Der Kampf um das ukrainische Staatswesen im 17. und 18. Jahrhundert.

Die Bestrebungen der ukrainischen Politiker liefen den Tendenzen der moskowitischen Regierung zuwider, an die die Ukraine durch den Vertrag vom Jahre 1654 gebunden war. Die moskowitische Regierung vertrat den Standpunkt, dass die von ihr der Regierung Chmelnyzkyjs verliehenen Vollmachten nur vorübergehender Natur seien und allmählich eingeschränkt werden sollen, bis schließlich die Ukraine zu einer Provinz des moskowitischen Staates herabsinken werde. Die ukrainischen leitenden Männer strebten dagegen danach, die Machtvollkommenheit der Hetmanenregierung, wie sie zurzeit Chmelnyzkyjs faktisch bestand, sicherzustellen, dieselbe zu kräftigen und vor jedweden Eingriffen seitens der moskowitischen Verwaltung zu schützen. Die Fragen betreffend das Recht der moskowitischen Regierung, die Absetzung und die Wahl von Hetmanen zu kontrollieren, moskowitische Wojewoden, sei es auch als Militärkommandanten, für ukrainische Städte einzusetzen, Steuern einzuziehen und schließlich die Frage der Kirchenautonomie gaben wiederholt Anlass zu Misshelligkeiten. Während die moskowitische Regierung jede Verwirrung in der Ukraine, jede Schwierigkeit in der Lage der waltenden Kosakenobrigkeit (Starschyna) dazu ausnützte, um die Einschränkung der Freiheiten, welche die Ukraine genoss, durchzusetzen, erweckte jeder Versuch in dieser Richtung bei der ukrainischen Obrigkeit ein heißes Verlangen, die Autonomie des Landes vor solchen Übergriffen zu schützen. Daneben tritt ein anderes Bestreben zum Vorschein, nämlich das Bestreben, die Autonomie auf das ganze ethnographisch-ukrainische Territorium zu erstrecken, die ganze Ukraine unter die Herrschaft der Hetmanen, die sich zur Zeit Chmelnyzkyjs tatsächlich auf die Dnieprlande beschränkte, zu stellen.

Anfangs wurden in dieser Beziehung Hoffnungen auf Schweden gesetzt; doch hat Schweden bald den Feldzug gegen Polen eingestellt und im Jahre 1660 Frieden geschlossen. Darauf entschloss sich Hetman Wyhowskyj, um den Schutz Moskowitiens loszuwerden, einen Vertrag mit Polen zu schließen, wonach Polen der Ukraine, dem „Großfürstentum Rusj“ (dem ruthenischen Großfürstentum), eine weitgehende Autonomie, als einem dritten Gliede der polnischen Union, an der Seite des Großfürstentums Litauen gewährleistete. („Die Union von Hadjatsch 1658.“)


Die ukrainische Regierung hat ein Manifest erlassen, in dem sie den europäischen Mächten ihren Bruch mit der moskowitischen Regierung notifizierte und die Gründe dieses Bruches auseinandersetzte. In diesem Manifest wurde auf das Abkommen der moskowitischen Regierung mit Polen, auf den Plan, die ukrainische Autonomie zu erdrosseln, und auf die Einmischung in die internen ukrainischen Angelegenheiten verwiesen.

Diese Wendung der ukrainischen Politik hat bei der moskowitischen Regierung einen starken Eindruck gemacht, so dass sie bereit war, ihre Ansprüche auf die Anteilnahme an der inneren Verwaltung der Ukraine fallen zu lassen, ja sogar ihren Wojewoden aus Kyjiw abzuberufen. Doch hat sich bald die Unhaltbarkeit des neuen Vertrages herausgestellt: Das stark geschwächte Polen war nicht imstande, den Hetman energisch zu unterstützen, und die ukrainischen Volksmassen, die die Wiederherstellung des Schlachzizenregimes befürchteten, wollten von der Herstellung der Beziehungen zu Polen nichts wissen. Die polnischen Kreise haben ebenfalls keinen aufrichtigen Wunsch gehabt, die neue Union ehrlich durchzuführen. Die Polen hielten die Konzessionen der Union von Hadjatsch für übermäßig, während die ukrainischen Kreise diese Konzessionen als unzureichend ansahen. Wyhowskyj war gezwungen, auf sein Amt zu verzichten, und sein Nachfolger hat die Beziehungen zu Moskowitien wiederaufgenommen. Die „Starschyna“ wollte bei dieser Gelegenheit die ukrainische Autonomie gegen Einmengungen seitens der moskowitischen Regierung sicherstellen, doch hat sich die letztere von den Schwankungen, welche der Vertrag von Hadjatsch hervorgerufen hatte, bereits erholt und ihre ursprüngliche Politik wieder ergriffen. Die Ereignisse, welche sich während der Regierung Wyhowskyjs zugetragen, haben die inneren Missstimmigkeiten zwischen der regierenden oberen Klasse (der Starschyna) und den Volksmassen sowie den demokratisch gesinnten Elementen aufgedeckt. Die letzteren missbilligten die Bestrebungen der „Starschyna“, zu einer privilegierten Klasse zu werden, und nahmen daher ihre Politik mit Misstrauen auf. Die moskowitische Regierung trachtete, diese Gegensätze auf dem sozialen Boden für ihre Zwecke in dem Kampf gegen die autonomistischen Bestrebungen der ukrainischen Obrigkeit auszunützen. Um die Durchführung ihrer Politik gegenüber der Ukraine zu erleichtern, schließt die moskowitische Regierung mit Polen ein Kompromiss, wonach die Ukraine zwischen beide Staaten geteilt wird. Durch den Vertrag vom Jahre 1667 sind Polen die ukrainischen Gebiete westlich vom Dniepr gesichert worden, ausgenommen Kyjiw mit der nächsten Umgebung, die unter der moskowitischen Oberherrschaft verbleiben sollten.

Diese Teilung des ukrainischen Territoriums hat in der Ukraine eine allgemeine Entrüstung hervorgerufen. Sie wurde als ein Vertragsbruch, als ein Angriff gegen die wichtigsten Lebensinteressen des ukrainischen Volkes empfunden. Die Empörung des Volkes gegen die moskowitische Politik hat zum blutigen Aufstand des Jahres 1668 geführt, in dem sich die Bevölkerung der Ostukraine wie ein Mann gegen Agenten der moskowitischen Regierung erhob und die moskowitischen Garnisonen niedermetzelte.

An die Spitze der Autonomisten, die dem alten Plan der Vereinigung aller ukrainischen Lande zu einem ukrainischen Kosakenstaate treu geblieben, tritt Hetman Doroschenko (1665 bis 1676). Da Polen und Moskowitien sich versöhnt haben, versucht er andere Allianzkombinationen, wendet sich unter anderem an den Kurfürsten von Brandenburg und entschließt sich endlich, zum alten Plan des Chmelnyzkyj zurückzukehren, nämlich sich auf die Türkei zu stützen. Die Hohe Pforte nahm die Ukraine unter ihr Protektorat als einen Vasallenstaat auf und sagte ihre Hilfe zu, um die Ukraine in ihren ethnographischen Grenzen, „bis Peremyschl (Przemysl) und Sambor, bis an die Ufer der Weichsel und des Niemen, bis Siewsk und Putiwl“, zu befreien. Im Feldzug 1672 wurde Polen wirklich gezwungen, seine Ansprüche welcher Art immer auf „die Ukraine in ihren alten Grenzen“ zugunsten Doroschenkos aufzugeben (Vertrag von Butschatsch 1672). Für das nächste Jahr wurde ein Feldzug nach den ostukrainischen Ländern in Aussicht genommen, um den moskowitischen Ansprüchen das Ziel zu setzen, doch ist der Feldzug nicht zustande gekommen, wodurch die moskowitische Regierung Zeit gewann, um sich vom Bangen und Schwanken, in welches sie geraten war, zu erholen. Anderseits erhob sich unter der ukrainischen Bevölkerung, die gegen das Verhalten des türkischen Heeres auf dem ukrainischen Territorium im Feldzug 1672 äußerst aufgebracht war, eine entschiedene Opposition gegen die türkenfreundliche Politik Dorowschenkos. Es begann eine massenhafte Auswanderung aus den Ländern am rechten Dnieprufer auf das Gebiet am anderen Ufer.

Das hat dem Doroschenko den Boden entzogen. Seine Versuche, beim Ausgleich der moskowitischen Regierung wenigstens einige Konzessionen im Sinne seiner Pläne abzugewinnen, haben zu keinem Erfolg geführt. Doroschenko sah sich gezwungen, sein Amt niederzulegen, und die zentralistische Politik der moskowitischen Regierung konnte neue Triumphe feiern.

Es wurden wieder einige neue Einschränkungen der ukrainischen Autonomie durchgeführt, unter anderem wurde auch die Autonomie der ukrainischen Kirche aufgehoben. Die moskowitische Herrschaft in der Ukraine schien festen Fuß gefasst zu haben.

Diese Herrschaft wurde nur durch den Nordischen Krieg und die Erfolge Karl XII. in Polen und Russland erschüttert. In ukrainischen Kreisen war das Bündnis mit dem Vorgänger Karl XII., dem Karl X., noch in frischer Erinnerung und die Pläne, vollständige Unabhängigkeit der Ukraine unter Beistand Schwedens herzustellen, wenngleich dieselben sich nicht verwirklicht haben, hatten jedenfalls viel für sich, was in Bezug auf andere politische Kombinationen nicht der Fall war. Besonders heiße Autonomisten drängten in den damaligen Hetman, den berühmten Iwan Masepa, er dürfe unter keiner Bedingung eine so günstige Gelegenheit unausgenützt vorübergehen lassen. Allein der alte Hetman zögerte, da er befürchtete, sich zu verrechnen, und entschloss sich erst dann an der Seite Karl XII. aufzutreten, als der schwedische König den ukrainischen Boden betrat (1708). Der Entschluss kam aber zu spät. Die moskowitische Armee besetzte das ukrainische Territorium, so dass es dem Hetman nicht einmal möglich war, alle seine Regimenter dem schwedischen Heer anzuschließen. Die Bevölkerung, durch schonungslose Maßregelung aller derjenigen, die dem Aufstand in irgendeiner Weise nahestanden, eingeschüchtert, bekundete völlige Teilnahmslosigkeit. Es war bald klar, dass der Aufstand keine Aussichten auf Erfolg habe, und viele Befehlshaber kehrten wieder unter die Gewalt Peters des Großen freiwillig zurück. Nach der Niederlage bei Poltawa (1709) flüchtete Masepa mit Karl XII., begleitet von den ihm treu gebliebenen Würdenträgern und Kosaken, auf das türkische Territorium. Ihnen folgten auch Saporoger, die sich unter Leitung des Hordijenko, eines beharrlichen Unabhängigkeitskämpfers, Karl XII. angeschlossen hatten. Anlässlich der Wahl eines neuen Hetmans nach dem Tode Masepas, der infolge der durchgemachten Erschütterungen bald danach gestorben ist, wurde im Jahre 1710 eine interessante konstitutionelle Urkunde verfasst, durch die die Gewalt des Hetmans und die Anteilnahme des Heeres an der Verwaltung des Landes normiert wurde. Doch wurde diese Urkunde nie zum Gesetz, da es dem neugewählten Hetman Philipp Orlyk mit anderen Anhängern Masepas nicht geglückt war, in die Ukraine zurückzukehren. Der Beistand Schwedens und der Türkei hat keine wesentlichen Erfolge gezeitigt und die Bemühungen Orlyks, in den folgenden Dezennien die Mächte für seine Sache zu gewinnen, blieben erfolglos. Das Saporoger Heer vermochte es nicht, die Verbannung zu ertragen, und kehrte im Jahre 1734 unter die russische Herrschaft zurück.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die ukrainische Frage in historischer Entwicklung