Die ukrainische Frage in historischer Entwicklung

Verlag des Bundes zur Befreiung der Ukraine
Autor: Michael Hruschewskyj (1866-1934) Professor der Lemberger Universität, Erscheinungsjahr: 1915

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Ukraine, Russland, Schwarzes Meer, Kuban, Don, Tschernigow, Kiew, Charkow, Poltawa, Podolien, Kaukasus,
Von den Herausgebern.

Mit gütiger Genehmigung der Redaktion der „Revue politique internationale“ geben wir hiermit einen kurzen geschichtlichen Überblick über die ukrainische Frage heraus, der in den Nummern 11 und 12 der genannten Zeitschrift erschien. Derselbe stammt aus der Feder des bekannten ukrainischen Gelehrten und Führers Professors Michael Hruschewskyj, der vor kurzem von der russischen Regierung für seine ukrainische Tätigkeit in Kyjiw verhaftet wurde. Wir hoffen, dass diese kleine, aber inhaltsreiche, sachlich geschriebene Skizze in hohem Masse zur Kenntnis der Geschichte des ukrainischen Volkes sowie zur gebührenden Würdigung des ukrainischen Problems in der deutschen Öffentlichkeit, welche bisher über unser Volk und seine Bestrebungen leider sehr mangelhaft informiert war, beitragen wird.

Es hat einst Zeiten gegeben, wo die Ukraine und ihr Volk in Europa besser bekannt waren (17. und 18. Jahrhundert). Als aber später das ukrainische Volk von der Weltbühne verschwand und seiner höheren Schichten beinahe gänzlich beraubt in politischer, kultureller und sozialer Sklaverei, in der finsteren Leibeigenschaft sein kümmerliches Dasein fristete, geriet sein früher so berühmter Name immer mehr in Vergessenheit, bis es zuletzt unter dem falschen, ihm von den Russen aufgedrängten Namen der „Kleinrussen“ bloß für eine Abart des russischen Volkes zu gelten begann.

Erst in der letzten Zeit ist in dieser Beziehung mit der fortschreitenden Emanzipation unseres Volkes eine gewisse Änderung in der öffentlichen Meinung Europas zu verzeichnen. Nicht in geringem Maße hat dazu die starke Entwickelung jenes Teiles unseres Volkes beigetragen, dem es vom Schicksal beschieden war, im konstitutionellen Österreich zu leben.

Jetzt, wo der Weltkrieg jedermann zwang, sich die osteuropäischen Verhältnisse näher anzuschauen, kommen den breiten Kreisen der europäischen Öffentlichkeit die nationalen Verhältnisse im Zarenreich immer mehr zum Bewusstsein und gleichzeitig taucht aus dem Nebel des allrussischen Konglomerates die eigenartige Individualität unseres Volkes auf. Inwiefern sie tatsächlich eigenartig ist, zeigt eben die Skizze des Professors Hruschewskyj. Aus derselben ersieht der Leser, dass das ukrainische Volk ganz selbständig ist, eine tausendjährige Geschichte und selbständige nationale Überlieferung besitzt und dass es infolgedessen mit dem russischen Volke weder verwechselt noch identifiziert werden darf. Die Leser ersehen ferner, dass unser Volk niemals auf seine Selbständigkeit verzichtete und in dieser oder jener Form stets eine Selbstbestimmung anstrebte. Im gegenwärtigen geschichtlichen Zeitpunkt wurden in ihm mit verstärkter Gewalt die Bestrebungen wach, das fremde Joch abzuschütteln und sich die staatliche Unabhängigkeit zu erkämpfen. Eben zu diesem Zwecke wurde der „Bund zur Befreiung der Ukraine“ gegründet, der alle Unabhängigkeitselemente der russischen Ukraine, von denen am Schlusse der vorliegenden Skizze die Rede ist, vereinigt. Indem er im gegenwärtigen Moment eine entsprechende Tätigkeit entfaltet, hofft der „Bund“, dass im Resultat des jetzigen Weltkrieges sich das seit Jahrhunderten angestrebte Ziel der Ukrainer, wofür sie so viel gekämpft und gelitten haben, verwirklichen, der freie ukrainische Staat seine Auferstehung feiern wird.

Das Gesetzmäßige und Natürliche dieser Bestrebungen der Ukraine wird nach der Lektüre der objektiv geschriebenen Skizze des Professors Hruschewskyj sogar jedem Skeptiker einleuchten. Die Leser ersehen aus ihr mit überzeugender Klarheit, dass die ukrainische Bewegung kein Geistesprodukt eines Haufens von Phantasten, sondern eine reale, auf geschichtlichen Grundlagen fundierte Wirklichkeit ist. Es muss dabei betont werden, dass diese Skizze nicht „ad hoc“, unter dem Eindruck der gegenwärtigen Geschehnisse, sondern lange vor ihnen verfasst wurde und bloß informative Zwecke verfolgte, wie dies vom Verfasser selbst in der Vorrede zu seiner Arbeit hervorgehoben wird.

Dieser Umstand war es auch gewesen, der uns unter anderem dazu veranlasste, die Skizze von Professor Hruschewskyj zu veröffentlichen. Es ist eben der von ihm erwähnte Kataklismus gekommen, auf den das ukrainische Volk seine Hoffnungen setzte, und wir wünschen, dass die Völker, die an den gegenwärtigen weltgeschichtlichen Ereignissen teilnehmen, die Wahrheit über unser Volk und seine Bestrebungen kennen und dieselben mit Wohlwollen, ohne Vorurteile bewerten sowie zu deren Realisierung verhelfen mögen.

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Vorrede des Verfassers

Der große europäische Krieg, der augenblicklich die Welt umbraust, hat die ukrainische Frage zum ersten Mal in der Geschichte der letzten Jahrhunderte auf den Schauplatz der europäischen Politik gebracht. Schon seit einigen Jahren hat man in gewissen Kreisen, gleichwie in der Vorahnung der kommenden Ereignisse, Versuche gemacht, den diesem Problem in der Gestaltung der politischen Verhältnisse zukommenden Einfluss abzuschätzen. In den letzten Jahren ist ein Interesse für diese Frage wahrzunehmen, wie es nie vordem zum Vorschein trat. Der vorliegende Aufsatz ist noch vor dem Kriegsausbruch für eine speziell die nationalen Probleme behandelnde Revue geschrieben worden; da das Unternehmen nach alledem, was um uns jetzt vorgeht, schwerlich zustande kommen könnte, benütze ich mit Dank die Gastfreundschaft der Redaktion der „Revue politique internationale“, indem ich die Hoffnung hege, dass der vorliegende Aufsatz, der die Entwicklung der politischen Bestrebungen des ukrainischen Volkes in einer historischen Perspektive darstellt, auch im gegenwärtigen Moment zur Aufklärung dieses der europäischen Öffentlichkeit so lange Zeit fast unbekannt gewesenen und doch für die Zukunft so hochbedeutenden Problems beitragen kann*).

*) Der Kriegsausbruch hat leider das Erscheinen der bereits im Druck begriffenen deutschen Übersetzung meines „Grundrisses der Geschichte des ukrainischen Volkes“ verhindert. Die erste Auflage des „Grundrisses“, dem meine Vorträge in der Russischen Freien Hochschule der Sozialwissenschaften in Paris zugrunde lagen, erschien im Jahre 1904, worauf noch drei Auflagen folgten. Wie dem „Grundriss“, so liegt auch dem vorliegenden Überblick das geschichtliche Material zugrunde, welches ich in meinem großen Werk: „Geschichte des ukrainischen Volkes“ zusammengefasst habe. Das Werk reicht bis zum Jahre 1650 (Band VIII, erster Teil, bis zum Jahre 1638, ist 1913 erschienen; der zweite Teil des VIII. Bandes befindet sich im Druck).

01 Russischer Staatsgefangner auf der Reise ins Exil

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09 Russische Staatsgefangene am Ufer der Jana

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08 Eine politische Gefangene wird von einem Kosaken nach ihrem Bestimmungsort transportiert

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07 Jakutenpferde suchen ihr Futter unterm Schnee

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