Gewerkschaft der Hafenarbeiter.

Die Gewerkschaft der Hafenarbeiter von Hamburg-Altona besteht gegenwärtig aus 15 Mitgliedschaften, abgegrenzt gegeneinander nach dem Gegenstande der Arbeit.

Es sind dies die:


Baggerer, Ewerführer, Getreidearbeiter, Kaiarbeiter, Kesselreiniger, Kohlenarbeiter, Kohlenakkordschauerleute, Mauersteinarbeiter, Schauerleute, Schiffsreiniger und Maler, Schiffer und Decksleute, Segelmacher, Speichereiarbeiter, Speichereiarbeiter Altona, Stacharbeiter.

Die Seeleute gehören nicht zu den Hafenarbeitern, da ihre Lohn- und Arbeitsbedingungen von denen der Hafenarbeiter zu sehr verschieden sind. Als spezifische Hafenarbeiter sind hier vor allem die Ewerführer, Schauerleute und Kaiarbeiter berücksichtigt, welche allein drei Viertel der Hamburger Hafenarbeiter ausmachen. Die übrigen sind entweder Spezialarbeiter oder werden den Hafenarbeitern nur zugezählt, weil sie auf dem Wasser tätig sind. Allerdings erhält auch ihre Tätigkeit dadurch manche Eigenart.

Die Verhältnisse, mit denen die gewerkschaftliche Tätigkeit der Hafenarbeiter täglich zu kämpfen hat, sind für eine gedeihliche Entwicklung außerordentlich ungünstig. Dadurch, dass die Arbeit keine besonderen Kenntnisse erfordert und die Nachfrage nach Arbeit großen Schwankungen unterworfen ist, ist es für die Gewerkschaft schwer, sich dauernd einen der Gesamtzahl entsprechenden Bestand von Mitgliedern zu sichern. Es liegt nicht allein daran, dass die Mitglieder aus Unzufriedenheit aus dem Verbände austreten, sondern in den schlechten Zeiten können sie die Beiträge nicht entrichten und werden dann aus der Liste gestrichen. Die notwendige Geschlossenheit der Gewerkschaft wird hierdurch beständig gelockert. Aber noch andere Momente kommen hinzu. Ist in der gegenwärtigen Wirtschaftsperiode die Strömung zu den Grosstädten schon so sehr groß, so ist der Andrang geeigneter und ungeeigneter Elemente zum Hafenbetrieb in Hamburg besonders stark, da der Fremde hier am ehesten lohnende Arbeit erhofft. Dieser dauernde Zufluss von Arbeitskräften ist der Einheitlichkeit und Stärke der gewerkschaftlichen Bewegung oft und leicht verderblich. Das für viele Inländer glänzende Lohnangebot treibt einen Teil der Leute auf die Seite der Unternehmer. Mit den andern hat die Gewerkschaft immer während zu schaffen, um die fremden Elemente in das bestehende Gebilde einzufügen. Solange eine günstige Konjunktur den Andrang der Arbeitskräfte bewältigt, entsteht für die Gewerkschaft noch kein direkter Schaden, tritt aber ein Umschlag ein und werden viele dieser neu Zugewanderten brotlos, dann sind diese leicht geneigt, sich dem Willen der Unternehmer zu fügen und die verpönte Kontraktarbeit anzunehmen, oder für einen niedrigeren Lohn zu arbeiten. In beiden Fällen wird die Gewerkschaft schwer geschädigt und kann unter Umständen sogar in ihrer Existenz erschüttert werden*). Wie groß die Schwierigkeiten sein müssen, um die Mitglieder unter diesen Umständen zu halten, ergibt sich aus der Nachsicht, mit der die Nichtzahlenden behandelt werden. Laut Statut erlischt die Mitgliedschaft nach einem Beitragsrückstande von über 3 Monaten. Doch zeigt eine Notiz in den Versammlungsprotokollen der Ewerführer (6. Nov. 98), dass diese Bestimmung nicht streng durchzuführen ist.

*) Als Beispiel für den umfang der Fluktuation mögen folgende Mitgliederzahlen dienen, die dem Versammlungsprotokoll der Ewerführer entnommen sind:

Februar 1897 — 1867 Mitglieder
Juli 1898 — ca. 1500 Mitglieder
Februar 1899 — ca. 1700 Mitglieder
November 1899 — 993 Mitglieder
Mai 1900 — 1028 Mitglieder
Juli 1900 — 1200 Mitglieder
Dezember 1901 — 1300 Mitglieder
Juli 1902 — 1200 Mitglieder
Juli 1903 — ca. 2000 Mitglieder
Juni 1904 — 1135 Mitglieder
August 1904 — 1094 Mitglieder
Januar 1905 — 1100 Mitglieder
Mai 1905 — 1772 Mitglieder
Dezember 1905 — 1300 Mitglieder
Dezember 1906 — 2445 Mitglieder
März 1907 — 2542 Mitglieder
Juni 1907 — 3026 Mitglieder

von diesen sind 455 über 8 Wochen im Rückstande.

In dieser Tabelle ist zu bemerken, dass die Zahl der Ewerführer von 1897—1907 von ca. 2000 auf ca. 3000 gestiegen ist. Es ist ebenfalls zu beachten, dass die Fluktuation in diesen Zahlen nur relativ ausgedrückt sein kann, da sie wohl den wirklichen Bestand, aber nicht den Wechsel der Personen angeben. Die Höchstzahl vom Juni 1907 ist wieder bedeutend gesunken mit dem Niedergang der Konjunktur.

Entsprechend der geringen Festigkeit des Hafenarbeiterverbandes ist die Mangelhaftigkeit des in ihm herrschenden Geistes. Bei der Durchsicht der Versammlungsprotokolle gewinnt man den Eindruck, dass der kleinlichste Neid und das hässlichste Misstrauen den weitesten Spielraum im Gewerkschaftsleben haben. Der einzelne Arbeiter ist von der richtigen Erkenntnis des Wertes der Gewerkschaft für seine wirtschaftliche Existenz keineswegs immer durchdrungen. Ohne eine fortgesetzt lebhafte Agitation würde kaum ein Zehntel der Hafenarbeiter im Verbande verbleiben. Die Agitation wird mit allen Mittel betrieben, die vielfach wohl nicht als einwandfrei zu bezeichnen sind. Steht im Protokoll der Kaiarbeiter, vom 28. Juni 1900, das mehr „mündliche Agitation“ getrieben werden soll und Schuppen 2 ganz dadurch dem Verein zugeführt sei, dann ist zwischen den Zeilen zu lesen, welcher Druck ausgeübt worden sein mag. Dasselbe Empfinden drängt sich auf, wenn man in dem Protokoll*) eine Aufforderung an die Obleute findet, auch an die in anderen Verbänden Organisierten Streikmarken zu verkaufen, wenn diese sich „moralisch verpflichtet“ fühlen sollten. Ein solches moralisches Pflichtgefühl ist durchaus unverständlich, da diesen Arbeitern nichts im Wege steht, der freien Gewerkschaft als ordentliche Mitglieder beizutreten. Diese empfohlene Agitation bei der Arbeit hat aber eine wichtige Seite. Bei der Muskelarbeit des Transportarbeiters ist der eine Arbeiter auf den andern angewiesen beim Angreifen der Waren. Jede Unachtsamkeit, verschuldet oder unverschuldet, kann dem Arbeiter Gefahr bringen. Es ist nichts natürlicher, als dass der „moralisch Verpflichtete“ sich dieser Gefahr bewusst ist.

*) Protokoll der Kaiarbeiter vom Mai 1903.

Das Mittel der Arbeitsverweigerung mit anders oder nicht Organisierten findet innerhalb des Hafens nur eine beschränkte Verwendung, da die Anwendung dieses Mittels nur eine Machtfrage ist, der Hafenarbeitervorstand diese Macht aber nicht in den Händen hat.

Der Ruf nach Agitation und Organisation erschallt immer wieder und wieder. Unbeachtet aller andern Umstände wird jeder Vorteil der Organisation und jeder Nachteil den anders oder nicht Organisierten zugeschrieben. Als ein typisches Beispiel hierfür mag angesehen sein, dass, als im Oktober 1907 für die Schauerleute der Schichtwechsel eingeführt wurde, was eine bedeutende Besserung der Lebensstellung der Arbeiter bedeutete, sie selbst den neuen Tarif als völlig unzureichend bezeichneten, die andern Mitgliedschaften des Hafenarbeiterverbandes den neuen Tarif aber als eine Errungenschaft der festen Organisation der Schauerleute hoch priesen. So werden die Worte Agitation und Organisation in den Versammlungsreden häufig zu inhaltlosen Schlagworten. Ein nachhaltiger Erfolg ist auch nicht zu verzeichnen. Steht ein Lohn- oder Machtkampf bevor (z. B. Maifeier und Maiaussperrung), dann treten eine große Zahl Arbeiter in die Gewerkschaft ein, um während des Ausstandes von den Geldern der Hauptkasse zehren zu können. Ist die Bewegung vorüber, so treten sie wieder aus, resp. bezahlen ihre Beiträge nicht. Dadurch erleidet die Gewerkschaft einen bedeutenden Nachteil.

Doch nicht allein dies, die Gewerkschaft ist auch gezwungen, bei Streiks und Aussperrungen alle die Arbeiter mit zu unterstützen, die nie einen Pfennig in die Vereinskasse bezahlt haben, um den Unternehmern die Einstellung von Streikbrechern unmöglich zu machen oder wenigstens zu erschweren. Würde die Gewerkschaft das nicht tun, hätte der Unternehmer jederzeit genügend Arbeitskräfte, da die Hafenarbeit ungelernt und gut bezahlt ist. Die Aufgabe der Gewerkschaft geht noch weiter, sie muss, um nicht selbst den Unternehmern eine Reservearmee heranzubilden, ehemalige Streikbrecher und Arbeitswillige in sich aufnehmen. Die Leitung hat aber nicht die Macht, die Neuaufgenommenen vor Beleidigungen zu schützen und nimmt selbst sogar eine prinzipielle Stellung gegen diese ein*).

*) Nach dem Streik von 1896/97 sahen die Führer die Notwendigkeit, die Arbeitswilligen aufzunehmen, bald ein. Die Mitglieder hatten eine starke Abneigung dagegen. Protokoll der Kaiarbeiter 5. Sept. 97. „Zur Frage steht die Aufnahme Arbeitswilliger“. Rocksien (der Vorsitzende) ist aus politischen Gründen dafür, weil man so nicht Macht genug hat. Ebenso Wahrlich. Retke kann sich nicht einverstanden erklären, weil hier das Menschlichkeitsgefühl zu peinlich berührt wird“. —

Protok. 19. Mai 98. Die Arbeitswilligen werden aufgenommen. Man soll ,,den berechtigten Hass unterdrücken“. —

Protokoll der Ewerführer 17. Dez. 1897. ,,Arbeitswillige und Ferngebliebene“ sollen eventuell aufgenommen werden. Es wird die Haltung anderer Mitgliedschaften abgewartet. —

Protok. 6. Febr. 98. Die Mitgliedschaft ist gezwungen, alle aufzunehmen, um den Arbeitgebern die Reservearmee zu nehmen. — Welche Stellung die Neuaufgenommenen hatten, zeigt folgender Fall. Protok. der Kaiarbeiter 28. März 03. „Kollege Schmidt wünscht vom Vorstande eine schriftliche Ehrenerklärung, weil er von Kollegen ,,Heidelberger“ geschimpft worden ist. Der Vorstand kann diesem Verlangen nicht nachkommen, da derselbe nicht so makellos dasteht, wie er wohl meine, da derselbe, nachdem er sich 1896 beim Streik der Alsterschiffer mit seinen Kollegen solidarisch erklärt, danach nach einiger Zeit während des großen Hafenarbeiterstreiks 1896 im Hamburger Hafen in Beschäftigung trat“. Derartigen Belästigungen und Beleidigungen waren alle „Mitglieder“ ausgesetzt, welche nicht im Besitze einer Legitimationskarte waren. Eine solche Karte lautete Prot. d. Ewerführer Mai 97): „Inhaber dieser Karte hat während des Streiks der Hafenarbeiter und Seeleute andere Beschäftigung gehabt und ist berechtigt, diese Legitimation zu führen. Der unterzeichnete Vorstand ersucht jeden Kollegen, Inhaber dieses nicht zu belästigen“.

Eine solche Haltung des Vorstandes ist im höchsten Grade unpolitisch. Wenn auch eine gewerkschaftliche Bewegung durch freiwilligen Zusammenschluss allein nie erstarken kann, sondern gezwungen ist, möglichst alle Arbeiter eines Berufs, selbst unter Anwendung eines gewissen Druckes, in ihre Reihen zu ziehen, um dem Unternehmer die Waffen zu nehmen, so muss sie doch auch soviel Autorität besitzen, dass sie ihre Mitglieder zu schützen vermag. Die Hineingezwungenen oder die gekränkten Mitglieder sind die ewigen Friedensstörer in der Gewerkschaft. Es sind größtenteils solche Elemente, welche, wenn sie nichts anderes wissen, den Vorstand verdächtigen und schließlich gar das unsinnigste anfangen und für den Austritt aus der Zentrale Meinung zu machen suchen*).

*) Protok. Kaiarbeiter 15. 11. 94, Ewerführer April 04, Schauerleute 1892.

Das Misstrauen der Arbeiter richtet sich gewöhnlich gegen den Vorstand und besonders gegen den Verwalter der Kasse. Letzteren scheint man jederzeit einer Unterschlagung fähig zu halten, anders ist die immer wiederkehrende Aufforderung des Vorstandes, dass die Mitglieder stets von ihrem Rechte, Einsicht in die Kassenbücher nehmen zu dürfen, Gebrauch machen können, nicht zu deuten. Dasselbe Misstrauen begegnet dem Vorstande bei Differenzen mit den Arbeitgebern, wo ihm häufig Durchstecherei und Bestechlichkeit zum Vorwurf gemacht wird. Diese Vorwürfe werden nur selten in den Versammlungen erhoben, wo jeder das Recht der freien Meinungsäußerung hat, sondern meistens werden diese Anklagen gerüchtweise in Umlauf gesetzt, vor allem bei Unterhaltungen am Schanktisch, bis dann endlich der Vorstand Gelegenheit hat, gegen diese üble Nachrede Stellung zu nehmen. Zunächst einige Beispiele aus den Protokollen der Ewerführer. Aug. 1897. W. nimmt die Wahl zum 1. Vorsitzenden nur unter der Bedingung an, dass das Misstrauen der Mitglieder aufhört. — Aug. 1901. Der Vorstand wird wegen der schlechten Kassenverhältnisse der Heimlichkeit und Durchstecherei angeklagt. — Juli 1902. Verdächtigungen in Wirtschaftsgesprächen. Der Vorstand wird bei der Überweisung der Unterstützungen der Parteilichkeit beschuldigt. — Mai 1907. „Ferner teilte der Redner noch mit, dass nach der Bewegung der Schauerleute einige Kollegen damit hausieren gehen, den Hauptvorstand zu beschuldigen, er habe Verrat an der Bewegung getan“. Solche Notizen ließen sich sowohl aus den Protokollen der Ewerführer, wie auch der Kaiarbeiter und Schauerleute noch manche aufweisen*). Es geht hieraus jedenfalls deutlich hervor, dass die Führer keineswegs das volle Vertrauen der Mitglieder besitzen. Wie weit die üble Nachrederei die Disziplin zu untergraben im Stande ist, kann man schwer feststellen. Dagegen lässt sich aus diesen Vorkommnissen mit Sicherheit konstatieren, dass hier der gewerkschaftlichen Überzeugung noch die Ernsthaftigkeit fehlt.

Das Misstrauen der Mitglieder gegenüber dem Vorstande mag zweierlei Ursache haben. Bei einem Teil der Verdächtigungen ist die Quelle unverkennbar, es ist der Neid. Der Vorsitzende der Mitgliedschaft ist meistens ein bezahlter Beamter, der nun nicht mehr seiner schweren Arbeit nachzugehen braucht, sondern in der Geschäftsstelle hinter seinem Pulte sitzt. Mag der Arbeiter von der Notwendigkeit unabhängiger Beamten für die Leitung der Geschäfte noch so fest überzeugt sein, er wird unwillkürlich sein Los mit dem des andern vergleichen und für den Moment nur seinen persönlichen Nachteil erkennen. Der weniger weitsichtige Arbeiter, und seine Zahl wird die größere sein, sieht in dem Beamten nur den Mann, den er bezahlt, und ist meistens der Ansicht, dass er ihn für nichts bezahlt, da er seine Arbeit nicht zu schätzen versteht. Allerdings erhält dieses neidische Misstrauen hier und da Nahrung, wenn den Mitgliedern Unterschlagungen von Kassengeldern und andere Unregelmäßigkeiten bekannt werden.

*) Protokoll der Kaiarbeiter. 28. Febr. 1903, 18. Sept. 1904 u. s. w. Protokoll der Schauerleute 23. Sept. 1897 u. s. w. Protokoll der Ewerführer. Oktober 1897, Januar 1898, Februar 1899, Juni 1901 u. s. w.

Ein anderer Teil der Mitglieder schöpft Misstrauen aus der Art, wie die Leitung der Mitgliedschaft geführt wird. Klug gemacht durch die unendlichen Schwierigkeiten, die einer gemeinsamen Durchberatung wichtiger Angelegenheiten in den öffentlichen Versammlungen entgegenstehen, berät sich der Vorstand zuerst unter sich oder mit der Verbandszentrale in geheimer Sitzung. Von dem Für und Wider erfährt die Versammlung nichts, ihr wird nur das Resultat zur Verhandlung und Abstimmung übergeben. Das kann den Mitgliedern nicht entgehen und der Argwohn keimt auf. Jedes Mitglied will jederzeit von allem unterrichtet sein. Dass das in einer größeren Gemeinschaft unmöglich ist, sehen nur die wenigen Verständigen ein. Die Masse sieht in jeder Leitung nur eine Bevormundung oder gar Übervorteilung.

Solange die Versammlung die Lenkung und Kontrolle der Vorstandsämter in den Händen behält, ist diese Handlungsweise des Vorstandes nach Ansicht von S. Webb durchaus gerechtfertigt und demokratisch*).

Die Geldmittel der Gewerkschaft der Hafenarbeiter werden beschafft durch Eintrittsgeld, Jahresbeitrag, Tellersammlungen, Streikmarken, Vergnügungsüberschüsse und Zinserträge. Das Eintrittsgeld ist für die Hamburger Hafenarbeiter auf 1 Mark fixiert. Der Jahresbeitrag setzt sich zusammen aus einem ordentlichen Beitrag von 17,55 Mk. und einem außerordentlichen von 8,00 Mk, im Ganzen also 25,55 Mk. Die Tellersammlungen werden anlässlich von Sterbefällen, Unglücksfällen und fremder Streiks veranstaltet. Zu letzterem dienen besonders die Streikmarken, die von jedem Mitgliede gekauft werden müssen, also eine kleine Extrasteuer**). Die Zinserträge ergeben sich aus den Kapitaleinlagen im Gewerkschaftshaus, in dem Konsumverein „Produktion“ oder in Sparkassen. Von der Einnahme gehen 80 % an die Hauptkasse und 20 % verbleiben in der Lokalkasse. Die Hauptausgaben werden für Streiks, Unterstützungen und Agitation gemacht. Die Ausgaben für Streiks sind seit 1900 enorm gestiegen. (1901 - 22051,14; 1905 — 130725,69; 1907 — 410923,13 Mark). Aber auch die Ausgaben für Agitation und Unterstützungen sind mächtig gewachsen***).

*) Webb, Theorie und Praxis der englischen Gewerkvereine.
**) Protokoll der Ewerführer Juli 1901. Wer keine Streikmarken entnimmt, gilt nicht als vollberechtigtes Mitglied.
***) Protokoll des 9. Verbandstages. Krankengeld 1904 — 5866,50 Mk.; 1905 — 58267,03 Mk

Mit besonderer Lebhaftigkeit wird die politische Agitation in den Mitgliedschaften des Hafenarbeiterverbandes nicht betrieben. Die Ansichten sind scheinbar darüber verschieden, ob die Gewerkschaft der politischen Bewegung zweckdienlich sein soll. Auch darüber scheinen die Meinungen geteilt zu sein, ob die gewerkschaftliche oder die politische Bewegung dem Arbeiter von größerem Nutzen ist.*) Gegenwärtig bricht sich die richtige Erkenntnis Bahn, dass beide unzertrennlich sind und die gewerkschaftliche Bewegung die beste und gründlichste Vorschulung für die Politik ist. Auch diejenigen Führer, welche es nicht offen zugestehen wollen, können sich der Konsequenz nicht entziehen. Wenn die Führer behaupten, die Gewerkschaften seien nicht sozialdemokratisch**), weil bei der Aufnahme nicht nach der politischen Gesinnung gefragt würde, so ist das nur ein momentanes Einlenken den Andersdenkenden gegenüber, die vielleicht sonst mit dem Beitritt zögern würden. Solche Äußerungen machen Widersprüche unvermeidlich, in derselben Mitgliedschaft wird in demselben Jahre den Mitgliedern das Gegenteil vorgehalten. Es heißt da: „Es ist als Pflicht zu betrachten, sich der politischen Organisation anzuschließen“. Es wird aber auch der oben abgeleugnete Gesinnungszwang angewandt, denn es heißt weiter: „es könne nicht genügen, wenn jemand erklärt, ich bin gewerkschaftlich oder politisch organisiert, man müsse die Legitimation fordern“. Die politische Betätigung der Gewerkschaften findet auch darin ihren Ausdruck, dass den russischen „Revolutionären“ Gelder und Beifallsadressen gesandt werden***).

*) Protokoll der Kaiarbeiter Juli 1892.

**) Protokoll der Kaiarbeiter vom 5. April 1905 und vom 5. November 1905.

***) Protokoll der Ewerführer 6. August 1905, 4. Januar 1906.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die sozialen Verhältnisse im Hamburger Hafen