Martin Luther. Auswahl seiner Schriften

Christian Gottlieb Eberle, Pfarrer von Ochsenbach, in Württemberg

Unter all den gesegneten Knechten Gottes, welche der Herr von der Apostelzeit seiner Kirche verliehen hat, ist keiner aufgekommen, der größer wäre, denn Dr. Martin Luther. In demselben Jahr, in welchem der Märtyrer Hieronymus Savonarola, um seines christlichen Bekenntnisses willen, zu Florenz verbrannt wurde, ward — den 19. November 1483 — zu- Eisleben am Harz derjenige geboren, dessen gottentzündete Flamme Niemand auslöschen und dem Niemand schaden konnte, der es im Herzen glaubte und im Leben erfahren durfte: „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?“ Als der Erste unter den Ersten, seit der Zeit des in der Kirche neu aufgegangenen Lichtes und Heiles, soll er denn auch den Chor der Kämpfer und Zeugen für Gottes Reich eröffnen, in deren Schriften die „Evangelische Volksbibliothek“ uns einführen will.

Luther ist, um einen volkstümlichen Ausdruck zu gebrauchen, ein „gemachter Mann“. Als der Vater der evangelischen Kirche vereinigte er in eminentem Maße alle die Gaben in sich, deren er zu dieser seiner Mission bedurfte. „Außer seinem Glaubensheldentum und seiner Glaubensweihe, die sein ganzes Tun und Denken erfüllte, war er auch, wie ein Neuerer mit vollem Rechte hervorhebt, von der höchsten menschlichen Begabung in Allem, was sich auf das Geistliche bezieht. Er hatte die Gabe der Theologie, die in der Geschichte der Christenheit unübertroffen ist. Er hatte aber auch die Gabe des Dichters. Welche Urpoesie ist in seinen geistlichen Liedern, welche Kraft der Poesie ist vollends in seiner Bibelübersetzung. Er hatte die Gabe des Philosophen. Seine Heilslehre konnte schon gar nicht aus der Glaubenstiefe allein, sondern nur zugleich aus spekulativer Tiefe hervorgehen. In allem, was er darlegte, ist philosophische Meisterschaft, und es würde nicht schwer sein, nachzuweisen, wie viele der tiefsten Gedanken Kants und Schellings schon von Luther dargelegt sind. Dazu war Luther ein ganzer voller Mensch. Es ist nichts Menschliches, was er nicht warm in der Seele trug. Kraft und Weichheit, heiliger Ernst und Humor, das Ideale und das nüchtern kräftig Wirkliche, die weltbewegenden Taten und die kleinsten persönlichen Verhältnisse, Eifer für das unverbrüchliche Wort und Gebot Gottes, und Anerkennung jedweder Individualität und ihrer freien ureigenen Regung, die Höhen und die Niederungen der Gesellschaft, der Wert des Überkommenen und die Ausgabe der neuen Schöpfung, Alles war sein in gleicher Weise.“


Er war aber auch ein „gemachter Mann“ noch in anderer Beziehung: er machte sich nicht selbst, sondern wurde von Oben gemacht und ließ sich machen. Er war nicht der Mann eigener Wahl, er zeichnete sich seine Wege nicht selbst vor, er würde, hätten sie sich seinem Blicke vorausgezeigt, vor ihnen zurückgebebt haben; sondern er wurde geführt und ließ sich, Schritt um Schritt, führen von Gott, wie innerlich, so äußerlich. Wie Abraham ward er durch den Glauben gehorsam, da er berufen ward, aufzugehen; und ging auf und wusste nicht wo er hin käme. Er hatte nicht seine eigenen Bildungsideale und Ziele, er würde sonst auch nie das Ziel erkannt noch erreicht haben; sondern Gott bildete ihn, wie ein Töpfer seinen Ton. Er war, ungeachtet seiner theologischen und philosophischen Begabung nicht der Mann, welcher darauf ausging, ein System der Wahrheit und Erkenntnis zu gewinnen, sondern er ließ sich vom Worte und Geiste Gottes erleuchten, und führen von einer Klarheit in die andere. Er war auch in seinem Auftreten, seinem Zeugen und Handeln, nicht der Mann kluger Berechnung, sondern er zeugte und handelte, wo Gottes Wort und Geist ihn trieb, unbekümmert um das, was eigene Klugheit riet, in dem Glauben, dass die Sache des Herrn und das Werk seines Gottes sei. Von ihm selbst, wie von seinen Werken und Leistungen, gilt im vollsten Sinn das Wort: „Wir sind Sein Werk, geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken.“

Zweierlei zeichnet Luther vor allen seinen Zeitgenossen aus, welche mit ihm den Namen von Reformatoren teilen, und bezeichnet ihn als den Auserwählten Gottes.

In Keines Leben tritt die Führung Gottes so offen und klar zu Tage, wie in Luther. Wir bekommen überall den Eindruck: hier ist das Walten des Herrn, der ihn geleitet und gebildet und ihn auserwählt hat zum Vater der evangelischen Kirche. Er hat fürs Andere die evangelische Lehre, deren Träger er ist, weder von Andern erlernt, noch selbst ersonnen, sondern sie wurde in ihm unter Gebet, Betrachtung des geoffenbarten Wortes Gottes in der heiligen Schrift und im Tiegel der Anfechtung ausgeboren und ausgeläutert; nicht das Studium in dem gewöhnlichen Sinne, sondern die Anfechtung und der kindliche unbedingte Glaube an Gottes Wort machte ihn zu dem Theologen, der er ist, unbedingt dem größten, den die Kirche seit der Apostel Zeit aufzuweisen hat. Luthers theologische Größe ist sein kindlicher Glaube, wie er selbst sagt: „Der Anfang der Theologie ist Gottes Wort hören und glauben.“ Matth. 11, 23. 18, 3. Es ist bei ihm nichts bloß Erdachtes oder Angelerntes, sondern alle Erkenntnis und Lehre aus dem Leben und Kampfe heraus und durch sie hindurchgegangen; und daraus beruht das Ursprüngliche, Belebende, Durchläuterte seiner Predigt und seines Zeugnisses. Wir müssen daher, wollen wir ihn verstehen und würdigen, dem Gange nachgehen, den sein inneres Leben selbst genommen hat.

Es wurde oben bemerkt, dass sich in keines andern Reformators Leben die göttliche Führung so klar und offen herausstelle, als in dem Luthers: und dass die Schule, durch die Gott ihn führte, eine Schule der Leiden und Anfechtungen war von Anfang seines Lebens.

Luther sagt selbst: So ist Gottes Art, aus Nichts Etwas zu machen; wie umgekehrt aus Etwas Nichts. Gott, der „das Unedle vor der Welt und das Verachtete erwählet hat und das da nichts ist, dass Er zunichte mache was etwas ist,“ und den Stall in Bethlehem zur Geburtsstätte seines Sohnes ersah, setzte auch Luthers Wiege in das Haus armer Eltern. Sein Vater Hans Luther, aus dem Dorfe Möhra, war ein armer Schieferhauer, und die Mutter Margaretha, geborene Lindemann, aus Eisenach, hat ihr Holz auf dem Rücken getragen. Dabei hatte er eine sehr harte Erziehung, dass er auch darüber gar schüchtern wurde. „Mein Vater,“ so erzählt er selbst, „stäupte mich einmal so sehr, dass ich ihn floh und ward ihm gram, bis er mich wieder zu sich gewöhnte. Die Mutter stäupte mich einmal um einer geringen Nuss willen, dass das Blut hernach floss. Aber sie meinten es herzlich gut, und konnten nur nicht die ingenia unterscheiden, darnach man die Strafe abmessen muss; denn man muss also strafen, dass der Apfel bei der Rute sei.“ Auch in der Schule zu Mansfeld, wohin seine Eltern frühe nach seiner Geburt gezogen, wurde er allzu hart gehalten, und einmal Vormittags fünfzehn Mal nach einander gestrichen. Zur Furcht vor den Menschen kam noch die vor Gott, denn von Kindheit auf wurde er, wie er bitterlich klagt, so gewöhnt, dass er habe müssen erblassen und erschrecken, wenn er den Namen Christi nur nennen hörte; denn er sei ihm und Andern nur als ein gestrenger und zorniger Richter vorgehalten worden, denn wir waren alle dahin gewiesen, dass wir mussten selbst genug tun für unsere Sünde, und Christus am jüngsten Tage würde von uns Rechnung fordern, wie wir die Sünde gebüßt, und wie viel gute Werke wir getan hätten. Und weil wir nimmer konnten genug büßen und Werke tun, es blieben gleichwohl immerdar eitel Schrecken und Furcht vor seinem Zorn, wiesen sie uns weiter zu den Heiligen im Himmel, als die da sollten zwischen Christo und uns Mittler sein, lehrten uns die liebe Mutter Christi anrufen und sie vermahnen der Brüste, die sie ihrem Sohne gegeben, dass sie wollte seinen Zorn über uns abbitten und seine Gnade erlangen*). Und wo unsere liebe Frau nicht genug war, nahmen wir zu Hilfee die Apostel und andere Heiligen, bis man zuletzt kam auf die Heiligen, die man nicht weiß, ob sie heilig sind, ja der mehrere Teil nie (heilig) gewesen sind. Darum sei er auch als Knabe dem Worte, Ps. 2.: „Dienet dem Herrn mit Furcht“, gram gewesen, denn er habe nicht gern gehört, dass man sich vor Gott fürchten solle; weil er nicht wusste, dass die Furcht sollte (durch Christum) mit Fröhlichkeit und Hoffnung vermischt werden. Diese Worte lassen klarer denn ein ganzes Buch in den Geist knechtischer Furcht blicken, welcher bis auf den heutigen Tag die katholische Kirche durchdringt und sich, wie ein Kind unter der Rute oder ein Delinquent vor dem gestrengen Richter, im Hersagen unzähliger Paternosters und Ave Marias („Bitt für uns, jetzt und in der Stunde unseres Abscheidens!) ausspricht; wie in dem Gemütszustande Luthers, dem jetzt schon ein höherer Zug widerstrebte, aus dem er sich aber erst durch die Gotteskraft des Glaubens zur Freude im Herrn empor ringen musste. Doch nennt er, als Mann der Kirche, auch die sichtbare, damals veräußerlichte katholische Kirche sein Vaterhaus, dessen er nicht vergessen wolle, weil er darin getauft sei und den Katechismus und die Schrift gelernt habe; denn obwohl keine Prediger da gewesen, die da hätten sagen können, was es sei, und alles schmählich zugegangen sei, wie zu Eliä Zeiten, sei doch durch Gottes Macht und Wunder auch unter dem Papsttum erhalten worden das Gebet, als Psalter, Vater unser, der Glaube und zehn Gebote, item viel guter Gesänge und „seiner Lieder“.

*) Auf vielen Gemälden wurde Maria dargestellt, wie sie Christo die Brüste vorhält, ihn zum Erbarmen für die Sünder zu bewegen.

Es ist oben des Einflusses gedacht worden, welchen das ernste und gestrenge Leben seiner Eltern aus Luthers innern Lebensgang hatte. Wir wünschten nun wohl über Luthers Elternhaus gerne genauere Nachrichten, als was zu Gebot steht. Seine Herkunft, von der Luther sagt: „Ich bin eines Bauern Sohn; mein Vater, Großvater, Ahnherr sind rechte Bauern gewesen,“ machte ihn zum Mann des gemeinen Volkes, vertraut mit dessen Anschauungen, Sprache, Bedürfnissen. Die strenge Erziehung seiner Eltern wirkte aus die Festigkeit und Willensstärke Luthers ein, welche übrigens, von Gottes Seite her, durch die Schule der Leiden, Entbehrungen und Kämpfe, und vor Allem aus Gottes Wort und Geist die eigentliche Nahrung empfing. Der Vater war wegen seiner Rechtschaffenheit allen braven Männern sehr wert, und wurde daher auch, wiewohl fremd und arm, in Mansfeld zum Ratsherrn gewählt. Seine Mutter, aus einem alten, ehrlichen Geschlechte geboren, hatte viele Tugenden an sich, die einer ehrsamen Frau zustehen, und insonderheit war sie durch Zucht, Gottesfurcht und Gebet ausgezeichnet, so dass die andern Weiber auf sie als ein Exempel der Tugend sahen. So bildete sich in ihm unter der Wirkung des göttlichen Geistes, die gerade, ehrenfeste, gottesfürchtige Gesinnung aus, aus welcher der römischen Schalkheit und Heuchelei ihr unerbittlichster, vom Eifer Gottes getriebener Bekämpfer erstand. Wie Hanna, die Mutter des Propheten Samuel, des ältesten Resormators, und Monika, die Mutter des Augustinus, des Vorläufers Martin Luthers, rief sein Vater oft laut und inbrünstig Gott vor dem Bette seines Kindes an, dass er diesem seinem Sohne die Gnade verleihen wolle, dass er auch selbst, seines Namens eingedenk, die Fortpflanzung der reinen Lehre befördern möchte. Von besonderem Interesse wäre, zu wissen, welche Stellung der Vater zur Kirche seiner Zeit einnahm, und ob nicht auch schon in ihm etwas von evangelischem Geiste war; dass er an dem Eintritt seines Sohnes ins Kloster so wenig Gefallen hatte, dass er ihm alle Gunst und väterlichen Willen gar absagte und erst nach dem Tode zweiei Söhne, welche die Pest hinrasfte, und durch die Botschaft, Martinus sei auch gestorben, weich gemacht, auf Zureden seiner Freunde, wiewohl auch jetzt noch nicht gern, drein verwilligte, ist bekannt. Die von Mathesius berichtete Äußerung des Vaters gegen seinen Sohn: „Sehet zu, dass euer Schrecken nicht ein teuflischer Betrug gewesen. Man soll doch den Eltern, um des Wortes Gottes willen, gehorsam sein und nichts ohne ihr Wissen und Rat ansahen,“ ist ein Zeugnis eines lichten evangelischen Geistes, welchem Gottes Wort und Gebot mehr galt, denn alle Menschensatzungen und selbsterwählten Werke der Heiligkeit.

Als Liebhaber der Gottseligkeit und der Wissenschaften, der um ihrer und um des Sohnes willen mit den Dienern des göttlichen Worts und der Schule gute Freundschaft hielt, schickte der Vater den Sohn in dessen vierzehntem Jahr nach Magdeburg und im folgenden Jahre nach Eisenach in die Schule des tüchtigen und herzlich demütigen Johannes Trebonius. Auch hier, wie in Magdeburg, hatte er kümmerliche Zeit, und musste, nach damaligem Brauch, als Currentschüler vor den Türen sein Brod ersingen, bis ihn eine andächtige Matrone, Frau Cotta, zu sich an ihren Tisch nahm, dieweil sie, um seines Singens und herzlichen Gebets willen in der Kirche, eine sehnliche Zuneigung zu dem Knaben trug. Weil er seinen Gesellen weit überlegen war, auch eine brünstige Begierde zu lernen hatte, schickten ihn seine Eltern nach vierjährigem Aufenthalt in Eisenach, im Jahre 1501, auf die damals berühmte hohe Schule zu Erfurt, wo er teils die Theologen und Philosophen des Mittelalters (Scholastiker), teils die altrömischen (klassischen) Schriststeller studierte, mit seiner schnellen Fassungskraft die spitzfindige Dialektik jener Zeit sich bald zu eigen machte, und die akademischen Grade (Würden) eines Baccalaureus (1503) und eines Magisters (1505) erlangte. „Fleißig gebetet ist über die Hälfte studiert“, war dabei die Losung und tägliche Übung des von Natur hurtigen und fröhlichen jungen Gesellen, den sein Vater nun von dem Segen seines löblichen Bergguts, das er mit saurem Schweiß und Arbeit gewonnen, erhielt. Dort, in der Universität Liberei (Bibliothek), sah er auch zum ersten Male in seinem Leben zu großer Verwunderung eine (lateinische) Bibel, in deren weiten und tiefen Schachten er, als echter Bergmannssohn, von nun an forschte, und bei der Lampe des Geistes Gottes den verborgenen Schatz evangelischer Wahrheit und das lebendige Wasser hervorholte, das durch ihn nun Jahrhunderte lang in Strömen sich über die Christenheit ergießt. Sein sehnlicher Wunsch, unser getreuer Gott wolle ihm dermaleins auch ein solch eigen Buch bescheren, ist an ihm und durch ihn an Millionen über Bitten und Verstehen erfüllt worden. Anfechtung aber lehret auf's Wort merken. Diese führte ihm nun der getreue Gott, bald nachdem er den vergrabenen Schatz gefunden, auch zu, damit keins der göttlichen drei, Gebet, Betrachttung des göttlichen Worts und Anfechtung, ihm mangle: eine schwere und gefährliche Krankheit stellt ihn vor die Pforten des Todes und der Ewigkeit. Doch Gott führt ihm einen der Stillen und Verborgenen, ein Glied der wahren Kirche, welche auch unter dem Papsttum nicht ausstarb, einen alten Priester zu, welcher, wie der alte Simeon, ahnend vor sein Lager tritt und ihm tröstlich zuspricht: „Nein, Baccalauree, seid getrost, ihr werdet dieses Lagers nicht sterben, unser Gott wird noch einen großen Mann aus euch machen, der viel Leute wieder trösten wird. Denn wen Gott lieb hat und daraus Er etwas Seligs ziehen will, dem legt Er zeitlich das heilige Kreuz auf, in welcher Kreuzschule geduldige Leute viel lernen.“ — Noch aber war der Rat Gottes zur Seligkeit ihm verborgen, und wahrhaft evangelische Unterweisung fehlte ihm gänzlich. Wohl wurde aus den Evangelien gelesen, Vater unser, Glaube und zehn Gebote, auch viel guter Gesänge waren in Brauch, aber nicht eine rechte christliche Predigt geschah von irgend einem in Erfurt. In der Todesgefahr, in welche er auf einer Reise zu seinen Eltern durch einen ungefähren Stoß an den Degen, der ihm eine Hauptader zerschnitt, geriet, rief er nur die Maria an, und „wäre damals auch auf Marien dahingestorben.“ Er hatte jetzt wohl die Schrift, aber noch Niemand, der sie ihm auslegte, Apostelgesch. 8, 30. 31. Das bewies auch sein Eintritt ins Kloster. Ein Fingerzeig für diejenigen, welche, im Besitz der Schrift und evangelischer Erkenntnis, auf Kirche und Amt herabsehen, als bedürfte es zum Verständnis der göttlichen Geheimnisse in der heiligen Schrift nur der Augen und der Kunst des Lesens (1 Kor. 2, 14.), oder als wüchse die Frucht auch ohne menschlich Zutun, und der Mutter, die sie gezeugt hat, der „einen heiligen christlichen Kirche“ vergessen. S. Eph. 4, 11 ff.

Wider Erwarten seiner Eltern und Verwandten, — er hatte sich bereits nach dem Willen seiner Eltern zum Studium der Rechte gewendet — zum Staunen seiner Freunde über den seltsamen Entschluss des sonst allezeit mit ihnen fröhlichen Kameraden, und dann zur tiefen Betrübnis, dass ein so begabter Geist, der die Verwunderung der ganzen Universität zu erregen anfing, im Kloster lebendig begraben werden sollte, trat er zu Ende des Jahrs 1505 oder am Alexiustage (16. Juli) 1506 plötzlich ins Augustinerkloster der Stadt, Gott allda zu dienen, ihn mit Messehalten zu versühnen, und die ewige Seligkeit mit klösterlicher Heiligkeit zu verdienen. Die Ursache dieses Entschlusses waren oftmalige plötzliche Schrecken vor Gottes Zorn und schweren Gerichten, worüber er fast den Geist aufgab; den Ausschlag aber gab der gewaltsame Tod eines Freundes und ein greulicher Donnerschlag, welcher ihn zu Boden warf und das Mönchsgelübde ihm auspresste. Man wird durch letzteren Vorfall unwillkürlich an den Apostel Paulus, Apostelgesch. 9, 3. 4 ff. gemahnt. Beide werden durch ein Licht vom Himmel darniedergeworfen, beide vernehmen zitternd die Stimme des strafenden Herrn, Paulus äußerlich, Luther innerlich; für beide ist dieser Moment der Moment der Umkehr und der Entscheidung zum Eintritt in den Dienst des Herrn, alsobald lichter und klarer bei Paulus, welcher im Lichtglanze auch das unterweisende Wort des Herrn vernahm, dagegen noch unklarer und verworrener bei Luther, welcher nur das unbestimmte Rollen des Donners zu hören bekam, und erst noch den Kampf unter dem tötenden Gesetze durchzumachen und die Gewitter Sinais über sich ergehen lassen musste, bis auch vor ihm, wie vor dem Knechte Gottes, Mose (1 Mos. 33 und 34), die lichte Herrlichkeit Gottes vorüberging und ihm das Wort sich aufschloss: „Herr, Herr Gott, barmherzig und gnädig und geduldig, und von großer Gnade und Treue, der du beweisest Gnade in tausend Glied, und vergibst Missetat, Übertretung und Sünde.“ Luthers Eintritt ins Kloster war, nach seinem eigenen Bekenntnis, ein eigener und ein Irrweg; und doch, auf das verborgene Walten Gottes unter der Menschen Irrgängen gesehen, weder das eine noch das andere. Nicht einmal ein nur eigener: denn „nicht gern oder willig, wie er selbst sagt, ward er ein Mönch, sondern mit Schrecken und Angst des Todes umgeben gelobte er ein gezwungen und gedrungen Gelübde“; als einer, der wider eigene Wahl und Neigung nur einem höhern Antrieb Folge leistet, hielt er mit seinen Freunden noch ein fröhliches Letzemahl, wobei er selbst den Musikus machte. Auch war es kein bloßer Irrweg. „Gott, sagt er, des Barmherzigkeit kein Zahl ist und des Weisheit kein Ende ist, hat aus solchen allen Irrtumen und Sünden wunder viel großer Güter geschafft. Er hat gewollt, wie ich nun sehe, dass ich der hohen Schulen Weisheit und der Klöster Heiligkeit aus eigener und gewisser Erfahrung, d. i. aus vielen Sünden und gottlosen Werken erführe. — Darum bin ich ein Mönch gewest, aber nicht ohne Sünde, doch ohne Schuld oder Vorwurf.“ Gott führte ihn von der hohen Schule Erfurt in die niedere des Augustinerklosters, wo der „Bruder Augustin“ anfänglich mit Verleugnung der ihm lieben Studien viel schmutziger und gemeiner Arbeiten verrichten und bettelnd durch die Stadt ziehen musste. Er unterwarf sich im Gehorsam allem, was ihm auferlegt wurde, las täglich Messe, beichtete, ermattete seinen Leib mit Fasten und Wachen, Lesen und andern Arbeiten, so dass er einmal fast in Geisteszerrüttung verfiel, beobachtete sein Gelübde mit dem höchsten Eifer und Fleiß bei Tag und bei Nacht, um dem Gesetz ein Genüge zu tun und sein Gewissen vor dem Stecken des Treibers zu befriedigen; hatte aber doch keine Ruhe, „weil, schreibt er, alle die Tröstungen unkräftig waren, die ich aus meiner Gerechtigkeit und aus meinen Werken nahm“. Dabei hatte er es mit hohen geistlichen Anfechtungen, dem Gefühle des göttlichen Zorns und der Verzweiflung zu tun, um die kein Beichtvater, auch Staupitz nicht, wusste. Da gedachte er: „Die Anfechtung hat Niemand als du“! und ward wie eine Leiche; und die hohe Anfechtung von der Verfehlung setzte ihm über alle Maßen hart zu. Da war es Staupitz, welcher ihn von dem Forschen über die vorweltliche Versehung, d. h. Vorherbestimmung, und Erwählung weg auf Christus hinwies, und die goldenen prophetischen Worte zu ihm sprach: In den Wunden Christi wird die Versehung verstanden und gefunden, sonst nirgend nicht. Denn es stehet geschrieben: Den sollt ihr hören! Gott wird nicht begriffen und will kurzum ungefasset sein außer Christo. Halte dich nur an das Wort, in welchem sich Gott hat offenbart, und bei demselbigen bleibe, da hast du den rechten Weg deines Heils und Seligkeit, wenn du ihm nur, glaubest. Ihr wollt ein erdichteter Sünder sein und Christum für einen erdichteten Heiland halten. Gewöhnt euch daran, dass Christus der wahrhaftige Heiland und ihr ein wirklicher Sünder seid. Gott hat es zuvor versehen und geordnet, dass sein Sohn leiden sollte, nicht um der Gerechten, sondern um der Sünder willen. Wer das glaubet, der soll das liebe Kind sein. Darum soll man in diesem Artikel also gedenken: Gott ist wahrhaftig und leugnet noch trüget nicht, das weiß ich, derselbige hat nur seinen eingeborenen Sohn geschenkt mit allen seinen Gütern, hat mir gegeben die heilige Taufe, das Sakrament des wahren Leibes und Blutes seines lieben Sohnes etc. Wenn man aber der Versetzung nachhängt und will viel disputieren, so muss Christus, sein Wort und Sakrament weichen“ etc. Das wurde nun auch die feste Stellung und Burg Luthers: Gott in Christo; Christus im Wort und in den Sakramenten. Willst du Gott fassen, kennen, verstehen, sein gewiss und mit ihm vereinigt werden, so halte dich im Glauben an Christus im Fleische, den erniedrigten und erhöheten; willst du Christum, suche ihn nicht in deiner eigenen Vernunft und Kraft, sondern wo er sich selbst gibt, im Wort und in den Sakramenten. Oder, wie er sich selbst ausdrückt: „Gott ist nirgends zu suchen denn in Christo, der in der Krippe liegt oder wo er sonst ist, am Kreuz, in der Taufe, Abendmahl oder im Predigtamt des göttlichen Worts, oder bei meinem Nächsten und Bruder; da will ich ihn finden“. Alles in Christo und durch Christum; das war und blieb seine Losung. Darum ist unsere Gerechtigkeit Christus selber, droben zur Rechten Gottes. Weil wir durch den Glauben mit ihm verbunden werden vor Gott, wie die Braut mit dem Manne, oder, enger und inniger noch, wie ein Glied mit dem Haupte, darum sind Christus und der Gläubige nun nicht mehr zwei, sondern einer, unsere Sünde und Tod auch sein, und wiederum, nachdem er beide aufgehoben, sein Reichtum, seine Gerechtigkeit, wie die seine, so auch die unsere, so wir glauben von Herzen. Darum ist unsere Heiligung Christus selber vermöge der Taufe und des Abendmahls wahrhaftig und persönlich wohnend und wirkend in denen, die da glauben. Wir in Christo — unsere Rechtfertigung; Christus in uns — unsere Heiligung und Erlösung, 1 Kor. 1, 30. Das ist, in wenigen Sätzen angegeben, Luthers Glaube und Theologie; und, gegen welche Gegner wir ihn im Kampfe sehen, da gilt es der Behauptung dieser Wahrheit, welche, wie der Kern des Evangeliums, so das Element seines Lebens war. Aber welche Kämpfe erforderte es, welch einen zerbrochenen Geist, wie er selbst von sich bezeugt, bis er diese Wahrheit erkennen und sich aneignen lernte! Und wie ganz anders und tiefer sein Gang gegen den aller seiner Zeitgenossen, eines Melanchthon, Zwingli und Anderer! Noch eines andern Handleiters und Trösters haben wir zu erwähnen, jenes alten Klosterbruders, welcher ihn, den Tiefangefochtenen, aus den Artikel des apostolischen Glaubensbekenntnisses verwies: „Ich glaube eine Vergebung der Sünden,“ und ihm denselben mit den Worten des heiligen Bernhard dahin auslegte, dass der Mensch aus Gnaden gerecht werde durch den Glauben; und ihm mit den Worten zu Leibe rückte: „Was tust du mein Sohn? Weißt du nicht, dass unser Herr selbst uns befohlen oder geboten hat zu hoffen und zu glauben?“ Auch die Schriften des Augustinus und die „deutsche Theologie“ befestigten ihn in diesem Glauben. Wir sehen aber auch daraus, wie Luther nicht aus seinem eigenen Geiste herausgewachsen ist, sondern wurzelnd in der einen heiligen christlichen Kirche, nicht der päbstlichen, sondern derjenigen, welche der heilige Geist durch die Zeiten hindurch berufen und erleuchtet hat.

So von Gott erwählt, geleitet und zubereitet, tritt er jetzt aus der verschlossenen Klosterzelle hervor, zuerst als Zeuge, bald auch als Kämpfer für die Wahrheit. Staupitz, Generalvikar des Augustinerordens, ist der Mann, welcher den in sich zerbrochenen, an sich verzagenden, mit Gedanken des nahen Todes umgehenden und dessen Aussehen an sich tragenden Mönch bei der Hand ergreift und hervorzieht, um dann, nach Ausrichtung seines Dienstes, ähnlich wie der Wegbereiter eines noch Andern und Höheren, wie Johannes der Täufer, selbst in die Stille und Verborgenheit zurückzutreten. Er bewirkt seine Berufung an die neue Universität zu Wittenberg (1508), wo's Augenaufreißen absetzt, als der Ankömmling aus Spiel Ernst macht, statt um Worte und Formeln um den Grund der Seligkeit disputiert, und statt der Schultheologen der Propheten und Apostel Schrift als Waffe in der Hand führt. Dem Dr. Mellerstadt ahnt so etwas: „Der Mönch wird alle Doctores irre machen und eine neue Lehre aufbringen und die ganze römische Kirche reformieren; denn er legt sich auf der Propheten und Apostel Schrift und stehet auf Jesu Christi Wort, das kann Keiner, weder mit der Philosophie noch Sophisterei, widerfechten.“ — Er (Staupitz) führt ihn vom Katheder weiter zum Predigtstuhl. Luther brauchte, gleich Mose, da er berufen ward, 15 Ausflüchte, da es ihm nicht eine schlechte Sache däuchte, an Gottes Statt mit den Leuten zu reden; musste aber doch, zuerst in einer armen und elenden Kapelle, „von Ansehen, wie die Maler den Stall zu Bethlehem malen“, predigen und „das Evangelium und das liebe Kindlein Jesum lassen neu geboren werden, auswickeln und zeigen“, dann in der Pfarrkirche, da denn „das Kind Jesus auch in den Tempel gebracht wurde“.— Nun sollte er auch Rom sehen, wohin er im Jahr 1510 (durch Staupitz) in Geschäften seines Ordens geschickt wurde, und unter Todesgefahren (besonders von Mönchen, welche er am Freitag hatte Fleisch essen sehen) ankam. Als ein „toller Heiliger“ fiel er beim Anblick des „heiligen Rom“ auf die Kniee nieder, fand aber dort eine „Hölle“ voll greulicher Sünde und Schande und Gaukelspiels, das mit der Messe getrieben wurde. Die römische Schalkheit, urteilt Luther später, da man um Ehre, Reichtums und Herrlichkeit willen, unter dem Namen Gottes wissentlich Irrtum und Ketzerei predigt, wenn sie gleich jedermann zum Teufel führten, ist nicht eine deutsche noch menschliche, sondern teuflische und höllische Bosheit und Schalkheit, welche nennen zu können wir Deutsche schier zu fromm sind. „Wer da liest eine Bulle und kennt den Schalk nicht, der meint, es sei des Herrn Christi Wort selbst“. So ging's anch jetzt dem deutschen Gemüte in Luther. Während er aber, Ablasses halben, knieend die Stufen der angeblichen Pilatustreppe hinaufrutschte, donnerte ihm schreckend aus Röm. 1, 17. das Wort in die Ohren: „Der Gerechte lebt seines Glaubens.“. Der römische Katholik und der evangelische Christ stritt sich noch in ihm. Kein Wunder! der Sprung aus der Gerechtigkeit der Werke in die Gerechtigkeit des Glaubens ist ein Sprung auf Tod und Leben. Erst im Fortgang der Erleuchtung wagte er es, die „Gerechtigkeit Gottes“ (Röm. 1, 17.), welche er für die eigene und strafende Gerechtigkeit Gottes genommen, von der rechtfertigenden zu verstehen, in welcher uns Gott aus Gnaden und eitel Barmherzigkeit durch den Glauben rechtfertigt. „Hier fühlte ich alsbald, fügt er hinzu, dass ich ganz neu geboren wäre, und nun gleich eine weite aufgesperrte Tür, in das Paradies selbst zu gehen, gefunden hätte, sah mich auch die liebe heilige Schrift nunmehr viel anders an denn zuvor, lief derhalb durch die ganze Bibel und sammelte auch in andern Worten nach dieser Regel alle ihre Auslegung zusammen.“ Nun fing er an, über den Brief an die Römer und über die Psalmen Vorlesungen zu halten, und legte diese Schriften also aus, dass, nach dem Urteil aller frommen und verständigen Männer, nach langer dunkler Nacht ein neues Licht der Lehre aufzugehen schien; hatte auch als Vikarius des Augustinerordens und im Beichtstuhl schöne Gelegenheit, seine gewonnene Schrifterfahrung tröstend, beratend, warnend und strafend zu nützen. Auf Staupitz und des Convents Beschluss und des Kurfürsts Kosten wird Luther den 19. Oktober 1512 feierlich von Dr. Andreas Bodenstein (aus „Karlstadt“) zum Doktor der heiligen Theologie erklärt und geschmückt, und damit von Gott für die heilige Schrift in Eid und Pflicht genommen. „Ich bin dazu berufen und gezwungen worden, schreibt er, dass ich musste Doktor werden, ohne einen Dank, aus lauter Gehorsam. Da habe ich das Doktorat müssen annehmen, und meiner allerliebsten heiligen Schrift schwören und geloben, sie treulich und lauter zu predigen. Über solchem Lehren ist mir das Papsttum in den Weg gefallen nnd hat mir's wollen wehren; darüber ist es ihm auch ergangen, wie vor Augen, und soll ihm noch ärger gehen, und sollen sich meiner nicht erwehren.“

Die heilige Schrift, wenn sie die göttliche Leitung im Leben des Herrn Jesu anzeigen will, bedient sich gewöhnlich des Wortes: „Und es begab sich.“ Dieses Wort lässt sich, wie über die bisherige Geschichte Luthers, so auch über seine nun folgende reformatorischen Kämpfe setzen. Ohne eigene Absicht und Plan, selbst ohne Ahnung der Folgen seines Tuns, wird er durch seine Gegner von Schritt zu Schritt fortgedrängt.

Der prunksüchtige Pabst Leo X. braucht Geld, sein Ablasspächter, der verschuldete Kur-Erzbischof Albrecht von Mainz, Magdeburg und Halberstadt gleichfalls, und hat an dem Marktschreier und Beuteldrescher Tetzel den geeignetsten Mann gefunden, den päbstlichen Ablass möglichst auszubeuten. Der weiß den Leuten den Ablass teuer und wohlfeil zugleich darzustellen, indem er ihnen weiß macht, dass sie, wie auch die Toten, durch solchen Ablass nicht nur der kirchlichen Strafen, sondern der Hölle selbst los werden könnten, und zwar ohne Reue und Buße; denn „die Ablassgnade wäre eben die Gnade, dadurch der Mensch mit Gott versöhnet wird.“ Da Luther den Schaden an seinen eigenen Beichtkindern gewahrt, warnt er davor im Beichtstuhl; da der erzürnte Tetzel gegen ihn predigt, flucht und schilt, und auf dem Markte zu Jüterbogk ein Feuer für den Ketzer anzünden lässt, predigt er gegen diesen Ablasshandel; da seine Zuschrift an mehrere Bischöfe ohne Folgen ist, da Viele, Bekannte und Unbekannte, ihn drängen, und die Ehre des Pabsts selber durch solchen Handel in Gefahr kommt, schlägt er seine 95 Thesen, welche er zuvor den Bischösen von Mainz, Brandenburg, Meissen, Merseburg und Zeiz übersandt, den 31. Oktober 1517 an die Schlosskirche zu Wittenberg an. Er ließ sich nicht träumen, welche Folgen diese nicht ungewöhnliche Handlung haben würde; waren sie ja doch lateinisch und nicht für das Verständnis des gemeinen Mannes, sondern für die Studierenden und Gelehrten, einzig zum Zwecke der Besprechung abgefasst, bis dass die heilige Kirche festsetze, was man davon halten solle. „Aber ehe 14 Tage vergingen, waren sie das ganze Deutschland und in 4 Wochen schier die ganze Christenheit durchlaufen, als wären die Engel selbst Botenläufer und trügens vor der Menschen Augen.“ Sie wurden gedeutscht, und jedermann redete von ihnen. So war der erste Schritt geschehen, und das Warten der Frommen fing an in Erfüllung zu gehen. Erfüllt war Geilers Predigt vor Maximilian im Jahre 1404: „Weil Pabst, Kaiser, König und Bischof nicht reformieren wollen, so wird Gott einen senden, der es tun muss und die gefallene Religion aufrichten. Ich wünsche den Tag zu erleben und sein Jünger zu sein, aber ich bin zu alt; eurer viele werdens erleben, bitt euch, denket daran, was ich sag.“ Der fromme Mönch Dr. Fleck schrie, als er ein wenig in den Thesen gelesen, vor Freude auf: „Ho, ho! der wirds tun, er kommt, darauf wir lange gewartet haben“! und viele Andere in den Klöstern dankten dem lieben Gott, dass sie den Schwan, davon M. Joh. Huß geweissagt, singen hörten. Dieser erste Schritt Luthers galt jedoch nur dem Missbrauch des Ablasses durch Tetzel, nicht der Ablasslehre, noch dem Pabst selbst, den er noch „mit rechtem Ernst williglich anbetete“. Nun aber kam der Oberzensor in Rom, Sylvester Prierias, seinem Ordensbruder Tetzel mit einer Schrift zu Hilfe, deren Prüfung Luther veranlasste, nun in seinen „Resolutionen“, unter Berufung auf die heilige Schrift, die bestehende Ablasslehre selbst anzugreifen, und mit ihrer Übersendung an den Pabst diesen selbst anzurufen. Da tritt der gewandte Dr. Eck von Ingolstadt gegen ihn auf, und weiß kluger Weise durch die Beschuldigung hussitischer Ketzerei Viele einzuschüchtern; Luther selbst wird jetzt erst inne, was er Folgeschweres begonnen, aber er verzagt nicht; neue Feinde erstehen, aber auch neue Freunde an Melanchthon, Spalatin, M. Bueer, J. Brenz, E. Schnepff und Anderen. Auf dem Reichstag zu Augsburg verlangt der päbstliche Legat Cajetan Luthers Auslieferung nach Rom, verwilligt jedoch, auf die Unterhandlung des Kurfürsten, Friedrich des Weisen, ihn in Augsburg zu verhören. Zur Verwunderung kommt Luther im Oktober 1518 zu Fuß ohne Geleit dorthin; da er aber stets Beweise aus der heiligen Schrift verlangt, wird dem Cajetan „die Bestie mit den tiefen Augen und wunderbaren Spekulationen“, wie er ihn nannte, bald unleidlich; er verlangt heftig unbedingten Widerruf, und weist ihn drohend von sich. Einige Tage nachher reitet Luther, auf den Rat Staupitzens, der zu seinem Schutze nach Augsburg geeilt war und sich nichts Gutes versah, bei Nacht durch ein offen gelassenes Mauerpförtchen davon nach Wittenberg (vgl. Apostelgesch. 9, 25.), nachdem er zuvor vor Notar und Zeugen eine feierliche „Berufung von dem übel unterrichteten an den besser zu unterrichtenden Pabst“ eingelegt hat. Der Pabst bestätigt durch die Sanktionsbulle vom 9. November 1518 seinen Ablass, und gebeut, ihn für den größten Schatz der Christenheit zu halten, woraus Luther von dem Pabste an ein frei allgemein christlich Concilium, d. h. Kirchenversammlung, appelliert. Noch aber ließ er sich aus Anhänglichkeit an die römische Kirche durch den weltklugen päbstlichen Nuntius Miltitz in Altenburg (19. Januar 1519) bereden, das Äußerste zur Aussöhnung mit dem Pabste zu tun und zu schweigen, wenn nur seine Widersacher auch von ihm ablassen; allein — so „begabs sich“ — Dr. Eck erregte den Streit auf's Neue, indem er Karlstadt und Luther zu einer Disputation in Leipzig (im Juli 1519), und nach derselben die Universitäten, den Kurfürsten und den römischen Stuhl zum Einschreiten gegen Luther aufforderte. Luther seinerseits, welcher schon auf der Leipziger Disputation zu Behauptung des bloß menschlichen Rechts des Pabstes und der alleinigen Autorität der Schrift, nicht der Concilien, fortgetrieben wurde, ließ im folgenden Jahr, 1520, die Schriften: „An den christlichen Adel deutscher Nation“, „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ und „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ ausgehen. Schon im Juni des Jahrs war auf Ecks Betrieb die Bannbulle gegen ihn und seine Lehre ausgefertigt worden. Nun tat Luther, welcher sich schon länger überzeugt hatte, dass unter dem Pabst eine Reformation nicht zu hoffen sei, den letzten entscheidenden Schritt, und warf zum Zeichen seiner Lossagung von Rom den 10. Dezember, vor dem Elstertore, die päpstliche Bulle, samt den canonischen Rechtsbüchern ins Feuer mit den Worten: „Weil du den Heiligen des Herrn betrübt hast, so verzehre dich das ewige Feuer!“ Bald daraus kommt die Ladung vor den Reichstag. Gott zum Schutz und allen Teufeln zum Trutz zieht er nach Worms. Getragen von der Kraft des Herrn, die in den Schwachen mächtig ist, schließt er den 18. April 1521 sein Zeugnis vor Kaiser und Reich mit den Worten: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen.“ Die erste und die Hauptschlacht war geschlagen. „Gott allein in Christo und durch Ihn“; darum das Heil und die Gerechtigkeit einzig in Christo durch den Glauben, — diese Heilswahrheit hatte er, zuerst in sich, dann wider Rom, aller menschlichen Gerechtigkeit und Mittlerschaft gegen über durchgefochten und behauptet. Aus diesem Grunde erbaute sich nun die Kirche.

Die einsame Feste Wartburg bei Eisenach sollte ihm durch Fürsorge des Kurfürsten, nach wohl vollbrachtem Streit zur Ruhe und Zufluchtsstätte dienen. Wie Paulus ist er Gefangener um des Herrn willen, gebannt und geächtet; aber Gottes Wort ist nicht gebunden, 2 Tim. 2, 9. Er studiert, predigt, schreibt, obwohl selbst körperlich leidend und geistlich angefochten, Trostbriefe, auch die Büchlein von der Beichte und von Klosteigelübden, und beginnt die deutsche „Kirchenpostille“. Hier in diesem Patmos, wie er es nannte, hat ihn aber der Herr noch zu einem andern Werke ersehen, welches er in Wittenberg schwerlich in Angriff genommen hätte; er schreibt da auch, wie Johannes, eine Offenbarung, d. h. er schließt das bisher versiegelte Bibelbuch, vorerst durch Übersetzung des Neuen Testaments, allem Volke auf. Ihm selbst diente diese Beschäftigung mit der heiligen Schrift zur Vertiefung, und die folgenden Kämpfe zu reiferer Erfahrung.

Ist der Fürst der Welt auf der einen Seite geschlagen, so greift er es auf der andern an. Aller Kampf wider die christliche Wahrheit geht hervor aus dem Geiste des Widerchrists, der da nicht bekennet, dass Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, 1 Joh. 4, 1—3. Hatte der Kampf Luthers gegen Rom der Aufrichtung und Behauptung der Wahrheit gegolten, dass Gott allein in Christo zu finden sei, die Gnade und Gerechtigkeit bei Gott allein in Christo durch den Glauben an Ihn; so gelten die folgenden Kämpfe der andern, oben schon ausgesprochenen, dass Christus allein im Wort, Taufe und Abendmahl zu finden sei. Diese kamen aus der evangelischen Kirche selber. Dem leidenschaftlichen Dr. Karlstadt, Luthers Kampfgenossen, ging die Reformation zu langsam. Er war ein Feuergeist und Donnerskind wie Luther; aber er hatte nicht dieselbe Schule und Geistestaufe durchgemacht. Statt dem Worte und Geiste Christi zu vertrauen, wollte er in Luthers Abwesenheit auf äußerliche Weise durch Kirchen- und Bilderstürmerei die Reformation vollenden, und setzte sich in seinem Schwindelgeist über jede kirchliche Ordnung hinweg. Noch ärger wurde der Unfug, als sich die „neuen Propheten“ aus Zwickau zu ihm schlugen, welche die Kindertaufe verwarfen, und sich stützend auf den „Geist“ in ihnen das „innere Wort“ oder „innere Licht“ über Gottes Wort in der Schrift setzten. Melanchthon hatte diese „Geistler“ vor Augen, wusste aber nicht, was er von ihnen halten sollte. Luther auf seiner Wartburg mit der Geisterprüfung aus Gottes Wort achtete keines Geistes, keiner „Offenbarung“, welche nicht am Schriftwort sich auswiesen, keines Propheten, welcher nicht durch ordentlichen Beruf oder durch Zeichen bestätigt wäre. Er eilte „in gar viel einem höhern Schutz denn des Kurfürsten“ nach Wittenberg, predigte acht Tage nach einander, und stellte die Ordnung her, schrieb auch später eine Schrift „wider die himmlischen Propheten“. Sekten und Rotten finden gemeiniglich dann Eingang, wenn eben die Wahrheit, die sie bestreiten, in der Kirche selbst zurückgestellt wurde; die Wiedertäufer z. B., wenn es an dem gläubigen Zeugnis von der Taufe und Kindertaufe fehlt; die Kirche soll sich von ihnen erinnern lassen, doch nicht dessen, was sie lehren und treiben, sondern dessen, dawider sie streiten. Luther hatte bisher im Kampfe mit Rom die innere Seite der Kirche, den Glauben, das allgemeine Priestertum, die evangelische Freiheit, an's Licht gestellt; die Kämpfe in der eigenen Kirche stellten ihm nun die Bedeutung der äußeren, sichtbaren Kirche, der Trägerin der inneren, des Worts, der Sakramente, des Predigtamts, in helleres Licht.

Noch ein anderer Kampf, von dem Luther nicht abließ, verdient unsere Beachtung, um seine Stellung in demselben klar zu machen, der mit den Schweizern oder Reformierten. Zwingli, der erste unter ihnen, war ein frommer Mann, dabei begabt, kräftig, gelehrt, treu; und doch war in ihm, wie Luther, dessen Geisterprüfung wir oben kennen lernten, erkannte „ein anderer Geist.“ Vor Allem war sein innerer und äußerer Lebensgang anderer Art. Er war nicht, wie Luther, aus eigenem Drange, durch das Kloster, noch riel weniger durch eine solche lange Schule schwerer innerer Anfechtungen um das Seelenheil gegangen, sondern mehr auf dem Wege der Wissenschaft zur theologischen Erkenntnis gekommen. Auch seine Aufgabe hatte er sich von Anfang anders gestellt; es war ihm wenigstens ebenso um eine Reform der Schweizer'schen Eidgenossenschaft, als der Kirche zu tun; wie er denn zuerst gegen das Nehmen von fremdem Kriegssolde, einem alten Schweizerübel, auftrat. Er war für Krieg und für Absetzung des Kaisers und starb auf dem Schlachtfelde, Luther für den Frieden unter dem Kaiser, und starb im Frieden und mit einem Friedenswerk. Zwingli setzte die von ihm bewunderten Heiden, einen Herkules, Cato und Andere, ohne Weiteres in den Himmel; Luther hielt nur den bußfertigen Glauben an Christum für seligmachend. Zwingli begann die Reformation zu gleicher Zeit mit Luther, befasste sich aber in den ersten Jahren nur mit Abschaffung und Niederreißen der Missbräuche, Luther gleich mit dem Aufbau des seligmachenden Glaubens. Zwingli war mit Luther in Ausrichtung der heiligen Schrift eins, brauchte sie aber mit besonderem Interesse zum Abtun des von Menschen Gesetzten, und legte sie, als Mann von nüchternem Verstande, leicht nach seiner Vernunft aus; Luther brauchte sie lieber als Kelle denn als Waffe, und unterwarf alle Vernunft dem geschriebenen Worte. So war es vorauszusehen, und Luther samt Melanchthon sah voraus, dass aus der vom Landgrafen gewünschten Vereinigung nichts werde. Zwingli suchte im Oktober 1529 in Marburg mit Luther wenigstens eine Verständigung im Ausdruck; aber dass nach Christi Worten im heiligen Abendmahl wirklich Sein Leib und Blut gegenwärtig sei, das konnte er nicht fassen mit seiner Vernunft. Lassen wir Zwingli unangefeindet, wenn er nicht bejahte, was er nicht glauben konnte. Lassen wir aber auch Luther unangesochten, wo er seines Glaubens halber nicht weichen konnte. Er war in der Schule der Anfechtungen gelehrt worden, wie alle eigene Gerechtigkeit, so alles eigene Vermögen (Schrift gegen Erasmus: „Dass der freie Wille nichts sei.“ 1525) und die eigene Vernunft für Schaden zu achten, und alles Heil, Weisheit, Kraft und Gerechtigkeit einzig in Christo zu suchen. Die Gottesgabe Vernunft achtete er hoch; aber die natürlichen, gottwidrigen Gedanken, welche die Welt und der natürliche Mensch auch Vernunft nennt, diese „Vernunft“ war ihm unerträglich. Ihm stund ferner der Zusammenhang zwischen dem christlichen Bekenntnis, dass Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, und den Stiftungs- und Testamentsworten des heiligen Abendmahls klar vor Augen. Aus beiden Gründen konnte er von der Wahrheit nicht weichen und ist nicht gewichen bis an's Ende, wenn er auch arglos ein andermal die Hand bot. Heftigkeit im Streit war seine schwache Seite, und wer wünschte nicht, dass manch hartes Wort von ihm nicht gesprochen wäre? aber auch „sie hatte ihre letzte Wurzel im Eifer für die Ehre und die Wahrheit seines Gottes, der ihn besaß“. Einmal erfahren, was es um den vollen Glauben an Christi Gegenwart im heiligen Abendmahl ist, konnte Luther nicht mehr von seiner Lehre weichen. Zwischen der Lehre Zwinglis und Luthers gibt es nur eine Vermittlung — das Wachstum im Glauben. Dazu mögen wir einander Handreichung tun; und das in der Liebe, welche ein Ausfluss ist der göttlichen Union (Einigung), da alle, die auf Jesum Christ getauft sind, zu einem Leibe und mit einem Geiste, dem Geiste des Vaters und des Sohnes, getauft sind.

Schwere Not verursachte Luther auch der mit dem Iahr 1525 ausgebrochene Bauernkrieg, welcher sich verheerend über Schwaben, Franken, die oberen und mittleren Rheinlande, über ganz Thüringen bis ins Hessische, Braunschweigische und Meißnische hinein verbreitete. Obwohl eine weltliche Revolution, musste Luther in ihr doch schon an ihr selbst einen Anlauf gegen das Reich Christi erkennen. „Gott in Christo; darum ist Gottes Reich Christi Reich. Sitzend zur Rechten Gottes, aber verborgen vor der Welt, regiert Er in der Zeit des Glaubens, geistlich durch die Kirche, durch die Predigt und die Sakramente, wodurch er den heiligen Geist gibt, äußerlich durch Fürsten und Obrigkeiten, bis an's Ende, da Er, bei seiner Offenbarung, das Reich Gott und dem Vater überantworten wird, da Er aufheben wird alle Herrschaft und alle Obrigkeit und Gewalt, aus dass Gott der Dreieinige unmittelbar „durch Sich, nicht mehr durch die Menschheit“ sei Alles in Allen, 1 Kor. 15, 24 ff. In diesem Zusammenhang angesehen erschien ihm die Obrigkeit in dieser Welt als eine mit dem Reiche Christi zusammengehörige Ordnung Gottes, Aufruhr als Empörung wider dasselbe. Dieser versteckt antichristische Geist verriet sich auch im Bauernkrieg. Eben jene Schwarmgeister und Wiedertäufer, welche sich wider die Kirche erhoben, das innere Wort und Licht über Christum und Sein Wort (in der Schrift) stellten, wider die Kindertaufe und (wie Karlstadt) wider die Wahrheit des Sakraments sich setzten, waren es, welche überall jener aufrührerischen Bewegung ihren bösartigen Charakter verliehen. Münzer wollte ein Gottesreich mittelst Erniedrigung der weltlichen Hoheiten und Gemeinschaft der Güter errichten. Da die Aufrührer überdieß Luther und die „evangelische Freiheit“ zum Aushängeschild nahmen und die Reformation in üblen Geruch brachten, sah er sich um so mehr genötigt, mit rücksichtsloser Freimütigkeit den Bauern, wie den Herren, entgegenzutreten, indem er beide auf's ernsteste an ihre Pflichten mahnte.

Von diesen Kämpfen zur Rechten und zur Linken wenden wir uns einer friedlicheren Seite, der Besprechung von Luthers Person und ferneren Tätigkeit zur Erbaunng der Kirche zu.

Es war eine wunderbare, nur aus der Kraft Gottes begreifliche Schwungkraft in ihm, dass er überall diesen Kämpfen und Anläufen unter all der unsäglichen Arbeit nicht erlag und auch den Sinn für alles rein Menschliche sich bewahrte. In demselben Jahr, in welchem der Bauernaufruhr die Sache der Reformation in die größte Gefahr brachte und stinkend zu machen drohte, trat er den 13. Juni 1525 unversehens, und bedenklich für manche seiner Freunde, namentlich für Melanchthon, in den Ehestand mit Katharina von Bora, einer von den aus Nimptschen entflohenen Nonnen, und ließ sich auch, „weil der Satan gern Hindernis macht durch böse Zungen und Verläumder“, am Verlobungstage trauen. Er hatte längst im Sinne, sich noch vor seinem Scheiden in dem „von Gott geforderten“ Ehestande finden zu lassen, im letzten Gehorsam gegen seinen Vater und zur Bestätigung seiner Lehre, auch der Welt und dem Teufel zum Verdruss, „Wenn die Welt sich nicht an uns ärgerte, schreibt er darüber, würde ich mich an ihr ärgern und fürchten, das was wir tun sei, nicht von Gott.“ Sollen wir ihn nun verteidigen, dass er durch sein eigenes Beispiel seine aus das Wort Gottes gegründete Lehre von der Heiligkeit des Ehestands und der Ungöttlichkeit der erzwungenen Ehelosigkeit welches die Schrift eine Teufelslehre heißt, 1 Tim. 4,3.) zu bestätigen für Pflicht hielt? dass er in einen von Gott verordneten Stand trat? oder, dass er eine Nonne ehelichte, welche wider Gottes Willen Gelübde getan? Dafür wollen wir ihn lieber nun auch als ganzen vollen Menschen kennenlernen. Haben wir doch an ihm ein wahres Musterbild eines treulichen christlichen Hausvaters! — Er hatte seine Käthe früher im Verdacht des Stolzes gehabt, konnte nun aber von ihr sagen: er „achte sie teurer, denn das Königreich Frankreich und der Venediger Herrschaft, denn ihm ein frommes Weib von Gott geschenkt und gegeben wäre, wie er auch ihr.“ „Die Welt, sagte er einst, hat nach Gottes Wort keinen lieblichern, freundlichern Schatz auf Erden, denn den heiligen Ehestand, welchen Er selber gestift, erhält und für alle Stände geziert und gesegnet hat, draus nicht allein alle Kaiser, Könige nnd alle Heiligen, sondern auch der ewige Sohn Gottes, doch auf eine andere eigene Weise, geboren ist. Drum wer dem Ehestande zuwider ist und redet übel davon, der ist gewiss aus dem Teusel.“ Er wurde mit 3 Söhnen und 3 Töchtern erfreut: 1. Johannes, geb. 1526, gest. 1575 als Jurist. Von ihm hat K. Neinthaler in Böhmen verarmte Nachkommen gefunden. 2. Elisabeth, geb. 1527, gest. 1528. 3. Magdalena, geb. 1529, gest. 1542. 4. Martin, geb. 1531, gest. 1565 als Privatmann. 5. Paulus, geb. 1533, gest. 1593 als Leibarzt. 6. Margaretha, geb. 1534, gest. 1570 als verehlichte v. Kulheim. Große Freude hatte er an seinen Kindern, ihrem Thun und Wesen. „Ach, sprach er, wie ein großer, reicher und herrlicher Segen Gottes ist im Ehestande, welch eine Freude wird dem Menschen gezeigt an den Nachkommen, die von ihm gezählet werden auch nach seinem Tode, wenn er nun liegt und fault. Ist doch das die schönste und größte Freude.“ „Gleichwohl gehen wir dahin, achten es nicht viel, ja sollen wohl über solche Gaben Gottes blind und geizig werden; wie gemeiniglich geschieht, dass die Leute ärger und geiziger werden, wissen nicht, dass einem Kindlein, auch ehe es geboren wird, sein bescheiden Teil, was und wie viel es haben und was aus ihm werden soll, allbereits zugeeignet und versehen ist, wie die Schrift saget und das gemeine Sprüchwort lautet: „Je mehr Kinder, je mehr Glück.“ Einmal segnete er seiner Kinder eins und sprach: „Gehe hin und bis (sei) fromm, Geld will ich dir nicht lassen, aber einen reichen Gott will ich dir lassen, der wird dich nicht lassen. Bis nur fromm, da helfe dir Gott zu. Amen.“ Ein andermal sah er seiner Kinder Einfalt und lobte ihre Unschuld, dass sie im Glauben viel gelehrter wären, denn wir alte Narren. „Der Kinder Glaube und Leben ist am allerbesten, denn sie haben nur das Wort, daran halten sie sich und geben Gott sein einfältig die Ehre, dass Er wahrhaftig sei, halten für gewiss, was er verheißet und zusaget; glauben auf's Einfältigste, ohne alle Disputation und Zweifel, Gott sei gnädig, und dass nach diesem Leben ein ewiges Leben sei.“ „Die Kinderlein haben so seine Gedanken von Gott, dass er im Himmel, ihr Gott und lieber Vater sei.“ Darnach brachte ihm sein Weib sein Söhnlein Martin. Da sprach er: Ich wollte, dass ich in des Kindes Alter gestorben wäre, da wollte ich alle Ehre um gehen, die ich habe und noch bekäme in der Welt,“ und als es ihn verunreinigte: „O wie muss unser Herr Gott manch Murren und Gestank von uns leiden, anders denn eine Mutter von ihrem Kinde.“ Als es mit dem Hündlein spielte, sprach er: „Dieser Knabe predigt Gottes Wort mit der Tat und im Werk, da Gott spricht: „„Herrschet über Fische im Meer und Tier auf Erden“„, denn der Hund leidet Alles von dem Kindlein.“ Gleichwohl war er streng gegen seine Kinder, und wollte einmal seinen Sohn in drei Tagen nicht vor sich kommen lassen, bis er sich demütigte und bats ihm ab. Auch sein Gesinde ermahnete er, dass sie ihm im Hause kein Ärgernis anrichteten, und hielt treue Diener in Ehren. — Innige Freude hatte er an Gottes Kreaturen; und machte oft darauf aufmerksam, wie die größesten Wunderwerke Gottes in den allerkleinsten und unachtsamsten Kreaturen und Dingen gesehen werden. So sah er einmal im Frühling in seinem Garten (er gab sich selbst mit Gartenbau, auch mit Drechseln ab) die grünenden Bäume mit tiefen Gedanken an und sprach: „Gelobet sei Gott, der Schöpfer, der aus toten erstorbenen Kreaturen im Lenzen Alles wieder lebendig machet! Sehen doch die Zweiglein so lieblich und feist, gleich als wenn sie voller Jungen wären und der Geburt nahe. Da haben wir ein schön Bild der Toten Auferstehung.“ „Wenn nur Sünde und Tod weg wäre, wollten wir uns an einem solchen Paradies genügen lassen. Aber es wird viel schöner werden, wenn die alte Welt und Haut gar verneut und ein ewiger Lenz angehen und für und für sein und bleiben wird.“ Als seine Kinderlein einmal mit allem Fleiß auf das Obst auf dem Tische sahen, sprach er: „Wer da sehen will das Bild eines der sich aus Hoffnung freuet, der hat hier ein recht Contrefakt (Bild). Ach, dass wir den jüngsten Tag so fröhlich in Hoffnung könnten ansehen“; und beim Essen: „Was sagt unser Herr Gott droben im Himmel dazu, dass wir also hier sitzen und seine Güter verzehren? Nu, er hats darum geschaffen, dass wir sie brauchen sollen, fordert Anderes nichts von uns, denn dass wir erkennen, dass es seine Güter sind und ihrer mit Danksagung genießen.“ Als er eines Abends ein Vöglein auf einem Baum sitzen und die Nacht über daraus ruhen sah, sprach er: „Dies Vöglein hat sein Nachtmahl gehalten und will hie sein sicher schlasen, bekümmert sich gar nicht, noch sorget sür den andern Morgen und Herberge, wie David sagt (Ps. 91, 1.): „„Wer unter dem Schirm des Allerhöchsten wohnet““ etc.; es sitzet auf seinem Zweiglein zufrieden und lässet Gott sorgen.“ — Obwohl nicht klein und von ziemlichem Leibe war er doch von Natur von wenigem Essen und Trinken, und begnügte sich oft Tage lang mit wenig Brot und einem Hering (wie Jesus selbst), oder aß und trank wohl auch nichts. Über der Mahlzeit wollte er (wiewohl manchmal selbst traurig und schweigsam) nicht verstatten, dass jemand unter seinen Tischgesellen oder Kostgängern traurig und in Gedanken saß, „denn unser Herr Gott mag ziemliche und ehrliche Fröhlichkeit wohl leiden, die der Teufel den Menschen nicht gönnet. Melancholie ist Teufelsbad.“ Zuweilen folgte er der Einladung zu Tische in der Stadt, Sommerszeit auch auf ein Dorf zu einem Pfarrherrn oder Schultheißen. Einmal brachte er seinem Gast einen guten Freudentrunk heim und sprach: „Ich soll und muss heut fröhlich sein, denn ich habe böse Zeitung gehöret, dawider dienet nichts besser, denn ein stark Vater unser und guter Mut, das verdräußt den melancholischen Teufel, dass man noch will fröhlich sein,“ 2 Korinth. 6, 10. Seine „Tischreden“ waren seinen Tischgängern lieber denn alle Würze und köstliche Speise. Über und nach Tisch sang er bisweilen und spielte auf der Laute; oder ließ auch den jungen Leuten einen Kegelplatz zurichten, tat selbst den ersten Schub und wusste auch das Spiel heilsam zu würzen. Immer entsprach das Äußere dem Innern; er war allzeit wahr und nichts Gemachtes an ihm. „Ich habe mir, sagt er, oft fürgenommen, ich wollte der Welt zu Dienst mich etwas ernstlicher und heiliger (weiß nicht, wie ich es nennen soll) stellen; aber Gott hat mir Solches zu tun nicht gegeben. Vielleicht will Gott die blinde, undankbare Welt über nur zur Närrin machen.“ — Wie im Essen war er auch im Übrigen sehr genügsam, des ihm seine Widersacher Zeugnis gaben, und verbat sich Geschenke oder teilte sie wieder aus, wobei er zu Werken der Barmherzigkeit seiner Hausfrau über's Patengeld geraten konnte; wollte auch von der Türkensteuer nicht entbunden sein. Zur Kirche ging er noch in seinem Alter gern, wenn ihn die Schwachheit nicht hinderte, denn es kam ihm das Beten in der Gemeine viel sanfter an, denn im Hause. Der Predigt hörte er fleißig und mit Andacht zu, und sprach einmal, als jemand in der eben gehörten Predigt eines Dorfpfarrers das Evangelium richtiger gefasst wünschte: „Ach, wenn ein Lehrer Christum einfältig aus dem Katechismus predigen kann, so ist er ein seliger Prediger. Man hat nicht allein güldene und silberne Geschirr in Mosis Tabernakel, sondern auch kupferne und eiserne, doch dienen sie alle dem ewigen Sohne Gottes.“ Über das ging er auch oft zur Beichte und heiligem Abendmahl, tröstete sich in Anfechtung herzlich seiner Absolution; wartete auch allweg in der Kirche, bis Alles aus war.

An Anfechtung hat es ihm sein Leben lang nicht gefehlt. Namentlich war das Jahr 1527 ein Leidensjahr für ihn, da ihn den 9. Juli eine außerordentlich schwere, geistliche und leibliche Anfechtung befiel, welche er selbst mit Pauli Leiden (2 Kor. 12, 7.) verglich, und die das ganze Jahr hindurch fortwirkte. Dazu kam die Pest, welche sein eigen Haus mit Kranken füllte, ihn aber nicht gleich Andern zur Flucht bewegen konnte, wo er vielmehr treulich seines Seelsorgeramts wartete. Auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 durfte er zwar als Geächteter nicht erscheinen; während aber die Seinen dort hart kämpften, stund er, „ein anderer Moses, auf der Koburger Feste mit zum Himmel erhobenen Händen, dem Zeuge des Herrn den Sieg erflehend und manch kräftig Trostwort den Kämpfern zusendend.“ Während des Reichstags verwendete er täglich zum wenigsten drei Stunden, so zum Studieren am bequemsten, zum Gebet*); wie er denn auch zu an derer Zeit ihm täglich sonder eigene Zeit nahm, etliche Psalmen zu sprechen, darunter er mit Seufzen und Weinen, oft mit heißen Tränen, sein Gebet für die ganze Kirche zu Gott mengte. Wie Paulus (Phil. 3, 18.) konnte er über die Rotten und Sekten seiner Zeit mit Tränen klagen. Eben in jener schweren Anfechtung sprach er: „Viel geben mir Schuld, ich sei zu hart und heftig, wenn ich wider die Papisten und Rottengeister schreibe. Ja, ich bin zu Zeiten heftig gewesen, doch also dass mich's nie gereuet hat. Ich sei nun heftig oder mäßig, so hab ich ja Keines Schaden, viel weniger seiner Seele Verlust gesucht, sondern vielmehr jedermanns, auch meiner Feinde Bestes und Seligkeit.“ In diesem Sinne hat er noch Tetzel vor dessen Tode auf's allerfreundlichste geschrieben.

*) Luther war ein Beter, wie wenige — wie auch seine Übersetzung ber Bibel, sonderlich der Psalmen, so recht aus dem Gebetsgeiste herausgequollen ist. — Wer erinnert sich nicht jenes herrlichen Gebets, das er vor dem Reichstag zu Worms sprach und einer seiner Freunde im Nebengemache anhörte und nachschrieb, und das wir hier einfügen.

Allmächtiger, ewiger Golt! Wie ist es nur ein Ding um die Welt! Wie sperret sie den Leuten die Mäuler auf! Wie klein und gering ist das Vertrauen der Menschen auf Golt! Wie ist das Fleisch so zart und schwach und der Teufel so gewaltig und geschäftig durch seine Apostel und Weltweisen! Wie ziehet sie so bald die Hand ab und schnurret dahin, läuft die gemeine Bahn und den weiten Weg zur Hölle zu, da die Gottlosen hingehören, und stehet nur allein blos an, was prächtig und gewaltig, groß und mächtig ist und ein Ansehen hat. Wenn ich auch meine Augen dahin wenden soll, so ist's mit mir aus: die Glocke ist schon gegossen und das Urteil gefället. Ach Gott! Ach Golt! O du mein Gott! Du, mein Gott, stehe du mir bei wider aller Welt Vernunft und Weisheit. Tue du es; du musst es tun, du allein. Ist es doch nicht meine, sondern deine Sache. Hab' ich doch für meine Person allhier nichts zu schaffen und mit diesen großen Herren der Welt zu tun. Wollte ich doch auch wohl gute geruhige Tage haben und unverworren sein. Aber dein ist die Sache. Herr, die gerecht und ewig ist. Stehe mir bei, du treuer, ewiger Gott! Ich verlasse mich auf keinen Menschen. Es ist umsonst und vergebens, es hinket alles, was fleischlich ist und nach Fleisch schmeckt. O Gott, o Gott! hörst du nicht, mein Gott? Bist du tot? Nein, du kannst nicht sterben, tu verbirgest dich allein. Hast du mich dazu erwählet? ich frage dich; wie ich es denn gewiss weiß; ei, so walt es Gott! denn ich mein Lebenlang nie wider solche Herren gedacht zu sein, habe mir es auch nicht vorgenommen. Ei, Gott, so stehe mir bei in dem Namen deines lieben Sohnes Jesu Christi, der mein Schuh und Schirm sein soll, ja, meine feste Burg, durch Kraft und Stärkung deines heiligen Geistes. Herr, wo bleibest du? Du, mein Gott, wo bist du? Komm, komm, ich bin bereit, auch mein Leben darum zu lassen, geduldig wie ein Lämmlein. Denn gerecht ist die Sache und dein; so will ich mich von dir nicht absondern ewiglich. Das sei beschlossen in deinem Namen. Die Welt muss mich über mein Gewissen wohl ungezwungen lassen, und wenn sie noch voller Teufel wäre; und sollte mein Leib, der doch zuvor deiner Hände Werk und Geschöpf ist, darüber zu Grund und Boden, ja zu Trümmern gehn; dafür aber dein Wort und Geist mir gut ist. Und ist auch nur um den Leib zu tun; die Seele ist dein und gehört dir zu und bleibet auch bei dir ewig, Amen. Gott helfe mir, Amen.


Die Erbaunng der Kirche im Innern durch die Gnadenmittel, Predigt und Sakramente, und durch gute Ordnungen ließ Luther sich eifrig angelegen sein. Er wollte nicht durch einen Federstrich oder durch Stürmen und Umstoßen der alten Einrichtungen eine äußerliche Reformation vor die Augen stellen, sondern erst einen neuen Geist pflanzen, überzeugt, dass beim Wachstum lebendiger evangelischer Erkenntnis das Schriftwidrige, wie Messe, Cölibat, Kloster, Gelübde, Fasten in katholischer Weise und Sinn u. dgl., von selbst fallen würden, ohne Beleidigung der Schwachen. Als während seiner Abwesenheit auf der Wartburg die Augustiner in Wittenberg das Messopfer und die Ordensgelübde abtaten, stimmte Luther zwar bei, ermahnte sie aber, nichts zu ändern, bis solches mit gemeinen Stimmen beschlossen würde. Erst 1522 wurde in Wittenberg die römische Messe und die Hostienanbetung abgeschafft. Während Karlstadt stürmte, beschäftigte er sich auf seinem „Patmos“ mit der Übersetzung des Neuen Testaments aus dem Griechischen, und der Abfassung der Kirchenpostille. Erstes erschien schon im Jahr 1522; aber die Übersetzung des Alten Testaments, namentlich des Buches Hiob und der Propheten, aus der hebräischen Grundsprache verursachte ihm und seinen Gehilfen solche Arbeit und Mühe, dass er sagte: „Wenn ich mirs nicht ließe von Herzen sauer werden, um des Mannes willen, der für mich gestorben ist, so sollte mir die Welt nicht können Gelds genug geben, dass ich etwas in der Bibel verdolmetschen sollte.“ „Es ist das Dolmetschen ja nicht eines jeglichen Kunst; es gehört dazu ein recht fromm, treu, fleißig, furchtsam, christlich, gelehrtes, erfahren, geübt Herz.“ Er hatte bei seiner Übersetzungsarbeit die doppelte Aufgabe sich gestellt: den Grundtext getreu und wo etwa an einem Wort gelegen, nach dem Buchstaben zu übersetzen; anderseits so deutlich und deutsch, „wie die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, der gemeine Mann auf dem Markte reden,“ damit sie es ebenso verständen wie die Gelehrten; und in diesem Absehen hat er oft mehr nach dem Sinn als nach dem Buchstaben übersetzt. Wie sehr ihm das gelungen, bezeugte schon Fürst Georg von Anhalt: „Die Bibel ist durch ihn aus sonderlicher Gabe und Gnade des heiligen Geistes also rein, klar und verständlich in unsere deutsche Sprache gebracht worden, dass in dieser Übersetzung die Verfasser der heiligen Bücher so vernehmlich und deutlich in Wort und Sinn reden, als wären sie in unserer Muttersprache geboren und erzogen.“ Sein Zeitgenosse, der hochberühmte Schulrektor Johann Sturm in Straßburg, urteilte: „Wenn Luther nichts geschrieben hätte, als seine Bibelübersetzung, so würde er allein um dieser willen unsterblich sein. Denn werden mit dieser deutschen Übersetzung die der Griechen, Lateiner und anderer verglichen, so müssen sie ihr hinsichtlich der Klarheit, Reinheit, Trefflichkeit und Ähnlichkeit mit dem hebräischen Original nachstehen. Ich glaube, sowie kein Maler den Apelles übertroffen haben soll, so kann auch Niemand Luthers Übersetzung übertreffen.“ Und der erste Sprachforscher (aus unserer Zeit), Jacob Grimm, urteilt: Luthers Sprache muss ihrer edlen, fast wunderbaren Reinheit, auch ihres gewaltigen Einflusses halber, für Kern und Grundlage der neuhochdeutschen Sprachniedersetzung gehalten werden, wovon bis auf den heutigen Tag nur sehr unbedeutend, meistens zum Schaden der Kraft und des Ausdrucks abgewichen worden ist. — Diese Bibelsprüche war die erste Offenbarung der deutschen Sprache in ihrer ganzen gemütlichen, religiösen und poetischen Stärke.“ Wie das Neue Testament weltumgestaltend wirkte, bemerkt ein Anderer, so Luthers Übersetzung sprachumgestaltend. — Sie erschien nach und nach, vollständig erst 1531, und wurde von ihm im Jahre 1539 mit Hilfe Anderer, des Dr. Bugenhagen, Jonas, Kreuziger, Melanchthon, Aurogallus mit großem Ernst, Fleiß und Gebet nochmals von Anfang durchgesehen und gebessert.

Die Kirchenpostille (Predigten über die sonn- und feiertäglichen Evangelien und Episteln), welche Luther selbst für sein allerbestes Buch erklärt hat, sollte dem Mangel an Predigten für den gemeinen Mann abhelfen und den Predigern selbst ein Muster der Auslegung geben. Sie erschien in Abteilungen von 1521 bis 1527. Ihr folgte 1544 die Hauspostille, das ist die Hauspredigten, welche er, wenn er Schwachheits halber in der Kirche nicht predigen konnte, Sonntags seinen Kindern und Gesinde hielt. Außer diesen Predigtbüchern sind von ihm noch eine ziemliche Anzahl weiterer Predigten und Auslegungen, teils ganzer Bücher der heiligen Schrift (unter denen die Auslegung des Briefs an die Galater und des ersten Buchs Moses die vortrefflichsten sind), teils einzelner Stücke oder Kapitel, wie Joh. Kap. 14 bis 17 uns erhalten. Seine Predigten sind freie Ergüsse des Glaubens, welcher in Kampf und Anfechtung die im Evangelium geoffenbarte Gerechtigkeit ergreift und am Wort seinen festen Grund und Halt hat. Die Eigentümlichkeit der lutherischen Predigtweise, eines treuen Spiegelbildes seines eigenen Glaubenslebens, besteht darin, dass die Predigt aus dem Worte des Evangeliums herausgewachsen sich eng an dasselbe anschießt und Auslegung des Textes ist; und dass sie, fern von rednerischer, wie methodistischer Absichtlichkeit und Berechnung, einfaches Zeugnis und Bekenntnis der Glaubenserfahrung und des Heiles in Christo ist, wobei die Wirkung der Predigt in Demut und Glauben dem Geiste überlassen wird, welcher durchs Wort wirkt. Ihr Tema ist eines: Glaube, Liebe und das heilige Kreuz, dadurch Christen geübt werden; in diesen dreien fasst sich das ganze Christentum! Weil sie durch keine Form und Regel gebunden (in Zusammenhang damit aber auch öfters weit und abschweisend ist), aber auch wiederum voll Kraft, Leben, Feuer, Anschaulichkeit und seltener Popularität, hat man sie die heroische genannt. Für Angefochtene, wie für alle, welche sich nach einem festen Halt des Glaubens sehnen, sind Luthers Predigten vor allen anderen zu empfehlen.

Durch die klägliche, elende Not, welche er auf seiner Visitationsreise zu sehen bekommen hatte, ward er gedrungen, im Iahr 1529 seine beiden Katechismen herauszugeben, den kleinen für das Volk, den großen für die Prediger; beide Bekenntnisschriften der Kirche, der kleine Katechismus, so vielfach gedruckt wie beinahe kein Buch außer der heiligen Schrift, in 30 und mehr Sprachen übersetzt, von dem Kurfürsten Johann dem Beständigen auf Pergament geschrieben, von Herzog Friedrich IV. mit ins Grab genommen, ist „ebenso kindlich wie tiefsinnig, so fasslich wie unergründlich, einfach und erhaben“ (Ranke), und reicht am nächsten an die Sprache der heiligen Schrift. „Der Kleinste im Himmelreich“ nach Umfang, ist doch, wie die Alten sagten, „kein größeres Buch aufgekommen“. Denn „es ist eine kleine Bibel“ (Brenz), „vom heiligen Geist geschrieben und diktiert, dass 6.000 Welten es nicht zu bezahlen vermögen“ (Just. Jonas), „eine heilsame Seelenarznei und geistlicher Honig“ (Joh. Arndt), „ein Kern der Wahrheit, der den Weisesten genug tut.“ Oetinger sagte von ihm in seinem Greisenalter: „Ich stehe nun eigentlich wieder auf demselben Punkt, auf welchem ich schon als Kind gestanden habe; denn all meine Wissenschaft ist in dem kleinen Katechismus des seligen Luther enthalten.“ Luther selbst nannte ihn Handbüchlein (Encheiridion), weil er wollte, dass man ihn nie aus der Hand legen und jeder Hausvater zum wenigsten einmal in der Woche seine Kinder und Gesinde daraus verhöre, wie er auch selbst tat. Wie viel ihm an christlicher Unterweisung der Jugend, auf welcher seine Hoffnung besserer Zeiten ruhte, gelegen war, beweist auch seiue Schrift vom Jahre 1524: „An die Bürgermeister und Ratsherren aller Städte Deutschlands, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen.“ Für Verbesserung des öffentlichen Gottesdienstes sorgte er 1526 durch seine „Deutsche Messe und Ordnung des Gottesdienstes“; und, weil es an deutschen Gesängen fehlte, verfasste er selbst solche, und gab 1525 eine Sammlung geistlicher Lieder und Psalmen, in 4 Stimmen gebracht, später im Jahr 1533 eine verbesserte Auflage derselben heraus, welche, neben biblischen Psalmen und etlichen alten 46 neue Lieder enthält, darunter 29 eigene, zu welchen er auch die Melodien machte; denn er hatte große Lust am Choral- und Figuralgesang, und „wollte alle Künste, sonderlich die Musika, gern sehen im Dienste dess, der sie geschaffen und gegeben hat.“

Oben ist einer Äußerung Luthers Erwähnung geschehen, wie er all seine Ehre in der Welt dafür geben wollte, im Kindesalter gestorben zu sein. Ein Mann von seiner Geistestiefe und seinem Eifer konnte nur bei Wenigen ein volles Verständnis finden, wie die Erfahrung noch nach 300 Jahren ausweist. Der Märtyrertod, den er gerne erlitten hätte, ist ihm nicht zu Teil geworden; er muss ihn aber jetzt leiden. Nationalisten, Panteisten, Revolutionäre, all die Verschiedenen, die wahrlich eines ganz „andern Geistes“ sind, zerren und reißen an ihm, um sich mit seinen und ihn mit ihren Federn zu schmücken; Andere behaupten (trotz seiner ausdrücklichen Verwahrung), käme er jetzt wieder, so würde er wohl von seinem Glauben etwas weichen und in ihren Bund treten. So von wenigen, selbst seinerAnhänger und Freunde ganz verstanden, durch Arbeit und Krankheit (wie auf dem Convent zu Schmalkaden 1537) erschöpft, durch den Undank der Welt gegen das Evangelium schmerzlich verwundet, mit alten (Papisten und Sakramentierern) und neuen (Agrikola und den Gesetzesstürmern 1537 und 1538) Gegnern im Kampfe, in bitterer Ahnung überhandnehmenden Sektengeistes und des Wankelmuts der Menschen, durch das Scheiden alter Freunde und seines Töchterchens Magdalena immermehr vereinsamt, in Sorge für die ganze Kirche und vor den aufziehenden Kriegsgewittern, sehnt er sich immer mehr nach der Stunde des Heimgangs. Der Herr hat ihm, der den Frieden im Evangelium verkündigt, nach dem Frieden sich allzeit gesehnt und auch für den äußern Frieden gesprochen und gefleht, noch ein Friedenswerk zum letzten ausersehen, die Aussöhnung der Grafen von Mansfeld. In seiner Geburtsstadt Eisleben findet er, im Glauben von Joh. 3. 16. Ps. 67, 21, noch vor dem Religionskrieg (Jes. 57, 1. 2.), das ersehnte letzte Stündlein. Mit den Worten, Ps. 31, 6., befiehlt er dem Herrn seine Seele, und ein deutliches Ja zum Bekenntnis seiner Lehre ist das letzte Wort auf seiner Zunge. Sein Leib wurde in der Kirche zu Wittenberg , nahe der Kanzel, von welcher er so manche gewaltige Predigt abgelegt, unter vielen Tränen in die Erde gesenkt, und gesäet in Schwachheit, dass er aufgehe an jenem Tage in ewiger Herrlichkeit. Das Licht aber, welches nach langer Macht der Christenheit und unter gewaltigen Kämpfen in seinem Innern durch ihn wieder hervorgebrochen ist, leuchtet schon drei Jahrhunderte und wird fortleuchten; und die Kirche, welcher der heilige Geist sein Wort als echten Ausdruck der Schriftwahrheit versiegelt hat, hat ihm die Grabschrift gesetzt:

„Gottes Wort und Luthers Lehr,
Vergehen nun und nimmermehr.“


Möge das evangelische Deutschland seines ersten geistlichen Glaubenshelden, in welchem sich in einem Grade und Innigkeit, wie in sonst keinem, die Tiefe, Macht und Treue des deutschen Geistes mit der Macht und Fülle des Evangeliums vermählte, nie vergessen; möge es auch immer eifriger werden, die in seinen Schriften niedergelegte, noch lange nicht in ihrer Fülle erkannten, ja vielfach vergessenen Schätze zu heben.