Bonaventura hatte mich hinabgeführt in den Garten zu einer Bank unter dem Schutze einer mächtigen Linde.

Bonaventura hatte mich hinabgeführt in den Garten zu einer Bank unter dem Schutze einer mächtigen Linde. Hier warf er sich abermals stumm vor mir nieder. Hier betrachtete ich zuerst die ganze magnifique Schönheit seiner Erscheinung. Er zählte damals etwa zweiundzwanzig Jahre. Hoch und schlank aufgeschossen, hatte er die ganze Flexibilität und die wundervolle Eleganz der Jünglinge aus altadeligen Geschlechtern. Dunkle Locken, schwarz wie die Flügel der Rauchschwalbe, legten sich weich um seine geniale Stirn, und wie Sonnenstrahlen aus dem spiegelhellen Blau eines Schweizersees, mit so limpidem Lustre tauchten seine goldbraunen Augen aus dem verschwimmenden Weißblau der Netzhaut hervor. Ich legte meine Händchen auf sein Haupt und wollte den Mund öffnen, um in Worten die ganze heiße Fülle meiner Seele auszuhauchen, da preßte Bonaventura meine Hände urplötzlich fast gewaltsam an sich und sagte leise und mit vor innerer Emotion fibrirender Stimme:

„O schweig, schweig! meine Diogena! Fühlst Du denn nicht, daß die Seele des Erdgebornen nur gradatim die Wonne des Himmels erträgt? Fühlst Du denn nicht, Diogena, daß mich heute Dein bloßes Anschauen außer mir wirft? Und willst Du mich vernichten durch Ekstase, indem Du noch den Zauber Deiner Rede gegen mich benutzest? Sei barmherzig, Himmlische, und schweige!“


Ich bebte vor Wonne, wie er selbst. Die ganze gefährliche Macht solchen Schweigens wuchtete sich über uns und bedrohte mich mit seiner Gewalt. Wie ich nun so dasaß, eingewiegt in die berauschende Wonne seiner Nähe, so fühlte ich dies Gefühl zu einer so excessiven Höhe erwachsen, daß meine junge Natur in ganz oppositionnelle Empfindung übersprang, und von einem Extrem in das andere vaguirte. Ich brach in das inertinguibelste Lachen aus, sodaß Bonaventura mich erschrocken fragte, was mir begegnet sei?

„O mein Bonaventura!“ rief ich aus, „ist es denn nicht zum Lachen, daß zwei Sprossen altadeliger Geschlechter eine Verlobung feiern, wie die unsere? Wo ist da eine Spur von Etikette, von Convenienz? Wo sind da alle Präliminarien solcher Verbindungen? Aber das gerade entzückt mich. Das gerade ist absolut vornehm, denn es ist über alle Berechnung erhaben. So, ohne Frage um alle irdischen Interessen, kann sich nur die Creme der Aristokratie verbinden, die wie die Lilien auf dem Felde leben, ohne zu denken, daß man arbeiten und sich kleiden müsse; dies ist nur der Elite der Menschheit möglich, bei der diese Rücksichten fortfallen, bei der Reichthum und Adelsgleichheit und Sorgenfreiheit ein cela va sans dire sind. O mein Bonaventura! Laß uns Gott danken, daß wir zur Creme der Aristokratie gehören und diese Wonnestunde unsers Lebens ohne arrière-pensée feiern und genießen können.“

Bonaventura stimmte mir aus voller Seele bei, als der Graf und die Dornefeld uns zu suchen kamen und nun selbst lachen mußten, da sie uns erblickten; denn ein wunderlicher ajustirtes Paar hat wol nie in den Regionen, in denen wir uns bewegten, seine Verlobung gefeiert. Bonaventura, der nach beendigten Universitätsstudien mehre Jahre auf Reisen gewesen war, kehrte jetzt von diesen zurück. Sein Vater war ihm bis Berlin entgegengefahren, ihn auf seine Güter zu holen. Bonaventura trug den bequemen sandfarbenen Paletot moderner Touristen, die ungebleichte Leinwandweste, den grauen breitkrämpigen Filzhut und die leichten Kamaschen, welche die Engländer, diese Meister des Comforts en vogue gebracht haben. Ich hatte ein dunkelbraunes Reitkleid, das an einer Seite in die Höhe geknöpft war. Da ich alle Kleinlichkeit und alle Gêne in meiner Toilette haßte, so mochte ich von Chemisetts und Cravatten und Manschetten und all den tausend aimables riens, in denen andere Frauen ihre Freude suchen, Nichts wissen. Ein breiter weißer Kragen, der Hals und Brust frei ließ, fiel über meine Schultern herab und war halb verdeckt von den Locken, die, durch das Wasser beim Schwimmen geglättet und durch den Ritt noch nicht ganz getrocknet, in einer prachtvollen Grazie, wie verdichtete Sonnenstrahlen um mich her funkelten.

Der Haushofmeister erschien, uns zu melden, daß der Thee servirt sei. Ich hatte in der Wonne meines Herzens nicht gedacht, daß es noch eine Theestunde auf der Welt gäbe und daß jetzt, da ich so glückselig sei, noch Jemand auf Erden essen werde. Wie erschrak ich also, als Bonaventura, mir seinen Arm bietend, um mich in das Haus zu führen, mit großer Zufriedenheit in die Worte ausbrach: „O vortrefflich, meine Diogena! Du sollst es sehen, wie ich Deine Gastfreiheit benutzen will. Die lange Fahrt und all die heftigen Emotionen meiner Seele machen ihr Recht geltend, und ich bringe Dir einen wahren Homerischen Appetit für unsere erste gemeinsame Mahlzeit mit.“

„Das freut mich für Dich!“ sagte ich, aber eine Wolke des Nichtverstehens legte sich um meine Seele.

Während wir an der Tafel saßen, während Bonaventura mit großem Eifer der Mahlzeit zusprach, und, alle leichten Confituren vermeidend, sich die festen, nahrhaften, kalten Fleischspeisen aussuchte und dazwischen heiter mit seinem Vater und mit mir von seinem Glücke sprach, weinte mein Herz im stillen Innern die ersten bittern Thränen herben Desappointements.

O, er liebte mich nicht! Wie konnte er hungern und dürsten gleich einem gemeinen Menschen, der Mann, der eben erst von meinen Lippen den Nektar des ersten Kusses getrunken, der begehrt hatte, ich solle schweigen, damit er nicht der Wonne, dem Glücke erliege! Und jetzt sprach er selbst ganz heiter von den gleichgültigsten Evenements, lobte den Thee und erzählte von seinen Reisen comme si de rien n'était, und ich, ich, Diogena, saß an seiner Seite! und ich liebte ihn! ich glaubte es wenigstens damals. O, was glaubt nicht ein candides Herz mit sechzehn Jahren; was glaubt nicht eine Diogena, deren Wappen die Laterne ist, und die den Rechten zu suchen prädestinirt ist von dem unerbittlichen Fatum.

Thränen traten mir in die Augen, ich vermochte nicht zu sprechen, ich konnte Nichts entgegnen auf Alles, was mir Graf Mario Gütiges und Bonaventura Zärtliches sagten. Was sie von meinem Vormunde, von seiner zu fordernden Einwilligung zu unserer Verbindung, von meinen Gütern, von meinem Besitz und der Verwaltung desselben sprachen, das verstand ich nicht. Das war ja auch Alles ganz unaussprechlich indifferent gegen das große Eine, unsere Liebe. Aber je länger wir beisammen waren, je mehr Graf Mario mit der Dornefeld über den Zustand meiner Unterthanen zu sprechen anfing, je eifriger hörte auch Bonaventura auf diese Unterhaltung. Er sagte, die Leute seien bis jetzt mit beispiellosem Mangel an Philanthropie, mit Hintausetzung all ihrer Interessen behandelt; er sehe, daß es ihnen an dem Nöthigsten fehlen müsse; er sprach von Schulenanlegen, von Hospitälern und Gott weiß, wovon noch – und ich saß an seiner Seite, und all dies wüste Gespräch fiel in meinen ersten seligen Liebestraum hinein, um mich furchtbar schmerzlich zu erwecken. Was kümmerten mich meine Unterthanen und ihr Elend oder ihr Glück? Was hatte mein prächtiger aristokratischer Egoismus zu schaffen mit den Thränen jener uneleganten, rothhändigen Horden? Wie durften sie es wagen, ihre bleichen Jammergestalten zu drängen bis in die Seele eines jungen Grafen, eines Bonaventura, der eine Diogena liebte, dem eine Diogena sich gelobt seit wenig Stunden.

Ich hätte aufschreien müssen, bei dem ersten Versuche zu sprechen, und um dies zu evitiren, fing ich zu essen an mit einer krampfhaften Vehemenz. Bonaventura sollte nicht sehen, wie tödtlich ich litt; ich wollte ihm meine furchtbare Alteration nicht zeigen; ich gönnte ihm nicht, die Regrets zu sehen, die es mir erregte, daß er mich nicht liebte. Aber ich stand noch nicht am Ziele meiner Deceptionen. Mit Entsetzen ward ich gewahr, daß das Essen mir deliciös schmeckte. Ich fühlte, daß ich also Bonaventura nicht liebte, daß ich ihn nicht lieben könnte, nie lieben würde; denn die Liebe, die ich ersehnte, die erhob den Menschen über solch niedriges Bedürfniß, die emancipirte ihn von allem Irdischen, so weit es sich nicht auf das geliebte Object bezog – und wir soupirten Beide, und wir sollten uns heirathen, und ich hatte geglaubt, diesen Menschen zu lieben.

Graf Mario und Bonaventura bemerkten das Changement, das sich in mir apparirt hatte, und mit jenen zärtlichen Soins, deren Naturen wie Bonaventura capabel sind, drang er in mich, ihm den Grund meiner Verstimmung zu enthüllen. Ich schwieg standhaft. Da ich nicht glücklich sein konnte durch ihn, wollte ich wenigstens so elend als möglich werden, denn meine immense Seele strebte instinctiv nach dem Immensen und begehrte alle Radien der Seelenzustände zu durchlaufen. So nahm ich meine Resolution, heroisch mit dem Schmerze, statt mit dem Glücke, den Anfang zu machen.

Bonaventura war untröstlich über mein Schweigen, was kümmerte mich das in meiner Abgeschlossenheit? Ich fühlte, er war nicht der Mann, den ich ersehnt, er war nicht der Rechte, nicht mein anderes Ich selbst. Er war ein Wesen, von dem Fatum in meinen Lebensweg lancirt, um mich leiden zu machen. Ich nahm dies fatalistisch auf mit stolzer Resignation, unbekümmert darum, ob auch Bonaventura litt. Er war nur Nebenperson in diesen Schicksalswirren, deren Mittelpunkt immer eine Frau ist, von der Trempe der Frauen unsers Hauses. Sie sind die Axe, um die sich in stupender Willen- und Anspruchslosigkeit die ganze übrige Welt zu drehen hat.

Graf Mario von seiner himmlischen Gräfin Faustine und von meiner Mutter, der wunderbaren Sibylle, an diese capricieusen Alluren der Frauen aus unserer Familie gewöhnt, sagte zu Bonaventura: „Laß sie, mein Sohn, und störe sie nicht. Ihr Geist hat nun einmal seine miraculösen Alluren, und wer eine Diogena zum Weibe begehrt, muß sich bei Zeiten daran gewöhnen. Man muß sie lieben, denn dompliren kann man sie nicht.“

„Oder man muß liebenswerth sein und von ihnen geliebt zu werden verdienen,“ rief ich mit prächtiger Impertinenz, und eilte auf mein Schlafzimmer, wo ich in bittere Thränen ausbrach.

Verwundert hatten mir die Grafen nachgeblickt.

Am Morgen war ich müde und abgespannt von der durchweinten Nacht, das machte mich anscheinend milder. Ich ging mit Bonaventura spazieren, ich hörte all seinen Liebesworten, seinen philanthropischen Ideen, die sein ganzes Wesen warm durchglühten, mit der Ruhe zu, mit der ein hoffnungslos Kranker, der seinen Zustand kennt und resignirt hat, auf die Trostesworte seiner Freunde hört. Seine Liebesworte fand ich kalt, seine Menschlichkeitsprincipien, seine Ideen von der Gleichheit menschlicher Berechtigung kamen mir wahnsinnig vor. Ich schwieg und lächelte; der arme Bonaventura glaubte, ich sei glücklich.

Man hatte einen Erpressen geschickt, um meinem Vormunde das Evenement zu annonciren und seine Zustimmung zu erhalten. Sie langte am Abende des nächsten Tages an. Unsere Verbindung war so wohl assortirt, daß sie das Entzücken aller Angehörigen machte. Die Hochzeit sollte in der Mitte des Sommers gefeiert werden und dann sollten wir reisen, weil doch ein aristokratisches Ehepaar unmöglich ruhig an Ort und Stelle bleiben konnte. Mein Schwiegervater wollte während unserer Abwesenheit die Verwaltung meiner Güter übernehmen.

Ich übergehe die ersten Tage meines Brautstandes, den Abschied von meinem Bräutigam. Ein Gefühl apathischer Stumpfheit war über mich gekommen. Manchmal meinte ich, ich müsse Bonaventura schreiben, daß ich ihn nicht liebe. Dann nahm ich die Feder zur Hand; aber kaum war es geschehen, so blickte von dem Papiere mich sein goldglänzendes Auge an. Mir war, als dränge der Strahl bis tief in meine Seele, ich fühlte seinen flammenden Athem meine Stirn berühren, seine Arme mich an sich ziehen und seine Stimme hörte ich die Worte sprechen: „Und Du willst nicht mein Weib werden?“ Dann schien es mir, als müsse ich zu ihm fliegen, ihn um Verzeihung flehen, daß ich ihn nicht anbete. Ich wollte ihn heirathen, die Seine werden, aber – ich liebte ihn nicht. Ich fühlte mein Herz klopfen in gesunden, kräftigen Schlägen, ich hatte also ein Herz und doch liebte ich den schönsten Mann nicht, den vielleicht die Erde je getragen hatte. Und Bonaventura war geistreich, edel, großmüthig! Ich war mir selbst ein Räthsel.

Je näher mein Hochzeitstag kam, je mehr stieg meine Beängstigung. Da fiel ich in meiner Angoisse darauf, mich an Rosalinde zu adressiren, die mir die ersten Details über die Liebe in den höhern Sphären gegeben hatte. Die gute Dornefeld konnte mir nicht helfen, das fühlte ich klar. Ihre blöde, bornirte Weiblichkeit lag ganz außer den Grenzen einer Diogena; aber Rosalinden klagte ich meine Noth. Sie hörte mir schweigend zu und sagte: „Meine Comtesse! Wie Sie ein adorabler, schuldloser Engel sind! Aber wer denkt denn daran in der vornehmen Welt, seinen Mann zu lieben? Darauf konnte nur ein so candides Geschöpf kommen, wie meine holde Comtesse! Man heirathet seinen Mann, man wird die Mutter seiner Kinder, aber man liebt ihn nicht; im Gegentheil, man findet ihn unerträglich annuyant und er ist es auch; denn er denkt an materielle Interessen, er will sich ein Sort machen, das Sort seiner Kinder sichern, den Namen seines Hauses erheben und dergleichen. Er will ein Staatsbürger, ein Landstand, oder gar ein Kosmopolit sein – Solch ein Wesen kann man ja nicht lieben. Solch ein Wesen hat einen Schlafrock.“

„Auch in der Aristokratie?“ fragte ich mit Entsetzen.

„Auch in der Aristokratie!“ bekräftigte Rosalinde unerbittlich, und fügte hinzu: „Einen Schlafrock und oft sogar Pantoffeln, und es raucht Cigarren am Morgen und gähnt bisweilen am Abend, und liest Journale und ist in unserer Zeit, da er gewöhnlich Landbesitzer und Landstand ist, der öffentlichen Meinung des bürgerlichen Pöbels unterworfen.“

„Aber das ist ein Horreur!“ rief ich und schlug schaudernd die Händchen zusammen; „aber ein solches Wesen kann man ja nicht lieben, das hat ja kaum Zeit an die Liebe zu denken.“

„Nein! es denkt auch gar nicht daran.“

„Aber was soll ich denn anfangen! rief ich in Verzweiflung. „Du siehst es, Rosalinde, ich liebe meinen Bräutigam schon jetzt nicht, weil der ganze künftige Ehemann schon aus seinem Wesen hervorblüht. Ich muß ihn ja hassen und verabscheuen, wenn er wirklich ein veritabler Ehemann geworden sein wird. Was soll ich dann beginnen? Sieh, meine Verzweiflung, Rosalinde, ist so übermächtig, daß sie meine Natur bouleversirt, daß sie mich zwingt, sogar vor dir, die du mir nicht ebenbürtig bist, mein Herz auszuschütten; fühle die Ehre, die ich dir thue, hilf mir, rathe mir, wen soll ich lieben? Denn lieben muß ich!“

Ich schwamm in Thränen. Ich hatte mich auf die braune Sammetcouchette meines hellblauen Salons geworfen. In dunkelblaue Shawls gehüllt, die mir von Schultern und Armen herabgeglitten waren, sah ich mit meinen goldblonden Locken, wie ich so auf der braunen Couchette dalag, wie Correggio's büßende Magdalene aus, die sich in bereuendem Schmerze auf den dunkelbraunen Steinen der Felshöhle niedergeworfen hat.

Rosalinde kniete neben mir nieder, halb zu meinen Füßen hingezogen von dem Dankgefühl über die Gnade meiner Confidenz, halb überwältigt von dem Zauber meiner fascinirenden Schönheit. Sie küßte meine fabelhaft kleinen Füßchen und sagte: „O, Comtesse, menagiren Sie ihren gerechten Schmerz. Das Leben hat Compensationen. Es ist wahr, es ist ein Horreur, daß man einen Ehemann nicht lieben kann auf jenen aristokratischen Höhen, aber es gibt Liebhaber, bezaubernde, müßige, magnifique Liebhaber, die Nichts thun, Nichts, absolut Nichts, als lieben und diese Liebhaber liebt man.“

Man hat von Leuten erzählt, die plötzlich von einem furchtbaren Schmerze befreit, nach vielen langen, schlaflosen Nächten, mit einer fabelhaften Spontaneität in Schlaf versinken, und miraculös geheilt erwachen. So ging es mir. Jener Revelation Rosalindens folgte seit meinem ganzen Brautstande der erste ruhige Schlaf. Ich sah einen Hoffnungsstern leuchten durch die Nacht meines Ehelebens und mit dem Blick auf diesen Stern kam Friede und Freudigkeit in mein Herz.

Ich hatte mit Zuversicht mein Jawort am Altare gesprochen, wir waren in die Reisekalesche gestiegen und in Baden-Baden angelangt, bald der Mittelpunkt der beau monde geworden, um den sich die Elite dieser Saison bewegte.

Mein Mann fand viele seiner Reisebekanntschaften in Baden schon anwesend und sehr begierig, mich kennen zu lernen. Schon am ersten Abend präsentirte er mir drei junge Männer, den Fürsten Callenberg, einen Vicomte Servillier und einen Lord Ermanby, mit denen die Ausflüge für die nächsten Tage verabredet wurden.

Diese drei Männer waren von sehr divergirenden Charakteren. Fürst Callenberg, der Sohn des Fürsten Gotthard von Callenberg und der edeln Cornelie, Witwe des Grafen Sambach, hatte ganz das wunderbar impassible Temperament seines Vaters geerbt. Jahre lang hatte Fürst Gotthard mit einer instinctiven, nie encouragirten Treue an Gräfin Cornelie gehangen, war ihr instinctiv gefolgt und hatte constant geschwiegen oder im Halbschlummer vor ihr in den Fauteuils gelegen, so lange Eustach Graf Sambach lebte. Da er in seinem Leben Nichts wahrhaft empfunden, Nichts entschieden gewollt hatte, und doch von der magnetischen Attraction der Gräfin jahrelang wie ihr Schatten an sie gebannt blieb, so präsumirte er, das werde wol Liebe sein. Er heirathete die Gräfin nach dem Tode ihres Mannes und nach der Verstoßung ihres Liebhabers, des bürgerlichen Lenor Brand.

Ich kannte zufällig diese Geschichten und Verwickelungen, und war durch die superbe Herzenskälte seiner beiden Aeltern zu Gunsten des jungen Fürsten prävenirt. Auch entsprach er vollkommen dem edeln Bilde, das ich mir von ihm gemacht hatte. Stundenlang konnte er mit seiner Gigantentaille mir gegenüberstehen und mich regungslos anstarren, ohne eine Sylbe zu sagen, ohne durch ein Zeichen zu verrathen, daß er mir nur zuhöre, wenn ich sprach. Aber so wie ich mich erhob, stand auch er auf. Er trug meine Echarpe und meine Ombrelle, er machte meinen Stallmeister, wenn ich reiten wollte, holte mir den Mantel aus dem Wagen, sobald es kühl wurde, und that all die Dienste, die bei ordinairen Frauen ein indifferenter Lakei verrichtet, mit einer Devotion, mit einem Eifer, daß man sah, er werde durch den Impuls eines tiefen, sich selbst nicht bewußten Gefühls getrieben.

Ich kann nicht sagen, daß diese Art der stummen Huldigung, so sehr sie bon genre war, mich wesentlich interessirt hätte. Ich gewöhnte mich bald daran, den Fürsten mir folgen zu sehen, wie ein Planet seiner Sonne folgt, aber es ließ mich kalt. Nur wenn ich mit andern Männern sprach, wenn ich andern, brillantern Männern einen Vorzug vor ihm gab, und eine Wolke schweren Depits sich über das impassible Gesicht des Fürsten lagerte, dann machte es mir eine Art von Freude, ihn anzublicken und zu denken, daß ich selbst diesem Marmorherzen ein, wenn auch nur momentanes und factices Leben einzuhauchen verstände.

Und brillanter war der Vicomte Servillier allerdings. Feurig, phantasiereich, petillant und vacillirend, wie alle Kinder der Provence, glich er auch in seinem Aeußern den sinnigen, glühenden Troubadours der cours d'amour. Er machte entzückende Verse und sang sie vortrefflich nach selbst erfundenen Melodien. Gleich, als mein Mann mir ihn vorstellte, sagte er mit einem Blicke, in dem sich die ganze heiße Innerlichkeit seiner Natur enthüllte: „Um Gotteswillen, Bonaventura, wie kannst Du in dem Strahlenglanze dieser Göttererscheinung leben, ohne zu fürchten, daß sie dich emporwirbelt von der Erde hinweg in die flammende Sonnenregion, der sie entsprossen ist!“

Es lag allerdings etwas provencalische Jactance in dieser Interjection, aber der Graf war diese von Servillier gewohnt und mich söhnte die Wunderlichkeit der Begrüßung mit dem Auffallenden derselben aus. Lord Ermanby sagte gar Nichts, setzte sich schweigend nieder, den röthlich blonden Lockenkopf gegen einen Baumstamm, die Füße auf einen Stuhl gelegt, den er hin und her balancirte, während er den Knopf seiner Badine im Munde hielt. Er war ein Typus von good breeding.

Mein Leben ging nun seinen ruhigen Gang, wie das Leben aller Neuvermählten. Ich hatte Rosalinde mit mir genommen, da sie durch ihre frühere Liaisons mit Männern der beau monde sich eine gewisse elegante Ausdrucksweise angewöhnt hatte, die sie mir erträglicher machte, als andere gewöhnliche Kammerjungfern. Zudem besaß sie aus der Zeit ihrer Seiltänzercarriere eine große Toilettengeschicklichkeit, war klug und mir mit vollkommener Treue attachirt und hatte wirklich alle Qualitäten einer ausgezeichneten Kammerfrau.

Am Morgen ging mein Mann und ich an den Brunnen, wo wir unsere Freunde trafen, dann pflegte Bonaventura in das Lesecabinet zu gehen und die Tagespapiere zu durchblättern, auch Lord Ermanby und der Vicomte schlossen sich ihm an. Nur der Fürst besaß den Vorzug eines echten, deutschen Cavalieres, sich nicht im Geringsten um die Vorgänge in der Welt zu bekümmern. Die Welt, die Tagesereignisse, Politik und Literatur interessirten ihn nicht; seine Güter verwaltete ein Intendant, seine Revenuen wurden ihm zugeschickt, er fragte nicht um Politik, nicht um Literatur, er lebte ein durchaus müßiges und vornehmes Dasein.

Diese phänomenal aristokratische Natur fing an, mich allmälig zu beschäftigen. Eines Abends kehrten wir um zwölf Uhr von einem Spaziergange in unsere Wohnung zurück. Unsere Freunde hatten uns verlassen, wir waren seit langer Zeit zum erstenmale allein, mein Mann und ich, und ich ließ den Thee in meinem kleinen Boudoir serviren.

Es war ein comfortables, lauschiges Plätzchen. Grüne Weinranken zogen sich zu den geöffneten Fenstern hinein und fielen bis auf den grünen Sammetdivan, auf dem ich lag. Ich hatte ein weißes Negligee übergeworfen, kleine blaßblaue Atlaspantöffelchen angezogen und lag nun so da, wie eine Nachtviole, die in holder Schönheit bewußtlos blüht, unter dem sanften Strahl des Mondes. Eine Astrallampe mit leichtem Ueberwurf verbreitete ein mildes Licht und unter der silberhellen Theevase sprühte die kleine röthliche Flamme, in die ich träumerisch blickte, als Bonaventura hereintrat.

Er sah mich ganz bezaubert an und knieete zu mir nieder. „Wie Du schön bist, meine Diogena!“ sagte er, „wie Du schön bist!“ wiederholte er und ergriff meine Hände, die er küßte.

Ich ließ es schweigend geschehen. Bonaventura setzte sich auf den Divan nieder und sprach: „Nimm nur Deine Füßchen in Acht, daß ich sie Dir nicht drücke, denn sie müssen müde sein, meine Diogena! Du bist heute miraculos umhergewandert und ich selbst fühle mich fatiguirt.“

Ich legte mich schweigend mehr gegen die Wand zurück, um ihm Platz zum Sitzen zu lassen, da rief er: „Aber Diogena! warum antwortest Du mir nicht, mein Engel! Warum soll ich den süßen Ton Deiner Stimme nicht hören?“

„Es gab eine Zeit, in der es Dir genügte, mich anzuschauen; eine Zeit, in der Du zu erliegen fürchtetest, wenn ich dies Glück noch durch den Zauber meiner Stimme erhöht hätte.“

„O, das war damals!“ sagte er scherzend, „nun bin ich aber schon an Deinen Schönheitszauber gewöhnt, er ist mein eigen geworden und Du kannst mir die süßen Worte Deiner Lippen gönnen, ohne Furcht, daß ich vor Seligkeit Dir sterbe, so selig Du mich machst. Darin besteht ja die Wonne der Gewohnheit, meine Diogena!“

„Ich bitte Dich, Bonaventura! verschone mein Ohr mit solchen Worten, erniedrige mich nicht durch solche Reden. Als ob das Schöne uns nicht ewig neu, nicht ewig entzückend bliebe; als ob Sonne und Mond und Sterne, und die Natur uns nicht ewig die gleiche Sensation einhauchten!“

„Sonne, Mond und Sterne wohl, aber vielleicht grade darum, weil sie uns unerreichbar sind, weil sie trotz unserer Sehnsucht, trotz unsers Verlangens, nie zu uns herabsteigen. Thäten sie dies und würden sie unser eigen, wie ein geliebtes Weib, auch der Besitz der himmlischen Gestirne würde uns zu einer süßen, wenn auch unentbehrlichen Gewohnheit werden,“ meinte Bonaventura, und wollte mich zärtlich in seine Arme ziehen.

Ich machte mich aber mit einer prächtigen Indignation von ihm los und sagte: „Nun, so will ich wenigstens nicht dazu thun, Dir zur süßen Gewohnheit zu werden; ich will Dir lieber entbehrlich sein und ich bin es Dir schon, denn wir Beide verstehen und verstanden uns nie.“

„Diogena! um der Liebe willen, welche Anwandlung!“ rief Bonaventura, ganz foudroyirt von meinem wundervollen Zorn.

„Nein, nein, Bonaventura!“ sagte ich, und schüttelte schmerzlich lächelnd mein Haupt, indem ich die rosigen Händchen abwehrend gegen ihn bewegte, „täusche Dich nicht, Du liebst mich nicht, ich weiß es. Du ermüdest an meiner Seite.“ –

„Aber Diogena! wer kann wie Du Strapazen ertragen, die den stärksten Körper vernichten müßten. Du hast heute zwei Stunden am Morgen promenirt mit dem Vicomte, dann bist Du in brennender Sonnenhitze nach Karlsruhe gefahren, die Museen in Augenschein zu nehmen, hast das Schloß, die Bibliothek, die indifferentesten Kirchen durchwandert. Heimgekehrt bist Du auf die Iburg zu einem Dejeuner geritten, dann zu Fuß hinabgegangen. Wir haben in dem wüsten Menschengewühle des Hôtel d'Angleterre dinirt, haben einen langen Ritt über Lichtenthal hinaus in die Berge gemacht, zwei Stunden im Salon der Fürstin Orzelska getanzt, und schon, als wir nach Hause fuhren und ich vor Ermüdung zusammenbrach, hat Deine üble Laune ihren Anfang' genommen. Wohl Dir, daß Du trotz Deiner Irritabilität und Nervosität dergleichen Fatiguen täglich erdulden kannst, ich kann es nicht und will es nicht, und Niemand kann das.“

„Der Fürst Callenberg kann es dennoch,“ warf ich hin.

„Weil er nur ein Körperleben führt, nicht denkt, nicht fühlt und durch dies wahnsinnig leere Treiben nicht zu Tode gelangweilt wird, wie ich.“

„Und was denkst Du?“ fragte ich.

„Ich denke, daß ich Dich davon erlösen, Dich einer edlen Weltanschauung entgegenführen muß, weil ich Dich, liebe Diogena! weil ich nicht leben kann ohne Dein mildes, sonniges Lächeln; weil ich die Ekstase Deines Kusses nicht entbehren kann! O, Diogena! wende Dich nicht von mir. Denke an den ersten Abend unsers Begegnens, denke an –

„Spare Deine Worte, ich glaube Dir nicht mehr!“ sagte ich kalt. „Du hängst an der Erde, an der Zeit und ihren Interessen – die Liebe aber stammt vom Himmel und ist unendlich. Sie kennt keine Zeit, die Menschheit kümmert sie nicht und sie hat keinen Zweck als sich selbst. Solch eine Liebe muß ich finden, oder untergehen; Du hast sie nicht, Du kennst sie nicht und kannst sie nicht bieten, darum habe ich Nichts mit Dir gemein.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Diogena.