Die wachsende Bedeutung des Erdöls für die Weltwirtschaft

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1922
Autor: H. Allerd, Erscheinungsjahr: 1922

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Erdöl, Weltwirtschaft, Energiebedarf, Energieerzeugung, Weltmächte, USA, England, Frankreich, Deutschland, Erdölvorkommen, Steinkohle, Wind, Sonnenenergie, Naturkräfte, Elektrizität, Wasserkraft
So trostlos auch gegenwärtig die Lähmung der Weltwirtschaft sein mag, die der alles umstürzende Krieg und noch mehr der unselige Friede von Versailles bewirkt haben, überwunden wird sie doch werden, auch gegen die Sabotageversuche einzelner verblendeter Völker. Der Gesamtorganismus kann nur gedeihen, wenn die Glieder lebens- und leistungsfähig erhalten werden. Nur Träumer können an eine „Rückkehr zur Natur“ in idyllischer Bedürfnislosigkeit, an ein Abrüsten des wirtschaftlichen Wetteifers denken. Und so wird es darauf ankommen, ob dem Schaffensdrang, dem Arbeitswillen in den einzelnen Staaten auch die Naturkräfte ausreichend und zu erträglichen Preisen zur Verfügung stehen, die zur Gütererzeugung und -beförderung notwendig sind. Um Gewinnung und wirtschaftlichste Ausbeutung der Energien geht es, die von der industriellen Verwertung aus Kohle, Torf und Holz, aus Wasser und Wind, aus Ebbe und Flut, Sonnenwürme und Elektrizität, und nicht zum mindesten auch aus dem Erdöl gewonnen werden können.

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Wohl mögen die Steinkohlenvorräte, die auf mehr als achtzig Prozent der gesamten, wirtschaftlich zu nutzenden Naturkräfte geschützt werden, trotz ungeheuer gesteigertem Verbrauch noch mehr als tausend Jahre reichen, wohl mögen — besonders in Deutschland — die Wasserkräfte noch längst nicht in dem erreichbaren, wenn auch leider im Verhältnis zu anderen Ländern sehr begrenzten Umfang ausgenützt sein, die sparsamste und vollendetste technische Zusammenfassung aller Kräfte wird in erster Linie mitbestimmen über die Wiederbelebung und Erstarkung des weltwirtschaftlichen Anteils in den einzelnen Staaten. Besonders seitdem im Krieg der Kohlenmangel bedrohlich wurde, ist die wachsende Bedeutung des Erdöls für die Weltwirtschaft auch in Deutschland gebührend gewürdigt worden. Früher nur als Leuchtöl verwertet, dient es heute vor allem zur Erzeugung von Kraft und Wärme. Industrie und Landwirtschaft können dies Produkt für ihre Motoren so wenig entbehren, wie Flugzeuge und Luftschiffe, Unterseeboote und Tanke [Panzer] ohne das aus dem Kohlenwasserstoff des Erdöls gewonnene Benzin im Krieg das hätten leisten können, was sie geleistet haben. Aber nicht nur zur Kriegführung zu Land und See ist Erdöl so unentbehrlich wie vordem das Schießpulver, auch die Konkurrenzfähigkeit der Handelsflotte ist von der Ausnützung dieser wesentlich billigeren Antriebskraft abhängig. Die Zeitschrift „Petroleum“ brachte kürzlich folgende Berechnung über den Vorteil der Heizölfeuerung auf den Schiffen gegenüber der Kohlenfeuerung: „Ein Ozeandampfer braucht statt 192 Heizern und 120 Kohlenziehern nur 27 Mann. Bei einer Reise von England nach Amerika werden zweitausend Tonnen Last auf der Ausreise und zweitausend Tonnen Last auf der Rückreise gespart. Heizen und Bunkern vollzieht sich schneller und reinlicher als bei Kohlenfeuerung. Der Preis des mittleren Heizöles ist weit billiger als der der Kohle.“

In England hat man schon lange vor dem Krieg die Bedeutung des Erdöls für die Marine erkannt. Deshalb unterstützte die britische Regierung schon Anfang dieses Jahrhunderts Privatunternehmen, die an der mexikanischen Westküste sich an der dortigen Erdölgewinnung beteiligten, deshalb richtete sie auf Südpersien und Mesopotamien ihr Augenmerk und übernahm Anteile der Anglo Persian Oil Co. im Betrag von mehr als fünfeinhalb Millionen Pfund Sterling. England hat auf etwa sechsunddreißig Prozent seiner Flotte die Ölfeuerung eingeführt, und die Kriegs- und Handelsmarine der Vereinigten Staaten hat sogar schon auf allen Schiffen den für diese Heizungsweise erforderlichen Umbau vollendet. So friedlich man sich jetzt auch in Washington gebärdet, die beiden großen Rivalen zur See, England und Amerika, müssen sich doch für alle Fälle und jedes für sich so viel wie möglich den Besitz von Erdölquellen sichern. Während England vor dem Krieg nur über zweieinhalb Prozent der bekannten Ölvorkommen verfügte, hatte es 1918 auf mehr als sechzig Prozent seine Hand gelegt. Im Vertrag von San Remo vom April 1920 hat Frankreich sogar zugunsten Englands auf seine Ansprüche an das erdölreiche Wilajet Mossul verzichtet; gegen welche Kompensationen und Zusicherung dies geschah, und wie weit Deutschland dabei Austauschobjekt war, ist jetzt noch nicht zu entscheiden. Allerdings stehen den Franzosen vertraglich fünfundzwanzig Prozent der Rohölgewinnung der Mossuler Ölfelder zu. Außerdem hat das britische Weltreich in Ostindien, in Borneo und Trinidad Ölquellen und bezieht noch achtzig Prozent von sechs Millionen Tonnen Verbrauch aus den Vereinigten Staaten. Frankreich hat sich in Galizien und Südpolen große Naphthagebiete gesichert. Obwohl die Standard Oil Co., der amerikanische Petroleumtrust, bisher siebzig Prozent der Weltproduktion decken konnte, reicht neuerdings und in Zukunft die inländische Petroleumgewinnung nicht mehr aus für den besonders durch den beispiellos anwachsenden Automobilverkehr ständig zunehmenden Bedarf. Ja, man hat berechnet, dass die amerikanischen Erdölvorkommen in etwa zwei Jahrzehnten erschöpft sein dürften. Bei ihrem Bestreben, sich außerhalb des eigenen Landes, vor allem in Mexiko, an der Erdölproduktion zu beteiligen, begegnen sie England als Rivalen, und auch der Konkurrenz anderer Staaten, wie Frankreich und Holland. Auf englischer Seite ist es der Royal-Dutch-Konzern, auf amerikanischer die Standard Oil Co., die sich bei den Erwerbungen in Mexiko zuvorzukommen suchen. Nordamerika hat gegen die Abmachungen von San Remo, die England den größten Teil der mesopotamischen Ausbeute zuerteilten, Einspruch erhoben und verlangt gleiches Recht für alle, die „offene Tür“ auch dort für die Beteiligung an der Erdölgewinnung, so wie die Vereinigten Staaten selbst bisher britische Gesellschaften auf amerikanischem Boden zugelassen haben. Ebenso beansprucht Amerika für seine Gesellschaften das Recht, sich an der Ausbeutung der Petroleumfelder in Niederländisch-Indien, auf Djambi in Sumatra zu beteiligen. Es widerspricht energisch dem Versuch Englands, die Gerechtsame dem Royal-Dutch-Konzern zu übertragen. Die Königlich Niederländische Petroleumgesellschaft hat sich schon seit Jahren mit der Londoner Shell Transport and Trading Co. verbunden, und allmählich hat die englische Beteiligung fast die Übermacht erhalten. So stehen sich denn die beiden verwandten Großmächte England und die Vereinigten Staaten bei dem Wettringen um den Besitz der meisten Erdölquellen in scharfer wirtschaftlicher und wegen der trotz aller Friedensreden verbleibenden Eventualität eines Seekrieges auch politischer Konkurrenz gegenüber. Reiche, zum Teil noch nicht einmal erschlossene Erdölvorkommen liegen in den südamerikanischen Staaten, in Chile, Bolivien und vor allem in Argentinien am Fuße der Anden.

Und Deutschland? Der deutsche Bedarf ist auf ein Fünftel des Friedensbedarfes zurückgegangen. In der gegenwärtigen politischen Ohnmacht und wirtschaftlichen Notlage kann für Deutschland nichts anderes übrig bleiben, als ein vorsichtiges Verhüten bindender Abhängigkeit von einem der beiden Truste. Mag nun auch in dem Kampf um das Übergewicht in der Beherrschung der gewaltigen Energien, die im Erdöl zur Verfügung stehen, der Sieg auf englischer oder amerikanischer Seite zu einer Weltherrschaft führen, der deutschen Arbeit wird es im Lauf der Jahrzehnte doch auch gelingen, sich einen zunehmenden Anteil an der Weltwirtschaft und auch an dem dafür unentbehrlichen Rohprodukt, dem Erdöl, zu sichern.

Beladen eines Öltankers

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Schiffsantrieb, Dampfmaschine

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Weltkarte, Dampfschiffrouten

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Segelschiffe treffen Dampfschiff. Zwei Generationen

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