Die würtembergische Bastille. - Ein Stück aus der guten alten Zeit.

Die Gartenlaube, illustriertes Familienblatt.
Autor: S.-W., Erscheinungsjahr: 1873
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In einem großen Bogen umzieht die von Norden nach Stuttgart einmündende Eisenbahn etliche Stunden vor dieser Hauptstadt einen Bergkegel, welcher einsam aus dem hier sehr weiten Neckarthal aufragt. Mit seinen abgeplatteten, schräg niederfallenden Wänden macht er den Eindruck einer mächtigen Schanze, gekrönt von einem Fort. Ringsum bis zu stundenweiter Entfernung kein Höhenzug, der diesen Kegel überragte; als ein König beherrscht er die unter ihm liegende Ebene mit ihren Dörfern und Städten, mit Ludwigsburg, dem würtembergischen Potsdam, mit Markgröningen, dem alten Wachtposten der deutschen Reichssturmfahne, mit Bietigheim, dem Knotenpunkt der nach Baden und Baiern führenden Schienenwege.

Auf dieser einsamen Höhe liegt, ähnlich dem sächsischen Königstein, die Feste Hohenasperg. Niemand wohl, der ihren Namen noch nicht in Verbindung mit andern Zwingburgen der Geister gehört hätte; Niemand, der sie auf dem Schienenstrang umkreist und nicht sinnend seine Blicke zu ihr hinaufrichtete. Der Würtemberger zumal hat eine gewisse mit scheuem Ernst gemischte Zärtlichkeit für den Hohenasperg; denn er weiß am besten, was derselbe für seine Heimath zu bedeuten hatte.

Mählich ansteigend wie durch Gärten führt von dem Dorfe Asperg ein schmaler Weg, das „Schmerzensgäßle“ noch heute genannt, auf den Felsen hinauf und längs seines Randes bis zur Beste. Die Bergwand selbst ist bis oben hinauf mit Rebstöcken besetzt und es ist der nicht geringste würtembergische Wein, welcher von ihnen gewonnen wird. Kokett ist jüngst auch ein erstes elegantes Sommerhäuschen an den Fels in stolzer Höhe geklebt worden; denn sowohl als Festung wie nun auch als Staatsgefängnis ist Hohenasperg eingegangen. Die alten vorderen Burgmauern sind schon in Verfall; die unterirdischen Gänge sind verschüttet. Nur der eigentliche Kern innerhalb des schmalen und gemauerten Grabens ist noch in seinem früheren Zustande.

An einem lauen Novembertag besuchte ich mit einem kundigen Begleiter die Beste. Nachdem man das lange Eingangstor, in dem die Wachmannschaft sich befindet, durchschritten, gelangt man auf den großen viereckigen Hof, welcher die ganze Höhe des Kegels umfasst. Von drei Seiten umgeben ihn schmucklose Gebäude älterer Bauart, welche teils für die Wohnungen der Garnison, teils für Gefängnisse bestimmt waren. Auf einem Theil des Hofes exerzierten ein paar Züge Infanterie, auf einem anderen übten sich Mannschaften im Bajonnetfechten; eine Ecke bildete die Reitbahn, in der ein Offizier sein Ross aus Langeweile tummelte. In der Mitte steht eine alte Linde, in deren Schatten einst die Barbarei einer entschwundenen Zeit ihre Marterkunst an den Opfern geübt. Von den drei Wirtschaften, die sonst hier oben Bäcker, Metzger und Profoss hielten, ist die letztere jetzt als überflüssig eingegangen. Es giebt eben keine Gefangenen mehr hier oben; nur noch zwei erfreuten sich des Vorzugs dieses Aufenthalts — des Vorzugs, denn, mußte man schon die Freiheit entbehren, so ertrug man dies Unglück auf dem Hohenasperg in neuerer Zeit mit dem geringsten Ungemach. Einst die Schreckensorte der Despotie, waren diese Gefängnisse seit dem Sieg einer verfassungstreuen Regierung in Würtemberg nur noch für eine humane Festungshaft bestimmt. Hunderte haben sie kennen gelernt, als die Zeiten der Demagogenverfolgung und der nachmärzlichen Reaktion auch in Würtemberg ihre Opfer forderten, und Viele von diesen genießen ihr Dasein jetzt noch in Rang und Ehren. Die Zeitungsredakteure Stuttgarts zumal erfreuten sich nur zu oft der Ehre, die Gäste dieses Prytaneums zu sein, und in ihren Reihen ist seufzend beklagt worden, daß die Zeiten von Hohenasperg nun vorüber sein sollen, da gelegentlich doch einmal die Pressefreiheit einem oder dem anderen von ihnen wieder zu unfreiwilliger Muße verhilft. Mein freundlicher Cicerone, Bäckermeister Schwarz aus Stuttgart, suchte mit wahrer Herzensrührung das Zimmer auf, in welchem er ein paar Mal dafür hatte büßen müssen, daß er auch zugleich der populäre Herausgeber der „Bürgerzeitung“ ist. Und in der Tat, es war ein freundliches Gemach mit Aussicht auf die Landschaft, mit Bett und Tisch und Stuhl, mit Ofen und einem besonderen Nebenkabinett. In der Wirtschaft des Festungsbäckers rief er sich mit dessen junger Frau in heiteren Erinnerungen die Zeit zurück, da er bei ihr in Gemeinschaft mit Karl Meier vom „Beobachter“, mit anderen edlen Gästen des Hohenasperg und den Offizieren der Garnison bis zum späten Abend sein Schöppchen getrunken. Die Kinder kannten ihn; den Hauptmann begrüßte er als werten Gönner aus jenen Tagen. Noch war die Hausordnung an der Wand des Korridors jener allerdings besten Haftlokale angeschlagen und sie belehrte, daß der Gefangene hier oben als Gast des würtembergischen Staats alle Freiheiten hatte, außer der Freiheit.

Wir stiegen auf den Wall. Von ihm überschaut man ein prächtiges Stück des schwäbischen Landes. Weingelände umschließen das sieben Stunden lange Tal, welches sich mit seinen Feldern und Wiesen, mit seinen vollreichen Ortschaften und der gewundenen Eisenbahn zu unseren Füßen ausbreitet. Von den Höhen herüber leuchtet manch weißes Schloss und mancher Kirchturm, und im Süden ruht der Blick auf den Wäldern von Schloss Solitude und dahinter in blauer Ferne auf der scharfen Kante der schwäbischen Alp mit der Bergfeste Hohenneuffen. Aus der gegen Ludwigsburg und Heilbronn gekehrten Seite steht die einzige große Kanone des jetzigen Hohenasperg, die ihr dumpfes Gebrüll nur noch zum Alarm bei Feuersbrünsten ertönen lässt. Unweit davon ist die hervorspringende Stelle des Walles, von welcher Rösler aus Öls, der als „Reichskanarienvogel“ bekannte Abgeordnete zum deutschen Parlamente und Mitglied von dessen hochverräterischem Rumpf, durch die kühne Hülfe eines Gesinnungsgenossen aus Stuttgart seine glückliche Flucht bewerkstelligte, wie das im Jahrgang 1862 der Gartenlaube (Nr. 49) ausführlich geschildert ist.

Gegen die Geschichte Hohenaspergs als Staatsgefängnis ist die militärische der Festung seit dem dreißigjährigen Kriege sehr unbedeutend, und wir lassen die letztere daher hier unberücksichtigt. Der Hohenasperg errang sich seitdem seinen Ruf nur als würtembergische Bastille und hat als solche eine der interessantesten Vergangenheiten, aus welcher die grellsten Streiflichter auf die Zustände fallen, denen nur zu lange das Land des wackeren Eberhard im Barte zum Opfer gewesen. Eine große Reihe berühmter und berüchtigter Namen steht mit der Geschichte dieser schwäbischen Zwingburg in Zusammenhang. Wir knüpfen im Folgenden nur an die hervorstechendsten unter denselben an.

Im Sommer 1737 brachte man mit Schimpf und Schande den Juden Süß Oppenheimer in einen der Kellerkerker der Beste. Jahr und Tag hatte er die höchste Macht im Lande gehabt, im Bunde mit fluchwürdigen Höflingen und Jesuiten den bestimmenden Einfluss auf den Herzog Karl Alexander geübt und mit unerhörter Willkür über die Finanzen des Staates geschaltet, sich selbst aber damit aufs Frechste bereichert. Weil Süß für die Bedürfnisse des Herzogs immer Geld anzuschaffen wusste, hatte ihn dieser vom Mäkler zum geheimen Finanzrat und Minister gemacht und am 12. Februar 1737 ihm sogar ein Schutzdekret ausgestellt, welches ihn aller Verantwortlichkeit seiner Handlungen überheben sollte. Mit schamlosem Hohn wurden von ihm und seinen Helfershelfern die Rechte der Stände, die Grundgesetze des Landes mit Füßen getreten und ein System nichtswürdiger Erpressungen in Szene gesetzt. „Was Rechte!“ pflegte er zu sagen. „Was Landstände! Der Herzog ist Herr und Alles ist sein.“ Um das Maß seiner Untaten voll zu machen, gab sich Süß noch sogar her, eine Art von Bartholomäusnacht über Würtemberg zu bringen. Im Bunde mit dem Bischof von Würzburg und der katholischen Partei im Lande, zu welcher der vom Protestantismus abgefallene Herzog selbst gehörte, sollte der evangelischen Kirchenverfassung mit einem Schlage ein Ende bereitet werden, da auch der Herzog der Meinung war, daß sich der Katholizismus besser mit der von ihm beliebten Despotenregierung vertrage. Schon war den evangelischen Geistlichen ein Zirkular zugestellt worden, welches sie zum Abfall zu verteilen suchte; General Remchingen ließ überall in den Dörfern die Waffen wegnehmen und hatte seine Truppen zum Angriff vorbereitet. Die Vornehmsten des Hofes, die nicht zur Partei gehörten, die Prälaten und Landschaftsherren sollten verhaftet und, wenn sie nicht beitreten wollten, aus dem Lande getrieben werden. Die eifrigsten Konsistorialräte, Prediger und Beamten wollte man auf den Asperg setzen. In Zeit von vierundzwanzig Stunden sollte die katholische Religionen eingeführt, die Stifts- und Spitalkirche in Stuttgart in Kapuzinerklöster, die Hofkapelle und das Waisenhaus in katholische Kirchen verwandelt werden. Der Tag des heiligen Joseph war zum Ausbruch dieses Streichs bestimmt, welchem der Herzog vom Auslande zusehen wollte. Eben hatte er sich deshalb auf die Reise begeben, als ihn am 11. März 1737 jählings durch einen Schlagfluss der Tod erreichte. Und damit vollzog sich auch der Wahrspruch der sittlichen Rächerin an seiner unwürdigen Kamarilla. Die für den jungen Erbherzog Karl eintretende Vormundschaft ließ sofort die Häupter der Verschwörung verhaften. Noch in derselben Nacht, da sein Gönner gestorben, packte Oberst von Reischach den Süß im Stuttgarter Schlosse mit den Worten an: „Schändlicher Vaterlandsverräter! Weißt Du, daß Du sogleich in Arrest gehen sollst?“

Er kam zuerst nach Hohenneuffen, dann nach dem Asperg, wo man ihm den Prozess machte. Süß trotzte allen Anklagen, die gegen ihn aufgehäuft wurden, mit dem Hinweis auf sein Schutzdekret. Es half ihm nichts; das Volk forderte seinen Tod, und seine Richter verurteilten ihn einstimmig dazu. Die ortodoxe evangelische Geistlichkeit quälte ihn bis zu seinem Sterbestündlein, daß er sich zu ihrem Glauben bekehren solle. Aber Süß wies alle diese Versuche mit Zorn und einer gewissen philosophischen Würde ab. Er war Jude mit Leib und Seele und wollte es bleiben. Bis zum letzten Moment glaubte er immer noch nicht an sein Schicksal. Es vollzog sich jedoch mit all der Henkersbarbarei des vorigen Jahrhunderts. Süß wurde am Hochgerichte rücklings eine achtundvierzig Schub hohe Leiter, den Strick um den Hals, hinaufgezerrt, indes er mit grässlicher Stimme immerfort sein Adonai (Herr Gott!) wiederholte.

Der Vikar, nachdem er nochmals wegen der Bekehrung in ihn gedrungen, rief ihm echt christlich nach: „Du verstockter Jude, wenn Du nicht anders willst, so fahre hin!“ Oben auf der Leiter wurde er in einem großen Käfige von Eisenstangen, den man eigens für ihn von der gesammten Stuttgarter Schlosserzunft hatte anfertigen lassen, an einem Haken aufgehängt.

Unter Herzog Karl wurde der Despotismus noch mehr in das System Ludwig des Vierzehnten gebracht, der für die kleinen Potentaten in Deutschland das verehrte Muster bildete. Herzog Karl, mehrere Jahre am Hofe Friedrich des Großen erzogen, spielte außerdem noch den Soldatenkönig. Er hielt eine große Armee, organisierte Alles, auch die Karlsschule, militärisch und verkaufte seine Landeskinder, wie der Hessenfürst, nach Amerika. Unter seinem Richelieu, dem französischen Emigranten Montmartin, kamen die traurigsten Tage über das bis zur Leibeigenschaft erniedrigte Volk. Montmartin machte es noch ärger als Süß. Er verkaufte Ämter und Stellen; er ließ zuweilen alle Männer, wenn sie aus der Kirche kamen, von seiner Soldateska aufgreifen, einkleiden und als verkaufte Soldaten nach England transportieren. Wer nicht zu seinem Willen war, kam nach Hohenasperg. So ging es auch seinem eigenen Helfershelfer, dem Obrist Rieger, der allerdings als Gefangener von Hohentwiel den Unbestand der Despotengunst erfuhr, aber, wieder zu Gnaden gekommen, lange Jahre General-Kommandant des Hohenasperg und als solcher auch der rohe Quälgeist Schubarts, von dem wir später sprechen, war. Rieger war der Geldbesorger des Herzogs Karl gewesen und diesem wegen der Leichtigkeit, mit welcher er immer wieder Mittel anzuschaffen wusste, unentbehrlich geworden. Montmartin entledigte sich dieses Nebenbuhlers in der Gunst seines Allergnädigsten durch einen infamen Hallunkenstreich. Er ließ Briefe fälschen, die dem Herzog beweisen sollten, daß Rieger mit dem im Jahre 1762 nach Franken eingerückten preußischen General von Kleist feierlich im Einverständnis stehe, um diesem Würtemberg in die Hände zu spielen. Daraufhin ließ der Herzog den schmählich verleumdeten Mann ohne Weiteres aus die Festung bringen. Erst nach fünf fahren gab er ihm die Freiheit zurück und als er endlich das Unrecht eingesehen, welches er diesem treuen Fürstendiener, aber sonst wenig rühmenswerten Mann angetan, ließ er wieder die Sonne seiner alten Huld auf ihn scheinen. Interessant ist auch, daß Rieger diese Wiederherstellung der herzoglichen Gnade einem Verein zu danken hatte, der aus Anlass seines Schicksals sich gebildet. Es waren meist Officiere und angesehene, hohe Beamte, welche sich zu einer Gesellschaft verbunden hatten, um sich gegenseitig bei Willkürakten des Herzogs Schutz zu geben. Dieser Verein verbreitete sich in der Folge durch alle Stände, umgab den Herzog Karl unsichtbar mit seinem Einfluss und trug dadurch sehr viel bei, daß dieser in der letzten Zeit seiner Regierung eine bessere Meinung von seinem Charakter aufrief. Um auf Rieger zurückzukommen, so regierte er auf Hohenasperg, ähnlich wie Herzog Karl in seinem Staate. Er war ein strammer Despot, der das ihm selbst widerfahrene Leid seinen Gefangenen reichlich entgelten ließ. Sein Jähzorn kostete ihm im Jahre 1783 das Leben. Gelegentlich eines Besuchs im Spital des Hohenasperg fand er dort einen Soldaten, den er nur zu viel schon gequält.

„Gelt, Kerl“ sagte er spöttisch zu ihm; „da liegst Du jetzt“

Der Soldat, der nichts mehr zu verlieren hatte, drehte sich um und gab ihm eine Götz-von-Berlichingensche Antwort. Darüber erfaßte den General Rieger eine solche Wut, daß er auf dem Rückweg im Festungshof plötzlich vom Schlag getroffen niederstürzte. Als später der Sarg vor dem Leichenbegängnis auf dem Hofe stand, kroch jener Soldat mit seinen letzten Kräften zum Fenster und sagte. „Gelt, Kerl! da liegst Du nun auch!“ worauf er sich zufrieden auf seine Matratze zurücklegte und starb.

Man kennt die Leidensgeschichte Masers de Latude, der zwanzig Jahre lang als Opfer der Maitressenwillkür in der Bastille schmachtete. Auch der Hohenasperg hat seine Laludes gehabt, so den Herrn von Scheidlin. Achtundzwanzig Jahre lang nahm ihm eine lettre de cachet des Herzogs von Würtemberg die Freiheit, weil die leiblichen Brüder des Herrn von Scheidlin ihn wegen seines Jugendleichtsinns mit „Lebendig Begrabenwerden“ bestraft wissen wollten. Schiller fand in dem Schicksal dieses Mannen die Rolle für Karl Moor.

Man fühlt sich von dem Geiste angeweht, in dem Schiller seine Räuber geschrieben, wenn man das rohe, viereckige, wie ein alter Burgturm gestaltete Gemäuer betrachtet, welches sich aus dem Hofraume des Hohenasperg hoch über den Wall erhebe. Hier fand Schiller die Anregung zu seinen „Räubern“. Denn in einem der Grabeskerker, welche der Bau in seinem Innern birgt, hat vor b einem Jahrhundert ein so reiches Menschen- und Dichtergemüt wie Schubart aus bloßer Despotenlaune schmachten müssen. Hier wird der Geist des Besuchers in die Zeiten versetzt, aus denen so viel Fluch und Elend ruht. Hier ist das Wahrzeichen der alten würtembergischen Tyrannei, der Turm der schwäbischen Bastille, welche einst denselben Dienst leisten mußte, wie die zu Paris.

Das sogenannte Schubartsloch ist ein ziemlich großer und nicht hoher Raum innerhalb der dicken Mauern dieses Turmes. Sonnen und Mond haben noch nie einen Strahl dahin senden können. Sein fahles Licht bei Tage erhält er durch zwei vergitterte Fensterlöcher, von denen das zweite erst in neuerer Zeit ausgebrochen wurde. Das kahle Gewölbe enthält nichts mehr als einen kleinen eingemauerten eisernen Ofen, sowie einen Tisch, auf dem jetzt das „Fremdenbuch“ zum Einschreiben sich befindet. Und hier hat in dumpfer Kellerluft und bei einem Schimmer des Tages, ohne Erde noch Himmel sehen zu können, der Dichter Schubart ein Jahr lang geseufzt, ehe seine Quälgeister ihm wieder einen Schritt ins Freie, einen Atemzug in freier Luft gestatteten! Immer wieder ergreift das Martyrium dieses Edlen, welches ihm die Jesuiten, die protestantischen Pietisten und der Zorn des Herzogs Karl Eugen ob seiner Freisinnigkeit und - ob seiner Sympathien für Preußens Friedrich, vom Januar 1777 bis zum Mai 1787 ohne Urteil und Recht bereitet. In dieser Höhle, wo er lebendig begraben war, wird die Empörung über dieses Attentat auf die Würde des Menschen wieder lebendiger. Ließ doch der Herzog eigens dieses „Loch“ für Schubart bauen, indes dieser noch frei in Ulm lebte! Ein Barnbüler war es, der ihn dann mit tückischer List aus dem Gebiet der freien Reichsstadt lockte, um ihn in grausamem Triumph nach Hohenasperg zu führen, wo ihn - der Herzog selbst und seine Gemahlin erwarteten und zusahen, wie er in dies scheußliche Verließ gebracht wurde. Es wäre wohl sein Grab geworden, wenn der König von Preußen und die Hofpoetin Karschin sich nicht endlich in warmer Fürsprache seiner angenommen hätten. Und darauf machte die umgeschlagene Laune des Fürsten ihn in Gnaden zum Theaterdirektor in Stuttgart, wie um nun den Genius zu ehren, der vorher in wildem Aufschrei über die Despotie die „Fürstengruft“ auf Hohenasperg gedichtet. Hier, mit diesen Erinnerungen, begreift man erst die „Räuber“, zu welchen der Besuch bei dem gefangenen Schubart im Herbst 1781 unserm Schiller, dem damaligen Zögling, der Karlsschule, so mächtige Anregung gab. Sandte ihm doch Schubart die flammenden Prophetenworte nach, daß ihm - Schillern - Gott gegeben habe

Sonnenblick
Und Eherubs Donnerflug,
Um starken Arm, zu schnellen
Pfeile des Rächers vom tönenden Bogen.

Herzog Karl war im Jahre 1793 gestorben. Vom Jahre 1795 an regierte sein zweiter Bruder Friedrich, der unter der napoleonischen Herrschaft erst Kurfürst und dann König werden sollte. Die Opfer seiner Kabinettsjustiz sind zahllos; er war Despot aus Verachtung der Menschen. Noch in späteren Jahren, wenn er in seiner Residenz Ludwigsburg neue Minister oder hohe Beamte vereidigte, pflegte er sie mit folgender Erbauung zu entlassen: „Sind Sie dem Lande kein treuer Diener, so kommen Sie dorthin“ - dabei zeigte er nach rechte hinüber zum Hohenasperg; „sind Sie aber Ihrem König zu Schaden, so enden Sie da.“ Worauf er nach links hin auf Neckarweihingen zeigte, wo damals der Galgen stand.

Eins der beklagenswertesten Opfer seiner Härte ist der Oberst Freiherr von Wolf. Derselbe war zur Zeit des Einfalls der Franzosen im Jahre 1800 unter Vandamme Commandant der früher unbezwungenen Festung Hohentwiel unweit des Bodensees und übergab dieselbe etwas vorschnell, da er mit seinen paar Invaliden an einen Widerstand von Erfolg nicht denken konnte. Herzog Friedrich war wütend über diese Capitulation; er ließ keine Entschuldigung gelten und Wolf, damals schon ein Mann von siebenundfünfzig Jahren, sollte in lebenslänglichem Kerker dafür büßen, zumal er im Verdacht stand, Sympathien für Preußen zu haben, wo auch sein Sohn in militärischen Diensten stand. Auf Hohenasperg gab man ihm ein kaltes, feuchtes Zimmer mit der Aussicht nach dem Hof. Er durfte auf einer Schiefertafel schreiben und das Geschriebene, nachdem es die Zensur des Kommandanten passiert, von Quartiermeistern kopieren lassen. Alljährlich besuchte ihn zum Christfest seine Tochter und verblieb zu seiner Freude einige Tage aus der Festung. Wolf beschäftigte sich wissenschaftlich und machte auch politische Verse. Als Napoleon im Jahre 1809 den Hohenasperg besuchte, schrieb der Greis unter dem Salutdonner der Kanonen mit Kreide an seine Tür:

Wenn Erob’rer stolz sich brüsten,
Bauen sie doch ohne Den auf Sand,
Der den Rath, das Herz der Fürsten
Lenkt, wohin er will, mit starker Hand.
Menschenwert vergehet,
Gottes Rath bestehet.

Als Friedrich als Kurfürst die Festung besuchte, wagte Wolf aus seinem Fenster den Ruf „Gnade!“ an ihn zu richten. Dies nahm Serenissimus sehr übel auf und diktierte sofort dem Verwegenen noch zehn Jahre längere Haft. In seiner Verzweiflung machte der schon altersschwache, zitternde Greis dann einen Fluchtversuch; doch er misslang. Der Bediente des Platzhauptmannes packte ihn in demselben Augenblicke, als er die Grabenmauer übersteigen wollte, nachdem er an seinem Betttuche sich glücklich hinuntergelassen. Nach sechzehnjähriger Gefangenschaft, dreiundsiebenzig Jahre alt, erlangte er erst die Freiheit zurück. Für ihn wie für so viele Andere war der Tod König Friedrich’s 1816 die Erlösung.

Zeit- und Leidensgenossen von Wolf auf Hohenasperg waren eine Anzahl von Separatisten, einer merkwürdigen Sekte, die sich auch in Würtemberg zu Anfange des neunzehnten Jahrhunderts von Neuem ausbreitete. Sie hielten sich als wahre Christen nur an das Dogma der Bruderliebe, verwarfen das Recht jeglicher Obrigkeit, die Taufe, den Eid und den Kriegsdienst. Wegen dieses letzteren Umstanden zumal fuhr die Regierung endlich zwischen sie und schickte massenhaft die Männer, meistens wohlhabende und streng rechtliche Bauern, auf die Festungen, die Weiber in die Spinnhäuser. Nicht die grausamste Misshandlung brachte sie von ihrem Glauben ab, zu dem auch jetzt das Moment hinzukam, daß sie in Napoleon den erwarteten Messias erblickten. Als dieser auf Hohenasperg davon hörte, warf er die messianische Botschaft hin: „Lassen Sie die Kerle aufhängen!“ Dies geschah nun freilich nicht, aber auf Hohenasperg wurde an Barbareien nichts gespart, um sie zu bekehren. Schließlich, da sie alle Martern ergebungsvoll ertrugen, ließ man sie ruhig gewähren, worauf die Meisten, mehrere hundert Familien, nach Tiflis oder Amerika auswanderten.

Als sie 1813 den Asperg verlassen, kamen statt ihrer die Mergentheimer. Dies waren Bauern und Einwohner des Gebiets von Mergentheim, welches früher dem deutschen Orden gehört und nun würtembergisch geworden war. Gelegentlich der Eidesableistung und einer darauf bei Nacht durch Überfall versuchten Rekrutenaushebung kam es hier zu hellem Aufstande. Man vertrieb die würtembergischen Beamten und richtete die Wappen des deutschen Ordens wieder auf. Daraufhin beschloß König Friedrich, ein Beispiel des Schreckens aufzustellen. Ein ganzes Armeecorps rückte nach Mergentheim und wütete hier wie in einer eroberten Stadt. Die deutschmeisterlichen Wappen wurden durch Henkershand verbrannt, die Namen der Entflohenen an den Galgen geschlagen, die aufgegriffenen Gefangenen vor ein Kriegsgericht gestellt, teils zum Strang, teils zum Erschießen, teils zu lebenslänglicher Festungsstrafe verurteilt. Die fürchterlichsten Drohungen ergingen: bei einem neuen Versuche werde man die Stadt dem Erdboden gleichmachen und alle erwachsenen männlichen Einwohner mit dem Schwerte ausrotten. Schandpfähle wurden an den Eingängen jener Dorfschaften aufgerichtet, von welchen Einwohner wegen dieses Hochverrats verurteilt waren. Sie blieben einige Jahre stehen.

Zu den interessantesten Bewohnern des Asperg in neuester Zeit gehörten die französischen Kriegsgefangenen, deren es dort oben an neunhundert gab. Sie haben beim Spital einen Teil des Hofes aufgeschüttet und Bäume zu einer Promenade hier gepflanzt, die dem Hohenasperg zu ihrem Andenken verbleiben wird. Nicht recht aufgeklärt ist die Verschwörung, welche von ihnen angezettelt wurde, um die Festung durch einen Handstreich in ihre Gewalt zu bekommen. Zur Zeit, als Bourbaki bei Belfort durchzubrechen versuchte und in Süddeutschland nicht geringe Sorge darüber war, sollen die französischen Gefangenen des Hohenasperg sich mit denen in Ludwigsburg, wo ihrer an viertausend waren, zu jenem Zwecke in geheime Verbindung gesetzt haben. Es gab auf der Bergfeste nur achtzig Mann Besatzung und die Möglichkeit eines Gelingens ihres Planes lag also nahe. Rechtzeitig aber wurde dies beabsichtigte Attentat noch entdeckt. Der bald nachfolgende Friede und die Freilassung der Franzosen machten auch der weiteren Untersuchung über diesen Vorfall ein Ende.

Deutschland aber, über welches eine neue Zeit hereingebrochen ist, wird hoffentlich auf immer von den Ketten der Fürstenwillkür befreit sein, welche in der Feste Hohenasperg eine ihrer gewaltigsten Zwingburgen fand.

S.-W.