3. Die letzten Jahre der ukrainischen Republik und die Ukraine als autonome Provinz Russlands (bis 1781).

Die Schlacht bei Poltawa war das, Ereignis, dessen Folgen noch heute auf Europa lasten. In dieser Schlacht wurde das heutige russische Imperium geschmiedet und seine Zukunft wenigstens auf zwei Jahrhundert hinaus gesichert. Mazeppa, der dem Triumphzuge des Zaren nach Süden den Weg versperren wollte, fiel, da er seinen alten Schultern und denen seines Volkes allein die Aufgabe aufzuerlegen wünschte, deren Lösung erst weiteren Generationen beschieden war. Noch schlimmer aber waren die Folgen der Niederlage für die Ukraine. Mit der Vernichtung der schwedischen Armee war die letzte Großmacht in Europa ausgeschieden, die bei allen antirussischen Plänen als Verbündeter in Betracht gekommen war. Auch die Tage Polens waren schon gezählt, die Türkei entschieden in die Defensive zurückgedrängt. Die anderen Mächte waren zu weit entfernt, Russland obendrein zu wenig in ihre Interessengegensätze verwickelt, um einen nahen Konflikt zwischen Westeuropa und dem zarischen Reich zu erwarten. Von jetzt an war die Ukraine — in ihrem Verzweiflungskampf — gegen die Anmaßungen Russlands ganz auf ihre eigenen Kräfte angewiesen. Wie sah es nun mit diesen Kräften aus? Durch Verwüstungen des Landes (Einnahme und Ausplünderung der hetmanschen Residenz Baturin durch Menschikoff), durch Güterkonfiskationen, Verbannungen nach Sibirien und Hinrichtungen trachtete Peter I. nach Poltawa den ukrainischen Separatismus auszurotten. Der Teil des Volkes, der früher bei nationalen Bestrebungen am tatkräftigsten auftrat, stemmte sich dem russischen Koloss nicht mehr entgegen: Viele von dem ukrainischen Adel — und zwar der energischste Teil — waren ausgewandert, viele bei Poltawa gefallen. Russland hielt jetzt den geeigneten Moment für gekommen, einen konsequenten und rücksichtslosen Feldzug gegen die Selbständigkeitsbestrebungen der Ukraine einzuleiten. Unter diesen Umständen durfte die ganze Tatkraft der ukrainischen Patrioten, die aus ihre staatsrechtlichen Ansprüche keineswegs verzichteten, sich nur auf die Verteidigung der wesentlich beschränkten Autonomie des Landes richten. Bald sich wieder fast zum unabhängigen Staate erhebend (1728), bald fast alle alten Freiheiten verlierend, führte die Ukraine diesen unglücklichen Kampf bis 1781, wo alle autonomen Rechte des Landes endgültig abgeschafft wurden. Immerhin war die Ukraine des achtzehnten Jahrhunderts noch ein für Russland sehr unbequemes und unruhiges Grenzland, das bei jedem Anlass entweder die Restitution der „Perejaslawer Artikel“ forderte, oder durch seine Emissäre geheime Pläne mit der Türkei schmiedete, die zum Zufluchtsort für eine ganze Anzahl der ukrainischen politischen Emigranten geworden war, die entweder die Pforte zum Kriege gegen Russland hetzten, oder ihre aufrührerische Tätigkeit in der Ukraine entfalteten. So stemmte sich diese mit einer kaum zu überwindenden Hartnäckigkeit dagegen, sich zur Rolle einer russischen Provinz degradieren zu lassen. Wenn man diese Lage in der Ukraine berücksichtigt, so wird es begreiflich sein, dass, obwohl diese offiziell als ein internationaler Faktor fast nicht mehr existierte, doch ihre Angelegenheit von großem Einfluss war auf die ganze innere und äußere Politik Russlands. So z. B. befürchtete man in den Regierungs- und Adelskreisen Russlands zur Zeit der Thronbesteigung der Zarin Anna (1730), dass bei dem ersten besten Anlass die Ukraine sich von Russland loszureißen versuchen würde. Bekanntlich hegte der russische Adel zu dieser Zeit die ernste Absicht, den zarischen Absolutismus zu seinem, des Adels Gunsten zu beschränken. Wie die Gesandten der ausländischen Höfe, die die Zeugen der Thronbesteigung der Zarin waren, in ihren Meldungen berichteten, scheiterte die ganze Aktion des russischen Adels nur dadurch, dass man allgemein die Rückwirkung desselben auf die Wiederbelebung der zentrifugalen Tendenzen des ukrainischen Adels befürchtete. Ebenso musste man zur Zeit der Kaiserin Katharina II., die eine Kommission der Vertreter des Volkes zusammenkommen ließ, um eine neue Gesetzgebung für das Reich auszuarbeiten, diese Kommission schleunigst nach Hause schicken, da die ukrainischen und lievländischen Vertreter die Wiederherstellung der Privilegien ihrer Länder forderten. Die immer ungewisse, unruhige Stimmung in der Ukraine veranlasste endlich die Regierung, als Peter II. in einem Krieg mit der Pforte lag, 1721, nach einer Pause die ukrainischen Privilegien und die Hetmanswürde wieder herzustellen.

1721 war die Bearbeitung aller ukrainischen Angelegenheiten dem russischen Senat entzogen und wieder dem Kollegium der auswärtigen Angelegenheiten übertragen, womit der staatsrechtliche Charakter der Ukraine ihr wiedergegeben wurde. Bald darauf wurde auch die Hetmanswürde wieder hergestellt. Besonders ist daran charakteristisch, dass die Regierung dieses Amt einem Manne anvertrauen musste — dem Daniel Apostol, der 1709 mit Mazeppa zu Karl XII. übergegangen war! Endlich 1728 erschien ein Manifest, nach dem der Chmelnytzische Vertrag wieder zum Grundstein ukrainischer Verfassung geworden ist. Dies waren aber schon die letzten Jahre der ukrainischen Republik. Zwar stand dem Hetman das Recht zu, fremde (Gesandte zu empfangen, aber mit ihnen zu verhandeln, war ausschließlich der russischen Regierung vorbehalten. Auch manch andere Paragraphen der neu restituierten Verfassung klangen ganz anders, als im Jahre 1654. Mit dem Tode Daniel Apostols (I734) war auch der letzte Herrscher der — wenigstens nominell wieder selbständigen Ukraine dahingegangen. Nach ihm beginnt die Zeit, in der die Ukraine nur eine provinzionale Autonomie genoss, und die bis zur Regierungszeit Katharina II. 1781, dauerte.


Katharina II., die schon zu dieser Zeit das ganze Polen als ihre Domäne betrachtete, fühlte sich zu stark, um ihren „kleinrussischen“ Untertanen die alten, ihr unbequemen Freiheiten zu überlassen. Der letzte ukrainische Hetman Graf Eyril Nazumowsky war, trotzdem die in seinen Händen befindliche Gewalt nur ein Schatten der früheren war, doch eine sehr unbequeme Persönlichkeit für die Zarin. Man wollte ihn wegschieben, um ihre Unifikationspläne zu realisieren. Graf Nazumowsky war ein echter Ukrainer, der an den alten Privilegien und Gebräuchen zähe festhielt und allen Versuchen, die Kompetenz der russischen Regierungsstellen auf die Ukraine zu erweitern, mit Hartnäckigkeit sich widersetzte. Man mutete ihm auch die Absicht zu, in seiner Familie eine Dynastie des ukrainischen Fürstentums begründen zu wollen. 1763 entstand unter dem ukrainischen Klerus und Adel eine Bewegung, die die Erblichkeit der Hetmanswürde in der Familie Nazumowsky zu erzwingen suchte. Die Vertreter der autonomen ukrainischen Regierung, sowie auch der ukrainischen Generalität trafen in Gluchow (neue Residenz) zusammen, von wo an die Zentralregierung eine Petition gerichtet wurde. Zu dieser forderten die Ukrainer die Erblichkeit der Hetmanswürde, als einer für „die ewige Erhaltung der genehmigten Rechte, Freiheiten und Privilegien der Ukraine“ unentbehrlichen Reform.

Man verstand in Petersburg die Absichten der unbequemen „kleinrussischen Untertanen“ und entschloss sich zu einer umfangreichen Aktion, um — wie die Kaiserin sich ausdrückte, die Ukraine „fest in die Hände zu nehmen“. Zudem machten sich auch die Zaporoger sehr unangenehm bemerkbar, die fortwährend mit den ukrainischen Emigranten in der Türkei, Wallachei und Polen konspirierten und von wo aus bei jeder ernsten internationalen Komplikation eine heftige separatistische Propaganda betrieben wurde. Warnungen vor der Tätigkeit der Emigranten und Zaporoger erhielt man in Petersburg bald von der Konstantinopeler Gesandtschaft, bald aus Ungarn. Diese Warnungen, die bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts nicht aufhörten, sowie die wahren oder vermeintlichen Absichten Nazumowskys und des Generalrates in Gluchow, zwangen Katharina, die Autonomie der Ukraine gänzlich aufzuheben.

Man begann mit der Abschaffung des hetmanischen Regiments*), welches durch das ins Leben gerufene „kleinrussische Kollegium“ ersetzt wurde (10. 11. 1764), welchem von nun an die höchste Regierungsgewalt in der Ukraine zustand. Diese Maßregel rief eine starke regierungsfeindliche Kundgebung der ukrainischen Autonomisten hervor, zu der die Zusammenberufung der schon erwähnten gesetzgebenden Kommission den Anlass gab.

*) Der seines Postens enthobene letzte Hetman der Ukraine Graf K. Ranzumowsky starb 1801. Von ihm stammt die jetzige Familie der Grafen Razumowsky in Österreich.

Das Manifest über die zu beginnenden Kommissionswahlen machte keinen günstigen Eindruck auf die Ukraine, im Gegensatz zu Russland, wo man voll der Kommission — dieses ersten russischen Parlaments — allerlei Erleichterungen erwartete. Die Ukrainer wünschten keine neuen, sondern Wiederherstellung ihrer alten Rechte. Der nach den Worten Katharinas — „eingewurzelte innere Hass des ganzen ukrainischen Volkes gegen die Russen“ — hinderte sie, die „Segnungen“, die Russlands Regierung ihnen angedeihen lassen wollte, zu würdigen. Sie fürchteten einfach, dass ihr Beitritt zur allrussischen Kommission als ein Verzicht auf den Standpunkt der Sonderstellung der Ukraine aufgefasst werden könnte. Der Präsident des „kleinrussischen Kollegium“, Graf Rumianzeff, schrieb der Zarin (02. 03. 1767), dass den Ukrainern „jedes zarische Gesetz oder Ukas die Antastung ihrer Privilegien, Rechte und Freiheiten zu sein scheint“, und dass dort die Meinung stark vertreten sei, dass „all das (die Kommission) sie nichts angeht“. Rumianzeff fürchtete den Boykott der Wahlen. Aber es geschah anders. Man entschloss sich schließlich, an den Wahlen teilzunehmen, aber nicht um gesetzgebende Tätigkeit in der Kommission auszuüben, sondern um eine autonomistische Bewegung in Szene zu setzen. In vielen Wahlversammlungen, in vielen Cahiers, die die Deputierten von den Wählern bekamen, forderte man tatsächlich (nach dem Bericht Rumianzeffs), dass „ihre Rechte, Freiheiten und Gebräuche genehmigt und das Heer aus der Ukraine herausgezogen würde“. Manchmal bekamen die Deputierten die Instruktion, um die Wahl des Hetmans zu bitten und sie durchzusetzen, „denn ohne Hetman drohe der Ukraine Unheil und Gefahr.“ (Dieselbe Sprache führten auch die ukrainischen Delegierten in der Kommission selbst.) Später (28. 2. I768) berichtet Numianzeff, das, die vom Urlaub zurückgekommenen ukrainischen Delegierten „sich sehr damit rühmen, das; die Lievländer in der Verteidigung ihrer alten Rechte und Freiheiten mit ihnen gleichen Gedankens seien“, und das die Ukrainer „an allen ihren anmaßenden Ideen (gemeint sind die autonomistischen) festhalten.“ Nur der rücksichtslosen Energie Rumianzeffs, der die „frei gewählten“ Vertreter der ukrainischen Stände einfach verbannen oder verhaften ließ, wurde die in bedenklichem Umfange sich ausbreitende Bewegung unterdrückt. Bald darauf löste dann die „liberale“ Zarin diese Kommission auf, um sie nie wieder zu berufen.

Der Aufschwung der autonomistischen Aspirationen in der Ukraine, die wohlgemeint mit den lievländischen Hand in Hand gingen, wurde unterdrückt, aber nicht gänzlich. Die Maßregeln der Regierung lenkten sie nur auf andere Wege.