Nach wenig Tagen saßen wir in meiner höchst comfortablen Kalesche, ohne Domestiken, nur Rosalinde mit uns.
Nach wenig Tagen saßen wir in meiner höchst comfortablen Kalesche, ohne Domestiken, nur Rosalinde mit uns. Dies gab ein wunderliches Dilemma; denn während ich mich über die bürgerliche Simplicität dieser improvisirten Reise divertirte, war Friedrich enchantirt von dem ungekannten Comfort, den er in einer eigenen Reiseequipage genoß. Ihn machte es glücklich, tausend kleine Dienste zu übernehmen, die sonst mein Kammerdiener mir leistete, und ich fand es süß, von seiner adorirenden Liebe bedient zu werden; so waren wir Beide sehr heiter und animirt. Es war die angenehmste Zeit, deren ich mich erinnere.
Wir gingen von Paris nach Marseille, schifften uns für Neapel ein und durchwanderten die Inseln und Italien nach allen Distancen. Friedrich's profunde Gelehrsamkeit bot ihm überall Stoff zu neuen Entdeckungen, die er vor meinem immensen Geiste niederlegte, wie ein Anderer den duftenden Strauß an den Busen der Geliebten drückt. Meine divinatorischen Apercus inspirirten ihn, und unter seinen heißen Liebesküssen dictirte er mir ganze Volumen voll tiefsinniger Forschungen, die seinen Namen auf die späteste Nachwelt tragen werden.
Dies Reisen, getheilt zwischen Liebe und Wissenschaft, hatte etwas wunderbar Ausfüllendes. Ich ennuyirte mich nie, ich gewann Geschmack an einem laborieusen Leben bei rastlosem Reisen, die Existenz eines gelehrten Touristen contentirte mich so sehr, Friedrich's Liebe war so ungeheuchelt frisch und warm, daß ich in der That nicht daran dachte, ob ich ihn liebe oder nicht. Ich fragte mich nicht, was empfindest du? Ich ließ mich in diesem passiven bien être gehen.
Indeß Friedrich fand, nachdem, mir selbst ein Mirakel, dies Touristenleben mehr als ein Jahr gedauert hatte, ohne mich zu ennuyiren, diese Art der Existenz unbefriedigend. Er verlangte nach einem festen Domicil, er wollte wieder ein bürgerliches Glück und häusliche Ruhe. Mich in Paris in bürgerlicher Glückseligkeit als Frau Professorin zu etabliren, wäre ein Heroismus gewesen, dessen ich mich nicht capabel fühlte. Mir bangte davor, Personen meines Kreises während dieses bürgerlichen Idylls zu begegnen, obschon es mich noch immer merveilleusement contentirte. So schlug ich Friedrich vor, nach Pisa zu gehen und sich dort um die vacante Professur der Anatomie bei der Universität zu bewerben.
Friedrich fand die Idee zusagend, meldete sich zu dem Amte und erhielt es, da sein Ruf bereits ein europäischer war. Nach wenig Wochen war ein stilles Haus an dem Katharinenplatze gemiethet und ich hauste darin mit Rosalindens Beistand, unter dem Titel der Frau Professorin. Aber nach dem Eintritte in dies Haus ging ein veritables Changement mit Friedrich vor.
Er zeigte Collegia an, es meldeten sich Zuhörer, sein Auditorium ward das frequentirteste. Das spornte seine Ambition, er fing an rastlos zu studiren, er operirte und secirte den ganzen Tag. Ich fand es horribel, es langweilte mich tödtlich, und ich konnte nicht umhin, mich darüber zu beklagen.
Wenn ich in dem stillen, todten Pisa die langen Tage allein zugebracht hatte, so erschien Friedrich am Abende, strahlend vor Satisfaction über irgend ein Problem, das er in Bezug auf die Blutkügelchen oder die Nervenphysik decouvrirt hatte. – Mit komischer Consequenz wollte er mich bereden, ich müsse ein Interesse dafür haben, weil ich einst selbst hätte Anatomie studiren wollen. Er begriff nicht, daß man aus bloßer Caprice sich für eine Wissenschaft portiren könne, daß man sie cultivire, um sich zu desennuyiren, und sie abandonnire, wenn sie diesem Zwecke nicht mehr entspreche. Es that ihm leid, mich dafür indifferent zu sehen und er bot die ganze Gewalt seiner Liebe auf, die Wolken der Unzufriedenheit, der Ermüdung zu bannen, die anfingen, sich über meine immense Seele zu lagern. Aber auch dies gelang nur temporär. Ich hatte seine Liebe nun durch mehr als funfzehn Monate genossen, sie war immer dieselbe, immer ernst und mild, bisweilen feurig und überwältigend, aber das Alles kannte ich nun à fond.
Ich regrettirte, diese herannahende Ermüdung nicht cachiren zu können, ich wollte es ernstlich, es mislang. Naturen wie die meine können nicht heucheln, es gibt einen Grad des Egoismus, der die Heuchelei unmöglich macht, weil er in wahnsinniger Verblendung sich ein despotisches Recht der Selbstbefriedigung zugesteht und nicht einmal die Milde hat, das Unrecht mit möglicher Schonung zu thun.
Eines Abends saß ich auf dem Balcon unsers Hauses und sah hinab durch das Laub der dichten Bäume vor unserm Fenster, auf den Platz. Einige Kinder spielten daselbst, es war sehr still. Friedrich kam von der Anatomie nach Hause, er war müde und lehnte seinen Kopf an meine Schulter, um zu ruhen, während sein Arm mich umschlang. Es war ein heißer, siroccoschwüler Abend und nach wenig Minuten fühlte ich, daß Friedrich's Haupt schwer und schwerer auf meiner Schulter wurde. Er war eingeschlafen.
Eine Thräne trat mir in die Augen, ich fühlte mich tief degradirt. So weit war ich gesunken, daß ein bürgerlicher Professor es wagte, einzuschlafen in meinen Armen, in den Armen der Gräfin Diogena. Mit prächtiger Indignation sprang ich empor. Friedrich fuhr auf wie elektrisirt. „Was gibt es, Diogena!“ fragte er erschrocken.
„O, Nichts, eine Kleinigkeit!“ sagte ich kalt, die Gräfin Diogena wird es müde, dem Professor Friedrich Wahl in Sklavendiensten zu huldigen.
Friedrich sah mich ganz bewildert an und sagte: „Ich verstehe Dich nicht, meine Diogena!“
„Du wirst es begreifen, wenn ich Dir sage, daß Du an meiner Seite eingeschlafen bist.“
„Dann war ich sicher sehr müde.“
„Nicht müder als ich es bin, dergleichen zu ertragen.“
„Aber mein holdes Leben!“ rief Friedrich, der jetzt erst zu bemerken schien, daß ich wirklich irritirt sei, „wie oft hast Du an meinem Herzen geschlummert und welch ein Glück ist mir das gewesen. Mit welch andächtiger Liebe habe ich Dein Köpfchen an meine Brust gedrückt und die sanften Athemzüge Deiner Lippen belauscht; wie kannst Du zürnen, wenn ich einmal ausruhe an dem Herzen meines Weibes! Du thörichtes, liebes Kind!“
Friedrich wollte mich umarmen, aber ich ließ es nicht zu. „Ich mag wol unverständig sein, lieber Friedrich!“ antwortete ich, „aber ich will Dir bekennen, daß mir unsere ganze Lebensweise anfängt au suprême degré zu misfallen. Wir kommen ganz in die bequemen Alluren der Ehe hinein, das ist ein Horreur. Du thust, als hättest Du positive Rechte an mich –
„Diogena!“ rief Friedrich, „und habe ich die nicht?“
„Und wodurch?“
„Du redest irre, Diogena!“ rief Friedrich und faßte meine Hand. „Wodurch? Und bist Du nicht mein Weib? Hast Du nicht liebend Dich mir zu eigen gegeben mit heißen, flammenden Worten? Bist Du nicht mein gewesen seit fast zwei Jahren, mein ganz und gar, so daß ich des Kirchenbundes nicht mehr begehrte, weil ich es empfand, es konnte dessen nicht mehr bedürfen? Ich liebe Dich, ich bin Dir eigen mit Seele und Leib in treuster Hingebung und Du kannst fragen, wodurch ich ein Recht habe an Dich? Du kannst das fragen, das liebende Weib?“
„Friedrich!“ sagte ich – und zum ersten Mal im Leben empfand ich einen tödtlichen Schmerz bei diesen Worten, denn ich wußte, daß ich ein vergiftetes Stilet drücke in sein Herz – „Friedrich! ich mag Dich nicht täuschen, ich liebe Dich nicht mehr!“
Er erblaßte, trat einige Schritte von mir zurück und stand da in starrer Versteinerung. „Kann man denn aufhören zu lieben?“ sagte er, wie Jemand in wüstem Traume nach dem Unmöglichen fragt – „kann man denn aufhören zu lieben, was man geliebt hat, wie ich Dich?“
„O,“ rief ich, „ich glaube, ich habe Dich niemals geliebt. Vergib mir, mein Friedrich! Du weißt es, ich kann wol nicht lieben. Du kennst das Herz, das anatomische Herz in seinen geheimsten Verzweigungen, mein Herz ist Dir ein Mysterium geblieben, es ist aber unergründlich, Dir, mir selbst ein Räthsel. Du hast gewähnt, Deine Liebe, eheliches Glück könne mir genügen, aber –, mein Friedrich, ich bin ja kein gewöhnliches Weib, keine gewöhnliche Frauennatur. O! ich wußte es wohl, als ich es Dir sagte: Ich will es versuchen Dein Weib zu sein; ich wußte, ich könne die tödtliche Dauer der Ehe nicht ertragen, die vehemente Impetuosität meines Wesens revoltirt gegen die Dauer, gegen die unwandelbare Treue.“
Friedrich sah mich an, als sei die Welt im Versinken begriffen und sagte tonlos: „Diogena! ein Weib, das sich einem Manne zu eigen gibt ohne den Vorsatz wandelloser Treue, ist sehr elend.“
„O!“ rief ich mit allem prächtigen Stolze meines aristokratischen Bewußtseins, „so urtheilst Du, befangen in blödsichtiger Bürgerlichkeit. Die Treue ist Bornirtheit, ich bin unbegrenzt, meine Untreue ist sublim, ist göttlich. Was Du Wankelmuth nennst, ist die erhabene Forschungslust des Adepten, der rücksichtslos das letzte Geldstück, welches die Seinen vor dem Hungertode retten sollte, seinem Schmelztiegel übergibt, um den Stein der Weisen zu finden, den er so wenig kennt, als ich das Herz, die Liebe, den Mann, den ich suche. Wir glauben Beide an die Existenz eines Unmöglichen, eines Mirakels, und wir müssen es suchen, bis wir es finden.“
„Diogena! ich glaubte an Dich, ich liebte Dich, Du brichst mir das Herz!“
„Ich darf die Opfer nicht achten, die es mich kostet,“ sagte ich, „denn auch ich leide in diesem Momente. O, ich leide sehr!“ rief ich, und fing zu weinen an.
Als Friedrich meine Thränen sah, stürzten auch die seinen unaufhaltsam hervor. „Diogena!“ sagte er, „meine ganze Liebe war Dein, ist Dein und das genügt Dir nicht?“
Ich war gerührt, nahm mild seine Hand und sagte: „Mein Friedrich! Du bist der erste Mann, den ich beklage, weil er mir nicht genügte. Aber sieh! ich kann nicht anders. Deine Liebe bleibt sich ewig gleich, ist immer dieselbe, gewährt ein ruhig Glück. Das habe ich nie gewollt. Ich verlange eine göttliche Anbetung in täglich neuer Form, ich verlange täglich neue, gesteigerte Gluth, ich verlange vielleicht Unmögliches – aber das Mögliche widert mich an. Ich weiß, ich bin eine Titanennatur, ein weiblicher Faust, was kann ich dafür, daß Ihr nur Männer, nur Menschen seid. Schaffe mir einen Halbgott, ihn will ich lieben und treu sein – wenn ich es kann.“
„Diogena, um Gottes willen! ein Fieberwahnsinn umnebelt Deine Seele, so kann kein Weib reden zu dem Manne, dessen Herz ihr Bild in sich schließt, dessen Gattin sie geworden. Du bist krank, meine Diogena!“
Ich hielt ihm ruhig meine Hand hin und sagte: „Fühle die gleichmäßigen Pulsschläge meines Blutes, ich bin nie ruhiger gewesen als in dieser Stunde.“
„Dann sei Gott Dir gnädig in Deiner wahnsinnigen, kalten Verblendung,“ rief Friedrich und stürzte hinaus.
Ich blieb allein zurück, grandios in meinem Bewußtsein, mich von diesem bürgerlichen Despotismus befreit zu haben. Friedrich kehrte am Abende nicht zurück. Ich befahl Rosalinden, meinem Kammerdiener nach Paris zu schreiben, daß er mein in Florenz warten solle, ließ packen und verließ Pisa noch in der Nacht, entschlossen, mich durch neue Reisen von der Fatigue dieses Stilllebens zu erholen.
Wir gingen von Paris nach Marseille, schifften uns für Neapel ein und durchwanderten die Inseln und Italien nach allen Distancen. Friedrich's profunde Gelehrsamkeit bot ihm überall Stoff zu neuen Entdeckungen, die er vor meinem immensen Geiste niederlegte, wie ein Anderer den duftenden Strauß an den Busen der Geliebten drückt. Meine divinatorischen Apercus inspirirten ihn, und unter seinen heißen Liebesküssen dictirte er mir ganze Volumen voll tiefsinniger Forschungen, die seinen Namen auf die späteste Nachwelt tragen werden.
Dies Reisen, getheilt zwischen Liebe und Wissenschaft, hatte etwas wunderbar Ausfüllendes. Ich ennuyirte mich nie, ich gewann Geschmack an einem laborieusen Leben bei rastlosem Reisen, die Existenz eines gelehrten Touristen contentirte mich so sehr, Friedrich's Liebe war so ungeheuchelt frisch und warm, daß ich in der That nicht daran dachte, ob ich ihn liebe oder nicht. Ich fragte mich nicht, was empfindest du? Ich ließ mich in diesem passiven bien être gehen.
Indeß Friedrich fand, nachdem, mir selbst ein Mirakel, dies Touristenleben mehr als ein Jahr gedauert hatte, ohne mich zu ennuyiren, diese Art der Existenz unbefriedigend. Er verlangte nach einem festen Domicil, er wollte wieder ein bürgerliches Glück und häusliche Ruhe. Mich in Paris in bürgerlicher Glückseligkeit als Frau Professorin zu etabliren, wäre ein Heroismus gewesen, dessen ich mich nicht capabel fühlte. Mir bangte davor, Personen meines Kreises während dieses bürgerlichen Idylls zu begegnen, obschon es mich noch immer merveilleusement contentirte. So schlug ich Friedrich vor, nach Pisa zu gehen und sich dort um die vacante Professur der Anatomie bei der Universität zu bewerben.
Friedrich fand die Idee zusagend, meldete sich zu dem Amte und erhielt es, da sein Ruf bereits ein europäischer war. Nach wenig Wochen war ein stilles Haus an dem Katharinenplatze gemiethet und ich hauste darin mit Rosalindens Beistand, unter dem Titel der Frau Professorin. Aber nach dem Eintritte in dies Haus ging ein veritables Changement mit Friedrich vor.
Er zeigte Collegia an, es meldeten sich Zuhörer, sein Auditorium ward das frequentirteste. Das spornte seine Ambition, er fing an rastlos zu studiren, er operirte und secirte den ganzen Tag. Ich fand es horribel, es langweilte mich tödtlich, und ich konnte nicht umhin, mich darüber zu beklagen.
Wenn ich in dem stillen, todten Pisa die langen Tage allein zugebracht hatte, so erschien Friedrich am Abende, strahlend vor Satisfaction über irgend ein Problem, das er in Bezug auf die Blutkügelchen oder die Nervenphysik decouvrirt hatte. – Mit komischer Consequenz wollte er mich bereden, ich müsse ein Interesse dafür haben, weil ich einst selbst hätte Anatomie studiren wollen. Er begriff nicht, daß man aus bloßer Caprice sich für eine Wissenschaft portiren könne, daß man sie cultivire, um sich zu desennuyiren, und sie abandonnire, wenn sie diesem Zwecke nicht mehr entspreche. Es that ihm leid, mich dafür indifferent zu sehen und er bot die ganze Gewalt seiner Liebe auf, die Wolken der Unzufriedenheit, der Ermüdung zu bannen, die anfingen, sich über meine immense Seele zu lagern. Aber auch dies gelang nur temporär. Ich hatte seine Liebe nun durch mehr als funfzehn Monate genossen, sie war immer dieselbe, immer ernst und mild, bisweilen feurig und überwältigend, aber das Alles kannte ich nun à fond.
Ich regrettirte, diese herannahende Ermüdung nicht cachiren zu können, ich wollte es ernstlich, es mislang. Naturen wie die meine können nicht heucheln, es gibt einen Grad des Egoismus, der die Heuchelei unmöglich macht, weil er in wahnsinniger Verblendung sich ein despotisches Recht der Selbstbefriedigung zugesteht und nicht einmal die Milde hat, das Unrecht mit möglicher Schonung zu thun.
Eines Abends saß ich auf dem Balcon unsers Hauses und sah hinab durch das Laub der dichten Bäume vor unserm Fenster, auf den Platz. Einige Kinder spielten daselbst, es war sehr still. Friedrich kam von der Anatomie nach Hause, er war müde und lehnte seinen Kopf an meine Schulter, um zu ruhen, während sein Arm mich umschlang. Es war ein heißer, siroccoschwüler Abend und nach wenig Minuten fühlte ich, daß Friedrich's Haupt schwer und schwerer auf meiner Schulter wurde. Er war eingeschlafen.
Eine Thräne trat mir in die Augen, ich fühlte mich tief degradirt. So weit war ich gesunken, daß ein bürgerlicher Professor es wagte, einzuschlafen in meinen Armen, in den Armen der Gräfin Diogena. Mit prächtiger Indignation sprang ich empor. Friedrich fuhr auf wie elektrisirt. „Was gibt es, Diogena!“ fragte er erschrocken.
„O, Nichts, eine Kleinigkeit!“ sagte ich kalt, die Gräfin Diogena wird es müde, dem Professor Friedrich Wahl in Sklavendiensten zu huldigen.
Friedrich sah mich ganz bewildert an und sagte: „Ich verstehe Dich nicht, meine Diogena!“
„Du wirst es begreifen, wenn ich Dir sage, daß Du an meiner Seite eingeschlafen bist.“
„Dann war ich sicher sehr müde.“
„Nicht müder als ich es bin, dergleichen zu ertragen.“
„Aber mein holdes Leben!“ rief Friedrich, der jetzt erst zu bemerken schien, daß ich wirklich irritirt sei, „wie oft hast Du an meinem Herzen geschlummert und welch ein Glück ist mir das gewesen. Mit welch andächtiger Liebe habe ich Dein Köpfchen an meine Brust gedrückt und die sanften Athemzüge Deiner Lippen belauscht; wie kannst Du zürnen, wenn ich einmal ausruhe an dem Herzen meines Weibes! Du thörichtes, liebes Kind!“
Friedrich wollte mich umarmen, aber ich ließ es nicht zu. „Ich mag wol unverständig sein, lieber Friedrich!“ antwortete ich, „aber ich will Dir bekennen, daß mir unsere ganze Lebensweise anfängt au suprême degré zu misfallen. Wir kommen ganz in die bequemen Alluren der Ehe hinein, das ist ein Horreur. Du thust, als hättest Du positive Rechte an mich –
„Diogena!“ rief Friedrich, „und habe ich die nicht?“
„Und wodurch?“
„Du redest irre, Diogena!“ rief Friedrich und faßte meine Hand. „Wodurch? Und bist Du nicht mein Weib? Hast Du nicht liebend Dich mir zu eigen gegeben mit heißen, flammenden Worten? Bist Du nicht mein gewesen seit fast zwei Jahren, mein ganz und gar, so daß ich des Kirchenbundes nicht mehr begehrte, weil ich es empfand, es konnte dessen nicht mehr bedürfen? Ich liebe Dich, ich bin Dir eigen mit Seele und Leib in treuster Hingebung und Du kannst fragen, wodurch ich ein Recht habe an Dich? Du kannst das fragen, das liebende Weib?“
„Friedrich!“ sagte ich – und zum ersten Mal im Leben empfand ich einen tödtlichen Schmerz bei diesen Worten, denn ich wußte, daß ich ein vergiftetes Stilet drücke in sein Herz – „Friedrich! ich mag Dich nicht täuschen, ich liebe Dich nicht mehr!“
Er erblaßte, trat einige Schritte von mir zurück und stand da in starrer Versteinerung. „Kann man denn aufhören zu lieben?“ sagte er, wie Jemand in wüstem Traume nach dem Unmöglichen fragt – „kann man denn aufhören zu lieben, was man geliebt hat, wie ich Dich?“
„O,“ rief ich, „ich glaube, ich habe Dich niemals geliebt. Vergib mir, mein Friedrich! Du weißt es, ich kann wol nicht lieben. Du kennst das Herz, das anatomische Herz in seinen geheimsten Verzweigungen, mein Herz ist Dir ein Mysterium geblieben, es ist aber unergründlich, Dir, mir selbst ein Räthsel. Du hast gewähnt, Deine Liebe, eheliches Glück könne mir genügen, aber –, mein Friedrich, ich bin ja kein gewöhnliches Weib, keine gewöhnliche Frauennatur. O! ich wußte es wohl, als ich es Dir sagte: Ich will es versuchen Dein Weib zu sein; ich wußte, ich könne die tödtliche Dauer der Ehe nicht ertragen, die vehemente Impetuosität meines Wesens revoltirt gegen die Dauer, gegen die unwandelbare Treue.“
Friedrich sah mich an, als sei die Welt im Versinken begriffen und sagte tonlos: „Diogena! ein Weib, das sich einem Manne zu eigen gibt ohne den Vorsatz wandelloser Treue, ist sehr elend.“
„O!“ rief ich mit allem prächtigen Stolze meines aristokratischen Bewußtseins, „so urtheilst Du, befangen in blödsichtiger Bürgerlichkeit. Die Treue ist Bornirtheit, ich bin unbegrenzt, meine Untreue ist sublim, ist göttlich. Was Du Wankelmuth nennst, ist die erhabene Forschungslust des Adepten, der rücksichtslos das letzte Geldstück, welches die Seinen vor dem Hungertode retten sollte, seinem Schmelztiegel übergibt, um den Stein der Weisen zu finden, den er so wenig kennt, als ich das Herz, die Liebe, den Mann, den ich suche. Wir glauben Beide an die Existenz eines Unmöglichen, eines Mirakels, und wir müssen es suchen, bis wir es finden.“
„Diogena! ich glaubte an Dich, ich liebte Dich, Du brichst mir das Herz!“
„Ich darf die Opfer nicht achten, die es mich kostet,“ sagte ich, „denn auch ich leide in diesem Momente. O, ich leide sehr!“ rief ich, und fing zu weinen an.
Als Friedrich meine Thränen sah, stürzten auch die seinen unaufhaltsam hervor. „Diogena!“ sagte er, „meine ganze Liebe war Dein, ist Dein und das genügt Dir nicht?“
Ich war gerührt, nahm mild seine Hand und sagte: „Mein Friedrich! Du bist der erste Mann, den ich beklage, weil er mir nicht genügte. Aber sieh! ich kann nicht anders. Deine Liebe bleibt sich ewig gleich, ist immer dieselbe, gewährt ein ruhig Glück. Das habe ich nie gewollt. Ich verlange eine göttliche Anbetung in täglich neuer Form, ich verlange täglich neue, gesteigerte Gluth, ich verlange vielleicht Unmögliches – aber das Mögliche widert mich an. Ich weiß, ich bin eine Titanennatur, ein weiblicher Faust, was kann ich dafür, daß Ihr nur Männer, nur Menschen seid. Schaffe mir einen Halbgott, ihn will ich lieben und treu sein – wenn ich es kann.“
„Diogena, um Gottes willen! ein Fieberwahnsinn umnebelt Deine Seele, so kann kein Weib reden zu dem Manne, dessen Herz ihr Bild in sich schließt, dessen Gattin sie geworden. Du bist krank, meine Diogena!“
Ich hielt ihm ruhig meine Hand hin und sagte: „Fühle die gleichmäßigen Pulsschläge meines Blutes, ich bin nie ruhiger gewesen als in dieser Stunde.“
„Dann sei Gott Dir gnädig in Deiner wahnsinnigen, kalten Verblendung,“ rief Friedrich und stürzte hinaus.
Ich blieb allein zurück, grandios in meinem Bewußtsein, mich von diesem bürgerlichen Despotismus befreit zu haben. Friedrich kehrte am Abende nicht zurück. Ich befahl Rosalinden, meinem Kammerdiener nach Paris zu schreiben, daß er mein in Florenz warten solle, ließ packen und verließ Pisa noch in der Nacht, entschlossen, mich durch neue Reisen von der Fatigue dieses Stilllebens zu erholen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Diogena.