Die versunkene Insel Atlantis

Autor: Unger, Franz Prof. Dr. (1800-1879) österreichischer Botaniker und Zoologe, Erscheinungsjahr: 1860
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Atlantis, versunkener Kontinent, Nord-Amerika, Tertiär, antlantische Inseln, Madera, Azoren, Kanarien, Kapverden, Island
Die Kenntnis von den früheren Zuständen der Erde, bevor der Mensch von dem ihm zugewiesenen Erbteil Besitz nahm, ist zwar noch von jungem Datum, aber dennoch auf so sichere Grundlagen gestützt, dass die flügge gewordene Wissenschaft sich auch schon an die Lösung der schwierigsten Probleme wagt. Kaum sind es einige Dezennien, seit die Spielerei mit den Petrefakten einen ernsten Charakter angenommen, seit der Bau des Festlandes und die Beschaffenheit der Meerestiefen als ein Resultat großer vorhergegangener Umwälzungen angesehen worden. Wenn diese Kenntnisse gegenwärtig noch in vielen Punkten mangelhaft, unbestimmt, und dort, wo sie nicht auslangen, durch Voraussetzungen unterstützt werden, so hindert das keineswegs, ihnen Vertrauen zu schenken und sie für die Ausgangspunkte der gewichtigsten und fruchtbringendsten Lehren zu betrachten.

Als Herrn der Erde ist es für den Menschen nur eine Maßregel der Klugheit, wenn er sich um den Bau des Hauses, das er bewohnt, um die Grundfesten, worauf dasselbe steht und um die Dauerhaftigkeit des Materiales, woraus es zusammengesetzt ist, bekümmert. Was er zu hoffen, was er zu fürchten hat, wird zwar für den Einzelnen wenig erheblich sein, das Geschlecht aber sicherlich nicht unberührt lassen, das wie es scheint zu einer längeren Dauer berufen ist, als wir insgemein vermuten.

Erlauben Sie, dass ich Ihnen heute eine kleine Episode aus dem Erdenleben darstelle, nicht um Ihnen zu zeigen, wie wenig fest der Boden ist, worauf wir stehen, wie veränderlich die Zustände sind, unter denen wir leben, sondern wie groß und unermesslich die Wirkungen sind, die selbst die kleinsten unansehnlichsten Ursachen hervorbringen, — Ursachen, von deren Herrschaft sich weder die Welt noch wir zu befreien vermögen. Ist es gewiss doch auch der physische Kampf mit diesem Schicksale, der in die Tragödie unseres Lebens verflochten, derselben den vollen Ernst und ihre letzte Bedeutung gibt.

Das Bild, das ich vor Ihnen zu entfalten beabsichtige, gehört zwar der Urzeit unseres Planeten an, allein nicht der altern, sondern einer verhältnismäßig sehr späten Periode, einer Periode, die, wenn auch nicht unmittelbar, doch nahezu als Vorläufer der Erscheinung des Menschen betrachtet werden kann. Man hat diese Periode, die Molasse Periode oder tertiäre Periode genannt, ausgezeichnet dadurch, dass sie uns mit einem unermesslichen Reichtume von Brennstoff versah, den wir als Braunkohlen in den damals abgesetzten Schlamm- und Sandschichten ausbeuten.

Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass die Verhältnisse der Erde damals ganz anders beschaffen waren als jetzt, und dass namentlich die Oberfläche der Erde, das Relief des Festlandes von dem gegenwärtigen wesentlich abweichend sein musste. Es kann hier nicht meine Absicht sein, die ganze Erdoberfläche in Bezug auf die Verteilung von Wasser und Land einer Betrachtung zu unterziehen, wofür wir auch noch viel zu wenig sichere Daten besitzen, jedoch wie es zu jener Zeit mit Europa aussah, von welcher Beschaffenheit der angrenzende östliche Weltteil, der große westliche Kontinent und das zwischen beide hingeworfene Weltmeer war, darüber bin ich allerdings im Stande einige Andeutungen zu geben. Das Interesse dürfte dabei um so höher gesteigert sein, als es eben zunächst unsere dermalige Wohnstätte ist, die wir in der Perspektive von einigen Millionen Jahren zu betrachten haben.

Ich beginne damit, Sie in das Detail der Untersuchungen einzuweihen, in so weit nämlich als ich diese zu meiner Beweisführung notwendig bedarf. —

Bekanntlich sind die Lagerstätten der Steinkohle zugleich die Fundstätten mannigfaltiger Pflanzen- und Tierreste jener Zeiten, wo sich eben diese Ablagerungen als ein noch keineswegs festes kompaktes Material gebildet haben. Es ist von hohem Interesse einen Blick in dies unterirdische Herbarium zu tun, und Sie werden es begreiflich finden, wenn ich vor einigen 20 Jahren, begünstigt durch glückliche Umstände, mit großem Eifer über diese seltsame Sammlung hergefallen bin. Bereits hatte man schon die botanischen Schätze der viel älteren Steinkohle und späterer Ablagerungen kennen gelernt, aber die Schätze der Braunkohle waren noch ein blaues Buch, das Niemand bis zu dieser Zeit eröffnet hatte. Es war zu erwarten, dass es dabei an Überraschungen nicht fehlte, und dass der Eindruck dieser Pflanzensammlung, wenn gleich nur in Bruchstücken und Fetzen ein höchst seltsamer war.

Wenn die Pflanzen und Tiere früherer Zeiten wenig Ähnlichkeiten außer den höchst allgemeinen mit den Pflanzen und Tieren der Jetztwelt zeigten, so war dies hier ganz anders. Man begegnete bei den allerdings in der Regel mit Schwierigkeiten verbundenen Untersuchungen häufig bekannten Formen, ja es schien zuweilen, als ob man den Kehricht eines unserer Parke vor sich hätte — ich sage absichtlich eines Parkes, der wie bekanntlich außer den einheimischen häufig mit fremdländischen Bäumen und Sträuchern bepflanzt ist.

Am auffallendsten war dabei die Wahrnehmung, dass ein nicht geringer Teil dieser Pflanzenreste Bäumen und Sträuchern von Nord-Amerika auffallend ähnelten, von manchen der dort lebenden Arten kaum zu unterscheiden waren.

Da ich auf diese Thatsache mit Recht ein großes Gewicht lege, so werden Sie mir erlauben zur Beglaubigung dessen Ihnen einige Petrefakte vor Augen zu legen.

Sie sehen hier ein ziemlich großes drei- bis fünflappiges, mit einem massig langen Stiele versehenes Blatt, dessen Rand gezähnt ist. Nur das Blatt eines in Nord-Amerika einheimischen Baumes gleicht ihm ganz oder doch fast ganz; es ist der Amberbaum (Liquidamaar stiracifluum Lin.), bekannt durch sein flüssiges Harz. Dass man sich hierin nicht etwa geirrt habe, beweiset zum Überflusse die gleichfalls im fossilen Zustande vorkommende Frucht, welche mit der Frucht des Amberbaumes vollkommen übereinkommt.

Aus diesen Blattresten hier, wovon der eine in der Schweiz, die andern in den Gipsbrüchen von Sinigaglia gefunden wurden, werden Sie auf den ersten Blick den prachtvollen nordamerikanischen Tulpenbaum (Liriodendron tulipiferum L.) erkennen. Wenn dieselben auch nicht ganz dieser Baumart gleichen, so sind sie doch gewiss als seine nächsten Verwandten zu betrachten. Auf Island haben sich außer den Blättern auch noch Früchte (von L. Procaccinii Ung.) erhalten.

Ein anderer allenthalben unter den Braunkohlenversteinerungen vorkommender Pflanzenrest ist ein mit kleinen lanzettlichen oder fast nadelförmigen Blättern besetzter Zweig, der auf ein Nadelholz hinweiset, das zwar nicht bei uns in Europa, wohl aber in Nord-Amerika sich einer großen Verbreitung erfreut und zu den ältesten vegetabilischen Denkmälern des Landes gehört. Es ist das Taxodium distichum Rich.

Wieder andere Fossilien der Braunkohle, sowohl in Früchten als in Blättern erhalten, weisen auf Bäume hin, die gegenwärtig in mehreren Arten gleichfalls nur Nord-Amerika bewohnen. Sie gehören der Gattung Nyssa an. Eben so beweisen die Früchte und Samen von Pavia und Robinia, die man in unserer Braunkohle hie und da gefunden hat, dass diese jetzt nur auf Nord-Amerika beschränkten Geschlechter einst auch in Europa lebten, während wir sie gegenwärtig als Fremdlinge eben von daher in unsere Gartenanlagen verpflanzten und sie wieder heimisch machen.

Bekanntlich fehlt Europa die Nuss, denn die hier fast eingebürgerte Wallnuss stammt aus den Bergwäldern des südlichen Kaukasus. Es sind aber Nussfrüchte der mannigfaltigsten Art in den Braunkohlenlagern sehr gewöhnlich. Vergleicht man diese mit der in Nord-Amerika in zahlreichen Arten repräsentierten Gattung, so fällt die große Übereinstimmung derselben nur zu sehr in die Augen; ja die sogenannte graue Nuss (Juglans cinerea Lin.) ist von einer der unserigen fossilen Nussarten (Juglans tephrodes Ung.) fast gar nicht mehr zu unterscheiden.

Was soll ich noch von den verschiedenen Ahorn-, Eichen-, Pappeln-, Hainbuchen-, von den Föhren- und Taxusresten unserer fossilen Flora der Braunkohle sagen, die alle nichts weniger in den europäischen noch jetzt lebenden Arten, sondern fast ausschließlich in den amerikanischen Typen ihre nächsten Verwandten besitzen. Und so könnte ich noch eine große Menge detaillierter Beweise anführen, die alle es bekräftigen würden, dass der Charakter unserer Braunkohlenflora kein europäischer, sondern ein nordamerikanischer ist.

Dieser Satz, den ich vor ungefähr 15 Jahren ausgesprochen habe, und der durch die seitherigen Forschungen in diesem Felde nicht die mindeste Erschütterung erlitten, sondern im Gegenteile Jahr für Jahr eine größere Stütze gewonnen hat, kann daher als durch die Erfahrung erwiesen angesehen werden.

Die seltsame Erscheinung, dass Europa einst mit solchen Pflanzen bedeckt war, die wir gegenwärtig aus großer Ferne hierher verpflanzt haben, dass sich darunter auch nicht wenige Arten befanden, die wir selbst dort nicht mehr lebend finden, oder die eine Versetzung in unser Klima nicht ertragen würden, setzt Umstände voraus, welche große Veränderungen in der Lebensbeschaffenheit der Gewächse, in der Gestalt der Erdoberfläche so wie in dem Klima dieser Teile seit jener Zeit bewirkt haben.

Am meisten dürfte es uns wohl frappieren, wenn wir Gewächse eines fernen Weltteiles über unseren heimatlichen Boden verbreitet sehen, während Pflanzen aus dem nachbarlichen östlichen Kontinent nur sehr sparsam vertreten sind.

Eine Erklärung dieser Erscheinung können wir nur in den Gesetzen, die bei der Entstehung und Verbreitung der Pflanzenarten wirksam sind, zu finden hoffen.

Ohne mich in dieses schwierige und gegenwärtig noch keineswegs von allen Seiten aufgeklärte Thema zu vertiefen, will ich Ihre Aufmerksamkeit bloß auf einige der auffallendsten Gesetze hinlenken, die wir bei der Verbreitung der Pflanzen allenthalben wahrnehmen, und die auch in früheren Weltperioden so wie jetzt Geltung haben mussten.

Alle Gewächse irgend eines Territoriums, irgend eines Bezirkes können offenbar nur auf eine zweifache Weise von demselben Besitz genommen haben. Entweder sie sind ursprünglich auf diesem Flecke entstanden, ihre Arten sind da gebildet worden, oder sie sind außerhalb den Grenzen desselben auf irgend eine Art dahin gelangt.

Wenden wir dieses auf die Braunkohlenflora von Europa an, so liegt gar kein Grund zur Annahme vor, die in Europa damals vorhandenen Pflanzen als auf diesem Boden entstanden anzusehen. Die große Übereinstimmung vieler und gerade der hervorragendsten Arten mit Arten, welche heut zu Tage Nord-Amerika bevölkern, lässt vielmehr der Mutmaßung Raum, dass irgend ein Connex zwischen beiden Floren stattfand. Es sind hierbei aber nur zwei Fälle möglich, entweder hat sich unsere Molasseflora allmählich nach Nord-Amerika verbreitet oder dieselbe ist umgekehrt ein Abkömmling der amerikanischen Flora, die sich seit jener Zeit nicht wesentlich geändert hat, während, wie es Thatsache ist, die Flora in Europa gewaltige Umänderungen erfuhr.

Dass das erstere das Richtigere ist, nämlich dass Nord-Amerika seit der Molassezeit denselben Charakter seiner Vegetation beibehielt, dafür sprechen mehrere Thatsachen, auf welche ich mir noch in der Folge zurückzukommen erlauben werde. Es ist demnach keinem Zweifel unterworfen, dass die in unseren Braunkohlenlagern begrabenen Pflanzen ihre Altvordern nicht auf diesem Boden, sondern auf dem Boden Nord-Amerikas zu suchen haben. Wo so viele Uebereinstimmung im Charakter ist, müssen wir notwendig Stammesverwandtschaft voraussetzen und es wäre gewiss gegen das Gesetz der Sparsamkeit Verstößen, wollten wir annehmen, dass in Europa und in Amerika zugleich die Bildungskraft sich in derselben Weise entfaltete. Kurz, es spricht mehr als ein Grund dafür, dass unsere Flora der Braunkohle ihr Bildungszentrum fern von Europa und zwar zunächst in den südlichen Teilen der nordamerikanischen Freistaaten hatte.

Ist dieser Satz richtig, so wird es keinen Schwierigkeiten unterworfen sein, in Erfahrung zu bringen, in welcher Art und Weise Amerika seine Abkömmlinge von Robinien, Amber- und Tulpen-Bäumen, von Nüssen, Ahornen u. s. w. nach Europa auf einen ihrer weiteren Verbreitung günstigen Boden sandte. Auch hier ist wieder nur ein zweifacher Fall möglich. Entweder die beflügelten und unbeflügelten Sprösslinge haben durch die Luft und das Weltmeer ihre Wege bis zu Europa's westlichen Küsten gefunden, oder dieselben benützten eine Brücke, die damals zwischen beiden Weltteilen bestand, später aber von dem Weltbaumeister wieder abgebrochen wurde. Dass Pflanzen, namentlich Samen sich nur zu oft jenes Mittels bedienen, um weite Reisen vorzunehmen, ja ihre Wanderungen dadurch von einem Kontinent zu andern zu bewerkstelligen, ist eine bekannte Sache. Ich bin in der Lage, Ihnen hier mehrere solche Kosmopoliten vorzuweisen, welche der Golfstrom von den Küsten von Mexiko nach Norwegen brachte. Die große und weite Verbreitung der Kokospalme wird ja größtenteils dem Weltmeere zugeschrieben.

Wenn man aber solche Verbreitungen der Pflanzen, welche durch Wind und Wellen oder durch Intervenierung wandernder Thiere bewerkstelliget werden, näher beleuchtet, so sieht man erst, dass die Zahl der Pflanzenarten, welche auf diese Weise zu Weltbürgern geworden sind, sehr gering ist, da hiezu auch eine gewisse Biegsamkeit des Naturells erforderlich ist, um die bald großen bald kleinen Veränderungen zu ertragen, die dabei nicht vermieden werden können.

Die Zahl der auf solche Weise verbreiteten Pflanzen ist immerhin eine sehr kleine, und kann nie so hoch steigen, dass sie dem fremden Lände den Charakter der Vegetation erteilet.

Die als Schiffer und Luftsegler eingewanderten Pflanzen bleiben dort, wo sie hingekommen sind, immer mehr oder weniger Fremdlinge, oder vielmehr Sonderlinge, die nie recht mit der einheimischen Bürgerschaft verschmelzen und daher ihre Eindringlingsnatur an der Stirne tragen.

Wenn es sich also darum handelt den Charakter der Braunkohlenpflanzen als Sendlinge des großen westlichen Kontinents zu bezeichnen, so kann dabei in keinem Falle an eine Sendung durch Wind und Wellen, durch Zugvögel oder andere Tiere gedacht werden, wenn man auch zu diesen Übersiedlungen ungeheuere Zeiträume und ungewöhnliche Umstände als mitwirkend in Anspruch nehmen wollte. Versuche, welche man mit Pflanzensamen zu eben diesen Zwecken anstellte, um ihre Erhaltungs- und Verbreitungsfähigkeit durch Meeresfluten zu erproben, haben gezeigt, dass dieses Mittel durchaus unzulänglich ist, um daraus die Verbreitung der Gewächse über die Erde zu bewerkstelligen.

Es gibt aber noch eine andere Art der Mitteilung, nämlich die schrittweise Wanderung, — eine Wanderung, welche zwar langsam aber sicher vorwärts geht und welche die einzige Verbreitungsweise ist, deren sich die Pflanzen zu allen Zeiten bedient haben müssen, um von ihren Bildungsmittelpunkten aus bis zur Grenze ihrer Verbreitungsbezirke zu gelangen, d. h. so viel und so weit sich rund umher auszudehnen, als der Boden und die Luftbeschaffenheit der Erhaltung und Fortpflanzung der Einzelwesen günstig ist. Flüsse, Gebirgszüge, große Binnenseen u. s. w. sind zwar im Stande, dieser Art der Verbreitung Hemmnisse in den Weg zu legen, es sind dies jedoch häufig solche, welche mit der Zeit, die ohne einen Wechsel der Umstände nicht gedacht werden kann, auch noch überwunden werden können. Nur große und weite Wasserflächen, Meere und Ozeane setzen diesem schrittweisen Weitergehen unübersteigliche Hindernisse entgegen.

Alles dies zusammengenommen lässt für die Erklärung der Braunkohlenpflanzen als Abkömmlinge nordamerikanischer Stammältern keinen andern Ausweg übrig als die Annahme eines kontinentalen Verbindungsweges. Europa muss also in der Tertiärzeit oder in der Braunkohlen-Bildungsperiode mit Nordamerika im Zusammenhange, der atlantische Ozean durch ein Festland irgendwie geteilt gewesen sein.

Diese auf wissenschaftliche Grundlage gestützte Folgerung würde aber unendlich an Sicherheit gewinnen, wenn es möglich wäre positive Beweise für das Vorhandensein eines Kontinents als Verbindungsglied jener beiden Weltteile beizubringen oder wohl gar die Ausdehnung und die Umrisse dieses Mittelkontinents nachzuweisen.

Wir wollen uns auch an diese schwierige Arbeit machen, halten es aber dabei für ersprießlich zuerst Europa und Amerika in Bezug auf ihre Weltgrenzen zur Tertiärzeit einer Prüfung zu unterziehen, mit andern Worten, die Frage zu beantworten: wie sah Europa und Amerika zur Zeit der Braunkohlenbildung aus?

Wer wird daran zweifeln wollen, dass beide Weltteile, um die es sich zunächst handelt, einst ganz andere Grenzen als jetzt hatten. Wenn die Beschaffenheit der Vegetation vom einstigen Europa auf ein milderes Klima hindeutet, das über alle seine Teile verbreitet war, wo Kampherbäume und Palmen gedeihen konnten, Rhinozerosse und Elefanten im Schatten undurchdringlicher Wälder hausten, kann es unmöglich hohe schneebedeckte Gebirge und weit ausgedehnte Landstriche gegeben haben. Schon die gegenwärtige mannigfach eingeschnittene Konfiguration dieses Weltteiles spricht für vielfältige Teilungen und Gruppierungen dieser Teile zu ehemaliger Zeit. Zur Sicherheit wird dies jedoch durch geologische Forschungen erhoben.

Auf diese gestützt ist es nicht schwer, eine Karte von Europa und dem unter gleicher Breite liegenden Teil von Nordamerika zu entwerfen, denn man braucht dazu nichts mehr als die geognostische Beschaffenheit des Bodens zu wissen. Es ist klar, dass so weit sich die Sedimente der Braunkohlenformation erstrecken, eine Wasserbedeckung vorhanden sein musste, weil diese sich nur als Bodensatz größerer oder kleinerer Wasserbecken bilden konnte. Wie jetzt, so haben zu allen Zeiten Flüsse, Bäche und andere rinnende Wässer die aufgelösten und zerriebenen Teile der festen Erdrinde in Form von Schlamm, Sand und Gerölle den tiefen vom Wasser eingenommenen Becken zugeführt und darin mehr oder weniger ruhig abgelagert. Die Ausdehnung und die Mächtigkeit jener Schichtenhaufen, die ganze Länderstrecken einnehmen und eine Höhe von mehreren Tausend Fuß erreichen, lassen mit Sicherheit ermessen, dass diese freilich durch lange Zeit fortgesetzten Operationen in einem gigantischen Maßstabe ausgeführt wurden. Ganze Berge mussten durch Verwitterung und Fortschaffung des Materiales abgetragen werden, um die Talmulden auszufüllen und die Ebnen zu decken, über welche sich jenes tertiäre Meer erstreckte. Aber auch auf dem Festlande musste es zahlreiche Wasseransammlungen gegeben haben, natürlich nur von sogenanntem süßen Wasser, während jenes einen mehr oder minder beträchtlichen Salzgehalt hatte. Es ist von selbst verständlich, dass an allen Flussmündungen im Meere das Wasser in größerer oder geringerer Ausdehnung versüßt wurde. Dabei fehlte es nicht, dass nach Zerreißung der Dämme oder durch Niveauveränderungen bald sich die Binnenseen in das Meer entleerten, oder umgekehrt das Meer in die Binnenländer einbrach, und auf diese Weise einen Wechsel sowohl in den Meeressedimenten als in den Ablagerungen von Süßwasser hervorbrachte.

In diesem fortwährenden Wechsel von Zerstörungen, wobei die Grenzen des Festlandes nie eine bleibende Form erlangten, hat sich nichts desto weniger von günstigen Umständen unterstützt, eine reiche Vegetation über dasselbe entfaltet. Von dichten Urwäldern scheint allenthalben der Boden bedeckt gewesen zu sein und namentlich sumpfige Niederungen die vorteilhaftesten Bedingungen zur Anhäufung großer vegetabilischer Massen gegeben zu haben, die wir uns nur in der Form einer durch Jahrtausende fortgesetzten Torfbildung vorstellen können. Die unzähligen Massen von Pflanzenleichen über einander gehäuft, endlich zufällig durch Schlamm- und Sandfluten bedeckt, sind es, die unsere Braunkohle bilden. In den großen Lehm-, Sand- und Geröllablagerungen nehmen sie dessen ungeachtet nur einen kleinen Anteil ein, der an Ausdehnung gegen jene weit nachstehen muss, wie denn auch die Bedingungen zur Bildung jener Torfmoore stets von lokalen Umständen abhängig war.

Ziehen wir nun die Grenzen des Festlandes von dem damaligen Europa nach den Grenzen, so weit sich diese in dem heutigen Europa kennbar machen, so erhalten wir einen Flächenraum, der um vieles kleiner und von ganz anderer Konfiguration ist, als das Europa von jetzt. Ein Blick auf die vorgewiesene Karte zeigt uns statt eines großen Festlandes eine Gruppe von größeren und kleineren mannigfaltig unter einander verbundenen Inseln, aus denen wir größtenteils nur unsere hauptsächlichsten Gebirgszüge zu erkennen im Stande sind. Ich kann dabei noch hinzufugen, dass dieselben gewiss nicht jene Höhe erreichten, die sie heut zu Tage einnehmen, dass sie somit mehr ein Hügelland bildeten, ohne sich dabei in große und weite Ebenen auszudehnen.

Ich übergehe jede detaillierte Darlegung und Ausführung der Gründe, warum die Linien so und so gezogen sind, und Sie werden es mir gütigst überlassen wollen, meine Rechtfertigung hierüber den Männern des Faches bei anderer Gelegenheit zu sagen. —

Werfen wir dagegen einen Blick auf Nord-Amerika, so scheint dies im Gegensatze von Europa weniger im Nachtheile der Gebietsverkleinerung. Die gegenwärtig sehr praktischen Bewohner dieses Erdteiles würden das vorweltliche tertiäre Amerika gewiss nicht ungern gegen ihr heutiges Land vertauschen. Die äußerst wenigen und unbedeutenden tertiären Ablagerungen dieses Weltteiles im Norden lassen mit Sicherheit erkennen, dass derselbe damals schon .in seiner ganzen Ausdehnung sich über dem Meeresspiegel befand; ja Gründe, welche sich aus den Tiefenmessungen des atlantischen Ozeans ergeben, machen es mehr als wahrscheinlich, dass seine östlichen Grenzen weit in den atlantischen Ocean vorgeschoben waren.

Das wichtigste ist nun wohl in Erfahrung zu bringen, wie es mit den Inseln, die zwischen Europa und Amerika liegen, zu jener Zeit stand, denn sollte damals eine Verbindung zwischen beiden Weltteilen existiert haben, so können dieselben unmöglich von dieser Verbindung ausgeschlossen gewesen sein. In der Tat finden sich auch solche Beweise. Im hohen Grade muss es unser Staunen erwecken, wenn wir auf der nördlichsten derselben, dem vulkanischen Island zahlreiche Spuren von Braunkohlenlagern und der sie begleitenden Pflanzen finden. Ein großer Teil derselben stimmt genau mit den Arten überein, die dereinst unser ganzes europäisches Festland bekleideten; von den 8 Nadelhölzern finden alle in den Nadelbäumen Nord-Amerikas ihre Analoga.

Auch Island, das jetzt ganz baumlos ist, war zur Tertiärzeit dicht mit Bäumen bepflanzt. Reste davon, noch mit der Rinde versehen , finden sich in der Braunkohle, die dort Suturbrand genannt wird, erhalten, was beweiset, dass sie nicht etwa als Treibholz hingeführt sein konnten.

Außer Island liegen nur kleine Inselgruppen zwischen Europa und Amerika, die Azoren, Madera, die Kanarien und die Kapverden, alle vulkanischer Natur. Nur auf einer einzigen derselben, nämlich auf Madera hat man tief im Basalttuff eingebettet Pflanzenreste gefunden. Da dieselben (freilich aus sehr unvollständigen Bruchstücken erschlossen) mehr mit den dermalen diese Inseln bekleidenden Pflanzen als mit unseren tertiären Pflanzen übereinstimmen, so hat man ihre Einschließung und folglich auch die Zeit ihrer Existenz in eine spätere als in die Tertiärzeit setzen zu müssen geglaubt, was mir jedoch nicht richtig scheint.

Die wenigen bisher in Nord-Amerika entdeckten Tertiärpflanzen stimmen zwar mit unseren europäischen Tertiärpflanzen überein, sie weichen aber auch in ihrem Charakter eben nicht wesentlich von der gegenwärtigen Flora des Landes ab. Es kann dies auch nicht anders sein, wenn überhaupt die Tertiärflora Europas ein nordamerikanisches Gepräge trug, denn es beruht diese Erscheinung im Wesentlichen nur darauf, dass sich die Flora Nordamerikas seit der Tertiärzeit nicht oder nur unbedeutend änderte, während Europa seit jener Zeit ein ganz anderes Kleid anzog.

Dasselbe findet nun auch auf den atlantischen Inseln statt. Es ist nicht zu leugnen, dass die tertiäre europäische Flora sowohl mit der nordamerikanischen Flora übereinstimmt, als zugleich Anklänge an die Flora der atlantischen Inseln zeigt, die ja auch ihrem gegenwärtigen vegetabilischen Charakter nach eben so zu Amerika als zu Europa hinneigen. Es ließen sich gut ein Dutzend Tertiärpflanzen finden, welche mit jetztlebenden atlantischen zusammenstimmen. Es kann daher nicht auffallend sein, wenn die Tertiärpflanzen Madera's mit den gegenwärtigen Pflanzen der atlantischen Inseln übereinkommen, ja es würde zu wundern sein, wenn dies nicht der Fall wäre, da Nord-Amerika sich in ganz gleicher Lage befindet.

Also auch über diese Inseln so wie über Island muss die große Brücke geführt haben, die einst beide Kontinente in Verbindung setzte.

Mehr über diesen Gegenstand zu sagen, ist dermal unmöglich. Zwar ließen sich noch, um genauere Bestimmungen über Ausdehnung und Verbindungen dieses Mittellandes zu eruieren, die bekannten Niveauverhältnisse der atlantischen Meerestiefen benutzen, es wäre dies jedoch immerhin ein sehr schwieriges und gewagtes Unternehmen, wobei man immer zu furchten hätte, dass man von den Wogen dieses trügerischen Ozeans nicht von einer wissenschaftlichen Sandbank zur andern geworfen würde. Auch den bekannten Sargastosee als den Rest des einstigen Küstensaumes anzusehen, dürfte, in mehrfacher Beziehung gewagt sein.

So müssen wir uns vor der Hand begnügen, jenes Zwischenland, das wir Atlantis nennen wollen, zwar in seinem Bestände zur Tertiärzeit als gesichert zu betrachten, dessen Ausdehnung nach Norden bis Island, im Süden bis über die atlantischen Inseln als eine unumstößliche Thatsache zu erklären, müssen uns aber bescheiden, seine näheren Umrisse unbestimmt zu lassen.

Wenn ich daher den Versuch wagte, Ihnen dieses Festland in einer bestimmten Form vorzustellen, so geschah dies nur, weil sich Nebelstreifen als Konturen nicht gut ausnehmen. Wollen Sie also diese letzteren dem größeren Teile der Ausdehnung nach für ideal halten.

Es würde nun allerdings sehr interessant sein zu erfahren, welche Schicksale dieses Festland in späterer Zeit erfuhr, bis es endlich ganz und gar verschwand, und von seinem Dasein nur einige wenige Inseln zurückließ. Ohne Zweifel nahm diese Atlantis einst die Form einer von beiden Weltteilen getrennten Insel an. Wie weit aber diese Atlantis als Insel in die späteren Weltperioden hineinragte, ist eben so wie ihre Begrenzung in Nebel gehüllt. —

Es ist bekannt, dass auf die pflanzen- und blütenreiche Tertiärzeit sehr trübe Begebenheiten, — Ereignisse, die allem Leben ein Ziel setzten — folgten.

Die tertiäre Inselgruppe von Europa hat zwar durch Emporhebung an Ausdehnung gewonnen, aber eben dadurch musste es von seinem milden Inselklima viel verlieren. Auch hörten die Wege, welche Ströme warmen Wassers aus dem indischen Ozean gleich dem Golfstrome bis in die panonnische Bucht und daher bis zu den Hügeln unserer Türkenschanze brachten, auf. Ein großer Kontinent im Osten setzte Europa mit Asien in unmittelbare Verbindung.

Alles dies musste so wie das teilweise Untersinken der Atlantis mächtig auf die Veränderung der Zustände von Europa einwirken. Die Abkühlung geschah zwar allmählich, aber so bedeutend, dass die Schneeanhäufungen von den nun zu namhaften Höhen emporgehobenen Bergen immer mehr und mehr um sich griffen und das ganze Land, wenigstens im Norden unserer Zentralkette, vergletscherten.

So trat eine Periode ein, welche wir die Eiszeit nennen. Auch diese muss eine geraume Zeit gedauert haben, bis sich das Klima in Folge günstigerer geologischer Veränderungen besserte. Namentlich musste der in jener Zeit offene Polarweg des Eismeeres in die Ostsee geschlossen und durch Trockenlegung des nordafrikanischen Meergrundes in der Sandwüste von Sahara ein Ofen geschaffen werden, der Europa fortwährend mit warmen Luftströmen versorgte. Die britannische Insel kam dabei in engere Verbindung mit dem Kontinente, dagegen tauchte die Atlantis bis auf wenige Spuren im weiten Ocean unter. Europa so wie Amerika erhielten dadurch nahezu ihre gegenwärtige Gestalt. Es war dies die Zeit der Höhlenbären (Ursus spelaeus), des Urochsen (Bos primigenius Boj.), des letzten europäischen Elefanten und Nashorns (Elephas antiquus Falk und Rhinoceros leptorhinus Cuv.) und in Nord-Amerika des Missourium (Missourium theristocaulodon Koch).

In Europa, wo die klimatischen Verhältnisse sich so mächtig veränderten, hatte dies die Einführung einer ganz fremden Vegetation zur Folge, die nun nicht mehr von Westen, sondern über die russischen Prairien, über den Kaukasus und die Krim nach Europa gelangten und hier Besitz von den mit Geröllen und ausgetrocknetem Schlamm überdeckten Boden der Ebenen nahm. Welche Zeit diese neue Einwanderung von Pflanzen und Tieren aus dem Osten in Anspruch nahm, lässt sich wohl denken, doch haben wir weder über die Dauer derselben noch über den Eintritt dieser Periode irgend welche sichere Anhaltspunkte. — Auch ob der Mensch am Ausgange jener Eiszeit schon existierte, sind wir nicht im Stande mit sicheren Beweisstücken zu belegen, wenn es gleich bisher schon gelang, Knochen desselben mit den Knochen der zu jener Zeit untergegangenen Tiere zu finden, oder wie in Nord-Amerika ein mit Steinwaffen erlegtes Riesenmissourium zu entdecken.

Die erste Geschichte des Menschen liegt also immerhin noch in ein Dunkel verborgen. Um so mehr muss es auffallen, durch Überlieferung eine Nachricht zu erhalten, die gerade für die Geologie jener Zeitperiode von größter Wichtigkeit ist, und gewissermaßen eine Bestätigung der einstmaligen Verbindung Europas mit Amerika enthält, obgleich wir meinen sollten, dass diese Verbindung längst schon aufgehoben war, als das Menschengeschlecht auf dieser Schaubühne auftrat. Diese merkwürdige Stelle findet sich in dem von Plato [* 428/427 v. Chr. in Athen oder Aigina; † 348/347 v. Chr. in Athen) war ein antiker griechischer Philosoph aus Athen.] überschriebenen Gespräche Timäus. Hier wird geradezu von einer großen Insel Atlantis gesprochen, die jenseits der Säulen des Herkules gelegen, der Sitz eines sehr mächtigen Volksstammes war.

Ein Priester von Saïs macht Solon [* wohl um 640 v. Chr. in Athen; † vermutlich um 560 v. Chr., war ein griechischer Lyriker und athenischer Staatsmann.], der nach Ägypten kam, um die Weisheit dieser Kaste kennen zu lernen, jene merkwürdige Mitteilung, die zwar mit mancherlei historischen Unzukömmlichkeiten geschmückt erscheint, aber in so ferne unsere Aufmerksamkeit erregen muss, wie ein ägyptischer Priester zu dieser Sage, oder wie Platon zu dieser seltsamen, man möchte sagen abenteuerlichen Vorstellung gelangte.

Hören wir Platon selbst.

Nachdem der erwähnte Priester zuerst darauf hinweiset, wie nur Ägypten das Land sein könne, wo sich Spuren der ältesten Begebenheiten des Menschengeschlechtes erhalten haben, eröffnet er Solon, dass Griechenland und namentlich Athen schon eine sehr alte Geschichte habe, die leider im Lande selbst verloren gegangen sei; er machte ihn aufmerksam, wie dieses Land von der Göttin Neith (Athenae) noch früher als Saïs gegründet, schon in den ältesten Zeiten eine geordnete Staatsverfassung, eine große geistige und strategische Macht besaß. ,,Denn da,“ so spricht er, „die Göttin den Krieg eben sowohl als die Weisheit liebt, wählte sie denjenigen Ort aus zur Gründung eines Staates, welcher die ihr ähnlichsten Männer hervorbringen würde. Unter solchen Gesetzen und noch schöneren staatlichen Einrichtungen lebtet ihr damals, alle anderen Menschen an Tugend übertreffend, wie es sich für solche geziemt, die von Göttern entsprossen und erzogen sind. Viele nun und große Werke eures Staates, die hier (in unseren Schriften) verzeichnet sind, setzen in Erstaunen. Eines aber übertrifft alles andere an Größe und Herrlichkeit. Denn die Schriften berichten, wie euer Staat einst ein Ziel setzte einer Macht, die in großem Übermute gegen ganz Europa und Asien heranzog, von jenseits hereinbrechend aus dem atlantischen Meere, denn damals konnte man jenes Meer beschiffen. Vor jener Mündung nämlich, welche ihr nach eurer Aussage die Säulen des Herkules nennt, lag eine Insel, größer als Lybien und Asien zusammen. Von ihr konnten damals die Seefahrer zu den andern Inseln kommen, und von diesen Inseln auf das ganze Festland gegenüber, welches um jenes eigentliche Meer sich ausdehnte. Denn das Meer, welches innerhalb jener Mündung liegt, von der wir reden, scheint ein See mit enger Einfahrt, jenes aber würde mit vollem Rechte ein Meer und das daran stoßende Land ein Festland genannt werden.

Auf dieser großen atlantischen Insel nun bestand ein großes und wunderbares Königreich, welches über die ganze Insel herrschte und über viele andere Inseln und Teile des Festlandes. Außer dem beherrschte es auf der anderen Seite Libyen bis nach Ägypten und Europa bis nach Tyrrhenien. Diese gesamte Macht nun, zu einer einzigen vereinigt, versuchte damals euer und unser Land und alle Gegenden innerhalb der Mündung in Einem Laufe zu unterjochen. Damals nun, o Solon, strahlte die Macht eures Staates vor allen Menschen durch Tapferkeit und Stärke hervor.

Allen vorangehend durch Mut und kriegerische Künste, sei es als Führer der Hellenen, sei es notgedrungen alleinstehend in Folge des Abfalls der andern, geriet er in die größten Gefahren, schlug aber die Angreifenden zurück und errichtete Siegeszeichen. Er verhinderte auch, dass die noch nicht Unterjochten unterjocht wurden; die andern aber, so viele ihrer innerhalb den Säulen des Herakles wohnen, machte er frei ohne Missgunst.

Als aber in späterer Zeit außerordentliche Erdbeben und Fluten eintraten, bewirkte ein schlimmer Tag und eine schlimme Nacht, dass euer ganzes versammeltes streitbares Heer von der Erde verschlungen wurde, und zugleich die Atlantisinsel eben so ins Meer versank.

Deshalb ist auch jetzt jenes Meer unzugänglich und schwer zu erforschen, da der tiefe Schlamm, welchen die Insel beim Versinken gebildet hat, die Schifffahrt verhindert.“

So weit diese merkwürdige Stelle im Timäus, die auf ihre richtige Erklärung zurückzuführen, sich bisher Geschichts-, Sprach- und Naturforscher, wie es scheint, vergeblich bemühten. Dass der Kern dieser Erzählung ganz und gar im Reiche der Phantasie liege, wäre doch wunderbar anzunehmen, da, wie wir eben gezeigt haben, gerade das wichtigste Substrat derselben, ein im atlantischen Ocean befindliches Festland dereinst existiert hat.

Mir steht es nicht zu, diese Sage in Verbindung mit den geologischen Thatsachen und den daraus gezogenen Schlüssen zu bringen, noch weniger Platons Mystifikation oder die Prahlerei eines ägyptischen Priesters in ihr wahres Licht zu stellen. So viel Voraussicht aber glaube ich mir zutrauen zu dürfen, dass durch ein vereintes Bemühen der Natur- und Sprachforschung wie dieses so auch manch anderes Rätsel über die Urgeschichte des Menschengeschlechtes gelöst werden wird, die wir gegenwärtig als brennende Fragen in der Entwicklung unseres Geistes betrachten.

Möge diese Äußerung eines modernen Priesters der Natur nicht wie jene des Priesters zu Saïs für eine eitle Überschätzung menschlicher schwacher Kräfte angesehen werden!