Es ist ein Vorzug alter, adeliger Geschlechter, daß sie vermöge ihrer Stammbäume zurückblicken können in die Vorzeit,

Es ist ein Vorzug alter, adeliger Geschlechter, daß sie vermöge ihrer Stammbäume zurückblicken können in die Vorzeit, die ihnen speciell zugehört, und daß sich dadurch in dem Bewußtsein der Nachkommen die Schicksalsfäden zu einem Ganzen verweben, die für den Niedriggeborenen nur einzelne zerstreute Thatsachen bleiben.

Ueberhaupt, wahre, großartige Schicksale hat nur die Aristokratie! Es gehört Muße dazu, ein Schicksal zu haben, es ist eine Vocation, eine Distinction ein Schicksal! Ein großes Schicksal adelt das Leben eines sonst ganz mäßigen, eiteln, frivolen Menschen, es fällt vom Himmel herab wie die edlen Prärogative der Geburt; aber es will nur von feinen Händen aufgefangen sein, es will nur in englische Parks und auf persische Teppiche herniederfallen; denn das Schicksal ist selbst ein Aristokrat des Himmels.


Oder denkt euch, ein großes, gigantisches, ein exclusiv tragisches Geschick fiele auf das Leben eines Handwerkers herab! Wie könnte es sich da gestalten? Noth und Sorgen treten so sehr in den Vorgrund, der Hunger und die Arbeit ertödten alle Sentimentalität, die Phantasien, die vaguen Träumereien, die idealischen Erhebungen fliehen vor dem Klappern der Werkzeuge und das ignoble Verlangen hungernder Kinder läßt den Aeltern weder für die poetischen Alluren des Herzens noch des Geistes freien Raum.

Wie anders gestaltet sich unser Loos, die wir nie arbeiten, die wir nie hungern und die wir von dem Erdendasein Nichts kennen, als die Salons und die daran stoßenden Bowlinggreens, die Reisekalesche und die eleganten Hotels; die Armen, denen wir mit graziöser Nonchalence ein Almosen zuwerfen, die Dienerschaft, welche wir mit vornehmer Impertinenz ignoriren und die Frauen unsers Standes – Rivalinnen, mit denen wir eine Lanze brechen – und die ebenbürtigen Cavaliere, Sklaven unserer hochadeligen Capricen, Spielbälle unserer phantastischen Herzensunersättlichkeit.

O! das Leben ist schön auf diesen Höhen der Existenz! Wie die ewig lächelnden, leichtlebenden Götter des Olymps leben wir, und heißen Dank sollte das bürgerliche Gros der Menschheit Denjenigen zollen, die ihm in ihren Romanen ein Abbild unsers Daseins gewährten, die ihm vergönnten die Portieren zu lüften, hinter denen sich unsere aristokratische Existenz, unsere nobeln Passionen verbergen.

Ich liebe die Großmuth in dem Charakter des Edelmannes, sie gehört zu ihm, wie der Helmstutz in seinen Blason; und ich schätze die Milde in dem Herzen einer Frau, denn sie kommt ihr zu, wie die blaßgelben Handschuhe ihren zierlichen Händchen. So will ich, obgleich es mein Herz zerreißt, untertauchen in die schmerzlichen Erinnerungen meines Lebens und mich sacrificiren zum Besten der Roture, die schon seit Jahren mit blödem, adorirendem Staunen den miraculösen Schicksalen unsers Hauses folgte.

Ich stamme von einem altgriechischen Hause ab, dessen Uranfänge sich in die Zeiten des Deukalion verlieren. Der erste Ahne, dessen Name in den Registern unsers Geschlechtes verzeichnet worden, ist Diogenes; seine Laterne, mit der er Menschen suchte, leuchtet in unserm Wappen. Er hinterließ keinen männlichen Erben, er selbst hatte in seiner schroffen, gewaltsamen Natur die Kraft ganzer Generationen verbraucht. Nur eine Tochter blieb von ihm zurück. Ihr vermachte er seine Laterne, sie segnete er in seiner Sterbestunde mit den Worten: „Suche einen Menschen, bis Du den Rechten findest.“

Dies mysteriöse Wort ist der Segen und der Fluch unsers Geschlechtes geworden. An ihm sind die edelsten Herzen gebrochen. Die ganze wandernde Rastlosigkeit, der ganze cynische Idealismus, oder soll ich sagen, der ideale Cynismus und alle Abnormitäten in dem Behaviour unsers Stammvaters sind auf uns übergegangen, und machen heute noch die Grundzüge unsers Geschlechtes aus, das sich merkwürdiger Weise fast nur durch die Geburt von Töchtern fortpflanzt. Die Laterne ist ein Dunkellehn geworden.

Ich übergehe mit rücksichtsvoller Discretion das Leben der Frauen unsers Hauses im Mittelalter. Man ist es sich schuldig égards zu nehmen und nicht freiwillig dem blöden Auge der Masse die partie honteuse seiner Familie preiszugeben. Wie leicht könnten bürgerliche Frauen, in deren rothe, von schwerer Arbeit zerstörte Hände mein Buch fiele, das edle, unbefriedigte Dasein meiner Aeltermütter misverstehen. Wie könnte eine Frau, die sich begnügt mit der kühlen Liebe eines bürgerlichen Regierungsrathes und mit der waschenden und kochenden Pflichterfüllung in ihrer engen Sphäre, das große Leid einer Kaiserin Messalina, einer Lucrezia Borgia, einer Königin Johanna von Neapel verstehen! Wie könnte sie die Schmerzen rastlos suchender, ewig unbefriedigter Liebe verstehen, die in jenen Frauen so gewaltig wurden, daß die glühende Liebe sich in Haß verkehrte und die Fackel des Hymen sich verwandeln mußte in den Dolch und in das Schwert! O, es gibt furchtbare Sensationen, es gibt tragische Emotionen in dem Dasein edler adeliger Weiber, von denen ihr Nichts wisset, die ihr in den Thälern und nicht auf den Höhen des Lebens geboren seid!

Aber die nivellirende Macht der Zeit hat auch unserm Geschlechte die Titanenkraft gelähmt. Wir sind nicht mehr, was wir waren. Wir sind nervos geworden in der engen Atmosphäre der Städte, seit wir herabgestiegen sind von den Zwingburgen des Mittelalters. Wir haben das heilige Himmelsfeuer in unserer Brust zu verbergen gelernt, wir müssen uns menagiren. Der Dolch ist unserer Hand entfallen vor Schreck über das plebejische Institut der bürgerlichen Assisen, unsere Empfindungen sind dieselben geblieben.

Wir suchen heute noch das Ideal des Mannes, wie es unserer Phantasie vorschwebt – und wir finden es nicht; wir dürfen die Laterne in unserm Wappen noch nicht verlöschen, der „Mann par excellence“ ist noch nicht in den Horizont unsers Hauses getreten. Wir suchen ihn durch alle Länder, durch alle Stände – vergebens! Wir finden den „Rechten“ nicht, und doch muß er da sein, denn was bedeutete sonst die mysteriöse Laterne unsers Ahnen? Was bedeutete sein Segen, unsere mystische Devise? Wir, seine unglückseligen Töchter, sind die ewigen Juden des Herzens; dieses Suchen hat die Herzen meiner nächsten Verwandten usirt, die edle Toska Beiron, die geniale Faustine, die himmlische Gräfin Renate und meine göttliche Mutter Sibylle hatten ihre Herzen erschöpft in vergeblichen Liebesversuchen und ich – ich verzweifle an der Liebefähigkeit meines Herzens, und ich muß dennoch die Liebe suchen. Das ist ein großes, tragisches Geschick!

Das Leben meiner Mutter ist bekannt bis zu dem Zeitpunkte, wo ihr der schöne Engel, ihre Tochter Benevenuta, starb, dies Kind ihrer ersten Ehe. Benevenuta's Vater, Graf Paul, war gestorben. Meine Mutter hatte den brillanten Grafen Astrau geheirathet und sich von ihm getrennt, sie hatte gefunden, daß er nicht „der Rechte“ sei. – Vergebens war es gewesen, daß der geniale Musiker, der edle Meister Fidelis, sie liebte, wie man Gott und die Sterne lieben würde, wenn sie sich in ihrer Unerreichbarkeit plötzlich als reizende, gefallsüchtige, phantastische Weiber zeigten. Weder Astrau's: „Sibylle, wach auf!“ mit welcher Zauberformel er das Herz meiner Mutter aus seiner unmenschlichen und wohl darum göttlichen Apathie zu reißen strebte; noch Fidelis' tragische, verzweifelnde Klage: „Eine immense Seele, aber leer!“ hatten in dem Titanenwesen meiner unglücklichen Mutter einen Funken wahren Gefühls hervorgerufen. Da schien es, als ob des Jünglings, des Grafen Wilderich Liebe sie erwärmen wolle; aber war es die Kälte der Gletscher, in deren Nähe sie lebten, war es einer der Zaubersprüche, die über uns schweben, meine Schwester Benevenuta liebte den Jüngling, und meine Mutter fühlte eine edle Aprehension, die Rivalin ihrer Tochter zu werden. Sibylle resignirte und Benevenuta starb aus Gram, weil Wilderich Nichts für sie gefühlt hatte. Vielleicht waren aber auch die ewigen Reisen meiner Mutter, auf denen Benevenuta sie von Kindheit an begleiten mußte, und der daraus folgende Wechsel des Klimas und der Lebensweise Schuld an meiner Schwester Nervosität und ihrem frühen Tode.

Meine Mutter glaubte zu sterben vor Schmerz und Leere. Die Aerzte fürchteten eine Verknöcherung des Herzens für sie, da alle ihre Anlagen sie zu diesem Uebel prädestinirten. Die Luft Roms lastete erdrückend auf ihr, sie mußte fort „in die Welt“, wie meine Tante Toska es bezeichnet hatte, als der edle Sigismund Forster um ihretwillen erschossen worden war. „In die Welt, gleichviel wohin!“ rief meine Mutter ihrem Couriere zu, als sie im Hotel Meloni an der Piazza di Popolo zu Rom ihren Reisewagen bestieg; und da ihr Courier eine schöne Grisette im Quartier Latin zu Paris wiederzusehen wünschte, ließ er den Wagen nach Nordwesten fahren.

Mit geschlossenen Vorhängen, die Füßchen auf den Rücksitz gelegt und in kostbare Kaschmirs gewickelt, ganz allein, so fuhr meine Mutter durch die blühenden Fluren Italiens. Sie blickte nicht hinaus, denn ihre Seele war in ein apathisches Hindämmern versunken. Sie sprach kein Wort, weder mit dem Courier noch mit ihrem Mädchen, das seit zwanzig Jahren in ihren Diensten war. Wie konnte sie auch sprechen mit Menschen aus jenen Sphären, die von den Elans einer Seele, wie die immense Seele meiner Mutter, keine Ahnung haben.

Es war im Spätherbste, als meine Mutter plötzlich das Halten ihres Wagens bemerkte und, zum ersten Male seit Rom die Augen emporschlagend, sich vor dem Hotel des Grafen Astrau zu Paris erblickte. Indignirt über dieses Ereigniß, fragte sie den Courier, wer ihr das gethan habe. Der Courier sah sie ganz verwundert an, er verstand nicht einmal ihren Zorn. In seiner bürgerlichen Einfalt hatte er gemeint, wenn die Gräfin Astrau es ihm überlasse, sie „in die Welt“ zu fahren, so würde es wol das Natürlichste sein, daß er sie zum Grafen Astrau bringe, von dem sie nur getrennt, nie geschieden worden war.

Während meine Mutter noch in sich überlegte, was ihr zu thun belieben würde, öffnete ein Stallknecht das Portal des Hotels, eine elegante Gigue rollte daraus hervor. Otbert Astrau in tiefer Trauer, schöner und fascinirender als je, saß darin, an der Seite seines Grooms, der eine Trauerlivrée trug.

Sibylle sehen, herabspringen, ihren Wagen aufreißen und sie in seinen Armen die breiten Treppen des Hotels hinauftragen, war das Werk eines Momentes. Meine Mutter wußte nicht, wie ihr geschah. Willenlos lag sie in den Armen des Grafen. Seine Augen sprühten flammendes Leben in die erstarrten Glieder der wundervollen Frau. Er warf sich vor ihr nieder, er strömte alle Glut seiner Phantasie, alle Poesie seiner Dichternatur vor ihr aus. Er sagte ihr, wie er sie ersehnt seit lange, er klagte ihr, daß auch ihm seine Tochter, Arabella's Kind, plötzlich gestorben sei. Sibylla's Thränen um Benevenuta, die zu Eis erstarrt, sich um ihr Herz gelegt, begannen zu schmelzen und zu fließen vor der Flamme seines Auges. Sie fühlte ihr grausenhaftes Isolirtsein, der Magnetismus seiner Natur, der Zauber seines ganzen Wesens begannen eine Reaction in ihr zu erwecken, und von widerstrebenden Gefühlen angezogen und abgestoßen sank sie, instinctiv seine Hände ergreifend, an seine Brust.

Ein kurzes, traumstilles Glück folgte dieser Stunde. Ihm verdanke ich mein Dasein. Aber kaum war ich geboren, als die Illusionen entschwanden, die sich verhüllend eine Weile, zwischen meine Mutter und die Wirklichkeit gestellt. Sie hatte an Astrau's Liebe glauben wollen, sie hatte gehofft, er werde dennoch „der Rechte“ sein, nun das wilde Feuer seiner Jugend verraucht wäre. Aber was konnte für Sibylle ein Otbert sein, der wie alle Roués, und ein Roué war er immer gewesen, zu einem entschiedenen Materialisten geworden war. Der Tod seiner Tochter, das Wiedersehen Sibylla's hatten ihm für Momente einen Reflex seiner Jugend gegeben, und blitzschnell hatte er combinirt, welche finanziellen Resourcen eine Wiedervereinigung mit seiner immens reichen Frau ihm, dem armen Weltmanne, gewähre. Meine unglückliche Mutter war dupirt, trotz der vielfachen Erfahrungen, die ihr Leben ihr bereits gegeben hatte.

Wenig Tage nach meiner Geburt starb mein Vater in einem Duelle, das er wegen einer hübschen Tänzerin mit dem Redacteur eines oppositionellen Journales hatte. Meine Mutter war in Verzweiflung, nicht über den Tod ihres Gatten, denn dieser erlöste sie von einer freiwilligen Abhängigkeit, die sie gerade deshalb wie eine doppelte Schmach empfand; aber der edle Stolz ihrer Seele war verwundet dadurch, daß der Mann, dessen Namen sie und ihr Kind tragen mußten, sich mit einem Bürgerlichen geschlagen hatte. Sie blieb sich gleich in schöner Marmorkälte in jedem Moment ihrer Existenz.

Dieses Evenement rief ihren alten Herzkrampf hervor und in der Alteration jener Tage verschlimmerte sich das Uebel der Art, daß sie starb, noch ehe ich getauft war. Friede ihrer Asche und Ruhe ihrer Rastlosigkeit!

Sie hatte verordnet, daß ich, zum Andenken an unsern Ahnherrn und als Bezeichnung unsers tragischen Geschickes, das uns „zu suchen und nicht zu finden“ verdammt, Diogena heißen sollte. O! wie ist der Name mir eine ominöse Vorbedeutung geworden.

Meine Mutter hatte kurz vor ihrem Tode ein Testament gemacht, in dem sie bestimmte, daß ich, fern von dem Treiben und den Erregungen der großen Welt, auf unsern Stammgütern im Norden Deutschlands erzogen werden sollte. Einer Freundin, einem Fräulein von Dornefeld, ward meine Erziehung übergeben. Diese würdige und treue Pflegerin war der entschiedenste Gegensatz von meiner Mutter. Sie hatte in ihrer Jugend einen adeligen Referendarius geliebt, der früh gestorben war, noch ehe er sie zum Altar führen konnte. In treuer Liebe hatte sie den Witwenschleier über ihr Dasein geworfen und war still und einsam durch das Leben gegangen, Hilfe spendend den Hilfsbedürftigen und überall sich einfindend, wo es irgend eine Lücke auszufüllen gab. Meine Mutter hatte ihre Bekanntschaft im Hause unsers verehrten Verwandten des Bischofs von Bamberg gemacht, dem sie eine treue Pflegerin gewesen war bis an sein Lebensende.

Mit stummer Irritation hatte die gute Dornefeld die Exaltationen, das Meteorartige in dem Wesen meiner Mutter angestaunt, das ihr bald miraculös, bald monströs erschienen war. Aber ihr ängstliches Staunen wich dem Gefühl des Mitleids, als sie sah, wie unglücklich die Frau war, welche kometenartig die Bahn an dem Horizont des Lebens durchstürmte. „O! meine Gräfin!“ hatte sie oft gesagt, „wie anders wäre Ihr Loos geworden, hätte man Sie früh an eine treue, weibliche Brust gelegt; hätte eine linde Frauenhand die wilden Stürme dieser Natur durch milde Liebe magnetisch calmirt.“ Und mit solcher Conviction hatte sie diese Worte gesprochen, daß meine Mutter sich derselben noch auf ihrem Todtenbette erinnerte und mich der treuen Seele zu übergeben beschloß.

Meine ersten Erinnerungen knüpfen sich an unser Stammgut und an die Dornefeld. Meine Mutter hatte gewünscht, mich von Allem fern zu halten, was meine jugendliche Seele exitiren konnte. Sie hatte es der Dornefeld zur Pflicht gemacht, für eine kräftige Entwickelung meines Körpers zu sorgen, und meinem Geiste Zeit zu gönnen, sich innerlich zu developpiren, ehe man ihn nach außen durch Wissenschaft und Kunst zu beschäftigen suchen würde. Nur Frauen sollten mich unterrichten und in meiner nächsten Umgebung leben, denn meine Mutter erinnerte sich, wie früh sich ihr Verhältniß zu dem Meister Fidelis eigentlich entfaltet hatte und wünschte mich davor zu bewahren.

So führte ich ein wunderbares Doppelleben. Auf einer Seite klösterliche Zucht und Einsamkeit, auf der andern ein wahrhaftes Elfenleben in Wald und Feld. Da mein Körper durch Uebung entwickelt und dennoch männlicher Unterricht vermieden werden sollte, wählte die gute Dornefeld eine Mademoiselle Rosalinde, die früher Mitglied einer Kunstreitergesellschaft gewesen war, zu meiner Lehrerin im Reiten, und ließ eine Hallorin, Margarethe Feller, kommen, welche mich im Schwimmen, Turnen und Schlittschuhlaufen unterweisen sollte.

Rosalinde war eine ganz aparte Erscheinung. Sie war schön gewesen, war adorirt worden von den brillantesten Cavalieren, bis ein unglücklicher Sturz vom Pferde ihre ganze Existenz bouleversirte. Sie mußte auf ihre Carriere renonciren und, da in der Zeit, welche sie an das Krankenlager gefesselt verlebte, ihr Geist sich mit Intensität nach innen wendete, war der Wunsch nach einem reinen, moralischen Wandel in ihr rege geworden. Sie hatte einen Geistlichen verlangt, dieser hatte sie mit seiner Freundin, der guten Dornefeld, in Rapport gebracht und so war sie von dieser in unser Haus aufgenommen worden, um sich zu erheben durch ein ruhiges Leben und mich zu bewahren vor einem unruhigen, durch männliche Leidenschaften getrübten.

An Rosalinde hing ich mit tiefster Inclination. Wenn die gute Dornefeld mich mit dem Nähzeug beschäftigen wollte, so scheiterte ihr Bestreben an meinem ganzen Naturell. Nicht als ob ich es nicht hätte lernen können oder wollen; im Gegentheil, ich begriff Alles spielend, aber die ganze Leidenschaftlichkeit meiner Natur warf sich bald auf das Stricken, bald auf das Tapisserienähen, und während ich Unerhörtes in Beidem leistete, während ich in einem Tage die Arbeit von drei geübten Frauenzimmern verrichtete, rieb ich meine Kräfte auf und versank am Abend in eine Abspannung, die fast an Somnambulismus grenzte. Es ist wahr, die Strümpfe, welche ich damals in der bewußtlosen Geschäftigkeit eines Kindes strickte, hatten einen unwiderstehlichen Charme, eine Weiche, eine Wärme und Leichtigkeit, die nie ein Anderer erreichen würde. Die Blumen meiner Tapisserie waren von einem Farbenschmelz, ich möchte sagen, einem Dufte, die für Naturen, welche mir sympathisch verbunden sein mochten, geradezu berauschend waren. Meiner Umgebung blieb diese Erscheinung ein Räthsel! Ich begriff es später nur zu gut. Es ist gleichviel, auf welche Gegenstände sich eine immense Seele, wie die Frauen unsers Hauses sie besitzen, richtet; das Fluidum, das sie ausströmt, wirkt überall bezaubernd und dies ist der unglückselige Magnetismus, der uns die Herzen der Männer entgegenführt, der sie uns unterjocht, ohne unser Zuthun, zu unserer furchtbaren Pönitenz; wir müssen die fremden Herzen zertrümmern, weil wir selbst keine haben.

Hatte ich meinen Tapisserie-Paroxismus ausgetobt, so sank ich müde nieder und trostlos stand die gute Dornefeld an meiner Seite, denn sie wußte in ihrer Engelsmilde mit solcher impetuosen Natur, wie die meine, Nichts zu beginnen. Dann kam Rosalinde wie mein guter Engel herbei. Sie hatte Erzählungen, die mich ganz anders ablenkten von mir selbst, als die stillen Vergißmeinnichtkränze, welche die gute Dornefeld zu meiner Zerstreuung für mich flocht. Sie erzählte mir von Paris, vom Cirque Olympique, von Franconi. Sie beschrieb mir ihr Costume und ihre Triumphe; sie erzählte mir von den Männern, die ihr gehuldigt hatten, von tollkühnen Kunstreitern und sentimentalen Dichtern, von verschwenderisch großmüthigen Marquis, von knauserigen Bankiers, zärtlichen Offizieren, galanten Diplomaten und von ganz bezaubernden Grafen. Ach! die Grafen waren von jeher ihre und meine Passion. Ich wurde ebenso wenig müde zu hören, als sie zu erzählen. Ihre weichen, parfumirten Locken, ihre feuchtglänzenden Augen, der Schmelz ihrer Zähne und das ganz eigenthümliche je ne sais quoi gräflichen Liebreizes schwebte vor meiner Seele und tauchte als festes Bild aus dem Purpurgewölk der untergehenden Sonne für mich hervor, wo andere, unbedeutende Kinder den lieben Gott mit seinen Seraphim und Cherubim erblicken.

Dann schwand die Abspannung, dann fiel ich meiner Rosalinde um den Hals, befahl mein Pferd zu satteln und stürmte, in dem Sattel stehend, an Rosalindens Seite hinaus in das Freie, in die Welt, in die schöne Welt hinein, wo die bezaubernden, brillanten, irresistiblen Grafen waren. Mein Herz schlug dann hörbar, die ganze Glut unsers Familiennaturells klopfte wie Frühlingsahnung in meinen jungen Adern. Mir war, als müsse ich fliegen, weit, weit über die alten Eichen hinweg, hinweg über die Grenzen unsers Gutes, die Grafen zu suchen. So mag einem jungen Wandervogel zu Muthe sein, den man im Frühling mit gestutzten Flügeln zurückhält, in der abominabeln Enge eines Käfigs. Hinter jedem Busche, hinter jeder Hecke erwartete ich einen jungen Grafen hervortauchen zu sehen, und wenn es dann ein Bauerbursche oder einer unserer Domestiken war, so vermehrte dies Desapointement den instinctiven Degout, den ich gegen diese ganze Kaste schon mit dem Leben von meiner Mutter geerbt hatte.

Langte ich dann enttäuscht und fatiguirt auf unserm Hofe wieder an, so mußte die gute Margarethe kommen, um mit mir zu schwimmen und durch das frische, kühle Element meine erschöpften Kräfte zu restauriren. Stundenlang hatte ich mich gewöhnt, im Wasser zu leben. Es war mir homogen geworden und ich bewegte mich darin ganz mit demselben Behagen, mit welchem andere Kinder sich auf der Erde ergötzen. Oft kehrte ich erst spät nach Mitternacht zu der geängsteten Dornefeld zurück, die bleich, mit gefalteten Händen da saß vor den Folianten, welche über die Erziehung des weiblichen Geschlechtes geschrieben worden sind, und Gott um die Weisheit bat, das rechte Buch zu finden, die Zauberformel, einen Charakter wie den meinen zu domptiren.

Wenn ich sie dann so vor mir erblickte, mit den Spuren von Thränen und liebevoller Sorge um mich, in ihren guten, tristen Augen, dann schwand das wilde Element in mir dahin. Aufgelöst in Thränen, voll von den besten Resolutionen, kniete ich vor ihr nieder. Ich gelobte, sie nie wieder durch mein Außenbleiben zu ängstigen, ich schwor, mich nie wieder dem Tapisserie-Paroxismus zu überlassen, ich wollte das wilde Reiten, das vehemente Schwimmen und all meine heftigen Alluren abandonniren. Ich bat sie, mit mir zu beten, damit ich von Gott die Kraft erhalten möchte, meine Vorsätze zu erfüllen, und schlief zuletzt in ihren Armen ein, um von den jungen Grafen zu träumen, die mir von den höchsten Zweigen unserer uralten Eichen und aus dem Wellengrün unserer stillen Seen mit feinen aristokratischen Händchen ihre Liebesgrüße zuwinkten.

So schwanden in unserer ländlichen Einsamkeit Tage, Monate und Jahre dahin. Ein ganzes Corps weiblicher Lehrerinnen war allmälig auf unserm Gute installirt worden und die Vorträge in den Wissenschaften hatten ihren Anfang, meine Kenntnisse die rapidesten Fortschritte gemacht. Ich sprach alle lebenden und todten Sprachen, ich kannte die Geschichte und Geographie wie ein Professor, machte entzückende Verse und sang, zeichnete und tanzte wie ein Engel. Aber dies Alles reichte nicht hin, mich auszufüllen; in früher Jugend war ich geistig blasirt, ich verlangte, weil mir das Lernen keine Mühe, sondern nur ein Zeitvertreib, ein Lückenbüßer war, immer nach mehr und immer nach Neuem. Endlich fiel ich, als ich eben eingesegnet war und mein funfzehntes Jahr vollendet hatte, darauf, Heraldik zu studiren. Die gute Dornefeld übernahm es, selbst sehr bewandert in dieser Branche der Geschichtskunde, mich darin zu unterrichten. Bald kannte ich alle Wappen aller adeligen Geschlechter der Welt, bis hin zu den Braminen und Mandarinen Asiens. Ueberall wußte meine Lehrerin mir freundlich Aufschluß und sinnige Deutung zu geben; nur wenn ich sie fragte, was die frappirende Laterne und die mysteriöse Devise meines Wappens bedeuteten, so schloß sie mich mit schwermüthigem Air an ihr Herz und sagte: „O, meine Diogena, forsche nicht! Es gibt Geheimnisse, welche Gott mit hoher Clemenz dem Auge des Menschen cachiren will. Denke, dies sei ein solches und Gott wird Dich davor bewahren, meine Diogena, daß es sich Dir nicht zu Deinem Schaden von selbst enthülle.“

Dies Mysterium aber ward mir zu einer wahren Tortur. Meine Seele fand keine Ruhe mehr. Es war mein sechzehnter Geburtstag, als ich aufs neue in die Dornefeld drang, mir das Geheimniß unsers Wappens mitzutheilen. Sei es, daß ich es mit zu vehementer Art gefordert hatte oder auch, daß sie durch eine Entschiedenheit, die außerhalb ihres Naturells lag, mir ein für allemal imponiren wollte, sie refusirte es mir mit einer Härte, die mich tödtlich reizte. Ich stürmte hinaus, warf mich aufs Pferd und jagte, als gälte es ein Fox-hunting, hinaus durch Feld und Wald. Ich hatte der Margarethe Feller, die in meinem Dienste das Reiten erlernt hatte, befohlen, mich zu begleiten und meinen Schwimmanzug mit sich zu nehmen.

Es war bereits Abend, als ich, glühend von der gehabten Scene und dem starken Ritt, an dem See anlangte. Ich warf mein Reitkleid ab, ließ mir den Schwimmanzug anlegen und stürzte mich in die limpide Flut, die mich liebend umschloß, wie eine Mutter ihr Kind an sich drückt, weich und doch fest und verhüllend. Ein zauberisches Abendroth war über die frühlingsgrüne Erde ausgebreitet. Wohin man blickte, fielen rosige Streiflichter durch das Eichengrün und glitzerten goldene Sonnenfunken durch die Luft. Ich schwelgte in idealischem Naturgenusse, meine Seele hatte ein wunderbares Epanchement gegen den Schöpfer, wahre Jubelhymnen lebenskräftigen Vollgefühls stiegen aus meiner Brust empor, die bereit war, sich neuen, längst geahnten ekstatischen Entzückungen zu eröffnen.

Da plötzlich drang ein unbekannter Ton an mein Ohr. Ich horchte auf! „Ein Posthorn!“ rief die Feller, welche von Halle her diesen Ton nur zu gut kannte. Ich hatte in unserm von der Landstraße entfernten Schlosse nie ein Posthorn erklingen hören. Noch einmal erschallte der Ton und ehe ich es erwartet hatte, hielt ein eleganter Reisewagen an dem Ufer des Sees.

Zwei Männer saßen darin. Der Eine, schon über die Lebenshöhe hinaus, trug den Adel jener indestructibeln Schönheit, welcher der Vorzug aristokratischer Geschlechter ist. Der Jüngere – ach! noch jetzt schlägt mein Herz in schneller Vibration, wenn ich mir die selige Emotion jenes Momentes vergegenwärtige.

Beide Cavaliere, denn dies waren sie unwiderleglich, bogen sich weit zum Wagen heraus, als sie mich erblickten, und der Jüngere besonders schien ganz bewildert durch meinen Anblick zu sein. Auch mochte er etwas sehr Ungewöhnliches bieten. Ich war damals in jener reizenden Periode des weiblichen Daseins, in dem das Kind urplötzlich zum Weibe geworden, alle Grazie der Kindheit und allen Zauber des Weibes in sich vereinigt. Der Rosa-Tricot, der mich umhüllte, verrieth, so weit das Wasser mich preisgab, die makellose Schönheit meiner adeligen Gestalt. Meine goldblonden Locken hingen, wie mit brillantenen Reflexen übersäet, auf meine Schultern herab. Die feinen schwarzen Franzen meiner breiten, mächtigen Augenlider verschleierten die schwarze Iris meines Auges, die weich wie Sammet, doch so brennende Glut in sich verbarg. Mädchenhafte Scham trieb mich, mich vom Ufer zu entfernen, und doch hielt der flammende Blick aus dem Auge des Jünglings mich magisch gebannt in seinem Zauberkreise. Nur mit langsamen Stößen schwamm ich der Mitte des Sees zu, und den Kopf zurückwendend, sah ich, wie das Auge des jungen Mannes mir folgte, und hörte die Frage des Aeltern, ob dies der Weg nach dem Schlosse sei?

Kaum war der Wagen an uns vorüber, als ich aus dem Wasser sprang, in fiebernder Hast mich in die Kleider warf, das Pferd bestieg und in gestrecktem Galop dem Schlosse zueilte. Als ich dort anlangte, saßen die Fremden auf der Terrasse vor dem Gartensaale. Ich wollte zu ihnen gehen, sie in meinem Hause willkommen zu heißen, als die Dornefeld mir entgegen kam.

„O, meine Diogena!“ sagte sie, „wie glüht Dein liebes Antlitz, wie funkelt Dein Auge! In Dir bebt noch die ganze Erregung unsers heutigen Streites fort und doch wollte ich, Du wärest jetzt ruhig und mild, denn ein werther, unerwarteter Besuch ist uns geworden. Graf Mario und sein Sohn Bonaventura sind angelangt und begierig, Dich zu sehen, mein Engel!“

„So laß uns zu ihnen gehen,“ rief ich, und flog mit der Leichtigkeit eines Vogels die Treppe zur Terrasse empor. Vergebens erinnerte mich die Dornefeld an die Unordnung meiner Toilette, ich beachtete es nicht. Ich hatte gehört, daß Graf Mario sich, müde des Reiselebens, in unserer Gegend angekauft hatte, nachdem seine Gemahlin, die geniale Gräfin Faustine in das Kloster der vive sepolte eingetreten war „um anzubeten, immerfort anzubeten“, und so dem Drange ihrer innern Sehnsucht zu genügen. Sie war eine ältere Cousine meiner Mutter gewesen und der junge Graf Bonaventura also mein Cousin à la mode de Bretagne.

Ich hatte nie Jemanden von meinen Verwandten gesehen, ich war ohne jugendliche Gespielen aufgewachsen, welch ein Wunder also, daß es mich mit warmer Sehnsucht den ersten Blutsfreunden entgegenzog, die ich erblickte. Mit allem graziösen Elan meines Wesens trat ich ihnen entgegen und bot erst Mario dann Bonaventura die Hand.

Graf Mario schien bewegt von meinem Anblick. Er fuhr mit der Hand über Stirn und Augen und schloß mich dann, wie von unwiderstehlichem Impulse dazu getrieben, an seine Brust.

„Verzeihen Sie einem Freunde Ihrer Mutter, theure Gräfin!“ sagte er, „wenn die Aehnlichkeit mit dieser und die Aehnlichkeit mit meiner unvergeßlichen Faustine mich übermannten. O! Sie haben die magischen Augen dieser Frauen, Sie haben das unnachahmliche fascinirende je ne sait quoi, das Jenen eine so zauberische Macht verlieh.“

„So lieben Sie mich, Graf Mario!“ entgegnete ich, „wie Sie jene Frauen liebten. Denken Sie, ich wäre Ihre Tochter! Ich habe meine Aeltern nicht gekannt, ich habe einsam gelebt und ohne Liebe bis auf diesen Tag und ich sehne mich nach Liebe.“

Ein tiefer Seufzer der armen Dornefeld unterbrach mich und erinnerte mich daran, daß diese Worte ihr wehe gethan haben konnten. Zerknirscht von Reue warf ich mich an ihr Herz. „Meine Dornefeld,“ rief ich aus, „o! Du hast mich geliebt; Du hast mich geliebt mit jener reinen, unirdischen Engelsliebe, wie die Seraphim sie für die Kinder haben, die ihrem Schutze anvertraut sind! Du hast meiner nie bedurft und mir doch Alles gewährt, Dich verehre ich, Dich bete ich an, Du bist zu hoch für meine Liebe.“

„Wunderbares Kind!“ sagte Graf Mario, indem er mich befremdet betrachtete. „Und was denken Sie sich unter der Liebe, die Sie bis jetzt vermißt und ersehnt haben? Was verlangen Sie von ihr?“

„Was ich verlange?“ wiederholte ich träumerisch und versank in ein momentanes Nachdenken. Das hatte ich mir selbst niemals klar gemacht, mich niemals gefragt. Mein ganzes Herz hatte das Wort „Liebe“ wie ein Zauber erfüllt; wie die Gottheit dem Pantheisten das All ist, so war es mir die Liebe gewesen. Jetzt, da die positive Frage an mich gerichtet wurde, da Bonaventura's Augen mit sehnsüchtigem Ausdruck auf mir ruhten, da war es mir plötzlich, als erschlössen sich die verborgenen Tiefen meiner Seele, als sähe ich in den aufgethanen Schachten meines Herzens das funkelnde flammende Gold, die strahlen den Brillanten und die blutrothen Rubine der Liebespoesie mir entgegenstrahlen, und das ganze profunde Mysterium der Liebe enthüllte sich mir wie durch eine instantane Revelation.

Ich schlug die mächtigen Augenlider empor und sagte, indem ich mit prächtigem Stolze die Grafen abwechselnd anblickte: „Was die Liebe sei, das weiß ich durch den Glauben meines Herzens so sicher, wie der Christ vermöge des Glaubens weiß, daß und was die ewige Seligkeit ist. Die Liebe ist das Einssein von Zweien; ich höre auf zu sein, um in einem Andern erst wieder zu werden. Es ist eine Regeneration, es ist ein Aufgehen in dem Geliebten, dessen ganzes Wesen dafür mein eigen wird, mein eigen ganz und gar. Ein Mensch allein durchdringt das Geheimniß des Daseins nicht; aber Zwei vereint zu einer Liebe, die durchdringen es. Die wirbeln sich empor mit der Lerche im Frühlicht der Sonne entgegen, die lauschen dem schweigenden Pulsschlag der Erde in träumerischer Nacht, die beherrschen mit mächtigem Zauberstab die ganze Skala der Gefühle, daß alle Accorde des menschlichen Daseins sich vor ihrem Willen zusammenfügen zu der wahren Sphärenharmonie, deren ewiger Text das eine Wort ist „Liebe!“ – „O! die Liebe!“ rief ich aus und sank todtenbleich auf den Fauteuil, der mir zunächst stand.

Der Graf, die Dornefeld eilten mir beizustehen, aber schneller als sie Beide war Bonaventura zu meinen Füßen niedergesunken, und meine Hände in die seinen pressend, rief er exstatisch: „O, Diogena! Stirb nicht! Stirb nicht! Mein Ideal! Ehe Du mich mit Dir emporziehst in Deinen Himmel der Liebesseligkeit, wo ich fortan wohnen muß mit Dir, wenn ich nicht versinken soll in den Tartarus der Verzweiflung!“

Ich sprang empor, ich warf meine Arme mit Enthusiasmus zum Himmel empor und sagte: „O! das ist der Klang der Stimme, auf den mein Ohr gelauscht, seit Töne ihm vernehmlich wurden! Das ist sie, das ist seine Stimme, die Stimme par excellence!“ –

Wir lagen uns in den Armen, wir mischten unsere Thränen miteinander, wir erbebten unter den süßen Schauern des ersten flammenden Kusses. Ein Augenblick hatte zwei Existenzen indissolible verbunden.

Graf Mario, die Dornefeld standen wie sprachlos dabei. Eine solche Precipitation überstieg Alles, was sie je erlebt hatten, was man voraussehen konnte. Wir knieten vor dem Grafen nieder, wir baten um seinen Segen, er schloß uns gerührt an sein Herz. „Das ist Naturgewalt!“ sagte er, „möge die Stunde eine gesegnete sein, die Euch zusammenführte.“

Er sprach mit der Dornefeld von bienséances, von meinem Vormunde, von der Nothwendigkeit, ihn zu Rathe zu ziehen, wir hörten es kaum, oder hörten es doch nur so, wie die seligen Bewohner des Jenseits das unheilige Geräusch des Erdengetreibes vernehmen mögen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Diogena.