Einleitung. Der baltisch-deutsche Verkehr vom Beginn des 9. bis zum Ausgange des 12. Jahrhunderts und die Handelsbedeutung Hamburgs während dieser Zeit.

Der baltisch-deutsche Verkehr vom Beginn des 9. bis zum Ausgange des 12. Jahrhunderts und die Handelsbedeutung Hamburgs während dieser Zeit.

In der Geschichte des deutschen Wirtschaftslebens bildet einen der wichtigsten Wendepunkte das 13. Jahrhundert. Im 13. Jahrhundert setzt die kraftvolle Entfaltung des Städtewesens und Bürgerstandes ein, fangen Handel und Gewerbe an, einen breiteren Platz in der deutschen Volkswirtschaft neben dem Ackerbau und der Viehzucht sich zu erobern. Mit diesem Zeitpunkte tritt dementsprechend auch der Seehandel als ein beachtenswerter Faktor des deutschen Wirtschaftslebens hervor, und mit dem 13. Jahrhundert beginnt auch erst Hamburgs Rolle im Handelsverkehre.


Indessen reichen die Anfänge des deutschen Seehandels in sehr viel frühere Zeiten hinauf, und auch die Grundlinien des Warenverkehrszuges, dem Hamburg später seine Bedeutung verdankte, sind schon in der karolingischen Zeit zu erkennen. Um den wirtschaftlichen Aufbau des deutschen Seehandels und des Handelsverkehrs der Hamburger insbesondere im 13. Jahrhundert zu verstehen, werden wir gut tun, die Grundlagen, auf denen derselbe erwachsen ist, in die frühere Zeit hinein zu verfolgen und den Güterverkehr Norddeutschlands während der vorhergehenden Jahrhunderte seit der Karolingerzeit einer kurzen Betrachtung zu unterziehen.

Unter den Bewohnern der norddeutschen Küsten standen im Beginne des 9. Jahrhunderts, auf welchen Zeitpunkt wir zunächst unsere Aufmerksamkeit richten, in wirtschaftlicher Hinsicht allen andern weit voran die niederrheinischen Friesen und die Flanderer. Dort hatten Gewerbe und Handel bereits damals eine beachtenswerte Entwicklung erreicht 01). Die Wollweberei dieser Landschaften lieferte schon in jener Zeit erhebliche Überschüsse für den Export. Friesische Kaufleute treffen wir in der karolingischen Zeit nicht nur auf den Märkten des Binnenlandes, wie Mainz, Worms, Köln, Birten, Duisburg usw. 02), sondern auch in den Handelsplätzen der verschiedensten Gegenden des Auslandes. Wo wir Näheres von dem Gegenstande ihres Handels erfahren, ist es regelmäßig der Tuchhandel, der sie beschäftigt. Manche inländische Handelsstädte, wie Mainz, hatten ganze Kolonien von Friesen aufzuweisen; im Auslande finden wir friesische Kaufleute im 8. und 9. Jahrhundert in in St. Denys bei Paris, in York in England und im dänischen Schleswig. Die Stürme der Normannenzeit haben diese wirtschaftliche Kultur zum großen Teile vernichtet; aber bereits in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts finden wir das wirtschaftliche Leben in diesen Gegenden wieder hoch entwickelt.

Flandern, der eigentliche Sitz dieser wirtschaftlichen Kultur, tritt schon in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts als Mittelpunkt des Handels und als Hauptsitz einer bedeutenden Wollindustrie hervor. An der Maas und am Mittelrhein hatte übrigens auch die Metallbearbeitung, namentlich die Anfertigung von Waffen, schon seit der karolingischen Zeit eine bemerkenswerte Bedeutung erreicht.

01) Vgl. vor allem Rudolf Häpke, Die Herkunft der friesischen Gewebe, in Hans. Geschichtsbl. 1906, Heft 2, S. 309 ff., über die Friesen ferner u. a. Gjrörer. Zur Geschichte der deutschen Volksrechte im Mittelalter, Schaffhausen 1865, S. 240 ff., 263ff.; v. Inama-Sternegg, Deutsche Wirtschaftsgeschichte in der Karolingerzeit. Leipzig 1879. I S. 447; Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte. Kiel 1881. IV S. 37. Über die Flanderer u. a. Frensdorff, Aus belgischen Städten und Stadtrechten in Hans. Geschichtsbl. 1878, insbesondere S. 48 ff.

02) Vgl. Keutgen, Der Großhandel im Mittelalter, in Hans. Geschichtsbl. 1901, S. 90.

Schon in der Karolingerzeit vermögen wir einen Verkehr zwischen dem deutschen Westen und dem slawischen Osten und skandinavischen Norden zu erkennen. Inwieweit schon im 9. Jahrhundert die friesischen Tuche Gegenstand des Verkehrs nach dem Norden waren, ist uns zwar nicht über liefert 03); für das 11. Jahrhundert und die Folgezeit besitzen wir urkundliche Zeugnisse dafür, daß dieser Handelsartikel den wichtigsten Ausfuhrgegenstand nach dem Norden abgab. Bei dem Umfange, welchen der friesische Tuchhandel schon im 9. Jahrhundert gewonnen hatte, dürfen wir aber vermuten, daß die Tuche in älterer Zeit nicht weniger im Vordergrunde dieser Ausfuhr gestanden haben. Neben den Tuchen mögen u. a. früh auch schon Erzeugnisse der Metallindustrie ihren Weg dorthin gefunden haben, wenigstens spricht ein Verbot der Ausfuhr von Waffen und Harnischen, das Karl der Große erließ, für diese Annahme, wenngleich freilich später der Austausch mit Metallwaren im Rahmen des Verkehrs nach dem Norden und Osten hinter dem Tuchhandel ganz zurückstand. In den baltischen Ländern auf der andern Seite bildeten einen der ältesten und wichtigsten Ausfuhrartikel Pelze. Noch im 13. Jahrhundert steht der Pelzhandel obenan in diesem Verkehre; aber schon Adam von Bremen berichtet im 11. Jahrhundert, daß deutsche Kaufleute bei den Slawen an der Weichselmündung Pelze gegen Tuch eintauschen, und auch verschiedene andere Quellen 04) zeigen uns die stark hervortretende Bedeutung dieses Artikels schon für die ältere Zeit. Wenn im 9. Jahrhundert neben Tuchen gelegentlich Bernstein als einer der Handelsartikel, den die Friesen einführen, erwähnt wird, so werden wir auch hierin ein Zeugnis für den Handelsverkehr der Friesen nach dem Ostseegebiet sehen dürfen.

03) Vgl. allerdings Alexander Bugge, Die nordeuropäischen Verktihrswege im frühen Mittelalter und die Bedeutung der Wickinger für die Entwicklung des europäischen Handels und der europäischen Schiffahrt, in der Vierteljahrsschrift für Sozialund Wirtschaftsgeschichte, luttgart 1905. Bd. 4, S. 254: friesische Tuche und flandrische Schwerter iiigeblich im 9. Jahrhundert im Norden.

04) Vgl. z. B. Weinhold, Altnordisches Leben, Berlin 1856, u. a. S. 100. ; Jacob, Der nordisch-baltische Handel der Araber im Mittelalter. Leipzig 1887.

Drei Knotenpunkte sind es hauptsächlich, welche den Verkehr des deutschen Westens mit dem slawischen Osten und dem skandinavischen Norden vermitteln: das dänische Schleswig und die beiden sächsischen Grenzbollwerke an der Elbe: Magdeburg und Bardowik.

Die bedeutendste Rolle hat im Laufe dieser Jahrhunderte unter ihnen vielleicht Schleswig gespielt 05); denn über Schleswig vornehmlich ging der Verkehr nach Schweden, und Schweden wiederum beherrschte den Handel mit Rußland, insbesondere mit Nowgorod, dem wichtigsten Ausgangspunkt des nordischen Handels. Mit Schleswig vollzog sich der Verkehr vom Rheine wahrscheinlich im wesentlichen über die Nordsee und durch die Eidermündung.

Stärker im allgemeinen als der Austausch über Bardowik war in jenen Jahrhunderten der Verkehr, der über Magdeburg ins Slawenland führte. Das Aufblühen zahlreicher Städte am Harz und in dessen Umgebung seit dem 10. Jahrhundert infolge des Harzer Bergbaues, der einen der wichtigsten Ausgangspunkte wirtschaftlichen Lebens in Nordwestdeutschland bildete, hat zur Belebung dieses Zustromes zweifellos erheblich beigetragen. Zum Harze führte von der Maas und vom Rheine eine vielbegangene Landstraße am Rande des mitteldeutschen Hochlandes entlang. Die außerordenthche Verbreitung magdeburgischer Münzen aus dem 11. und 10. Jahrhundert im Slawenlande östlich der Elbe ist u. a. ein deutlicher Fingerzeig für das Überwiegen des magdeburgischen Verkehrs dorthin.

05) S. meine Abhandlung: Schleswig als Vermittlerin des Handels zwischen Nordsee und Ostsee vom 9. bis 13. Jahrhundert in den Jahrbüchern der Gesellschaft für schleswig-holstein. Geschichte. 1907. S. 141 ff

An der Unterelbe ist schon in karolingischer Zeit Bardowik ein wichtiger Verkehrsplatz. Über Bardowik, Scheeßel, Magdburg, Erfurt, Halasat, Forchheim, Bremberg, Regensburg, Lorch sollten nach einer Verordnung Karls des Großen die Kaufleute nicht hinausgehen; diese Plätze werden als Grenzmärkte für den Verkehr mit den Slawen und Avaren bezeichnete. Für Bardowik sind die Avaren natürlich nicht in Betracht gekommen; es handelte sich hier im Norden nur um den Handel mit den Slawen. Über Bardowiks Handel in der nachkarolingischen Zeit besitzen wir freilich sehr geringe Kunde; erst im 12. Jahrhundert bei dem Aufkommen Lübecks erkennen wir deutlich, daß Bardowik noch, wie im 9. Jahrhundert, den Handel mit den baltischen Ländern vermittelte. Daß aber Bardowik auch in der Zwischenzeit seine Stellung als Verkehrsplatz behalten hat, ergibt sich namentlich aus der Bedeutung, welche seine Zollstätte während dieser ganzen Zeit behauptete. In verschiedenen, andern Städten verliehenen Privilegien wurde die Bardowiker Zollstätte in diesen Jahrhunderten den wichtigsten Zollstätten des Reiches gleichgestellt, indem bei der Verleihung der Zollfreiheit im ganzen Reiche nur Bardowik, Tiel und Köln, in älterer Zeit auch noch Mainz, als Reichszollstätten ausgenommen blieben 06). Häufigere Funde von Bardowiker Münzen aus dem 11. Jahrhundert im slawischen Gebiete deuten auch auf die Verkehrsbeziehungen dieses Platzes mit dem Osten hin; doch ist die Bardowiker Münze im Slawenlande nicht annähernd so oft gefunden wie die magdeburgische.

06) Privilegium Ottos III. von 975 an die Magdeburger, wo auf die gleichen Privilegien Ottos I. und Ottos II. Bezug genommen wird, Hans. Urkdb. I n. 1; Privilegium Lothars III. von 1134 an die Goslarer, wo ebenfalls auf ältere Privilegien Bezug genommen wird, ebenda n. 10. Bardowiks Zollstätte wird auch sonst mehrfach erwähnt. 965 schenkt Otto I. den zehnten Teil des Bardowiker Zolles an das Kloster Lüneburg (s. Hammerstein, Der Bardengau, Hannover 1889, S. 175 und 12). 1134 erneuert Kaiser Lothar dem Kloster St. Michaelis zu Lüneburg diese Schenkung (ebenda S. 513 und S. 175). 1158 verleiht Heinrich der Löwe dem Bischof und der Geistlichkeit von Ratzeburg Zollfreiheit zu Bardowik für die Gegenstände ihres eigenen Bedarfs (ebenda S. 144 und 514).

Im 12. Jahrhundert tritt die Bedeutung der Bardowiker Münze übrigens auch urkundlich deutlich hervor 07).

07) 1114 steuerten die Circipaner aut vulpinam pellem aut bis ter dena nomismata Bardewicensis moneta simillima vel propria (Annal. Corbej. 114, Pertz, Scr. III); vergl. Hammerstein, Der Bardengau, S. 513 (Bardowiker Münze in Bremen, in Verden erwähnt; 1134 werden dem Michaeliskloster in Lüneburg auch Einkünfte aus der Münzstätte von Bardowik vom Kaiser geschenkt).

Bardowiks Bedeutung beruhte ohne Zweifel auf dem bequemen Übergange über die Elbe an dieser Stelle. Allerdings lag Bardowik selbst nicht an der Elbe, wo es feindlichen Überfällen nordischer Seeräuber zu leicht ausgesetzt gewesen wäre, sondern an einem kleinen, schiffbaren Nebenflüßchen der Elbe, der Ilmenau, zwei Meilen von der Elbe entfernt. Allein etwas weiter unterhalb von Bardowik begann die Elbe sich in verschiedene Arme zu verzweigen, die jetzt zum Teil vom oberen Zufluß abgeschnitten und tote Wasserarme geworden sind, die heutige Dove (d. h. taube) Elbe und die Goseelbe in den Vierlanden; weiter talwärts bei Hamburg verzweigt sich die Elbe noch heute zu einem Netze von Flußläufen und Inseln, und unterhalb Hamburgs erschwerten die dort schon recht bedeutende Breite des Flusses und die damals noch uneingedeichten und schwer zugänglichen breiten Marschen des linken Ufers den Übergang. So bot die Gegend von Bardowik die bequemste Gelegenheit der Überschreitung des unteren Flußlaufes, wenngleich auch von Bardowik aus, das selbst noch an der Geest liegt, eine gute Meile Flußmarsch zu passieren war, bis man die Elbe erreichte, während am rechten Ufer die Geest dort unmittelbar an den Strom herantritt.

Über die Wege, auf denen sich der Handel nach Bardowik bewegte, haben wir keinerlei Nachrichten; für diesen Platz können vom Rheine her sowohl der Weg über die Nordsee in die Elbe als der Weg zu Lande in Betracht gekommen sein. Vermutlich sind sie beide benutzt worden. Im allgemeinen herrscht bis jetzt die Ansicht vor, daß der Seeverkehr bis zum 12. Jahrhundert im Nordseegebiete wenig ausgebildet gewesen sei und der Land verkehr vorgewaltet habe. Allein diese Auffassung trifft nicht zu. In der Karolingerzeit besuchten die friesischen Kaufleute zur See im Osten Schleswig 20), im Westen die englische und französische Küste 21). Adam von Bremen bezeugt uns für das 11. Jahrhundert ausdrücklich das Bestehen der Handelsschiffahrt von der dänischen Küste über die Nordsee nach Sachsen, den Niederlanden und England; die Utrechter Zollrolle von 1122, welche aber ausdrückhch altbestehende Zustände beurkundet und Verhältnisse wiedergibt, die gewiß ebenso schon im 11. Jahrhundert bestanden haben, zeigt gleichfalls Handelsverkehr über die Nordsee nach Dänemark, nach Norwegen, nach Sachsen und nach Osterland, worunter wir sehr wahrscheinlich die baltischen Länder, das Gebiet der Osterlinge, zu verstehen haben 24). Die Londoner Zollrolle 25), die Höhlbaum in das 11. Jahrhundert, andere schon in frühere Zeit ansetzen, ergibt ebenso Handelsverkehr flandrischer, deutscher und französischer Kaufleute über das Meer. Die frühe kommerzielle Entwicklung so vieler Küstenplätze der deutschen Nordsee, die schon durch die Tatsache des Vorhandenseins von Münzstätten in diesen Orten bezeugt wird, ist gar nicht anders denkbar als in Verbindung mit der Seefahrt. Utrecht, Stavorn, Groningen, Emden, Jever, Bremen, Stade, selbst Dokkum, Leuwarden, Bolsward u. a. sind schon im 11. Jahrhundert Sitze von Münzstätten; unter den Münzen jener Zeit, die in den baltischen Ländern in so großen Mengen gefunden worden sind und den Verkehr des deutschen Westens dorthin für jene Zeit belegen, sind diejenigen dieser Prägstätten zum Teil gar nicht selten. So hat also der Seeverkehr auf der Nordsee während des 11. Jahrhunderts keineswegs geruht, und wenn wir für das 10. Jahrhundert weniger Beläge für sein Bestehen finden, so wird diese Erscheinung darin ihren Grund haben, daß aller Verkehr, auch der Landverkehr, nach den furchtbaren Verheerungen der Normannenzeit damals noch daniederlag 27). Bei der Wasserverbindung Bardowiks mit der Nordsee würde es sehr wunderbar erscheinen, wenn der Verkehr mit dem rheinischen Westen diesen bequemsten Weg ganz unbenutzt gelassen hätte. Die Nennung Bardowiks in Verbindung mit den beiden Seehandelsplätzen Tiel und Köln in den Zollprivilegien legt sogar den Gedanken nahe, daß die Kaufleute diese Plätze auf ihren Handelsreisen tatsächlich nacheinander besuchten, indem sie die Elbe hinab über die Nordsee und den Rhein hinauf fuhren, und die Tatsache, daß, wie wir sogleich sehen werden, seit der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts auch an der Unterelbe Handelsverkehr und damit zweifellos auch Seeverkehr emporblühte, verleiht dieser Vermutung sogar große Wahrscheinlichkeit.

20) S. meine oben Note 10 angeführte Abhandlung S. 142, 153 f. Vgl. auch Vogel, Zur nord- und westeuropäischen Seeschifffahrt im früheren Mittelalter, Hans. Geschichtsbl. 1907, S. 153.

21) York in England; auch in St. Denys ist von den Schiffen der friesischen Kaufleute die Rede.

24) Die Zollrolle unterscheidet, ob die Friesen vom ,,Osterland“ oder von Sachsen Waren bringen; im ersten Falle soll der Zoll 24 Denare, wovon 4 zurückerstattet werden, im letzten 17 Denare, wovon 1 zurückerstattet wird, betragen. Höhlbaum (Hans. Urkdb. I n. 8, Note) versteht unter Hinweis auf Junghans i. d. Forschungen z. deutsch. Geschichte, Bd. IX, S. 513 ff. unter „Osterland“ Ostfriesland, te Geer (Bijdragen tot de Geschiedenis en Oudheiden der Provincie Utrecht. Utrecht 1860, S. 242; und het oude Trecht, Utrecht 1875, S. 169) erklärt das Osterland als das Land der Osterschen oder Osterlinge, also das baltische Gebiet. Alle drei unterlassen es, eine Begründung für die von ihnen vertretene Deutung zu geben. Dass das Osterland gleichbedeutend mit Ostland ist, dürfte wohl ohne weiteres anzunehmen sein. Unter dem ,,Ostland“, bisweilen auch in hansischen Urkunden Osterland (H. R. I. 3, n. 240 Ziff. 8 No. 9) genannt, wird regelmäßig das östliche, in den Händen der Osterlinge liegende Handelsgebiet, also das baltische Gebiet, verstanden. Dass auch für Ostfriesland dieser Ausdruck gebraucht wurde (II n. 266, Note 2) lässt sich nicht bestreiten; auch für Finnland kommt der Ausdruck vor (Hans. Urkdb. III n. 348 und Inhaltsverzeichnis daselbst unter ,,Holland“). Das sehr hohe Kopfgeld spricht dafür, daß es sich um besonders gewinnbringenden Handel und wertvolle Waren, wie sie aus fernen Gegenden zugeführt werden, handelte. Auch soll mit dem Osterland offenbar nicht die Heimat dieser Utrecht besuchenden Friesen bezeichnet werden, wie aus der Gleichstellung desselben mit Sachsen hervorgeht; die Urkunde hat vielmehr dieselben friesischen Kauffahrer vor Augen, die, wenn sie vom Osterland kommen, den einen, wenn sie von Sachsen kommen, den andern Zollsatz entrichten sollen; nur der Herkunftsort der Einfuhr ist mit dem Osterland bezeichnet. Das Gebiet des heutigen Ostfriesland dürfte damals ebensowenig eine wesentliche Rolle als Produktionsgebiet von Waren für den Großverkehr gespielt haben, wie später, wenngleich zu jener Zeit zu Ostfriesland das ganze Gebiet vom Vlie bis zur Ems gerechnet wurde. — Über die frühe Bedeutung der Friesen im Verkehr nach den baltischen Gebieten vgl. u. a. Schäfer, Der Stamm der Friesen und die niederländische Seegeltung in der Marine Rundschau, 1905, S. 1361; Höhlbaum, Die Gründung der deutschen Kolonien an der Düna, in hans. Geschichtsbl. 1872, S. 58.

27) Über den Seehandel der nordischen Völker in dieser Zeit vgl. u. a. Pappenheim, Altnordische Handelsgesellschaften in der Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht. Bd. XXXVI.

Seit dem Anfange des 11. Jahrhunderts tritt nämlich Stade an der Schwinge, einem Nebenflüsschen der Unterelbe, als Handelsplatz in die Erscheinung. Im Jahre 1038 erhielt der Erzbischof Bezelin von Kaiser Konrad das Privileg, in Stade einen Markt nebst Zoll und Münze zu errichten. Zahlreiche Münzen, die in einem aus der Mitte des 11. Jahrhunderts stammenden Münzfunde enthalten waren, der bei Farwe in Holstein in der Nähe der slawischen Handelsstadt Stargard oder Aldenburg (heute Oldenburg), einem Ausgangspunkte des damaligen Ostseeverkehrs, entdeckt wurde, geben Zeugnis von der raschen Entwicklung dieses Handelsplatzes. Aus den Hindernissen, welche Stade später der Umgehung seines Stapels bei der Fahrt die Elbe hinauf entgegenzusetzen suchte, erkennen wir deutlich, daß Stade Verkehr elbaufwärts unterhielt, und hier wird die Markt- und Zollstätte Bardowiks das natürliche Ziel der Reisen der Stader gewesen sein. Nach Westen hin wird Stade von Anfang an mit den Niederlanden in Verbindung gestanden haben. Unmittelbare urkundliche Zeugnisse hierfür besitzen wir allerdings erst aus der letzten Hälfte des 12. Jahrhunderts; sie zeigen uns Stade im Verkehr mit Utrecht; doch ist dieser Verkehr wohl schon erheblich älter. Wenn die Utrechter Zollrolle von 1122 von dem Verkehr der ,,friesischen Kaufleute, wenn sie von Sachsen kommen“, spricht, so werden wir hierbei vor allem an Stade zu denken haben, und wenn dabei besonders des Zollsatzes gedacht wird, den diese Friesen, ,,es venale“ von Sachsen bringend, erlegen sollen, so ist damit höchst wahrscheinlich Kupfer aus den Harzbergwerken gemeint, das noch im 13. Jahrhundert eine so große Rolle unter den von der Elbmündung nach den Niederlanden verschifften Waren spielte 31). Denn für den Verkehr der Harzgegend mit Bardowik besitzen wir schon aus dem Beginne des 12. Jahrhunderts urkundliche Belege 32). Die Utrechter Zollrolle sagt aber, wie schon erwähnt, ausdrücklich, daß sie althergebrachte Ordnungen, nicht neue Verhältnisse aufzeichnet, und so werden wir gewiß nicht fehlgehen, wenn wir diesen Handelszug auch schon in das 11. Jahrhundert zurückdatieren. Stade wird neben Bremen ferner Adam von Bremen im Auge gehabt haben, wenn er für das Ende des 11. Jahrhunderts von dem Verkehre von Ripen nach Sachsen berichtet; denn Stade finden wir auch später in enger Beziehung zu Ripen; bestand doch in Stade eine besondere Bruderschaft der Ripenfahrer. Mit dem slawischen Osten wird Stade in der Regel über Bardowik, den Stapelplatz des Austausches mit den Slawen in dieser Gegend, verkehrt haben, wenngleich der Fund der zahlreichen Stader Münzen bei Farwe aus der Milte des 11. Jahrhunderts unwillkürlich die Frage nahelegt, ob etwa auch ein unmittelbarer Weg von Stade nach dem slawischen Handelsplatz Stargard in Wagrien durch Holstein hindurch geführt habe 35).

31) Vgl. Weiland, Goslar als Kaiserpfalz in Hans. Geschichtsbl. 1884, S. 21 und s. unten S. 105 ff.

32) In dem Güterregister des Abtes Erkenbert von 1106 — 1128 heißt es von den Litonen der Corveyschen Propstei zu Groningen bei Halberstadt: pro itinere, quod debent annuatim Corbeyam ire vel ad Barthunwik pro piseibus, IIII litones vadant vel IIII solidos per singulos annos secudum vices suas persolvant excepto servitium. Ebenso schickte Helmstedt seine Dienstpflichtigen nach Bardowik, um Fische und Salz zu holen. S. Hammerstein, Bardengau, S. 186 f., 513.

35) In dieser Beziehung ist der Handelsverkehr zu beachten, der noch im 13. Jahrhundert auf der Stör sich abspielt. Von Itzehoe gehen Salzschiffe die Stör hinauf. Hans. Urkdb. I n. 693 und 546. Sollten sie nicht nach der Ostsee, dem Hauptziel aller Salz Verladungen, bestimmt gewesen sein, wo eine so starke Nachfrage nach Salz zum Einsalzen der Fische bestand, deren Fang dort einen der wichtigsten Erwerbszweige bildete? sie mochten nach Kiel gehen, dessen Bewohner ja schon im 13. Jahrhundert sich lebhaft am Heringsfang auf der Ostsee beteiligten.

Bardowiks Verkehr nach dem Osten vollzog sich auf dem Landwege und war im Slawenlande, wie es scheint, zunächst auch nicht auf einen nahen Hafen der Ostsee gerichtet. Wenigstens ist ein solcher vor dem Ende des 11. Jahrhunderts für uns nicht mit Sicherheit erkennbar; wir lesen vielmehr bei Adam von Bremen, daß man ,,von Hamburg oder von der Elbe“, bei welch letzterem Ausdruck Adam gewiß den Elbübergang bei Bardowik im Auge hat, in sieben Tagen nach Julinum an der Odermündung reise. Übrigens erwähnt Adam sowohl an der Odermündung als auch an der Weichselmündung im 11. Jahrhundert schon deutsche Kaufleute handeltreibend.

Hamburg ist in diese Skizze nicht eingezeichnet. Zwar sind auch für Hamburg schon im 9. Jahrhundert Spuren einer Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr nachzuweisen; allein diese Anfänge sind noch in demselben Jahrhundert wieder zugrunde gegangen, und so kommt es, daß Hamburg im 10. und 11. Jahrhundert keine Rolle mehr in dem Austausche zwischen dem Westen und den baltischen Ländern gespielt hat.

Die ersten Nachrichten über Hamburg führen uns zurück an die Schwelle des 9. Jahrhunderts, als die Einverleibung des Sachsenlandes in das Reich Karls des Großen soeben vollendet war. Der rechtselbische Teil Sachsens — Nordalbingien genannt — in welchem Hamburg liegt, war damals ein Außenzipfel des Reiches. Im Osten begann schon jenseits der Bille das slawische Grenzgebiet; von der oberen Bille zog sich die Grenze durch das Quellgebiet der Trave bis etwa zur Quelle der Eider hin. Die ganze Ostseeküste des heutigen Holstein und Mecklenburg war im Besitze der Slawen. Im Norden erreichte dieser Teil Sachsens im Eidergebiete die dänische Grenze; nach Westen und Süden hin war er durch die Nordsee und die Elbe von dem übrigen Sachsen abgeschnitten.

Der Übergang nach und von Nordalbingien über die Elbe war schwierig nicht nur wegen der sehr erheblichen Breite und Stärke des Stromes, sondern auch, weil die auf beiden Seiten der Geest vorgelagerten Sümpfe und Moräste der noch nicht eingedeichten Marschen an den meisten Stellen auch den Zugang von der Geest zum Flusse hinderten. Nur bei Hamburg tritt die Geest unmittelbar an die Elbe heran; allein gerade hier verbreitert sich der Strom, der sich oberhalb Hamburgs in mehrere Arme teilt und bei Hamburg verschiedene, damals gewiß schwer zugängliche Inseln in seinem Strome bildet, so bedeutend, daß der Übergang hier auf besonders große Schwierigkeiten stößt. Der Elbübergang weiter stromaufwärts bei Bardowik aber führte auf dem rechten Eibufer schon in slawisches Grenzgebiet und bot deshalb keine gesicherte Verbindung mit dem rechtselbischen Sachsen. So wiesen die geographischen Verhältnisse den Verkehr geradezu auf die Schifffahrt zwischen den Häfen Nordalbingiens und dem Hauptlande der Sachsen hin.

Die Elbe nimmt von Nordalbingien verschiedene Zuflüsse auf, deren größte die Stör und die Alster sind. Diese kleinen Wasserläufe bildeten die natürlichen Eingangsstellen für den Verkehr des Westens mit dem Lande der Holsaten und Stormarn; auf ihnen fanden auch die Fahrzeuge einen gegen Wind und Wetter wie gegen feindliche Angriffe besser geschützten Liegeplatz, als ihnen der offene Elbstrom zu bieten vermochte. An beiden Flüssen, dort an der Stelle des jetzigen Itzehoe, hier an der Stelle Hamburgs, sehen wir deshalb zu Karls des Großen Zeit Stützpunkte der fränkischen Herrschaft entstehen.

Ob an dem Ausflusse der Alster in die Elbe bereits vorher ein Ort vorhanden war, muß dahingestellt bleiben. Damals erfolgte nach der 804 vollendeten Unterwerfung Nordalbingiens hier jedenfalls die Gründung einer Kirche. Auch von der Einsetzung eines Priesters namens Heridac an dieser Kirche ist uns Kunde erhalten. Gedacht war diese Schöpfung als Stützpunkt für die Ausbreitung der kirchlichen und wahrscheinlich auch der politischen Herrschaft des Frankenreiches über das ostelbische Gebiet 38).

38) Vgl. Über die Gründung der ersten Kirche in Hamburg Lappenberg, Hamb. Urkdb. I n. 8; Vita Ansgarii c. 13 in Monumenta Germaniae Historica SS. II.

Nach Karls des Großen Tode im Jahre 814 sank der fränkische Einfluß im ostelbischen Sachsen rasch; die kirchliche Gründung in Hamburg ging wieder ein. Sein Nachfolger Ludwig der Fromme wandte allerdings ebenfalls seine Aufmerksamkeit der Bekehrung des Nordens zu; aber diese Mission nahm unter ihm ihren Ausgang zunächst vom Rheine über die Nordsee nach Dänemark und Schweden. Erst im Beginne des 4. Jahrzehntes des 9. Jahrhunderts griff Ludwig den Plan seines Vaters wieder auf, die Basis dieser Mission in das entfernte, von Slawen umgebene ostelbische Sachsen zu verlegen. So gründete er denn 831 in Hamburg ein Erzbistum und berief den in der nordischen Mission bereits bewährten Bischof Ansgar als Erzbischof dorthin. Aber auch dieser Gründung war nur eine kurze Dauer beschieden; nach Ludwig des Frommen Tode fehlte es dem Erzbistum bald an der nötigen Unterstützung durch die weltliche Macht; wichtige Lehnsgüter, deren Erträge bis dahin im wesenthchen den Unterhalt des Erzbistums geliefert hatten, wurden bei der Teilung des Reiches im Vertrage von Verdun dem Erzbischof genommen; die hamburgische Kirche geriet dadurch in Verlegenheit und sah sich außerstande, ihre Aufgabe zu erfüllen. Wenige Jahre später, 845, wurde dann die ganze Ansiedlung durch einen Normannenüberfall zerstört; der Erzbischof rettete sich mit genauer Not durch die Flucht. Von der Wiederherstellung des erzbischöflichen Sitzes in Hamburg konnte vorläufig aber bei dem Mangel an Mitteln und der Unsicherheit der politischen Verhältnisse keine Rede sein. Seitdem 848 das Bistum Bremen mit Hamburg vereinigt und Ansgar Bischof von Bremen geworden war, wurde tatsächlich Bremen der Ausgangspunkt für die nordische Mission, wenn auch freilich der Titel Erzbischof von Hamburg beibehalten wurde und sich die Mission noch lange Zeit an den Namen der hamburgischen Kirche knüpfte. 880 fiel Hamburg von neuem einer Verwüstung durch die Normannen anheim; das Schwergewicht des kirchlichen Regiments verschob sich nun vollends nach Bremen.

Verschiedene Umstände sprechen dafür, daß Hamburg im 9. Jahrhundert, wenigstens in der erzbischöflichen Zeit, nicht ohne wirtschaftlichen Verkehr geblieben ist. Die ersten Beziehungen Hamburgs zu einer andern Gegend, von welchen wir hören, sind Verbindungen nach Flandern: dem Priester Heridac wurde von Karl dem Großen das Kloster Hrodnace (Renaix) in Ostflandern an einem Nebenflüßchen der Scheide, dem Erzbischof Ansgar von Ludwig dem Frommen das westflandrische Klostergut Turholt (Thourout) als wirtschaftlicher Stützpunkt für die Mission zugewiesen. Von den Einkünften dieser flandrischen Güter bestritten diese Geistlichen zunächst ihren Lebensunterhalt und den Aufwand für die Mission; wie sehr Ansgar noch 843 von dem Eingange dieser Erträge seines flandrischen Gutes abhängig war, zeigt die Notlage, in die er durch den Verlust desselben kam. In jenem Zeitalter der Naturalwirtschaft läßt sich aber die Nutzung dieser Erträge seitens der erzbischöflichen Verwaltung kaum anders als in der unmittelbaren Zufuhr der landwirtschaftlichen Erzeugnisse des Klostergutes nach Hamburg denken, und die Wahl eines Gutes in dem reichen, aber fern gelegenen Flandern kann schlechterdings nur dann angezeigt gewesen sein, wenn für die Herbeischaflung der Güter der in der Tat bequeme Seeweg in Frage kam; wäre die Zufuhr auf den Landweg angewiesen gewesen, so wäre nicht zu verstehen, warum beide Kaiser gerade in dem ungelegenen Flandern und nicht in größerer Nähe ein Kirchengut auserlesen hätten. Wir finden somit in diesen Tatsachen Anzeichen dafür, daß die Erträgnisse des flandrischen Kirchengutes zur See Hamburg zugeführt wurden. Aber nicht nur die Verwaltung des erzbischöflichen Kirchengutes, sondern auch Kaufleute beteiligten sich von Hamburg aus am Verkehrsleben. In der Lebensbeschreibung Ansgars lesen wir von dem Auftreten in Hamburg getaufter Christen in der als Zwischenmarkt für den Austausch zwischen Nordsee und Ostsee schon damals bedeutenden dänischen Stadt Schleswig, und es kann sich nach dem Zusammenhange bei diesen Christen nur um Kaufleute gehandelt haben 43). Über die Unterlagen dieses Verkehrs erfahren wir leider nichts; wir wissen weder, um welcherlei Kaufgegenstände es sich handelte, noch auf welchem Wege sie Schleswig erreichten — ob zu Lande oder ob zu Wasser über die Eidermündung. Nur gelegenthch erfahren wir, daß in Nordalbingien wohl Sklavenhandel getrieben wurde.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Verkehr der Hamburger, dessen Spuren wir soeben verfolgt haben, erst durch die Errichtung des erzbischöflichen Stuhles ins Leben gerufen worden ist, wie ja so oft die Sitze der geistlichen Würdenträger zu Mittelpunkten des Handels und Verkehrs geworden sind, weil die kirchlichen Verwaltungen einerseits mancherlei Zufuhren für die Versorgung der Geistlichkeit und den Dienst der Kirche bedurften und andererseits Überschüsse von den Erträgnissen ihrer Güter an den Verkehr abgeben konnten. Außerdem wurden solche Orte ja häufig der Sammelplatz von Pilgern, Wallfahrern und Volksmengen, die schon zur Bestreitung ihres Unterhaltes mancherlei Tauschgegenstände mit sich brachten und zugleich zu ihrer Beköstigung der Zufuhr von Lebensmitteln u. dgl. bedurften. Auch die hamburgische Kirche besaß bereits Reliquien verschiedener Heiliger, welche Wallfahrer heranziehen mochten.

In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts sind indessen diese Anfänge eines wirtschaftlichen Verkehrs in Hamburg wieder vernichtet worden. Die Zerstörungen des Ortes, die Unsicherheit der politischen Verhältnisse und vor allem die Verlegung des erzbischöflichen Sitzes nach Bremen geben die Erklärung für diese Erscheinung. In einer Urkunde König Arnulfs aus dem Jahre 888, in welcher dem Erzbischof für Bremen Verkehrsrecht (negotiandi usus) und das Recht, Münzen zu schlagen, verliehen wird, heißt es, daß diese Rechte den Leitern der Kirche in Hamburg schon früher zugestanden hätten, wegen der Unsicherheit der Gegend dort aber nicht mehr ausgeübt werden könnten. Die Echtheit dieser Urkunde ist freilich nicht unbestritten. Aber andere Nachrichten aus der folgenden Zeit bestätigen, daß Hamburg kein Handelsplatz mehr war. Über Hamburgs Verhältnisse vom Ende des 9. bis zum 12. Jahrhundert besitzen wir allerdings nur dürftige Kunde. Einige Nachrichten aus dem 10. Jahrhundert zeigen, daß es damals aus den Verwüstungen der Normannenzeit schon wieder erstanden war. 982 erlag es den Angriffen der Slawen. Im Anfange des 11. Jahrhunderts erlitt der Ort sogar eine gänzliche Zerstörung durch die Slawen. Nach Wiederherstellung der Ruhe nahm sich dann der Erzbischof Unwan (1013 — 1029) der kirchlichen Einrichtungen dort an. Offenbar war die ganze kirchlicht Gründung daselbst zerstört und weder Kirche noch Geistlichkeit an dem Orte übrig geblieben. So zog denn Unwan von neuem Geistliche und Ansiedler nach Hamburg heran und ließ wiederum eine Kirche und Gebäude für die Geistlichkeit bauen. Gleichzeitig errichtete auch der Herzog von Sachsen eine Feste, in der er wohnen konnte, neben der erzbischöflichen Niederlassung. Alle diese Bauwerke waren noch von Holz. Bezelin. der 1035 bis 1045 Erzbischof war, vervollkommnete diese Schöpfungen, indem er zum Schutze gegen die Einfälle der umwohnenden Slawen ein steinernes, mit Bollwerk und Befestigungen versehenes Gebäude aufführen ließ, in welchem er bei seinen Aufenthalten in Hamburg Wohnung nahm, und auch an die Stelle der hölzernen Kirche eine solche von Quadersteinen setzte. Auch der Herzog ließ nahe dem erzbischöflichen Gebäude ein besonderes Kastell für sich herrichten. Herzog Bernhard II. von Sachsen gab dieses Kastell auf und erbaute 1061 eine neue Burg zwischen Elbe und Alster. 1066 und 1072 wurde Hamburg wiederum von Slawen völlig zerstört. Im 11. Jahrhundert verweilten übrigens sowohl die Herzöge als auch die Erzbischöfe, namentlich Adalbert (1043 — 1072), häufiger auf diesen ihren Residenzen in Hamburg. Seit dem Ende des 11. Jahrhunderts sind als Vertreter und Lehnsträger der Herzöge in Hamburg auch Grafen nachweisbar.

Daß die erzbischöfliche Ansiedlung in Hamburg während des 10. und 11. Jahrhunderts kein Verkehrsplatz gewesen ist, zeigen deutlich die Privilegien 48) Ottos III. von 988 und Heinrichs III. von 1003 und 1014, in welchen die Rechte der hamburgischen und der bremischen Kirche bestätigt werden; hier ist bei Hamburg, dessen doch eingehend in diesen Urkunden gedacht wird, niemals von irgendwelchen Handelsoder Verkehrsrechten die Rede, während die Markt-, Münz- und Zollrechte, welche die Erzbischöfe in Bremen ausübten, sorgfältig aufgezählt werden. Von der Niederlassung der Herzöge und seit dem Ausgange des 11. Jahrhunderts ihrer Lehnsträger, der Grafen, besitzen wir sehr wenig Nachricht. Jedenfalls aber geben zahlreiche Funde erhaltener Münzen städtischen Gepräges des 10. und 11. Jahrhunderts uns Kunde von der Teilnahme vieler selbst kleiner Plätze des deutschen Binnenlandes wie der Küste am Handelsverkehre, während es für Hamburg an jedem derartigen Zeugnisse fehlt. Erst im Jahre 1189 wird die hamburgische Münze erwähnt; freilich wird in der fraglichen Urkunde von dem Hause des Münzers gesprochen, als ob es schon vorhanden wäre und nicht erst geschaffen werden sollte; auch ist es nach den vorliegenden Nachrichten nicht ganz ausgeschlossen 49), daß die Münze im Besitze des Erz bischofs, nicht des Grafen war; möglich, daß hier die alten erzbischöflichen Rechte aus dem 9. Jahrhundert wieder aufgelebt waren; lange wird die Hamburger Münzstätte jedoch damals noch nicht wieder in Tätigkeit gewesen sein.

48) Hamb. Urkdb. I n. 49, 56, 61; vgl. Gädechens, Hamb. Münzen und Medaillen, Hamburg 1854, II. Abt, 2. Heft, S. 162.

49) Vgl. Koppmann, Kleine Beiträge zur Geschichte der Stadt Hamburg und ihres Gebietes. Hamburg 1868 II, S. 19. Lappenberg, Hamb. Rechtsaltertümer, I. Einl. S. 5; beide halten die Münze für erzbischöflich, dagegen Gädechens, a. a. O. S. 162, hält die Münze schon im 12. Jahrhundert für gräflich. Hasse, Zur Kritik von Kaiser Friedrich Barbarossas Privileg für Hamburg 1189, in Zeitschr. d. Gesellsch. für schleswig-holstein.-lauenb. Geschichte, S. 264 ff., hat die Echtheit der Urkunde in diesem Punkte angegriffen; siehe dagegen Schröder in Mitteilungen des Vereins für hamb. Geschichte, XVI. Jahrg., S. HO IT.

Der Umstand, daß Adam von Bremen die Entfernung Julinums von Hamburg erwähnt, indem er an einer Stelle sagt, man reise von Hamburg oder von der Elbe in sieben Tagen nach der Stadt Julinum, und daß ferner der Scholiast, welcher Adams Schrift kommentierte, bei Aldenburg bemerkt, daß der Ort eine Tagereise von Hamburg am baltischen Meere liege, ist vielfach als Anhalt für das Bestehen eines Handelsverkehrs von Hamburg nach diesen Plätzen angesehen worden. Es ist indessen zu beachten, daß Adam ausdrücklich als Ausgangspunkt der Reise neben Hamburg einen andern Punkt an der Elbe, offenbar den Elbübergang bei Bardowik, hinstellt; wenn er nicht nur diesen andern Punkt, sondern auch Hamburg nennt, so mag dies seinen Grund darin gehabt haben, daß die Beziehung der Entfernung auf die Mutterstadt des Erzbistums für ihn als Geistlichen besonders nahe lag. Was aber die Angabe des Scholiasten über die Entfernung nach Aldenburg betrifft, so ist auf diese überhaupt recht wenig Gewicht zu legen, da sie offenbar ganz fehlerhaft ist. Denn die Entfernung von Hamburg nach Aldenburg beträgt in der Luftlinie mehr als 100 Kilometer, und es ist bei den mangelhaften Wegen und Beförderungsmitteln jener Zeit gar nicht denkbar, daß Warentransporte dieselbe in einer Tagereise zurückzulegen pflegten, zumal man auf die Reise nach Juhnum, die etwa dreimal so weit war, sieben Tage rechnete. Auch stellt Adam Hamburg keineswegs, wie so manche andere Plätze, als große Stadt dar. Von Hamburg, der Hauptstadt der Stormarn, sagt er, indem er dabei wohl an die Zeit, wo Erzbischof Ansgar dort seinen Hof gehalten hatte, denkt, sie sei ,,einst mächtig an Männern und Waffen, gesegnet an Feldern und Früchten“ gewesen, fügt aber in Hinblick auf die Gegenwart hinzu, jetzt sei sie ,,zur Strafe ihrer Sünden in eine Einöde verwandelt“, wie er sie denn auch am Eingange seiner Schrift nur in der Vergangenheit als die „einst angesehenste Stadt der Sachsen“ bezeichnete. Wenn er hinzufügt, die Stadt könne sich trösten, da die Zahl ihrer Söhne durch den ganzen Norden sich von Tag zu Tag mehre, so hat er dabei die Ausbreitung des Christentums und die Eigenschaft der hamburgischen Kirche als Mutterkirche der nordischen Mission im Auge. Zu Adams Zeiten war der Ort offenbar nicht mehr ,,mächtig an Männern und Waffen“ und zählte also wohl nicht viele Bewohner.

Übrigens würde, selbst wenn der Warenverkehr nach Schleswig vom Rheine her, wie die bisher herrschende Auffassung gewesen ist, den Landweg genommen hätte, nur Bardowik Haltestation dieses Verkehrs gewesen sein, während Hamburg ebensowenig eine besondere Bedeutung zugekommen wäre wie zahlreichen kleinen Orten zwischen den rheinischen Ausgangspunkten dieses Verkehrs und Bardowik. In der karolingischen Verordnung über die Grenzmärkte, unter denen ja auch Bardowik genannt wird, ist indessen nur von dem Handel mit den Slawen und Avaren daselbst ohne Erwähnung der Dänen die Rede.

Bardowik an der Ilmenau und Stade an der Schwinge genossen vor Hamburg den Vorzug, daß sie durch die Elbe vor plötzlichen Überfällen der Slawen geschützt waren und dem Verkehre der Deutschen deshalb eine viel größere Sicherheit boten als Hamburg. Das 12. Jahrhundert brachte indessen in dieser Beziehung eine Änderung.

Bis dahin war die ganze Ostseeküste in Händen von Slawen. An das slawische Wagrien auf der Ostseite der cimbrischen Halbinsel schloß sich das Gebiet der Obotriten, und südlich von diesen saßen als Nachbarn der Stormarn bis an den Sachsenwald und an die Elbe hinan die Polabinger, als deren Stadt Adam Ratzeburg bezeichnete. Das Christentum hatte zwar schon in den vorhergehenden Jahrhunderten in diesen Gebieten festen Fuß zu fassen begonnen; aber kriegerische Erhebungen hatten die Errungenschaften der Kirche immer wieder zerstört. Im 12. Jahrhundert begann nun aber die Germanisierung dieser Länder. Schon Graf Adolf II. von Holstein (1128—1164) zog Ansiedler aus den niederrheinischen Gegenden in das Land. Heinrich der Löwe vollends beugte nicht nur die gesamten Slawenvölker der Ostseeküste bis zur Oder seinem Scepter, sondern rottete auch jeden Widerstand in diesen Gebieten endgültig aus. Scharen von deutschen Ansiedlern aus Sachsen, Friesland und Flandern traten an die Stelle der slawischen Bewohner. Gleichzeitig führte weiter südlich im Brandenburgischen und Havelbergischen Albrecht der Bär in ähnlicher Weise die Germanisierung des Landes durch.

Mit diesem allgemeinen Vorrücken des Deutschtums nach Osten verschoben sich erklärlicherweise auch die Grenzstützpunkte, welche den deutschen Kaufleuten zum Ausgange für den Verkehr nach dem Osten und Norden dienten. Schon in der letzten Hälfte des 11. Jahrhunderts lag an dem südwestlichsten Winkel des baltischen Meeres, da, wo die Trave und Schwartau zusammenfließen, ein slawischer Ort, der Buku hieß und einen Hafen hatte. Hier bestand schon zur Zeit der Herrschaft des Slawenfürsten Heinrich (1105 — 1126), der dort seinen Sitz hatte, eine nicht unbedeutende Ansiedlung deutscher Kaufleute, die sich des Schutzes des Slawenfürsten erfreute. Etwas oberhalb der Stätte dieses Ortes, der 1138 von andern Slawen zerstört worden war, gründete 1143 Graf Adolf II. von Holstein an der Trave eine neue Ansiedlung, die er Lubeke nannte, und welche sich rasch als Handesplatz entwickelte; bald hören wir von mit Waren beladenen Schiffen, welche der Slawenfürst Niclot bei einem Überfall des Ortes verbranntet. Als 1157 diese Stadt durch eine Feuersbrunst gänzlich zerstört worden war, machte Heinrich der Löwe zunächst vergeblich den Versuch, sie an einer andern Stelle neu zu gründen, baute dann aber, nachdem Graf Adolf nach anfänglichem Widerstreben seine Rechte auf die Einkünfte aus dem lübischen Markte aufgegeben und den alten Platz dem Herzoge überlassen hatte, an derselben Stelle die Stadt von neuem auf. Er sandte Boten an die Städte und Reiche des Nordens, nach Dänemark, Schweden, Norwegen, Rußland, entbot allen Kaufleuten freien Zutritt und sicheres Geleit und forderte sie zum Besuche der neuen Handelsstadt auf. Die Stadt selbst stattete er mit weitestgehenden Rechten aus.

Der Verkehr dieses neuen Platzes nach dem Westen knüpfte naturgemäß an die bestehenden Stapelplätze und Handelsstraßen an und war deshalb zunächst auf Bardowik gerichtet. Noch in dem Privilegium, welches Kaiser Friedrich I. 1188 den Lübeckern verleiht, ist diese Richtung des Verkehrs deutlich erkennbar: durch das ganze Herzogtum Sachsen sollen die Lübecker zollfrei passieren dürfen, außer an der Zollstelle Erteneburg, der rechtselbischen Kontrollstation des Bardowiker Elbüberganges. Hier zu Erteneburg aber sollen sie soviel Wagen, wie sie unter Erlegung des Zolles über die Elbe hinüber geführt haben, binnen Jahresfrist zollfrei wieder zurückführen dürfen 62).

62) Es scheint mir sehr naheliegend, daß unter dem transfretare der Fremden in jener Urkunde nicht das Verschiffen ostwärts über das Meer, sondern das Verfrachten zur Elbe hinüber und von dort über die Nordsee (nach Flandern) zu verstehen ist (vgl. über das Wort var Hans. Urkdb. I n. 665 und III Wörterverzeichnis und die „lübecker var“ unten Kapitel IV Note 25 und die Ausführungen im Text daselbst). Dann wäre allerdings die Urkunde von 1227 in diesem Punkte nicht ohne weiteres die Übersetzung der Urkunde von 1188. Die letztere hätte vielmehr den im Osten wohnenden, von dort kommenden, nach dem Westen weiterreisenden Fremden, also den Russen, den Goten usw., vor Auge, während die erstere bei dieser Stelle an den im Westen beheimateten, von dort nach dem Osten reisenden Fremden, den Westfalen, Friesen usw., dächte. Das könnte aber in den Veränderungen, welche der aktive Handel der Völker im Westen und Osten durchmachte, seine Ursache haben. Denn die Völker des Ostens wurden durch die Völker des Westens aus diesem Handel immer mehr verdrängt. Die veränderte Vorstellungsweise der Urkunde von 1227 wäre also sehr erklärlich; vielleicht wurde die Urkunde von 1188 in diesem Punkte 1227 aus diesem Grunde schon gar nicht mehr verstanden. Unter dem homo pergens ad mare in der Lübecker Zollrolle von 1227 scheint mir der mit seinen Waren Durchreisende gemeint zu sein; nicht die Ausfuhr zur See, sondern die Durchfuhr vom Westen her durch Lübeck seewärts wird von den hohen Zollsätzen (15 Denare die Schiffslast) getroffen. So gewinnt auch der im Zolltarif vorhergehende Satz eine andere Bedeutung: „Wenn der Fremde, welcher zur See angekommen ist — nur die seewärts Angekommenen hat die Zollrolle bis dahin im Auge, die mit Wagen, also zu Lande, Ankommenden werden später aufgeführt — in seinem Geschäfte zur Elbe hinüberreist, so soll er, wenn er von seinem westlichen Reiseziele — von jenseits der Elbe — zurückkehrt und zur See von Lübeck aus ostwärts Weiterreisen will, die Marktabgabe der 4 Denare nicht zu bezahlen brauchen (nur die Marktabgabe der 4 Denare scheint mir mit den Worten quicquam dare gemeint zu sein, denn nur von dieser ist bisher die Rede gewesen); wenn er, vom Westen kommend, nicht ostwärts zum Meere mit seinen Waren weiter zu gehen beabsichtigt, also die Waren auf dem Lübecker Markt absetzen will, soll er die Marktabgabe von 4 Denaren zahlen. Frei ist er von dieser Marktgabe indessen auch in diesem Falle, wenn er in Lübeck seine rechtmäßige Ehefrau, also dort seinen Wohnsitz hat. — Für die Warendurchfuhr, den homo pergens ad mare, der also nicht in Lübeck emere und vendere will, den dortigen Markt also nicht beschickt, gelten die weiterhin aufgeführten hohen Zollsätze; diesen unterliegt also auch der Mann, der von jenseits der Elbe zurückkehrt und zum Meere hin will, seine Waren somit nur durchführt und deshalb von der Marktabgabe frei ist. Daß der Gesetzgeber, wie Frensdorff a. a. O. S. 131,132 meint, eine Bestimmung über den Zoll getroffen hätte, den der Mann zu zahlen hat, der von Lübeck aus westwärts fahren will, die Elbe bereits überschritten hat, sich dann aber eines andern besinnt (!), und nach Lübeck umkehrt, um seewärts zu fahren, erscheint schlechterdings nicht möglich. Solche Leute sind ganz gewiß nicht häufig vorgekommen, und der Gesetzgeber hat doch zweifellos die regelmäßig vorkommenden Fälle im Auge. Jedenfalls ist damit keine Erklärung der Stelle von Frensdorff gegeben.

Durch das Aufblühen Lübecks sah schon zur Zeit, als die Stadt noch im Besitze des Grafen von Schauenburg war, Bardowik seine Stellung als Grenzstützpunkt des deutschen Handels mit dem Osten stark erschüttert; Bardowik suchte dem Emporkommen Lübecks deshalb mit allen Mitteln entgegenzuarbeiten 63). Es erhob bei dem Landesherzoge Heinrich dem Löwen Klagen über die schwere Benachteiligung, welche ihm durch den Wettbewerb Lübecks erwachse, und fand damit bei Heinrich Gehör, da auch des Herzogs Einnahmen aus den Gefällen des Bardowiker Verkehrs — die Einnahmen Lübecks flossen noch dem Grafen zu — unter diesen Verhältnissen gelitten hatten. Herzog Heinrich verlangte nun, wohl als Ersatz für den Ausfall seiner Bardowiker Einkünfte, die Abtretung der Hälfte der Einnahmen aus dem Lübecker Verkehr und verbot schließlich, da Adolf II. dies Ansinnen ablehnte, zugunsten seiner Stadt Bardowik überhaupt den Handelsverkehr in Lübeck, abgesehen vom Lokalverkehre. Welche unmittelbaren Folgen dieses Verbot nach sich zog, entzieht sich unserm Auge; jedenfalls blieben viele Kaufleute dort ansässig, und die Maßregel wird also wohl kaum streng zur Durchführung gelangt sein. Als nach der Zerstörung Lübecks durch eine Feuersbrunst im Jahre 1157 die Stadt von Heinrich dem Löwen nach Abtretung des Grund und Bodens seitens des Grafens an den Herzog wieder aufgebaut wurde, war das Verkehrsverbot jedenfalls endgültig beseitigt.

Der Verkehr von den niederrheinischen Gebieten her wird, wie bereits oben dargelegt, schon früh und jedenfalls bereits im 12. Jahrhundert überwiegend den Weg über die Nordsee gewählt haben. Für die Vermittlung dieses Verkehrs nach Lübeck war von der Zeit an, wo das rechtselbische Gebiet gegen die Überfälle der Slawen genügend gesichert war, naturgemäß ein Platz auf dem rechten Eibufer weit günstiger gelegen als die älteren Handelsplätze Stade und Bardowik, und kein Platz empfahl sich mehr für diesen Umschlag als Hamburg, von wo der Weg nach Lübeck am kürzesten war und wo sich zugleich eine günstige Stelle zum Landen der Schiffe bot. Daß sich auch hier bereits vor 1189 Verkehr zu regen begann, beweist ein Zollprivilegium 65), welches Heinrich der Löwe den Hamburgern für die nahegelegenen oberelbischen Zollstätten Eßlingen (d. i. Zollenspieker), Kraul und Geesthacht verlieh. Die Tatsache, daß es noch 1189 in Hamburg überhaupt an Hafeneinrichtungen zur Aufnahme einer größeren Anzahl Schiffe fehlte, zeigt indessen, daß dieser Weg über Hamburg vom Handel doch bis dahin nur sehr wenig betreten worden war und der regelmäßige Handelszug noch immer, wie auch das kaiserliche Privileg für Lübeck von 1188 erkennen läßt, auf den Elbübergang von Erteneburg (gegenüber Artlenburg) und Bardowik gerichtet war. Der Handel war in jener Zeit an die wenigen hierfür besonders privilegierten und befriedeten Orte und Straßen in einer Weise gebunden, von der wir uns heute schwer eine Vorstellung machen können; Hamburg aber gehörte bis dahin noch nicht zu diesen Plätzen.

65) S. Hans. Urkdb. I n. 133. Charakteristisch ist, daß die Hamburger die Geltung der Zollbefreiungen für Lauenburg schon nicht mehr nachweisen konnten, sondern nur für die drei der Stadt nächstgelegenen Zollstätten.

Erst im Jahre 1189 trat hierin für Hamburg eine Änderung ein 66). Der Graf Adolf III. von Schauenburg nahm, offenbar einem immer stärker hervortretenden Bedürfnisse des Verkehrs folgend, die Anlage einer größeren kaufmännischen Ansiedlung mit Hafen und Markt in Hamburg in Angriff. Er übertrug einem Manne namens Wirad von Boizenburg, der wohl schon zu den Leitern der vorhandenen Ansiedlung gehörte — wenigstens finden wir ihn im Jahre 1190 als einen der Ratmänner Hamburgs urkundhch erwähnt — , die Stadt (urbs) Hamburg an der Alster, also offenbar die dem Grafen gehörige, dort schon vorhandene kleine städtische Niederlassung um seine Burg herum und ein an dieselbe angrenzendes Gebiet bis zur Mitte des Alsterflusses ,,mit dem Marktrechte“ erblich zum Anbau und zu dem Zwecke, daß Wirad mit den von ihm heranzuziehenden Mitbewohnern der neuen Ansiedlung einen ,,für die von vielen Orten ringsumher kommenden Leute“ geeigneten Hafen baue. Als Lohn sollte Wirad, ausgenommen die ersten drei Jahre, die Strafgefälle der Gerichtsbarkeit an Haut und Haar — also der niederen Gerichtsbarkeit — und ein Drittel der Gefälle der Gerichtsbarkeit an Hals und Hand in dieser neuen Stadt erblich zustehen. Nur die Strafgefälle wegen falschen Maßes bei Bier, Brot und Wein sollten zu zwei Dritteilen der Stadt, zu einem

66) Über das Folgende s. auch Lappenberg, Hamb. Rechtsaltertümer, S. 9fl. ; Koppmann, Beiträge, Bd. H S. 7ff. ; Rüdiger, Barbarossas Freibrief für Hamburg vom 11. Mai 1189.

Dritteil dem Richter zufallen. Zur Förderung des Unternehmens sicherte der Graf den Kolonisten von vornherein Befreiung vom Zoll in Hamburg und im ganzen gräflichen Gebiete, sowie freie Verfügung über den ihnen zugeteilten Grund und Boden, Befreiung vom Bodenzins und Nutznießung von Weide und Wald zu. Im Jahre 1195 fügte der Graf auf Bitten der von Wirad herangezogenen Kaufleute auch noch die Erlaubnis zur Erbauung einer Kapelle zu Ehren des heiligen Nikolaus, des Patrons der Schiffahrt, „wegen des Zustroms der Schiffe“ (propter navium affluentiam) unter unentgeltlicher Zuweisung des hierfür erforderlichen Grund und Bodens hinzu und legte damit den Grund zur Nikolaikirche. Charakteristisch für diese ganze Gründung ist, daß den Ansiedlern der Grund und Boden nach lübischer Gerechtsame übergeben wurde. Ursprünglich war Stade nur wohl der Umschlags- und Vermittlungsplatz für die Weiterversendung der zur See vom Westen kommenden oder dorthin bestimmten Waren im Verkehr nach Bardowik gewesen; denn in Stade war, so lange Hamburg noch nicht emporgewachsen war, der natürliche Endpunkt der Seeschiffahrt. Noch am Ende des 13. Jahrhunderts war Stade zum Mindesten für einen Teil der Hamburger Schiffe der Ausgangs- und Endpunkt der Wattenschiffahrt nach den Niederlanden, und noch während des ganzen späteren Mittelalters sehen wir die Hamburger Schiffe oft in den Mündungen der kleinen Nebenflüsse der Elbe, in der Stör und Schwinge, wo sie gegen Unwetter und Seegang geschützt waren, liegen, um auf günstigen Wind und günstiges Wetter zum Antritt der Seereise zu warten. So mögen alle Waren, welche die Elbe aus- und eingingen, ohne weiteres nach Stade gekommen und dementsprechend dem Marktzolle unterworfen gewesen sein. Als mit dem Aufkommen Hamburgs die Schiffe nun zum Teil an der Schwinge vorbeifahren wollten, wird der Erzbischof von Bremen gegen diese Schmälerung der Zolleinkünfte aus dem Markte vermutlich Einspruch erhoben haben. Als einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen werden wir es ansehen dürfen, wenn fortan die von der See kommenden Schiffe zwar nicht mehr gezwungen wurden, in die Schwinge nach Stade einzulaufen, wie sie früher getan hatten, sondern die Elbe weiter hinauffahren durften, aber erst, nachdem sie am Ausgange der Schwinge gelandet, den früher in Stade gezahlten Zoll erlegt sowie drei Gezeiten hatten vorübergehen lassen und damit also wohl den Stadern auch die Möglichkeit zum Handeln gegeben hatten 71). An diesem Stader Zolle hatte nun Graf Adolf III. von Holstein kein Interesse; denn Stade gehörte zum Erzbistum Bremen. So erwirkte denn der Graf, welcher mit Kaiser Friedrich zum Kreuzzuge aufbrach und zu seiner Ausrüstung eine nicht unbedeutende Summe von den Bürgern Hamburgs erhalten hatte, am 7. Mai 1189 ein Privileg 72) von Kaiser Friedrich I., welches u. a. die Hamburger auch von diesem Zolle befreite und bestimmte, daß sie selbst mit ihren Schiffen, Waren und Leuten vom Meere bis zur Stadt frei sein sollten von jedem Zoll und Ungeld sowohl bei der Ausfahrt als auch bei der Rückfahrt; führten sie Waren fremder Kaufleute auf ihren Schiffen, so sollten diese zwar den Stader Abgaben unterliegen, die Schiffe der Hamburger sollten indessen auch dann von der Verpflichtung, Stade anzulaufen, befreit sein und das Recht haben, nur einen Boten nach Stade zu entsenden, welcher dort auf Grund eidlicher Angabe den Zoll gemäß der Menge der Güter zu erlegen hätte; glaube aber der Stader Zöllner, daß der Zoll nicht richtig entrichtet sei, so solle es ihm freistehen, mit nach Hamburg zu fahren und hier sich von den Verhältnissen zu überzeugen und sich Recht zu verschaffen.

71) S. A. Soetbeer, Des Stader Elbzolles Ursprung, Fortgang und Bestand, Hamburg 1839.

72) Hans. Urkdb. I n. 36. Die Echtheit des Privilegs ist allerdings von Hasse, Zur Kritik von Kaiser Friedrich Barbarossas Privileg für Hamburg 1189, in Zeitschr. der Gesellsch. f. schleswig-holstein-lauenb. Geschichte, Bd. 23, in verschiedenen Punkten angegriffen; indessen hat Schrader in d. Mitteil, des Vereins f. Hamb. Geschichte, 16. Jahrg., 1894, S. 104 fr. die von Hasse vorgebrachten Gründe m. E. entkräftet. Gegen die Echtheit des Siegels der Urkunde hat Perlbach in Hans. Geschichtsbl. 1898, S. 141 Einwendungen geltend gemacht. Die Ausführungen Weißenborns, Die Elbzölle und Elbstapelplätze im Mittelalter, Halle 1901, S. 66 ff., sind nicht stichhaltig. Die Tatsache, daß die Schiffe, wenn sie bei Stade vorbeikamen, das übrigens nicht an der Elbe, sondern etwa 5 km landeinwärts an der Schwinge liegt, nicht nur Zoll zu zahlen, sondern anzulegen und 3 Tiden vorübergehen zu lassen hatten, deutet eben darauf hin, daß es sich hier nicht nur um einen eigentlichen Wasserzoll, sondern um einen Ausfluß des Marktzolles, des Anspruches auf den Stapel, an den Stade gewöhnt war, handelt. Daß der Stader Zoll erst seit der Mitte des 13. Jahrhunderts bestanden haben sollte, ist schon an sich höchst unwahrscheinlich. Die Einrichtung eines solchen neuen Zolles würde sicherlich auch bei den Kaufleuten der andern Städtf Deutschlands und des Auslandes, insbesondere Lübecks, auf heftigen Widerstand gestoßen sein, während die uns überkommenen Nachrichten keine Spur solcher Einsprüche anderer Städte um jene Zeit enthalten. Vor allem aber würden die Hamburger, wenn der Zoll oder die Verpflichtung zum Anlegen bei der Schwinge vor Mitte des 13. Jahrhunderts für die in die Elbe einfahrenden Schiffe noch nicht bestanden hätte, schwerlich mit einem schon 1189 verliehenen Privileg, welches sie von dieser Verpflichtung befreite, damals haben Eindruck machen können, da es ja den Stempel der Fälschung an der Stirn getragen hätte. Daß der Zoll in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts schon bestanden hatte und daß die Hamburger demselben bis zum Ausbruche des Zwistes um die Mitte des Jahrhunderts nicht bezahlt hatten, scheint mir nach dem vorliegenden Urkundenmaterial sicher, selbst wenn das Privileg von 1189 in diesen Punkten gefälscht sein sollte, um einen Rechtsanspruch auf die Fortdauer des bestehenden Zustandes zu schaffen.

Inwieweit etwa der Erzbischof und die Stadt Stade der Durchführung dieses Privilegiums Widerstand leisteten, vermögen wir nicht zu verfolgen. Wir wissen nur, daß der Graf alsbald nach seiner Rückkehr mit dem Erzbischof in Fehde lag, zu Harburg, vermutlich um die Süderelbe zu sperren, ein festes Schloß anlegte, Stade eroberte und diesen Platz schließlich auch dauernd in seine Gewalt brachte, indem er sich 1195 vom Erzbischof mit der Grafschaft Stade belehnen ließ; ein Drittel der Stader Einkünfte sollte fortan dem Grafen, zwei Drittel dem Erzbischof zufallen.

Um die neue Ansiedlung noch weiter zu fördern, gewährleistete das kaiserliche Privileg im Einverständnis mit dem Grafen weitgehende Freiheiten für den Verkehr und Vorteile für die Ansiedlung, und der Graf verbriefte 1190 auch seinerseits diese Rechte noch besonders. Die Bürger sollten in Hamburg und im ganzen gräflichen Gebiete von Zoll und Ungeld befreit sein, also nur die Fremden diesen Abgaben unterworfen werden; zugleich wurde ihnen das für die Sicherheit des Handels hochwichtige Recht verliehen, die von der Münzstätte in Hamburg geprägten Münzen auf Reinheit und Gewicht zu prüfen; das Geldwechselgeschäft, das in anderen Orten vielfach der Münzstätte vorbehalten war, die dabei einen für den Verkehr empfmdhchen Aufschlag zu fordern pflegte, sollte in Hamburg vollständig frei sein; nur sollte es nicht gerade gestattet sein, unmittelbar vor dem Münzhause bei andern Geld zu wechseln; In der ganzen Grafschaft sollten die Bürger ungehindert einkaufen dürfen und ihre Waren gegen obrigkeithche Anhaltung außer im Falle von Straftaten gesichert sein. Die Befreiung vom Heerbann, von der Landesverteidigung und von allen Kriegsverpflichtungen, die Zusicherung, daß im Umkreise von zwei Meilen um die Stadt keine Burg oder sonstige Befestigung sollte angelegt werden dürfen, das Recht der Bürger zum Fischfange auf der Elbe und auf der Bille und die Nutznießung von Wald und Weide waren weitere Vorteile, durch welche das Privileg die Entwicklung der Stadt zu begünstigen suchte. Außer diesem Privileg brachte das Jahr 1189 aber noch eine sehr wichtige Wendung für den Handelsverkehr zwischen Lübeck und der Elbe und für die Entwicklung Hamburgs mit sich. Wenige Monate nach der Verleihung des kaiserlichen Privilegiums an Hamburg wurde nämlich der bisherige Stapelplatz für den Verkehr von der Elbe nach der Ostsee vernichtet und damit der bisher begangene Handelsweg verschüttet. Am 28. Oktober 1189 nahm der aus der Verbannung zurückgekehrte Heinrich der Löwe Bardowik, welches ihm die Tore verschloß, mit Gewalt ein und machte die Stadt dem Erdboden gleich. Damit war die wichtigste Rivalin Hamburgs beseitigt und der Verkehr geradezu auf den neu gegründeten Handelshafen Hamburgs hingedrängt. So trafen denn in diesem Zeitpunkte die verschiedensten Umstände zusammen, um Hamburg in kürzester Frist zu einem wichtigen Knotenpunkte des Handelsverkehrs zu entwickeln.