Abschnitt 1

Die zwei Brüder


Es war einmal ein Bauer, der wurde so arm, daß er nur ein einziges Pferd behielt. Da nahm er einen Fischteich in Pacht, daß er sich von der Fischerei ernähren möchte. In dem Teiche hatte er schon mehrmals einen mächtig großen Fisch bemerkt, der ging niemals in das Netz hinein, aber der Mann hatte nicht eher Ruhe noch Rast, bis er den Fisch doch endlich gefangen hatte. Da er ihn nun ans Land legte, that der Fisch sein Maul auf und sprach: „Du hast mich nun in deiner Gewalt, Fischer, und ich merken wohl, daß ich nicht wieder fortkomme; darum befolge meinen Rath und nimm wenn du mich geschlachtet hast, mein Herz, meine Leber, meine Galle und vier von meinen Floßfedern; das Herz gib deiner Frau zu essen, die Leber Deinem Pferde, die Galle dem Hunde und die Floßfedern vergrabe unter dem Tropfenfall. Wenn du das thust, so wird es dein Glück sein.“ Da that der Mann, wie der Fisch ihm gesagt hatte.


Über eine Zeit, so gebar des Fischers Frau zwei Knaben, das Pferd warf zwei Füllen, der Hund zwei Junge, und als der Fischer unter dem Tropfenfalle nach den Floßfedern sah, so waren daraus zwei Schwerter und zwei Pistolen geworden. Die beiden Kinder, da sie größer wurden, hatten eine sonderliche Lust, mit den blanken Waffen zu spielen; das sah aber ihr Vater gar nicht gern, nahm sie ihnen weg und versteckte sie oben im Hause unter den Hahnenbalken; die Kinder wußten sie aber doch wieder in ihre Hände zu bringen. Als sie sechzehn Jahre alt waren, sprach der, welcher zuerst geboren war, zu seinem Bruder: „Es läßt mir hier zu Hause keine Ruhe mehr; ich will jetzt fort in die Fremde und sehen, daß ich mein Glück mache.“ Er nahm ein Pferd, einen Hund, ein Schwert und eine Pistole, verabschiedete sich bei Vater, Mutter und Bruder und ritt weg in die weite Welt hinein. Vorher stieß er aber noch ein Messer in einen Baum, daß sein Bruder daran erkennen könnte, ob es ihm gut ginge oder ob ihn ein Unglück widerfahren sei.

Er ritt eine lange Zeit; da kam er endlich an den königlichen Hof, da waren alle Geländer schwarz mit weißen Knöpfen darauf. In dem Wirthshause dem Schlosse gegenüber nahm er Herberge und fragte sogleich den Wirth, was denn das zu bedeuten hätte; die Gitter um das königliche Schloß wären ja alle ganz schwarz mit weißen Knöpfen. Sprach der Wirth: „Das kommt daher, weil die junge Prinzessin morgen dem Drachen geopfert werden muß.“ „Warum wird der Drache denn nicht getödtet?“ fragte er. „Ach Gott,“ sprach der Wirth; „es haben schon viele versucht, denn der König hat dem seine Tochter verspro chen, der den siebenköpfigen Drachen besiegen würde, aber sie sind alle ums Leben gekommen.“ Da faßte er den Entschluß, das Wagestück zu unternehmen und ritt den andern Tag zur bestimmten Stunde den Drachenstein hinauf. Da saß die Prinzessin und war ganz schwarz angezogen und weinte und erwartete jeden Augenblick den greulichen Drachen, und indem, so kam das Ungeheuer auch schon heulend und mit Gebrause durch die Luft dahergeflogen und wollte die Prinzessin verschlingen. Aber der Junge ritt ihm muthig entgegen, schwang sein Schwert, und wie er den ersten Hieb that, so flogen drei Köpfe ab, mit dem zweiten Hiebe wieder drei und als er zum dritten Male sein Schwert schwang, lag der siebente und letzte Kopf des Drachen auf dem Boden. Da hatte er die Prinzessin erlöst; die dankte ihm und wollte ihn gleich mit zu ihrem Vater nehmen. Er wollte aber nicht, so viel sie auch bat, sondern sprach: „Erst muß ich noch weiter in die Welt hinein, bis über ein Jahr, da will ich wiederkommen, wenn ich dann noch am Leben bin.“ Weil er sich nun gar nicht halten ließ, so schenkte ihm die Prinzessin zum Andenken ihr seidenes Tuch und dem Pferde und dem Hunde, die bei dem Kampfe treulich mitgeholfen hatten, gab sie von ihrem Korallenhalsbande jedem drei Schnüre um den Hals. Darauf schnitt der Junge den sieben Drachenköpfen die Zungen aus, wickelte sie in das seidene Tuch der Prinzessin, und nachdem er von ihr Abschied genommen hatte, ritt er wieder den Berg hinab in das Wirthshaus, zahlte seine Zeche und sprach zu dem Wirthe, wenn ein Jahr vergangen wäre, so käme er wieder zurück; damit zog er weiter fort.

Nun war da an dem königlichen Hofe ein alter General, der hatte aus der Ferne alles mit angesehen, was sich auf dem Drachenstein zutrug, und da er sah, daß der, welcher den Drachen getödtet hatte, fort und die Prinzessin allein war, stieg er zu ihr hinauf und bedrohte sie mit heftigen Worten, daß sie schweigen oder auf der Stelle sterben müßte; und dann nahm er zum Wahrzeichen die sieben Drachenköpfe mit und ging mit der Prinzessin zu ihrem Vater dem Könige und gab sich für den aus, der den Drachen besiegt und die Prinzessin erlöst hätte. Die Prinzessin stellte aber die Bedingung, daß erst über ein Jahr die Hochzeit gefeiert werden sollte.

Der rechte Drachentödter war unterdeß weiter geritten und kam an ein fließendes Wasser, da hinüber führte eine Brücke, die war so beschaffen, daß sie wegfloß, wenn einer hinüber war. In demselben Augenblicke, da der Junge auf der andern Seite ankam, wurde die Brücke auch von dem Strome hinweggerissen. „Das ist noch einmal gut gegangen“, sprach er, „es war Zeit, daß ich hinüberkam.“ Nicht lange war er geritten, so kam er an ein verwünschtes Schloß, da war kein Baum und kein Strauch und war alles still und öde. Bei dem Schlosse war aber ein großer Pferdestall mit vielen Pferden darin; denen kam der Hafer von selber in die Krippen; da brachte der Junge sein Pferd in den Stall und ging dann in das Schloß hinein.

In dem Schlosse waren zwei Junfern; die eine war weiß, die andere war schwarz; die weiße lag im Bett und war nicht lebendig und auch nicht todt und konnte kein Wort sprechen; die schwarze aber redete den Jungen an und sprach: „Du hast hier eine schwere Aufgabe zu vollbringen, wenn du uns und unser Schloß erlösen willst. Drei Nächte hintereinander mußt du wachen und darfst kein Auge zuthun; schläfst du aber ein, so ist hier noch eine alte Zigeunerin, die macht dich todt.“ Darnach brachte sie ihn in ein schönes Zimmer, gab ihm gutes Essen und Trinken und ließ ihn allein. Bis drei Uhr in der Nacht hielt es der Junge aus und blieb wach, da wurde er aber auf einmal so müde, daß er fest einschlief. Da kam die alte Zigeunerin hereingeschlichen und trug ein großes Beil in der Hand, damit hackte sie den Jungen in vier Stücke, trug ihn in ein Faß und salzte ihn ein.

Um dieselbe Stunde stand der andere Bruder daheim bei dem Messer und sah, daß es auf einmal rostig wurde. „Nun ist mein Bruder in großer Noth,“ sprach er; „aber ich lasse ihn nicht im Stich, es mag kommen wie es will.“ Sogleich setzte er sich auf sein Pferd, nahm seinen Hund, sein Schwert und seine Pistole mit, verabschiedete sich bei Vater und Mutter und zog fort, seinen Bruder aufzusuchen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die zwei Brüder