Krankenunterstützung.

Die Kämpfe der Gewerkschaft um Anerkennung, Arbeitsnachweis und Lohn sind durch die meistens damit verbundenen unvermeidlichen Streiks für die wirtschaftliche Existenz des einzelnen Arbeiters gefährlich. Der Lohnausfall ist nicht selten beträchtlich und die Streikunterstützung kann seiner Familie nicht die notwendige regelmäßige Ernährung sichern. Die schweren nachteiligen Folgen sind dem verheirateten Arbeiter wohl bekannt und er nimmt sie auf sich in der festen Zuversicht zu einem besseren Ziel zu kommen. Anders liegen aber die Dinge, wenn Unfall und Krankheit seine Familie heimsuchen, ist er davor nicht geschützt, dann geht in der Not seine geringe Habe auf, und die Verzweiflung geht am Bettelstabe. Die reichsgesetzliche Arbeiterversicherung reicht in solchen schlimmen Zeiten zur Erhaltung der Seinen nicht aus. Das Verlangen nach einer weiteren Unterstützung machte sich daher auch in den Mitgliedschaften des Hafenarbeiterverbandes geltend. Einzelne Mitgliedschaften errichteten für ihre Mitglieder kleine Zuschusskassen, diese hatten aber selten Bestand und waren in ihren Leistungen ungenügend. Die Mitglieder wurden unwillig. Außer den Beiträgen hatten sie im Jahre genug an Extrabeiträgen, Streikmarken, Tellersammlungen zu zahlen, in Krankheit und Not konnte ihnen aber keine Hülfe gebracht werden. Die Folge war, es kehrten viele dem Verband den Rücken, blieben unorganisiert, oder schlössen sich dem konkurrierenden Transportarbeiterverband an, der über eine Unterstützungskasse verfügte. Schließlich gewann man auch in den leitenden Kreisen des Hafenarbeiterverbandes die Überzeugung, dass man zur Gründung einer Kasse schreiten müsse. Am 26. Februar 1904 auf dem Verbandstage wurde der Antrag auf Gründung einer Unterstützungskasse angenommen. Für die Annahme waren verschiedene Gründe bestimmend. Vor allem hoffte man, der immer stärker werdenden Fluktuation dadurch entgegen zu arbeiten. Den Arbeitern sollte etwas geboten werden, es sollten ihnen als Mitglieder Anrechte verschafft werden, welche sie weniger leicht geneigt machen würden, durch Nichteinhalten der Beitragszahlung aus dem Verbände zu scheiden und sich damit eines rechtlichen Vorteils zu begeben. Aus demselben Grunde wurde eine staffelförmig steigende Unterstützung vorgesehen, bei welcher mit der Dauer der Mitgliedschaft der Vorteil wächst. Als unmöglich wurde von allen Rednern in der Versammlung vom 25. Februar 1904 die Einführung der Arbeitslosenversicherung angesehen. Eine Angabe von Gründen ist nicht erfolgt, doch liegen die großen Schwierigkeiten wahrscheinlich in der Fluktuation und in dem Umstände, dass bei dem dauernden Zugang ungelernter Arbeitskräfte der Verband nicht genügend Kontrolle über deren Verbleib im Hafenbetriebe hat.

Der Beitrag der Kasse ist auf wöchentlich 15 Pfennig festgesetzt und ist auch während der Unterstützungsperiode zu zahlen. Die Unterstützungen sind abhängig von der Dauer der Mitgliedschaft und betragen bei einer Beitragsleistung von:


..26 Wochen 3 Mk. pro Woche.
..39 Wochen 4 Mk. pro Woche.
..78 Wochen 5 Mk. pro Woche.
117 Wochen 6 Mk. pro Woche.

Die Unterstützung kann innerhalb 52 Wochen nur für 13 Wochen geleistet werden. Das Sterbegeld ist ebenfalls von der Dauer der Mitgliedschaft abhängig und beträgt nach ununterbrochener Beitragsleistung von:

..26 Wochen 50 Mk.
..78 Wochen 60 Mk.
117 Wochen 70 Mk.

Bei dem Tode seiner Frau erhält das Mitglied nach 78wöchiger Beitragsleistung 50 Mk. Der Witwe eines Mitgliedes, weiches über 10 Jahre im Verbände war, werden 50 Mk. ausbezahlt*).

*) Sterbegeld 1904......8350 Mk., Krankengeld ....5866,50 Mk.
....Sterbegeld 1905....10530 Mk., Krankengeld ..58267,03 Mk.

Die Leistungen der Unterstützungskasse sind im 2. Jahre ihres Bestehens bezüglich der Krankengelder auf das Zehnfache gestiegen, sicher eine Tatsache, die für die Notwendigkeit der Einführung der Kasse spricht. Aber dennoch hat die Kasse nicht den Erfolg gehabt, den man erwartete. Zunächst blieb die Hemmung der Fluktuation aus. In der Periode 1904/05 sind 17.848 Arbeiter eingetreten, der Zuwachs am Ende der Periode betrug aber nur 1842, von den Neuaufgenommenen sind mithin 16.366 oder mehr als 9070 wieder verloren gegangen. Die Ursache dieses mangelnden Einflusses liegt scheinbar in der Konstitution der Kasse selbst. Der § 1 des Statuts verlangt, dass der Arbeiter seine Beiträge zur Verbandskasse regelmäßig bezahlt habe. § 2 bestimmt, dass restierende Beiträge und Extrabeiträge bis zu drei Monaten vom Unterstützungsgelde in Abzug gebracht werden. § 3 schließt ein Mitglied, welches über 3 Monate mit den Beiträgen im Rückstande ist, von der Unterstützung aus. Eventuelle Vergünstigungen kann in jedem Falle nur der Hauptvorstand gewähren. Diese drei Paragraphen schliessen die Nutznießung dieser Kasse für alle nicht im festen Arbeitsverhältnisse stehenden Arbeiter ziemlich aus. Auf die vielen Beitragsrückstände wurde oben schon hingewiesen. Die Beitragsrückständigen sind aber gerade die im Krankheitsfalle Bedürftigen. Sie bilden das fluktuierende Element. Da sie die Vorteile der Kasse entbehren, wird durch dieses Mittel die Fluktuation nicht gemindert.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die sozialen Verhältnisse im Hamburger Hafen