Abschaffung der ukrainischen Autonomie und das neue Abflauen des ukrainischen Lebens im 18. Jahrhundert.

Wenn auch die ukrainische Bevölkerung und der überwiegende Teil der ukrainischen Würdenträger, von den russischen Truppen überrascht, an der Erhebung Masepas nicht teilgenommen hatten, gab dieser Auftritt, den die Widersacher der ukrainischen Autonomie zu einem ungewöhnlichen Ereignis auf gebauscht haben, Peter dem Großen und seinen politischen Ratgebern dazu Anlass, die Politik der langsam und stufenweise vor sich gehenden Einschränkungen der ukrainischen Autonomie, welche von der moskowitischen Regierung bisher befolgt wurde, aufzugeben und zu einer gewaltsamen Aufräumung mit den ukrainischen Einrichtungen überzugehen.

Bis nun, das heißt bis 1708, hat die moskowitische Regierung die Einsetzung der Hetmanen ihrer Kontrolle unterstellt, indem das Heer des Rechtes verlustig wurde, die Hetmanen eigenmächtig abzusetzen und die Neuwahl ohne Kenntnis der moskowitischen Regierung vorzunehmen; in wichtigeren Städten der Ukraine wurden moskowitische Wojewoden samt Garnisonen einquartiert; der ukrainischen Regierung wurde das Recht der diplomatischen Beziehungen entzogen und die ukrainische Hierarchie wurde dem Patriarchen in Moskau untergeordnet. Die Verwaltung, Finanzen, das Heer, die Wahl respektive die Einsetzung von Amtspersonen blieben dagegen, mindestens in Theorie, unangetastet. Über das Land regierte ein vom Heer gewählter Hetman, dem die Heereswürdenträger (die General-Starschyna) zur Seite standen (die Heeresversammlung, das höchste Regierungsorgan, wird nunmehr nur zur Wahl des Hetmans einberufen); die Ämter werden teils durch die Wahl des Heeres und der Stände, teils vom Hetman besetzt.


Nach Absetzung Masepas führte Kaiser Peter eine Kontrolle der autonomen ukrainischen Verwaltung ein, welche zuerst durch russische Residenten, dann von einem Kollegium russischer Offiziere ausgeübt wurde, die alles, was in die Kanzlei des Hetmans einlief und von derselben ausging, kontrollierten. Der Kaiser begann ukrainische Oberste (welche die Regimenter, das heißt Verwaltungsbezirke, in welche das Land eingeteilt war, verwalteten) unmittelbar zu ernennen. Die Ukraine wurde durch russische Truppen überflutet, zu deren Unterhaltung die Bevölkerung hoch angesetzte Steuern und Abgaben leisten musste. Zum Schluss, nach dem Tode des Hetmans Skoropadskyj (1722), ist der Kaiser daran geschritten, die Gewalt der Hetmanen gänzlich abzuschaffen. Die Opposition gegen diese Verfügungen, welche sich unter den höheren Würdenträgern der Hetmanverwaltung bekundete, hat Verhaftung der Widerspenstigen und ihre Internierung zur Folge gehabt.

Nach dem Tode Peters ist die russische Regierung selbst zur Überzeugung gekommen, dass die Umkehr in der ukrainischen Politik zu gewaltsam erfolgte, und sie hat es daher für ratsam befunden, den Eindruck des neuen Kurses einigermaßen abzuschwächen. Unter dem Druck der Umstände hat die russische Regierung ihre Einwilligung in die Wahl eines Hetmans noch zweimal gegeben (in der Wirklichkeit war das übrigens keine Wahl mehr, sondern eine Ernennung). Die Regierungszeit des letzten Hetmans Cyrill Rasumowskyj, die ziemlich lange währte, hat eine verhältnismäßige Ruhe eintreten lassen und ein ziemlich ungehindertes Funktionieren der ukrainischen Obrigkeit gebracht, dank der ausnahmsweisen Stellung, welche der Hetman bei den regierenden russischen Kreisen, als ein Bruder des morganatischen Gemahls der Kaiserin Elisabeth, genoss. Die Ruhepause wurde von der ukrainischen Obrigkeit dazu ausgenützt, um in die Verwaltung einige Ordnung zu bringen — sei es auch im Sinne ihrer Klasseninteressen — und den chaotischen Zustand, in den die Verwaltung durch die „Reformen“ der russischen Regierung gebracht wurde, abzuschaffen.

Allein mit der Thronbesteigung der Kaiserin Katharina waren die Tage der ukrainischen Autonomie gezählt. Die erstbeste Gelegenheit zum Vorwand nehmend (den Anlass bildete die Petition betreffend Verleihung einer erblichen Hetmanenwürde an die Familie Rasumowskyj, für welche Petition Unterschriften gesammelt wurden), hat Katharina den Rasumowskyj gezwungen, seine Würde niederzulegen (1764), und unter Abschaffung der Verwaltung der Hetmanen ihren Generalgouverneur mit einem Kollegium eingesetzt, das sich zu gleichen Teilen aus russischen und ukrainischen Mitgliedern zusammensetzte.

Diese Reform hat in der Ukraine ein allgemeines Missbehagen hervorgerufen. In den Instruktionen für die Deputierten in die neue Gesetzgebungskommission haben sich verschiedene Klassen und Gruppen des ukrainischen Volkes mit einer bemerkenswerten Einmütigkeit in der Forderung vereinigt, das Hetmanentum wieder herzustellen und die „Artikel des Bohdan Chmelnyzkyj“, die durch keinen rechtsgültigen Akt abgeschafft worden waren, wieder als Grundlage der Beziehungen der Ukraine zu Russland in Kraft zu setzen. Doch auch diese so unzweideutig zum Ausdruck gebrachte Stimmung des ukrainischen Volkes vermochte es nicht, die Kaiserin Katharina von dem gefassten Beschluss, die Autonomie der Ukraine abzuschaffen und das Land zu einer Provinz des Imperiums herabzusetzen, abzubringen. Im Jahre 1775 wurde die Saporoger-Ssitsch, diese letzte Zuflucht der alten demokratischen Traditionen der Kosaken, durch einen unerwarteten Überfall vernichtet. Im Jahre 1780 wurden die administrativen Einrichtungen der Hetmanenzeit durch neue, mit dem russischen Imperium gemeinsame, ersetzt, worauf auch die Abschaffung der militärischen Organisation der Kosaken in dem ehemaligen Hetmanengebiet erfolgte. Schon früher wurden Reformen derselben Art in der „Slobidska Ukraina“ durchgeführt, die dieselbe Organisation wie die Hetmanenukraina besaß, wenn auch dieses Gebiet in administrativer Hinsicht*) den Zentralstellen des Reiches unmittelbar unterstellt war. Die Proteste der Bevölkerung, in den Instruktionen des Jahres 1767 vorgebracht, blieben auch erfolglos.

*) Die Saporoger begaben sich wieder nach der Türkei (von dort ist ein Teil der Kosaken nach Ungarn weitergewandert und hat sich im Banat niedergelassen). Die dadurch beunruhigte russische Regierung hat die Wiederherstellung des Saporoger Heeres beschlossen (1784) und den Kosaken ein neues Gebiet an der Mündung des Kubanjflusses im Kaukasus zur Ansiedlung angeboten. Ein bedeutender Teil der Saporoger hat diesem Ruf gefolgt und in den Neunzigerjahren des 18. Jahrhunderts wurde das neue Schwarzemeerheer organisiert. Dieses Heer erachtet sich auch bis jetzt als einen Nachfolger der Saporoger Tradition, wenn auch der Charakter des Heeres ein ganz anderer ist. Die anderen Kosakenmilizen Russlands haben mit dem Kosakenheer der Hetmanenzeit überhaupt gar nichts gemein.

Um der Opposition der politisch am meisten entwickelten herrschenden Klasse die Spitze abzubrechen, hat die Kaiserin das in der russischen Politik altbewährte Mittel ergriffen, indem sie verfügte, man solle dem Volk klarlegen, dass ihre Reformen zum Zweck haben, das Volk vor der Ausbeutung seitens der Starschyna zu schützen. Das hinderte jedoch die Kaiserin nicht, auf die Ukraine die Leibeigenschaft in der grausamen Form, wie diese im Imperium bestand, zu erstrecken (1783) und die ukrainischen Bauern der Reste der alten Freiheiten, welche die Bauernschaft bisher genoss, zu berauben.

Parallel mit den Maßnahmen zur Unterdrückung des politischen Lebens in der russischen Ukraine und zur Verwischung aller Eigentümlichkeiten des Landes schritten auch Unterdrückung und Vernichtung der kulturellen Selbständigkeit der Ukraine. Die moskowitische Regierung hatte ursprünglich im Sinne, das Kollegium zu Kyjiw (später eine Akademie), dass unter dem Schutze der Kosaken aufgeblüht und zur leitenden Pflegestätte der Bildung in der Ukraine emporgestiegen war, aufzulösen, und nur Vorstellungen von ukrainischer Seite, dass dieser Schritt die äußerste Erbitterung in der ganzen Ukraine auslösen wird, haben die Regierung von ihrer Absicht zurückgehalten. Spätere Vorschläge der ukrainischen Kreise, die genannte Schule in eine Universität umzugestalten und eine neue Universität in Baturin, der damaligen Hauptstadt der Ukraine, zu errichten (ein altes Verlangen, das in einer allgemeineren Form bereits in der Unionsurkunde von Hadjatsch 1658 zum Ausdruck kam), wurden von der Regierung abgelehnt. Die Regierung hat es vorgezogen, dass das ukrainische Volk in Ermanglung entsprechender höherer Schulen im eigenen Lande die jungen Leute in die russischen Schulen im Reiche schickte; das war eine Maßregel, die auf Russifizierung abzielte, wie man auch der ukrainischen Regierung nahelegte, die Eheschließung der Angehörigen der ukrainischen höheren Klassen mit Ausländerinnen zu verhindern, dagegen die Eingehung ehelicher Bande mit den Großrussinnen zu fördern.

In der Geschichte der Unterdrückung des ukrainischen kulturellen Lebens ist eine große Bedeutung der Unterstellung der ukrainischen Kirche dem Patriarchen von Moskau beizumessen. Bei den engen Beziehungen, welche dazumal zwischen dem Schulwesen, dem Bücherdruck und der Literaturproduktion einerseits und der Kirche anderseits in der Ukraine bestanden, wurde durch diese Maßnahme das gesamte geistige Leben des Landes einer überaus schwerlastenden und kleinlichen Kontrolle der Moskauer geistlichen Zensur preisgegeben, die dem kulturellen Leben der Ukraine sehr empfindliche Schranken auferlegte. Aus diesen Gründen ist auch der berühmte Ukas vom Jahre 1720 erlassen worden, durch welchen in Kyjiw eine besondere Zensurbehörde errichtet wurde, die zur Pflicht hatte, darauf zu achten, dass in der Ukraine keine Bücher, mit Ausnahme von Kirchenbüchern (und die letzteren auch nur nach alten Auflagen und in genauer Übereinstimmung mit den moskowitischen) in Druck gelegt werden, „damit kein Zwiespalt und kein besonderes Idiom Platz greife“. Durch diesen Ukas wurde die Entwicklung des ukrainischen Schrifttums gehemmt und dadurch wird die Tatsache erklärt, weshalb seit dieser Zeit bis Ende des 18. Jahrhunderts kein einziges Buch in ukrainischer Sprache oder in dem literarischen Gemisch der ukrainischen und kirchenslawischen Elemente, welches vordem im literarischen Gebrauch üblich war, erschienen ist. Die Kyjiwer Lawra konnte nicht einmal die Genehmigung zur Herausgabe einer ukrainischen Fibel durchsetzen, obwohl sie darauf verwies, dass das Volk in der Ukraine die moskowitische Fibel absolut nicht gebrauchen will. Überhaupt ist es hervorzuheben, dass die äußerste Schnüffelei der russischen Begierung all dem gegenüber, was an die ukrainische Selbständigkeit erinnern konnte — wobei die Regierung vor grausamsten Gewalttaten gegen höchstgestellte und verdienstvolle Persönlichkeiten nicht zurückschreckte — auf das ukrainische Volk niederschmetternd wirkte und dasselbe zwang, jede Äußerung seiner nationalen Bestrebungen zu unterdrücken und überhaupt sein nationales Leben auf das geringste Minimum einzuschränken. Und das Ergebnis dieser Zustände war in der Tat eine fortschreitende nationale Entfremdung der höheren Klassen des ukrainischen Volkes und ihre Russifizierung.

Die Unterwerfung der Kirche in der Hetmanenukraina dem Patriarchen von Moskau hat nicht bloß die Ostukraine in ihrem nationalen Leben schwer betroffen. Es wurde dadurch auch die hierarchische Einigkeit mit der Westukraine berührt und die endgültige Einführung der Kirchenunion in der letzteren gefördert. Das Ergebnis dieser Maßregel war, dass zu der Scheidewand, die dank den politischen Grenzen und dank verschiedenen Wegen, welche das gesellschaftliche und politische Leben in der östlichen und der westlichen Ukraine einschlug, errichtet wurde, noch die kirchliche und kulturelle Entfremdung hinzukam. Das hat zu den Erfolgen der Polonisierung beigetragen, durch die im Laufe des 18. Jahrhunderts das Volksleben in der Westukraine immer enger eingeklammert wurde, währendem in der Ostukraine die Russifizierung Triumphe feierte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die ukrainische Frage in historischer Entwicklung