Abschnitt 2

Die zwei Brüder


Er kam auch in die Stadt und in dasselbe Wirthshaus, wo sein Bruder zuletzt eingekehrt war, und als ihn der Wirth kommen sah, meinte er, es wäre der andere und sprach: „Ihr kommt ja früh zurück; ich meinte, Ihr wolltet erst über ein Jahr wieder hier sein, und jetzt ist doch kaum ein halbes verflossen.“ „Ach, Herr Wirth“, sagte der Junge; „Ihr haltet mich gewiß für meinen Bruder; könnt Ihr mir vielleicht sagen, wo er hingeritten ist?“ Da zeigte ihm der Wirth den Weg, den sein Bruder geritten war. Er zog die Straße weiter fort und kam an das Wasser und die Brücke, und als er da hinüber ritt und eben auf der andern Seite war, floß sie hinweg. „Das ist noch einmal gut gegangen“, rief er; „es war Zeit, daß ich hinüberkam.“ Als er nun immer weiterzog, fand er auch das Schloß, daraus kam ihm seines Bruders Hund entgegen gelaufen, und in dem Stalle, wo den Pferden der Hafer von selber in die Krippen fiel, stand seines Bruders Pferd. Da sah er wohl, daß hier oder nirgends sein Bruder zu finden sei, band sein Pferd in den Stall und ging in das Schloß hinein.


Es waren da auch wieder die beiden Junfern, eine weiße und eine schwarze; die weiße lag noch immer im Bette; sie lebte nicht und war nicht todt und konn te kein Wort sprechen. Die schwarze war aber schon etwas weiß geworden, weil der erste Bruder bis drei Uhr in der Nacht gewacht hatte, und als sie der andere fragte, ob sein Bruder nicht hier wäre, erzählte sie ihm, wie es dem ergangen sei, daß er eingeschlafen wäre und daß ihn die alte Zigeunerin ums Leben gebracht hätte. Da ruhte der Junge nicht eher, bis er das alte Weib fand, das sich versteckt hatte, und da mußte sie aus ihrem Schlupfwinkel heraus, und der Junge bedrohte sie und sprach: „Verdammte alte Hexe! gieb meinen Bruder heraus, oder ich haue dich in eine halbe Stiege Stücke!“ Da wurde das Weib bange, lief schnell hin und machte den Bruder wieder lebendig. Als der andere sah, daß sein Bruder wieder am Leben war, schwang er sein Schwert und hackte der alten Hexe den Kopf ab.

„O weh!“ sprach da die schwarze Junfer; „nun kann das Schloß nicht anders erlöst werden, als wenn ihr den sieben Nägeln, die dort hinter der Thür in der Wand sitzen, mit zwei Hieben die Köpfe abhaut.“ Der zweite Bruder zog sein Schwert zuerst, und mit dem ersten Hiebe, den er that, flogen von fünf Nägeln die Köpfe ab und aus jedem Nagelkopfe floß ein Tropfen Blut. „So, Bruder; nun haue du die andern ab; du bist zwar eine gute Weile eingesalzen gewesen, aber ich denke, die beiden letzten Köpfe wirst du doch wohl herunterbringen.“ Da nahm der erste Bru der, der solange im Salze gelegen, alle seine Kraft zusammen und hieb mit seinem Schwerte den beiden letzten Nägeln auch glücklich die Köpfe ab und aus jedem Nagelkopfe floß wieder ein Tropfen Blut.

In diesem selben Augenblicke hörte aber auch die Verwünschung auf. Trompeten erschallten, Bäume und Blumen wuchsen aus der Erde und wurde auf einmal ein Gewühl von Menschen, die da alle mit verwünscht gewesen waren. Da wurde auch die schwarze Prinzessin ganz weiß, und die weiße, die nicht lebendig und nicht todt war, erwachte nun aus ihrem Zauberschlafe und wurde wieder frisch und lebendig. Ihr gehörte das Schloß; und da heirathete sie den jüngsten Bruder und hielt Hochzeit mit ihm.

Der älteste Bruder aber, als die Hochzeit zu Ende war, zog wieder von da fort nach der Stadt, wo die Prinzessin wohnte, die er von dem Drachen erlöst hatte und kehrte wieder in dem Wirthshause ein, das dem Schlosse gegenüber lag. Es war aber zu der Zeit gerade ein Jahr vergangen, seit er von hier fort war. Sprach der Wirth: „Das heiß ich pünktlich sein; heute vor einem Jahre sah es hier traurig aus, heute aber ist Hochzeit drüben auf des Königs Schlosse, denn die Prinzessin heirathet den alten General, der den Drachen getödtet hat. Ein Jahr hatte sie sich ausbedungen und das ist heute herum.“ „Glaubt Ihr denn wohl, Herr Wirth“, sprach der Junge, „daß mir mein Hund von dem Braten holt, der vor der königlichen Prinzessin auf dem Tische steht?“ „Das kann nicht sein“, meinte der Wirth und verwettete eine große Summe, daß das nicht möglich wäre. Da hing der Junge dem Hunde die drei Reihen Perlen um, die ihm die Prinzessin gegeben, steckte ihm hinten in das Nackenhaar einen Zettel, worauf er schrieb: „Ich wünsche Braten von der königlichen Tafel zu haben,“ und schickte ihn hinüber in das Schloß. Obgleich ihn die Wache nicht durchlassen wollte und Halt! gebot, so kehrte sich der Hund doch nicht daran, sondern ging gerades Wegs in den Saal zu der Prinzessin, die mit dem ganzen Hofstaate bei Tafel saß und klopfte ihr mit der Pfote auf den Schooß. Da erkannte die Prinzessin den Hund an den drei Reihen Perlen, ging mit ihm in das Nebenzimmer und fand in seinem Nackenhaar den Zettel, worauf geschrieben stand: „Ich wünsche Braten von der königlichen Tafel zu haben.“ Nachdem die Prinzessin dem Hunde einen Korb mit Braten ins Maul gegeben, ließ sie der Schloßwache sagen, sie sollte den Hund nur frei passiren lassen. Der kam mit dem Braten auch getreulich zu seinem Herrn, und der Wirth mußte die Wette bezahlen.

Die Prinzessin, welche nun wohl sah, daß ihr Befreier angekommen war, bat ihren Vater, den König, daß er den Herrn, dem der Hund gehörte, holen lassen sollte. Da gab der König ihren Bitten nach, und ließ ihn in einer Kutsche mit vier Schimmeln auf das Schloß holen. Er setzte sich ganz bescheiden zu unterst an die Tafel, darauf lagen zur Schau die sieben Köpfe des Drachen, und es wurde von den Gästen viel von der Tapferkeit des alten Generals hin und her gesprochen. Da stand der Junge ganz gelassen auf, sah den Drachenköpfen in den Schlund und fragte wie das wäre; ob die Drachen denn keine Zunge hätten? „Nein!“ sprach schnell der alte General, „Drachen haben keine Zungen.“ „Das haben sie doch!“ sprach der Junge, „und wer den Drachen getödtet hat, der muß auch wissen, wo die Zungen geblieben sind.“ Damit band er sein seidenes Tuch auf, nahm die sieben Drachenzungen heraus und zeigte sie den Gästen, und als er sie den Drachenköpfen in den Schlund hielt, so paßten sie ganz genau. Als der alte General das sah, wollte er flüchten, aber der König ließ ihn von der Wache festnehmen und sah nun wohl, wer der rechte Drachentödter gewesen war; darnach so heirathete der Junge die königliche Prinzessin. Der treulose alte General wurde aber zur Strafe von vier Ochsen mitten auseinandergerissen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die zwei Brüder