dome zu Speier 4), welche bis zum Ende des 13. Jahrh. reichen, eingerichtet. "Die kaiserliche Grabstätte ist nicht, wie man häufig annimmt, ein unterirdisches Gewölbe, eine Krypte, eine Gruft, worin die Särge frei stehend ruhen, sondern sie besteht aus einer Anzahl von einzelnen, ziemlich engen (ungefähr 4 Fuß breiten), gewöhnlichen Gräbern, welche sich im vordern oder Königschor des Doms acht Fuß tief unter dem Boden befinden; sie bilden zwei Reihen, eine vordere östliche und eine hintere westliche. Die Gräber waren von vornherein zur Aufnahme je zweier Särge eingerichtet, welche jedoch nicht neben, sondern über einander gestellt wurden; der untere Theil des Grabes war mit gehauenen Sandsteinen, der obere mit Back oder Ziegelsteinen ausgemauert, beziehungsweise mit dergleichen Platten ausgelegt". Eben so ist das Grab des Kaisers Carl des Dicken 5) im Münster auf der Insel Reichenau im Bodensee, welches nicht größer ist, als zur Aufnahme eines starken Manneskörpers grade erforderlich ist, mit blaßrothen, durch Kitt verbundenen Backstein oder Ziegelplatten ausgelegt. Auch die alten Gräber des österreichischen Fürstenhauses waren nicht anders eingerichtet 6). Eben so war das Grab des Fürsten Werle († 7. Mai 1277), beide neben einander im hohen Chore der Kirche zu Doberan. Auch die in der Klosterkirche zu Berlin 7) Heinrich des Löwen von Meklenburg († 21. Jan. 1329) und das Grab der Fürstin Jutte von Werle, Gemahlin des Fürsten Nicolaus I. von aufgefundenen Gräber waren auf gleiche Weise eingerichtet 8). In diesem Grabe Pribislavs hatte ein hölzerner Sarg gestanden, welcher 6 1/2 Fuß lang und am Kopfende 2 Fuß breit gewesen war.
Das Holz war nur noch an der braunen Farbe, aber ganz deutlich zu erkennen; metallene Verzierungen oder Beschläge waren nicht vorhanden, nur sehr große eiserne Sargnägel, welche in Kalk getaucht waren, lagen in der braunen Erde.
In diesem Sarge innerhalb des Ziegelsarkophages lag das wohl erhaltene Gerippe Pribislavs, gegen Osten schauend, mit den Händen im Schooße. Das Gerippe war von dem Scheitel bis zur Ferse sicher wenigstens 6 Fuß hamburger Maaß lang; der Fürst war also ein großer Mann. Die Zahnhöhlen waren sehr kurz und zum Theil zugewachsen; die untere Kinnlade hatte nur noch den letzten Backenzahn und den ersten Augenzahn der rechten Seite; die Zähne der obern Kinnlade waren meistentheils herausgefallen und hatten hoch herausgestanden. Hieraus scheint hervorzugehen, daß Pribislav schon im hohem Alter stand, als er starb 9). Der Schädel hatte eine im hohen Grade schön gebildete Stirn, welche in Gegenwart Sr. Königlichen Hoheit des Großherzogs ganz frei gelegt und gereinigt werden konnte; die Stirn war hoch und senkrecht, von gleichmäßiger Breite und ungewöhnlich regelmäßigen und schönen Linien, jedoch ohne irgend eine ungewöhnliche, hervorragende Erhöhung, aber so schön und ebenmäßig in der ruhigen, edlen Entwickelung, daß wohl selten eine so schöne Stirn gefunden wird. Von einer slavischen Volkseigenthümlichkeit, welche eine zugespitzte, hintenüber gelehnte Stirn zu zeigen pflegt, war keine Spur. Im hohen Grade überraschend war die Erscheinung, von der auch Se. Königliche Hoheit Allerhöchstsich genau überzeugte, daß der Schädel, welcher vorher gewiß noch nie gedrückt oder von der Stelle bewegt war, an der rechten Schläfe neben dem Stirnbein ein Loch von 1 1/2 Zoll hamb. Maaß Durchmesser hatte; der Schädel war hier durchstoßen und das Schläfenbein zersplittert, ohne Zweifel von dem Lanzenstoße, an welchem Pribislav starb: daher war die Verwundung auch an der rechten Seite, mit welcher Pribislav seine Lanze ausgelegt hatte. Neben und an der Leiche war, außer den eisernen Sargnägeln, nichts zu finden, weder Waffen, noch Kleinodien. Die Hände lagen im Schooße, trugen jedoch keinen Ring, so sorgfältig auch die Untersuchung vorgenommen ward. Eben so war auch in dem Grabe des Fürsten Heinrich des Löwen nichts weiter zu finden, als das Gerippe. Auch die Kaisergräber im Dome zu Speier enthielten nichts weiter, als "Gebeine und etwas verrostetes Eisen". Die Sitte der Bestattung in dem bloßen "Leichlaken" scheint bis gegen das Ende des 16. Jahrh. vorherrschend gewesen zu sein.
Nachdem der Ziegelsarkophag sorgfältig wieder mit Sand gefüllt war, wurden in der Tiefe drei starke Sandsteinplatten dicht neben einander queer über das Grab gelegt, von denen die mittlere die eingehauene Inschrift trägt:


Darauf ward die Grube nach alter Weise bis zum Fußboden der Kirche wieder mit Sand gefüllt.
Am 3. Julii 1856 ward ein Leichenstein auf Pribislavs Grab nach alter Weise in den Fußboden gelegt. Der stein ist nach alten Mustern eine dicke, feste, sehr harte, vortreffliche Platte aus grauem, schwedischen Kalkfels (sogenannte "Fliesen", jedoch ganz rein und ohne Petrefacten), zu welcher erst ein Steinbruch in Schweden wieder entdeckt werden mußte, 8 Fuß lang und 4 Fuß breit. In der Mitte steht der fürstliche meklenburgische Schild mit dem Stierkopfe der Herrschaft Meklenburg und darüber der meklenburgische Helm, in großem Maaßstabe. An den Ecken stehen die Symbole der vier Evangelisten. Die Inschrift im Rande lautet:

Im Julii des J. 1856 ward die Kapelle mit einen Mosaikfußboden von kleinen figurirten Ziegeln nach dem Muster der alten, jedoch mit andern Bildern, gepflastert. Die großen Wappenziegel mit den Wappen der Herren von Meklenburg, Werle und Rostock für die Einlegung in den Fußboden sind erneuert; die noch übrig geblichenen Reste der alten sind in die Wand eingemauert. Außerdem wechseln in andern Mustern Quadrate von vier kleinen Ziegeln, abwechselnd Wappen und symbolische Figuren darstellend: die Quadrate mit Wappen haben einen Greifen (für die ältesten Herrscher), einen meklenburgischen und einen Werleschen Stierkopf und einen rostocker Greifen; die Quadrate mit den symbolischen Figuren zeigen Weinlaub und Lilie, Hirsch und Schwan: Weinlaub (Christus) und Lilie (Maria), als Sinnbilder des biblischen Christenthums und zur Bezeichnung der Hauptschutzpatrone des Klosters und der Kirche zu Doberan, Hirsch und Schwan als Wappenzeichen des Klosters Doberan, der Hirsch zugleich als Sinnbild der nach der Himmelswahrheit durstenden Menschheit.
In der nächsten Zeit wird die Monumentirung der Fürstenkapelle allmählig fortschreiten.
Am Tage nach der Zudeckung der Leiche Pribislavs, am 4. April 1856, besuchte Se. Königliche Hoheit der allerdurchlauchtigste Großherzog auch den Burgwall von Werle bei Wiek in der Nähe von Schwaan, wo Pribislavs Vater, der letzte Heidenkönig Niklot, im Kampfe gegen die Sachsen fiel, um die vollendete Monumentirung dieses Burgwalles in Augenschein zu nehmen.




1) Die Stifter der Klosterkirchen werden öfter im nördlichen Kreuzschiffe dieser Kirchen begraben liegen, wenn die Klosterpforte im südlichen Kreuzschiffe ist. Nach der Mittheilung des Herrn Professors Dr. Havemann zu Göttingen liegt auch Elger Graf zu Hohnstein und Ilefeld im nördlichen Kreuzschiffe der im J. 1190 von ihm gegründeten Klosterkirche zu Ilefeld begraben, der Klosterpforte im Süden grade gegenüber. Vgl. auch Leuckfeld's Annales Ilefeldenses, S. 38 und 53 und Titelkupfer.
2) Der Freiherr von Stillfried zu Berlin theilt mir mit, daß auch bei den Fürstengräbern in der Kirche auf dem Petersberge bei Halle, zu AltenZelle und zu Meissen der Stammvater der Linie überall in der Mitte der Kapelle oder Kirche begraben liege.
3) Auch in der bekannten Kirche zu Heilsbronn bei Nürnberg fanden sich, nach des Freiherrn von Stillfried Mittheilung, alte Gräber, deren Leichensteine mit ähnlichen kleinen Mosaikziegeln umlegt waren.
4) Vgl. "Die Kaisergräber im Dom zu Speier, deren theilweise Zerstörung im Jahre 1689 und Eröffnung im Jahre 1739. Carlsruhe 1856". S. 9 flgd. und die angehängten Berichte.
5) Vgl. dieselbe Schrift des ungenannten Verfassers, S. 9, Note 20, wornach der Verf. der Oeffnung des Grabes des Kaisers Carl des Dicken im J. 1842 beiwohnte.
6) Vgl. daselbst nach "Taphographia Princ. Austr. ed. Martin. Gerbert." 1772. Pars I. Praef. Pag. VI: "Sepulcra partim e caemento, partim ex opere lateritio, atque sic quidem disposita sunt, ut capiendo ad longitudinem et latitudinem corpori commodata sint".
7) Der königlich preußishe Geheime Regierungsrath und Conservator der Kunstdenkmäler Herr von Quast, unser correspondirendes Mitglied, theilt mir das Resultat der von ihm im J. 1843 geleiteten Nachgrabung in der Klosterkirche zu Berlin mit, da nach der Ueberlieferung der Markgraf Ludwig der Römer in dieser Kirche begraben sein soll. Im hohen Chore, vor dem Hochaltare, in der Mitte, jedoch ein wenig mehr gegen Norden hin, war eine sehr alte, aus großen, rothen Ziegeln gemauerte, oben offene, im Lichten 6' 7" lange, 3' breite und 3' 10" hohe Grabkiste gemauert, welche nur mit braun gefärbter Erde gefüllt war; die Ziegelmauer war einen halben Stein breite der Boden, welcher 4' 9" unter dem Kirchenpflaster lag, war in musivischem Muster von denselben Ziegeln gepflastert. Diese Grabkiste welche zwar an einigen Seiten zerstört war, jedoch an ihrer Stelle eine ursprüngliche ist, ist den ältesten Fürstengräbern in der doberaner Kirche ganz gleich. Zu beiden Seiten waren Reste ähnlicher jedoch jüngerer Grabkisten.
8) Anders sind die Fürstengräber in Mitteldeutschland eingerichtet. Die Gräber der Wettiner aus dem 12. Jahrh. auf dem Petersberge bei Halle sind ausgehöhlte Sandsteinblöcke, welche mit Porphyrplatten zugedeckt waren. Diese Sarkophage sind so tief in den Fußboden der Kirche eingesenkt, daß die Deckplatten nur einige Zoll hoch über den Fußboden hervorragen. Eben so ist die Einrichtung noch im Dome zu Meissen, eben so war sie in der Klosterkirche zu AltenZelle. Ueberall liegt der Stammvater der betreffende Linie in der Mitte. (Mittheilung des Freiherrn v. Stillfried zu Berlin.) Auch in der Bestattung der Todten bewährt sich die Einsicht der alten Vorfahren. Die Erfahrung lehrt, daß das Gedächtniß der Todten am sichersten erhalten wird, wenn sie in die Erde oder in Stein begraben werden.
9) Man bemerkt an den Zähnen schon den Einfluß moderner Cultur. Bei den alten Heiden in den heidnischen Gräbern findet man nur vollständige, feste, wenn auch oft sehr abgeschliffene Zähne, aber nie einen kranken Zahn oder eine Zahnlücke.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Doberan (seit 1921 Bad Doberan)