Die ukrainische Bewegung in Russland und in Österreich in den letzten Jahrzehnten.

Der Exodus der ukrainischen Männer und die Verlegung ihrer nationalen Tätigkeit nach der österreichischen Ukraine, nach Lemberg, das zu einem Zentrum des ukrainischen nationalen Lebens wurde, war von einer großen Wichtigkeit nicht nur für die ukrainische Bewegung in Russland, sondern auch für die nationale Entwicklung der österreichischen Ukraine selbst. Schon seit den 1860er Jahren, nach den ersten Proskriptionen des ukrainischen Wortes in Russland, hat dieser Zufluss zur Erhaltung des ukrainischen nationalen Lebens in Österreich in einem sehr wichtigen, kritischen Moment in der Entwicklung dieses Teiles des ukrainischen Volkes beigetragen.

Nach einer verlangsamten Bewegung des zweiten Viertels des 19. Jahrhunderts — es war die Metternichära und in Galizien war die Leibeigenschaft noch in voller Kraft, was bei dem bäuerlichen Charakter des ukranischen Volkes in Galizien ein großes Hemmnis in der nationalen Wiedergeburt bedeutete — kam der Lenz der österreichischen Völker, das Jahr 1848. Die galizischen Ruthenen waren damals die Stütze der österreichischen Regierung in Galizien, was ihren Fortschritt begünstigte. Die endgültige Befreiung der Leibeigenen, die Anerkennung der kulturellen und politischen Forderungen des ukrainischen (ruthenischen) Volkes, die Errichtung der ersten ansehnlichen politischen und kulturellen Institutionen, die wichtigen Postulate kulturellen und politischen Charakters, welche von den Ukrainern aufgestellt und von der Regierung gutgeheißen wurden; die Nationalisierung der Schule, einschließlich einer ukrainischen Universität in Lemberg, welche von der Regierung in sichere Aussicht gestellt wurde — das alles hat in dem Leben der österreichischen, speziell der galizischen Ukraine eine neue Epoche geschaffen.


Der Völkerfrühling war aber bald vorbei, viele Hoffnungen und Erwartungen, die man an ihn knüpfte, mussten aufgegeben werden. In der darauffolgenden absolutistischen Ära konnten die österreichischen Ukrainer, als ein bäuerliches Volk, das keine Aristokratie und keine Bureaukratie besaß, sich gegen die Konkurrenz der viel höher entwickelten Polen, bei denen es eine einflussreiche Aristokratie und städtische Intelligenz gab, nicht behaupten und so geschah es, dass mit der Herstellung des Parlamentarismus und Einführung der sogenannten Autonomie (Landes- und Bezirksautonomie) in den Sechzigerjahren die gesamte Verwaltung in Galizien in polnische Hände überging.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die ukrainische Frage in historischer Entwicklung