Indem ich diese Worte sprach, hörten wir in meinem Laboratorium das Platzen einer Retorte, und der Professor,

Indem ich diese Worte sprach, hörten wir in meinem Laboratorium das Platzen einer Retorte, und der Professor, auf den dieser Ton eine magnetische Attraction übte, stand auf, um sich zu überzeugen, was geschehen sei. Ich blieb mit Friedrich allein und sagte: „Mir wäre es ganz recht, wenn das ganze Laboratorium in die Luft gesprengt würde, den Professor ausgenommen.“

„Und doch behauptet mein Freund, Sie wären mit dem Studium der Chemie leidenschaftlich beschäftigt,“ meinte Friedrich.


„Ich war es, jetzt ist die Zeit vorüber. Ich kenne jetzt von der Chemie Alles, was man bis auf diese Stunde entdeckt hat, ich bin zu neuen unerhörten Forschungen vorgedrungen; was ich suchte, fand ich nicht, und so hat ihr Reiz für mich aufgehört.“

„Und darf ich fragen, welches Problem Sie zu lösen begehrten?“

„Ich hoffte aus der Art, in der sich in der Natur die wahlverwandten Elemente ergreifen, um sich unauflöslich zu fassen und zu vereinen, eine Analogie zur Decouverte des Wahlverwandten in den Menschennaturen zu finden. Während ich die Dinge in ihre Elemente auflöste, hoffte ich den Weg zu der mir verwandten, mir ewig eigenen Menschennatur zu finden, es reussirte nicht und so bin ich der todten Wissenschaft müde und um eine Illusion ärmer.“

„Das heißt um eine Wahrheit reicher!“ sagte Friedrich.

„Das ist auch eine von den modernen Tendenzphrasen, die ich hasse. Ich suche die Wahrheit nicht, ich suche die Liebe und das Glück.“

„Sie suchen die Liebe? In Andern oder in sich?“

„Ich fand sie weder in jenen noch in mir.“

„Sie, Sie, Gräfin! Sie suchten nach Liebe und vergebens? Aber das ist ja unmöglich, da Jeder anbetend und verlangend vor Ihnen niederstürzen muß!“

„Was wollen Sie,“ sagte ich indifferent, „es mag in einer fehlerhaften Organisation meines Herzens liegen, daß die Liebe nicht in demselben agiren und reagiren kann. Ich möchte das Herz in seiner physischen Structur kennen, um es in seinen Empfindungen danach zu beurtheilen. Ich möchte wissen, wie das Fluidum, das die Welt beseelt, das in dem einzelnen Menschen agirt und von ihm ausströmt, auf die ihm verwandte Natur influirt. Mit einem Worte, ich möchte Anthropologie studiren und Anatomie treiben. Wollen Sie mein Lehrer sein?“

„Haben Sie jemals eine Leiche gesehen, gnädige Gräfin?“

Ich dachte an Ermanby und mir schauderte. Ein leichter Frison fuhr über meine Glieder, aber ich schämte mich seiner, als einer unwürdigen Schwäche. Ich sagte Friedrich, daß ich vor den Schrecken einer Wissenschaft nicht zurückbebe; daß freilich mich die geringste Geschmacklosigkeit in der Ausdrucksweise eines Menschen au dernier degré degoutire, daß mich ein unharmonisches Geräusch nervös mache, daß ich aber mehr ertragen könne als ein Mann, wenn es darauf ankäme, mich durch neue Sensationen aus meinem Ennui zu befreien.

„So haben Sie die Gnade, Frau Gräfin! Ihren Wagen zu befehlen, und erlauben Sie mir, Sie heute versuchsweise in die Morgue zu führen.“

Es geschah. Als wir in dem feuchten, nebligen Winterwetter durch die nassen, dampfenden Straßen von Paris fuhren, blickte Friedrich mehrmals seufzend zu den geschlossenen Fenstern hinaus. Ich fragte ihn, was ihm fehle.

„O,“ sagte er, „in diesem Momente, Frau Gräfin, fehlt mir Nichts, aber grade das erinnerte mich an eine Zeit, in der ich Alles entbehrte, in der ich hungernd und frierend aus der Armenschule in meine elende Bodenkammer heimkehrte, und meine kranke Mutter ohne Feuer fand, weil sie für dies Ersparniß das Licht kaufte, bei dem ich mich für meine Lectionen vorbereitete. Meine Mutter ist in der Armuth gestorben und ich genieße jetzt zu meinem Schmerze ohne sie ein Wohlleben, das ihr fürstlich scheinen würde und das ich so gern mit ihr getheilt hätte.“

„Und haben Sie keinen Bruder, keine Schwester, die jetzt an Ihrem Succeß Theil nehmen?“

„Ich habe Niemand. Mein Vater starb vor meiner Geburt, ich bin ganz allein in der Welt; ich habe Niemand, der liebend an mich denkt, Niemand, der meiner bedarf in besonderer Liebe; da wendet denn das Herz sich der Menschheit zu und sucht in ihr die Liebe seines Herzens.“

Bei diesen Worten legte sich wieder der feuchte Glanz über die Iris seines tiefblauen Auges. Die Rührung in dem Angesichte eines schönen Mannes hat eine aparte Grazie; ein Charakter ist so selten eine weiche, impressionable Natur. Ich fragte mich innerlich, was mich an diesem deutschen Professor interessire, dessen Manieren, dessen Moquerie zu Anfang unserer Entrevue wirklich so sehr an das Beleidigende streiften, daß man es nur pardonniren konnte, wenn man annahm, er ignorire den usage du monde. Endlich fiel es mir ein, es sei eben dies bürgerliche Element, das mir neu und darum reizend sei. Die ausgezeichnetsten Frauen unseres Hauses, Gräfin Ilda Schönholm, Gräfin Cornelie, meine Mutter Sibylle, Margarethe Thierstein, Alle hatten einen bürgerlichen Liebhaber, eine Episode mit einem Bürgerlichen gehabt, und Alle hatten einen passageren Reiz darin gefunden. Dies beruhigte mich über die unwillkürliche Sensation, die ich empfand; ich hatte gewähnt, mein adelig Blut revoltire dagegen, daß ein gewöhnlicher Professor, ein Friedrich Wahl, es schneller fließen machte.

So weit war ich in meinen Meditationen gekommen, als wir in der Morgue anlangten. Friedrich war dort bekannt. Er führte mich in den Saal, in dem die Leichen ausgestellt waren. Dort lag ein junger Mann, aufgedunsenen, blau unterlaufenen Gesichts, man hatte ihn aus dem Wasser gezogen, ganz in der Nähe des Pontneuf. Ein Greis, mehr einem Skelett, als einer menschlichen Gestalt zu vergleichen, mumienhaft eingetrocknet, war sein Nachbar. „Er ist wol vor Hunger und Schwäche gestorben,“ meinte Friedrich, und führte mich weiter an der Leiche eines jungen Mädchens vorüber, die sich im Kohlendampfe erstickt hatte. Lange, aufgelöste Haarflechten hingen an ihrem Haupte hernieder, die Augen waren starr geöffnet, ein weißer Schaum stand vor dem schön geformten Munde. Ich bebte vor Entsetzen; der furchtbare Leichengeruch drohte mich ohnmächtig zu machen, meine Sinne schwanden. „O,“ sagte ich zu Friedrich, „aber dies ist ja horribel, und unter solchen Scenen des crassesten Todes konnten Sie leben? O, um des Himmels willen, aber das ist insupportabel!“

„Und doch, Frau Gräfin, lehrt uns nur der Tod das Leben verstehen, doch finden wir, indem wir die todte menschliche Gestalt in ihrer wunderbaren Organisation betrachten, das Mittel, dem lebenden Organismus zu Hilfe zu kommen, wenn ihn Störung bedroht. Aber lassen Sie uns gehen, dies ist, ich wußte es, kein Anblick für eine Dame wie Sie.“

Er hatte meinen Arm genommen und wollte mich hinausführen. Es schien mir, als läge eine leichte Färbung von Spott auch in diesen letzten Worten. Das verdroß mich. Ich überwand den Degout, den instinctiven Schauder, den ich fühlte, dieser stolze Mann sollte sich nicht rühmen können, eine Faiblesse an mir gesehen zu haben. Ohne die geringste Flection der Stimme rief ich lächelnd: „O, fürchten Sie Nichts, Herr Wahl! in uns Frauen der Aristokratie ist Muth und Race, wir dauern aus, wo Ihre Bürgerfrauen matt zusammenbrechen. Für die Wissenschaft ist mir kein Sacrifice zu schwer. Führen Sie mich jetzt nach Hause, bestellen Sie die nöthigen Bestecke, sorgen Sie für die anatomischen Präparate, die uns indispensabel sind und kommen Sie in drei Tagen zu mir, wir wollen unsern Cursus dann beginnen.“

„Sie scherzen, Frau Gräfin!“ sagte Friedrich.

„Was berechtigt Sie zu dem Glauben, daß ich dies der Mühe werth finde?“ fragte ich mit einem superben Accent von Hochmuth, vor dem Friedrich erbleichte. Als ich dies sah, fühlte ich, daß man diesem Manne gegenüber andere Alluren annehmen müsse, als gegen die an weibliche Impertinenz gewöhnten Männer der Salons. Ich lenkte ein, gab ihm mit graziösem Lächeln mein Händchen und sagte neckisch: „Auf über morgen also, mein Herr Professor! Sein Sie nur nicht zu rigorös mit Ihrer Elevin und denken Sie hübsch, daß wir Frauen der Aristokratie unsere eigenthümlichen Alluren haben, für die ich im Voraus Ihre Nachsicht erbitte. Wollen Sie die haben?“

„Frau Gräfin,“ rief Friedrich, „o Sie wissen es, daß diesem Blicke, diesem Klange kein Mann widersteht, warum ziehen Sie mich in einen Zauberkreis, in dem ich niemals zu leben hoffen darf?“

„So tragisch?“ sagte ich. „Aber wer denkt denn an Zauber und Zauberkreise? Von Anatomie ist die Rede, und ich erwarte Sie also übermorgen. Auf Wiedersehen, mein Herr Professor!“

Ich sprang aus dem Wagen, er geleitete mich zu meinem Zimmer, wo ich ihn mit einer nobeln Handbewegung congedürte.

Während ich meine Toilette machte für einen Ball bei dem preußischen Gesandten, ließ ich meinen Kammerdiener kommen und sagte ihm, ich wünsche ein Changement mit meinem Laboratorium vorzunehmen. Der Schornstein müsse vermauert, die Fenster mit Spiegelgläsern versehen, ein Fenster oben an dem Plafond angebracht werden, weil ich volle Lumière brauche. Dann bestellte ich einen Sectionstisch mit einer Marmorplatte, Schränke für anatomische Präparate, Glasflaschen und Spiritus zur Conservirung derselben und eine Menge von Odeurs der kostbarsten Art, um während der Lectionen zu räuchern und sich später damit zu desinficiren. Dabei machte ich die Condition, daß Alles in zwei Tagen beendet sein müsse.

Als ich eben mein Bracelett anlegte, und Rosalinde noch einen Esprit von Brillanten an meiner Coiffure befestigte, trat der Fürst Callenberg ein, und blieb wie geblendet von meiner Schönheit in der halb erhobenen Portière meines Boudoirs stehen, in das ich bereits aus dem Toilettenzimmer getreten war.

„Sie kommen sehr apropos, lieber Fürst!“ rief ich ihm entgegen. „Ich war heute in der Morgue, um mich mit dem Anblick von Cadavern zu familiarisiren, da ich übermorgen meinen anatomischen Cursus beginne. Könnten Sie mir nicht die Leiche irgend eines Kindes aus einem aristokratischen Hause verschaffen? Es liegt mir etwas Unbehagliches darin, an einer Leiche von niederm Stande zu operiren.“

Der Fürst sah mich mit einem fast stupiden Ausdrucke von Bewilderung an. „Aber meine Gräfin!“ sagte er, „was für miraculöse Inclinationen hat Ihre immense Seele? Sie vaguiren aus einem Extrem in das andere. Werden Sie denn niemals ein Genügen finden? Sie wissen, ich respectire Ihre Alluren, indessen dies scheint mir doch fast zu extravagant. Sie, Sie, theure Gräfin! wollten die rosigen Händchen mit Blut beflecken? Aber wo wollen Sie denn enden?“

Es war die längste Rede, welche Fürst Callenberg jemals gehalten, das erste Raisonnement, das ich jemals von ihm gehört hatte. Auch wirkte es auf mich wie das maiden-speech eines immer schweigenden Parlamentsmitgliedes. Ich sah, wie sehr der Fürst mich lieben müsse, um zu einer Demonstration verleitet zu werden, die so ganz außer den Grenzen seiner Natur lag. Deshalb nahm ich mir die Mühe, ihm zu antworten, was ich nicht immer that.

„Sie fragen mich, lieber Fürst! wann ich Ruhe und Genügen finden würde? Sehen Sie das Leben meiner Mutter und meiner Tante Faustine an und antworten Sie sich selbst. Wir sind die Incarnation der Rastlosigkeit, der Leere, des Müßigganges unserer Tage; wir sind die weiblichen ewigen Juden, auf uns ruht ein Fluch, wir sind tragische Gestalten, Vampyrnaturen – und doppelt destructiv, weil wir das Bewußtsein davon haben, weil eine Eiseskälte des starrsten Egoismus uns unverwundlich macht. Sehen Sie denn nicht, Alles um mich her geht zu Grunde, die Herzen brechen und verbluten sich, wohin ich wandernd komme, und ich muß fort, immer weiter fort – o, darin liegt aber ein furchtbares Malheur!“ rief ich, und warf mich in Verzweiflung dem Fürsten an die Brust, in heiße Thränen ausbrechend.

Der Fürst hatte mich nie eblouirender gesehen, als in diesem Momente. Er schloß mich an sich und sagte: „O, meine Diogena! dürfte ich Dich ewig so halten, dürfte ich meine Arme einen Talisman sein lassen, der Dich einfriedete in eine andere Welt!“

Die enorme Liebe machte ihn fast beredt. Eine Weile ruhte ich an seinem Herzen, dann richtete ich mich empor und sagte: „O, wiegen Sie mich nicht ein in Reverien von Glück und Ruhe, die für mich nicht existiren; meine tragische Mission ist noch lange nicht beendet; ich muß fort und suchen, wo ich den Rechten finde. Und nun lassen Sie uns eilen, zu dem Ball bei dem Ambassadeur, ich bin zu allen Contretänzen engagirt.“

Zwei Tage darauf waren alle meine Befehle erecutirt und der anatomische Cursus begann. Ich ward der Wissenschaft mit unglaublicher Leichtigkeit Herr, meine kleinen Händchen kamen mir wunderbar bei dem Präpariren zu Statten. Mit derselben Perfection, mit der ich früher die elegantesten Decoupuren von schwarzem Papier gefertigt, machte ich jetzt die feinsten Nervenpräparate, spritzte Venen aus und secirte die zartesten Zellgewebe. Mein Lehrer war in der vollsten Admiration dieses stupenden Talentes. Vorzüglich aber interessirte mich das Herz, als wir nach einigen Tagen uns damit zu beschäftigen anfingen. Es tentirte mich, diesen Muskel, in dem sich unsere sublimsten Sensationen vibrirend kund geben, in seinen minutiösesten Details zu kennen und ich arbeitete noch fort, als schon die Dämmerung begann und Friedrich sein Messer aus der Hand legte.

„Lassen Sie uns aufhören, gnädige Gräfin!“ sagte er, „es wird zu dunkel.“

„O, dunkel ist Alles!“ rief ich achtlos aus.

„Alles?“ fragte Friedrich – „auch Ihr sonnenhelles Dasein?“

„Unseliger! müssen Sie mich daran mahnen?“

Ich hatte die kleine Aermelschürze von dunkelm Taffet abgeworfen, die ich bei der Arbeit trug, und war aus dem Cabinet in mein Boudoir getreten. Rosalinde präsentirte mir ein Lavoir von Sèvresporzellan, in dem ich mich säuberte, reichte es dann Friedrich, goß Odeurs über unsere Hände, parfumirte das Zimmer und entfernte sich. Ich warf mich in einen Fauteuil zunächst dem Kamin, gab Friedrich ein Zeichen, sich ebenfalls niederzusetzen, kreuzte meine Füßchen auf dem Tabouret vor dem Feuer, dessen Gluth mich beschien, und beobachtete in halber Distraction den schweigsamen Friedrich, dessen Auge mit Spannung all meinen Bewegungen folgte.

„Frau Gräfin!“ sagte er endlich, „wissen Sie wol, daß Sie mich meiner Wissenschaft abwendig machen? Ich werde nicht mehr wiederkehren dürfen.“

„Wie das?“

„O, ich empfand es gestern, Frau Gräfin! ich kann nicht mehr seciren. Ich sehe Nichts als Sie. Ich kann die Spitze meines Messers nicht mehr in die Iris einer Pupille stoßen, ohne daß mir Ihr wundervolles Auge vorschwebt. Meine Hand zittert, meine Gedanken verwirren sich, Ihr Name schwebt auf meinen Lippen, ich werde zerstreut, meine Schüler kennen mich nicht wieder.“

„So werden Sie mindestens wieder den Reiz der Neuheit für dieselben haben.“

„Sie scherzen,“ sagte Friedrich, „und doch spreche ich ernsthaft über eine heilige, ernsthafte Empfindung. Wollen Sie mir die Güte erzeigen, mich anzuhören?“

„Mit wahrem Interesse für Alles, das Sie berührt, lieber Friedrich!“

„So hören Sie! Ich habe Ihnen gesagt, daß ich einsam aufgewachsen bin, in Noth und Arbeit, daß ich mir langsam und stufenweise den Weg gebahnt habe zu der Stellung, die ich jetzt einnehme und die mir bis vor wenigen Tagen genügte, all meinen Forderungen und Wünschen entsprach. Ich lebte ein ernstes Dasein mitten in dem Vergnügungswirbel und mitten unter dem wilden Lebensstrudel von Paris, ganz meiner Wissenschaft angehörend mit dem Geiste, ganz dem Volke mit meinem Herzen. Es war ruhig und friedlich in meiner Seele.“

Er hielt inne und schien zu erwarten, daß ich ihn unterbrechen würde, da ich dies nicht that, fuhr er fort: „Mein Freund, Ihr Lehrer in der Chemie, lernte Sie kennen und statt der ernsten Gespräche, die wir sonst auf unsern Promenaden, an unserm Kamine führten, trat Ihre Strahlenerscheinung zwischen uns. Ich ward begierig, eine Frau kennen zu lernen, die im vollsten Glanze der Jugend und Schönheit, von den brillantesten Festen heimkehrt zu tiefsinnigen Forschungen an dem Schmelzofen. Mein Freund verschaffte mir die Gunst, Ihnen vorgestellt zu werden.“

Noch einmal unterbrach er sich, fuhr mit der flachen Hand über die Stirn und sagte dann, tief athemholend, wie Jemand, der einen entscheidenden Schritt zu thun bereit ist: „Ihre erste Erscheinung wirkte auf mich wie ein neuer Tag, wie ein neues Licht. Ihre aristokratisch hochmüthige Weise stieß mich ab, beleidigte mein Selbstgefühl; ich hätte Sie fliehen und verabscheuen mögen, hätte nicht ein trügerisches Gefühl, das ich damals nicht erkannte, mir zugerufen: bleibe! um die Hochmüthige zu demüthigen. Zeige ihr durch eine Einsicht in das All der Wissenschaft die große, geheimnißvolle Weltmacht, den Allgeist, vor dem ihr Hochmuth so thöricht ist, wie das Revoltiren eines Insektes gegen die Weltordnung. Zeige ihr, daß sie Deinesgleichen ist – denn das allein wollte ich, um Ansprüche machen zu dürfen an Sie.“

Ich fuhr empor, Friedrich bemerkte es und hielt mich zurück, indem er, vor mir niederknieend, meine Hände in den seinen festhielt.

„Unterbrechen Sie mich nicht, sagte er mit einer Art von Heftigkeit, es handelt sich hier nicht um eine flüchtige Declaration. Ich stehe nicht als ein Bettler vor Ihnen, der um ihre Gunst fleht, ich stehe als ein Mann da, als ein liebender Mann, der – selbst sehr leidend – unsägliches Erbarmen hat mit Ihnen und Sie retten möchte, weil er die Kraft der Liebe zu seinem Beistande hat.“

„Und wissen Sie, ob ich diesen von Ihnen anzunehmen geneigt bin?“ fragte ich, während meine Seele in ungekannter Verehrung zu ihm emporblickte.

„Das müssen Sie, Gräfin! ich würde versuchen, Sie dazu zu zwingen, weil ich Sie liebe.“ – Er schwieg abermals und schien zu überlegen, dann sagte er: „Ich hielt Sie für kokett, für untergegangen in dem Schlammpfuhl niedriger Sinnlichkeit, die unablässig nach neuem Genusse jagt. Ich hatte von Ihrem Leben gehört, was man in den Salons und aus diesen in die Kaffee's berichtet. Man nannte mir die große Zahl Ihrer begünstigten Liebhaber – aber ich glaubte nicht mehr daran, als ich Sie gesehen hatte, mit Ihren Kinderhändchen, mit Ihrem edeln zarten Wesen, den Schrecken des Todes gegenüber Stich halten – als ich gesehen hatte, wie Sie in dem Ernste der Wissenschaft Trost und Ersatz suchten für ein Glück, welches das Leben Ihnen grausam versagte. Sie sind nicht schlecht, Gräfin! o nein, nein! Ein Engel sind Sie an Leib und Seele, aber Sie sind sehr unglücklich gewesen.“

„O, namenlos, namenlos unglücklich!“ rief ich aus, „einsam ohne Liebe und die Liebe suchend, die Liebe, die allein mich glücklich machen konnte, die ewig ekstatische, nimmer verglühende Liebe!“

Friedrich sah wie verklärt aus, er legte sich meine Hände über seine Schultern und umschlang meinen Leib mit seinen Armen. „Du armes, armes Kind!“ sagte er selbst mit der spielenden Grazie eines Kindes, „ich ahnte es gleich, was Du suchtest in den Herzen der Gestorbenen – Du suchtest die Liebe! – Ach, meine Diogena! mein holdes Engelsbild! die Liebe ist nur in dem lebenden Herzen, denn die Liebe ist das Leben! Sieh, mein Engel, hier, hier, fühle es, da klopft die Liebe in meiner Brust zum ersten Male in meinem Leben. Sieh, hier ist ein Herz, in dem nie ein anderes Frauenbild lebte, als das Deine, – hier ist ein unentweihter Altar – wohne hier, Du Göttliche! Du, Du allein und für ewig.“

Eine seltsame Wehmuth überschlich mich. Friedrich war magnifik in dieser Ekstase, die den ernsten, ruhigen Mann wunderbar embellirte. Es schmeichelte mir, das erste Weib zu sein, das ihn die Gewalt der Liebe kennen lehrte; es freute mich, den stolzen Bürgerlichen vor mir knieen zu sehen, und während mich die Hoffnung, er sei vielleicht der Rechte, in süße Emotion versenkte, beruhigte mich der Gedanke, daß ja auch all die andern exclusiven Gräfinnen sich ihrer Liaison mit einem Bürgerlichen nicht geschämt hätten. Vor allen Dingen aber gefiel er mir und ich raisonnirte mir dies Alles nur vor, um mir die Regungen zu seinen Gunsten nicht einzugestehen. Indessen hielt ich es meinem Range angemessen, ihm den Sieg nicht zu leicht zu machen.

Ich machte mich sanft von ihm los und sagte, indem ich meine Rechte auf sein Haupt legte und mit der Linken sein Kinn in die Höhe hob, so daß ich ihm fest in die schöne blaue Iris seines treuen Auges sah: „Und wer bürgt Ihnen dafür, lieber Friedrich! daß ich überhaupt für Liebe sensibel, der Liebe capabel sei?“

„O Diogena!“ rief er mit dem Tone der vollsten Conviction.

„Sehen Sie, Friedrich! ich war verheirathet, der Graf hat mich geliebt, Lord Ermanby, der Vicomte Servillier sind aus Liebe für mich gestorben, Fürst Callenberg betet mich an; ich habe sie Alle zu lieben versucht, ich habe es nicht vermocht. Mein Herz ist todt geblieben und kalt, ich denke ihrer nicht mehr. Ich suche heute noch nach Liebe, nach der Liebe, die ich meine – und –“

„Und?“ fragte Friedrich bebend und erbleichend.

„Ich hoffe, ich habe sie gefunden“ – lispelte ich leise und lehnte mich an ihn.

„O Gott des Himmels!“ rief er und preßte mich mit glühender Leidenschaft an sich, mich mit seinen Küssen bedeckend.

Ach, es liegt ein eigenthümlicher Charme in der Fülle unentweihter Liebe. Friedrich's Ekstase enchantirte mich, und während ich ihm immer und immer wiederholen mußte, daß ich noch nie geliebt, daß ich immer unbefriedigt, immer kalt gewesen sei, schwor er mit höchster Conviction, jetzt würde ich lieben lernen, denn seine Liebe müsse mich erwärmen.

„Sieh, Diogena!“ sagte er, „die Liebe ist ein ewig bindendes Gefühl, Du mußt mein werden durch den Segen der Kirche, mein Weib, meine Hausfrau! Du mußt da sein, wenn ich müde bin von der Arbeit, mir zulächelnd, mich belebend; die Hebe, welche dem Hercules den Trank ewiger Jugend bietet. O Süße, willst Du mein Weib sein?“

Ich war wie aneantirt. Von Ehe, von Heirath zu sprechen mir, der Gräfin Diogena, mir, der Nichte Faustinens, das war doch wirklich zu bürgerlich. Aber das ist der Fehler der Roturiers, sie sind materiell in ihren Begriffen, sie verlangen solide Possession, wohl hypothekirt ins Kirchenbuch geschrieben. Sie verstehen Nichts von der Aisance unserer Liaisons, die wir binden und lösen nach unserm Ermessen. Was uns idealste Poesie scheint, ist ihnen profunde Depravation. Das ist ein großes Uebel mit der Bourgeoisie. Ich bedachte mich einen Moment, was ich thun solle. Sagte ich ein decidirtes Nein, so riskirte ich, Friedrich, mit seinen sogenannten moralischen Idealen, auf ewig von mir zu entfernen; und das wollte ich nicht, denn er gefiel mir, ich liebte ihn sogar auf meine Façon. Da fiel mir ein, wie sich Gräfin Ilda Schönholm, auch eine nahe Verwandte meiner Mutter, klug aus dem Embarras gezogen hatte, und als Friedrich mich noch einmal fragte: „Diogena! willst Du mein Weib sein? mein treues, liebendes Weib?“ antwortete ich wie Jene:

„Ich will es versuchen!“

„Und wirst Du glücklich sein? wirst Du mich lieben?“

„Ich will es versuchen!“ antwortete ich wieder.

Friedrich ließ mich los und sah mich forschend an. „Diogena!“ rief er, „mein Engel! mein Kopf verwirrt sich, ich verstehe Dich nicht. Was will es sagen, dies wunderbare: Ich will es versuchen? und wie versucht man die Ehe? – O mein Engel, das ist ein häßliches, böses Wort – das sprach die kalte herzlose Gräfin, nicht Du, nicht meine süße, schöne Geliebte!“

Friedrich war so ganz Glück, so ganz zum frohen Jüngling umgewandelt, daß er mich mit sich fortriß. Er schilderte mir die Seligkeit der Ehe, wie er sie sich bisweilen in seinen einsamen Reverien ausgemalt hatte, dies Du und Du engsten Beisammenseins, paisibler Begrenzung, mit einer Liebe, mit einer Innigkeit, daß ich anfing, ein Penchant dafür zu fühlen und mich selbst danach zu sehnen.

„O,“ rief ich, „mein Friedrich! das, was Du mir da schilderst, ist wol schön, aber unerreichbar für die Gräfin Diogena, so sehr Deine süße Geliebte sich danach sehnt. Sieh, mein Friedrich! an die Gräfin hat die Welt Ansprüche, ich habe die Gesellschaft zu menagiren, ich habe Egards zu nehmen für meine Position, die ich durch meine wissenschaftlichen Capricen wol ein wenig compromittirt habe, die Gesellschaft – –“

„Ach, mein Engel! wirf sie von Dir diese Sklaverei der Gesellschaft. Ich liebe nicht die Gräfin, ich liebe Dich, Du Geliebte! Komm, meine süße Diogena! laß uns Paris verlassen, laß uns fortgehen von hier nach irgend einem stillen Fleck der Erde, an dem Niemand uns kennt, Niemand unsere traute Einsamkeit stört. Willst Du das, Liebe?“

„Mit tausend Freuden!“ rief ich aus. Die Proposition war so originell bei unsern beiderseitigen Verhältnissen, daß sie mich um ihrer Originalität willen reizte. Friedrich verließ mich, um sich einen Urlaub zu erbitten, ich expedirte meine Visitenkarten mit dem officiellen p. p. c. an alle meine Bekannten, ließ eine simple Toilette packen, befahl nur Rosalinden, sich zu meiner Begleitung parat zu halten, und verbot den Domestiken, den Fürsten, auch wenn er danach frage, über meine Abreise zu avertiren. Das anatomische Cabinet wurde geschlossen, die Studien in den todten Herzen der Cadaver für's Erste suspendirt, denn ich war entschlossen, noch einmal mit einem lebenden, liebenden Herzen zu experimentiren.

In den Emotionen des unerwarteten Glückes, der ersten Liebe, unter den Präparationen für unsere Abreise, dachte Friedrich nicht mehr an das bürgerliche Amusement einer solennen Copulation. Ich war sein, dies satisfaisirte ihn und machte ihn indifferent gegen die ganze übrige Welt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Diogena.